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AUSSENHANDEL/296: Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan (FUE Rundbrief)


Forum Umwelt & Entwicklung - Rundbrief 3/2017

Die Wissenschaft hat festgestellt ...
Forschung zwischen Geld, Macht und Gemeinwohlinteressen

Das Freihandelsabkommen zwischen der EU und Japan
Nicht nur Japans Landwirtschaft, auch bäuerliche Familienbetriebe in Europa sind bedroht

von Shushi Okazaki


Führende PolitikerInnen Japans und der Europäischen Union (EU) beharren darauf, dass vom Freihandelsabkommen zwischen Japan und der EU (JEFTA) "alle profitieren". Doch das sehen Japans LandwirtInnen, andere Menschen in ländlichen Gebieten und VerbraucherInnen, die eine stabile Versorgung mit sicheren Nahrungsmitteln fordern, ganz anders. Obwohl Japan mit 130 Millionen EinwohnerInnen die weltweit zehntgrößte Bevölkerung hat, produziert das Land weniger als 40 Prozent der dort konsumierten Nahrungsmittel. JEFTA wird der ohnehin schon notleidenden Landwirtschaft mit Sicherheit einen weiteren verheerenden Schlag versetzen. Zudem kann es auch eine Bedrohung für kleinbäuerliche Familienbetriebe in Europa darstellen.


Nach der politischen Übereinkunft über JEFTA erklärte der EU-Kommissar für Landwirtschaft, Phil Hogan, dass "dies eine Win-win-Situation für beide Seiten, vor allem aber für das ländliche Europa" sei. Doch wo GewinnerInnen sind, gibt es auch VerliererInnen, und die Landwirtschaft Japans gehört zweifelsohne zu den VerliererInnen.

Das bisher folgenschwerste Abkommen für die LandwirtInnen Japans wäre das Transpazifische Freihandelsabkommen (TPP) gewesen, das 82 Prozent der Zölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse streichen sollte, viel mehr als der durchschnittliche Zollabbau von 56 Prozent früherer Freihandelsabkommen in Japan.1 Glücklicherweise trat TPP nicht in Kraft, da US-Präsident Donald Trump das Abkommen von Seiten der USA aufkündigte. Trotz dieses Rückschlags verhandeln die japanische Regierung und die EU ein Freihandelsabkommen auf Basis der Zugeständnisse Japans für TPP. Japan zufolge werden durch JEFTA 82 Prozent der Zölle für landwirtschaftliche Erzeugnisse wegfallen, während es laut der EU 85 Prozent sind. Abgesehen von Reis, der von den zollrechtlichen Vereinbarungen ausgeschlossen ist, erklärte sich Japan zu Zugeständnissen für landwirtschaftliche Produkte bereit, die das TPP-Abkommen vorsah oder die dieses sogar übertreffen.


TPP Plus

Am stärksten betroffen sind Molkereiprodukte und Viehwirtschaft. Dabei gehen die Zugeständnisse Japans für Molkereiprodukte noch über die für TPP hinaus. Damals versprach Japan einen Abbau der Zölle um 29,8 Prozent für Hartkäse wie Gouda und Cheddar über einen Zeitraum von 15 Jahren. Um ängstliche und wütende LandwirtInnen zu beruhigen, betonte die japanische Regierung, dass die Zölle für Weichkäse wie Mozzarella und Camembert aufrechterhalten bleiben würden. Mit dem JEFTAAbkommen sichert sie nun allerdings nicht nur dieselben Streichungen wie bei TPP für Hartkäse zu, sondern auch einen niedrigen Zollsatz für Weichkäse. Zu diesem Zollsatz würde Japan zunächst 20.000 Tonnen und in den kommenden 15 Jahren schließlich 31.000 Tonnen importieren, was fast 2 Drittel der japanischen Käseproduktion entspricht. Die Zahl der Milchkühe in Japan fiel im Jahr 2017 auf 1,32 Millionen im Vergleich zum Spitzenwert von 2,11 Millionen im Jahr 1985. Auch die Zahl der Milchbetriebe fiel von 82.400 im Jahr 1985 auf 16.400 heute. Für die schwächelnden Milchbetriebe könnte JEFTA der Todesschlag bedeuten.

Die Zollabgaben für Rindfleisch werden in den nächsten 15 Jahren von 38,5 Prozent auf 9 Prozent verringert. Schweinefleisch wird in den kommenden 9 Jahren fast zollfrei sein, während Zölle auf verarbeitetes Schweinefleisch, darunter Schinken, Speck und Wurst, nach 11 Jahren vollständig wegfallen werden. Andere verarbeitete Nahrungsmittel wie Pasta, Makkaroni, Wein, Schokolade, Süßigkeiten, Kekse, Tomatensoße sowie Orangen- und Apfelsaft werden ebenfalls zollfrei sein. Die EU schätzt ihren Exportzuwachs an verarbeiteten Lebensmitteln auf bis zu 10 Milliarden Euro.


Völlig im Dunkeln gelassen

Über die TPP-Verhandlungen veröffentlichte die japanische Regierung nur widerwillig ein Dokument über 45 Seiten, das abgesehen von Überschriften und Zeitangaben völlig geschwärzt war und heftige Kritik seitens der Öffentlichkeit auslöste. Zu JEFTA hat die Regierung jedoch noch nicht einmal geschwärzte Unterlagen vorgelegt. Und obgleich 3 offizielle Gutachten zur Folgenabschätzung für TPP existieren, gibt es bislang noch keinen Folgenabschätzungsbericht zu JEFTA.

Der Leitartikel der Japan Agricultural News vom 7. Juli 2017, der einzigen Agrar-Tageszeitung in Japan, beinhaltete "eine klare Unmutsbekundung gegen das durch geheime und übereilte Verhandlungen getroffene politische Abkommen".

Fehlende offizielle Berichte erschweren die Abschätzung der Gesamtauswirkung von JEFTA, daher können wir nur Vermutungen auf Grundlage der TPP-Berichte anstellen. Schätzungen der japanischen Regierung zufolge würde die Agrarproduktion mit Inkrafttreten des TPP-Abkommens um bis zu 210 Milliarden Yen (1,6 Milliarden Euro) zurückgehen. Doch diesen Rückgang schmälerte die Regierung zu Unrecht durch die Berücksichtigung der Auswirkungen geplanter Maßnahmen zur Verringerung negativer Folgen für die Landwirtschaft. Professor Nobuhiro Suzuki von der University of Tokyo, Experte für Folgenabschätzung, berechnete jedoch, dass TPP die landwirtschaftliche Produktion Japans um 1,5 Billionen Yen (11,5 Milliarden Euro), verringern würde. Das entspräche 17 Prozent der gesamten Agrarproduktion und würde für 630.000 LandwirtInnen und LandarbeiterInnen den Verlust ihres Arbeitsplatzes bedeuten. In Anbetracht der Zugeständnisse unserer Regierung könnte JEFTA zu einer ähnlich desaströsen Situation führen.

Doch JEFTA hört keinesfalls hier auf; es könnte zu einem "Dominoeffekt der beschleunigten Liberalisierung" führen. Das Freihandelsabkommen zwischen Japan und Australien, das 2015 in Kraft trat, beinhaltet eine Regelung, die besagt, dass im Falle dessen, dass eines der Länder die Zollsätze gegenüber Drittländern senkt, dieses Land dem anderen die gleichen Zollsätze einräumen muss. Auf Grundlage der Zugeständnisse für JEFTA wird man von Japan in den laufenden Verhandlungen der 11 TPP-Länder ähnliche Zugeständnisse verlangen. Es ist davon auszugehen, dass die USA von Japan solche Zugeständnisse im Rahmen des 'Japan-U.S. Economic Diaglogue' (Wirtschaftsdialog USA-Japan) erwarten werden, der zu einem Freihandelsabkommen zwischen Japan und den USA führen könnte.


Agrarexport vs. bäuerliche Familienbetriebe

Die japanische Regierung möchte die Landwirtschaft Japans, deren Mittelpunkt kleinbäuerliche Familienbetriebe bilden, hin zu einer Exportindustrie entwickeln, die laut Regierung dem durch Freihandelsabkommen entstehenden Wettbewerb standhalten kann. Führende EU-PolitikerInnen behaupten, die LandwirtInnen würden von massiven Agrarexporten durch Freihandelsabkommen enorm profitieren. Wäre solch eine exportorientierte Landwirtschaft, die sich nur dadurch am Leben erhalten kann, dass sie der Landwirtschaft anderer Länder schadet, wirklich nachhaltig? Diese Sorge teilen auch unsere europäischen FreundInnen.

Die japanische Bewegung 'Japan Family Farmers Movement' (Bewegung kleinbäuerlicher Familienbetriebe Japans) hat zusammen mit der Europäischen Koordination La Via Campesina ein Statement gegen JEFTA veröffentlicht: "Für uns ergeben sich keinerlei Vorteile durch diese Art der exportierenden Agrarindustrie, ganz im Gegenteil, wir werden dazu gezwungen, uns im Wettbewerb gegen dieselben subventionierten Agrarprodukte zu behaupten, die derzeit die Menschen auf diesem Planeten vergiften und LandwirtInnen allerorts verdrängen."

Aus ähnlichen Sorgen insbesondere über die Ackerlanddichte durch die groß angelegte Agrarindustrie hat das Europäische Parlament im April 2017 eine Resolution verabschiedet, welche die Mitgliedstaaten dazu aufruft, politische Regelungen zu ergreifen, "um das auf Familienbetrieben basierende Landwirtschaftsmodell in der gesamten EU aufrechtzuerhalten".

In diesem Zusammenhang erklärten die Vereinten Nationen (UN) das Jahr 2014 zum Internationalen Jahr der bäuerlichen Familienbetriebe. Dem 2. Ziel der Nachhaltigen Entwicklungsziele (SDGs) der UN zufolge gilt es, "den Hunger zu beenden, Ernährungssicherheit und eine verbesserte Ernährung zu erreichen und eine nachhaltige Landwirtschaft zu fördern".

Alles in allem wächst überall auf der Welt die Aufmerksamkeit für die Bedeutung bäuerlicher Familienbetriebe, da sich immer mehr Menschen über die negativen Folgen der großflächig betriebenen, exportorientierten Landwirtschaft durch Agrarindustrie und Freihandelsabkommen sorgen. Die Beeinträchtigung der japanischen Landwirtschaft auf der einen Seite und die Untergrabung der europäischen Kleinbäuerinnen und Kleinbauern auf der anderen zeigt, dass JEFTA in die falsche Richtung geht.

Das Ministerium für Landwirtschaft hat am 9. August 2017 angekündigt, dass Japans Selbstversorgungsgrad im letzten Jahr von 39 Prozent auf 38 Prozent gesunken ist. Unseres Erachtens kann ein möglicher Zuwachs der Autoverkäufe auf dem europäischen Markt durch JEFTA die anhaltende Zerstörung unserer Landwirtschaft nicht kompensieren. Können unsere europäischen FreundInnen die Aushöhlung der Grundlage ihrer ländlichen Gesellschaft - der kleinbäuerlichen Familienbetriebe - akzeptieren?


Der Autor ist stellvertretender Vorsitzender der Internationalen Abteilung von 'Japan Family Farmers Movement' und Mitglied der internationalen Bauernbewegung La Via Campesina.

Anmerkung:
(1) Takumi Sakuyama (2016): The Determinants of Japan's Agricultural Liberalization in the TPP Agreement: An Investigation into the Roles of Negotiating Rules. Journal of Food System Research, Band 23, Nr. 2.


Das Forum Umwelt & Entwicklung wurde 1992 nach der UN-Konferenz für Umwelt und Entwicklung gegründet und koordiniert die Aktivitäten der deutschen NGOs in internationalen Politikprozessen zu nachhaltiger Entwicklung. Rechtsträger ist der Deutsche Naturschutzring, Dachverband der deutschen Natur-, Tier- und Umweltschutzverbände (DNR) e.V.

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Quelle:
Rundbrief 3/2017, Seite 25-26
Herausgeber:
Forum Umwelt & Entwicklung
Marienstr. 19-20, 10117 Berlin
Telefon: 030/678 1775 910
E-Mail: info@forumue.de
Internet: www.forumue.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 15. November 2017

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