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AUSSENHANDEL/308: Vietnam will Freihandelsabkommen mit EU (Stefan Kühner)


Vietnam will Freihandelsabkommen mit EU

von Stefan Kühner, 18. Oktober 2018


Die Europäische Kommission hat am 17.10.2018 ein Freihandelsabkommen mit Vietnam zur Genehmigung an das EU-Parlament und die Parlamente der Mitgliedsländer weitergeleitet. Es ist das erste umfassende Abkommen für offene Märkte mit einem asiatischen Entwicklungsland. Die EU ist der drittgrößte Handelspartner von Vietnam und einer der beiden größten Wachstumsmärkte Asiens. Der gegenseitige Handel wuchs von 4,1 Milliarden US-Dollar im Jahr 2000 auf das 12-fache im Jahr 2017. Dies sind 50,4 Milliarden US-Dollar. Die Handels- und Investitionsabkommen zwischen der EU und Vietnam bedürfen der Zustimmung der 28 Mitglieder der EU und des Europäischen Parlaments.

Vietnam verbindet nach einem Bericht des Nachrichtendienstes Viet Nam News große Hoffnungen mit diesem Abkommen. "Das bevorstehende Freihandelsabkommen EU-Vietnam wird die Wirtschaftspartnerschaft zwischen Vietnam und der EU stärken, indem 99 Prozent der Einfuhrzölle in den nächsten 7-10 Jahren abgeschafft werden. Die Vereinbarung ist ein wichtiger Meilenstein, um die bilateralen Beziehungen auf eine neue Ebene zu heben." Zu den wichtigsten Exportprodukten aus Vietnam gehören Schuhe, Kleidung und Lebensmittel. Fallen die Zollschranken auf Grund des neuen Handelsabkommens, würde die Europäische Union die Zölle für diese vietnamesischen Erzeugnisse auf null zurückfahren. Vietnam würde im Gegenzug Zölle auf Autos zurücknehmen, was sicherlich im Interesse vor allem der deutschen und französischen Autoindustrie ist. [1], [2]

Die Europäische Union will außerdem mit Singapur, einem weiteren Mitglied der ASEAN-Region (Association of Southeast Asian Nations) ein ähnliches Abkommen unterzeichnen und führt derzeit auch Gespräche mit Indonesien.


Vietnam will multilaterale Freihandelsabkommen mit der EU ...

Vietnam und andere Länder in Südostasien drängen auf Freihandelsabkommen. Sie alle wollen für ihre Bevölkerung Wohlstand und eine gute Zukunft haben. In vielen Fällen stehen sie aber, was den Handel mit den reichen Volkswirtschaften angeht, vor hohen Einfuhrzöllen und anderen Hürden. Besonders wichtig sind für Vietnam multilaterale Abkommen. Mit jedem Land der EU eigene Abkommen abzuschließen, würde ein Land wie Vietnam (und andere Länder, die wirtschaftlich nicht so stark sind wie z. B. die G7-Länder) überfordern.


... und in der Pazifik-Region

Eigentlich wollte Vietnam im Verbund mit 11 anderen Ländern im Pazifikraum schon 2017 ein multilaterales Abkommen TPP (Trans Pazifik Partnerschaft) abschließen. Nachdem Donald Trump als eine seiner ersten Amtshandlungen das bereits ratifizierte Abkommen im Januar 2017 gekündigt hatte, beschlossen die verbleibenden Länder Australien, Brunei, Kanada, Chile, Japan, Malaysia, Mexiko, Neuseeland, Peru, Singapur und Vietnam, es ohne die USA zu machen. Das haben sie unter der Bezeichnung CPTPP (Comprehensive and Progressive Trans Pacific Partnership / Umfassende und Fortschrittliche Transpazifische Partnerschaft) auch getan. Wie bei all solchen Abkommen muss es nach der Ratifizierung der Verhandlungsdelegationen von den nationalen Parlamenten verabschiedet werden. Dies soll in der letzten Oktoberwoche 2018 vom vietnamesischen Parlament erfolgen. Nach einer Meldung von VietnamExpress Online vom 15.10.2018 erklärte Vietnams Premierminister Nguyen Xuan Phuc, dass es eine hohe Wahrscheinlichkeit gebe, dass Vietnam die CPTPP in diesem Jahr ratifizieren werde. "Vietnam strebt danach, eines der ersten sechs Länder zu sein, die die CPTPP ratifiziert haben", sagte er. Er erklärt außerdem, dass es Vietnam begrüßen würde, wenn auch andere Länder Interesse an einem Beitritt zum CPTPP bekunden. Indonesien, Südkorea, Thailand und Großbritannien haben dies bereits getan. "Die Erweiterung der CPTPP werde aber erst nach Inkrafttreten des Handelspaktes erfolgen", fügte Nguyen Xuan Phuc hinzu. [3]


Einige EU-Abgeordnete torpedieren das EU-VN-Abkommen

32 Abgeordnete (aus so ziemlich allen Fraktionen) des Europäischen Parlaments nehmen Aspekte von Menschenrechten und einige noch nicht unterzeichnete Normen der ILO (International Labour Organisation) zum Anlass, ein baldiges Inkrafttreten des Abkommens zu verhindern oder zumindest kräftig zu verzögern.

In der Tat stellt das Europäische Parlament, das für die Annahme aller Verträge oder internationalen Handelsabkommen zuständig ist, in Freihandelsabkommen strenge Anforderungen an Arbeitsnormen, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer in den beteiligten Ländern in vollem Umfang von der Vereinbarung profitieren können, wenn es um die Lohn- und Arbeitsbedingungen geht. Vietnam hat derzeit fünf der acht grundlegenden Übereinkommen der IAO bereits ratifiziert. Noch offen sind die Regelungen bezüglich der 'Zulassung freier Arbeitnehmerzusammenschlüsse', 'Regelungen zu Tarifverhandlungen' und 'Die Ächtung von Zwangsarbeit'. Solche Gesetzentwürfe liegen dem vietnamesischen Parlament bereits zur Beschlussfassung vor. Der Vorsitzende des Handelsausschusses des Europäischen Parlaments Bernd Lange zeigte sich in einem Gespräch mit Vietnam News Online im August 2018 sehr zuversichtlich, dass Vietnam die Anforderungen erfüllen wird. Die acht ILO-Kernübereinkommen müssen auch nicht unbedingt sofort vollständig ratifiziert werden. Vietnam muss allerdings sein verbindliches Engagement für die Einhaltung, Förderung und Verwirklichung der erklärten Grundprinzipien und Rechte bei der Arbeit unter Beweis stellen und einen Fahrplan für die Ratifizierung und Umsetzung der Übereinkommen aufstellen. [1] Die ILO selbst macht keinen Druck. Die aus dem Handelsabkommen EU-Vietnam resultierenden Handelsvorteile zielen darauf ab, die Umsetzung der Entwicklungsagenda bis 2030 (!) durch Vietnam zu unterstützen - insbesondere die gegenseitige Unterstützung bei der Förderung menschenwürdiger Arbeit und eines "nachhaltigen Wirtschaftswachstums", heißt es auf der Homepage der ILO. [4]

Das Ansinnen der EU-Abgeordneten sieht auf den ersten Blick gutherzig aus. Hebt man den Blick aber, wird es eher selbstgefällig. Die eigenen ideologischen Grundsätze werden als Hürden gegenüber anderen aufgerichtet. Sicherlich ist es notwendig, dass Vietnam Konventionen der ILO unterstützt und einhält. Und es ist unstrittig, " ... dass die EU in Freihandelsabkommen strenge Anforderungen an Arbeitsnormen stellt, um sicherzustellen, dass die Arbeitnehmer in den beteiligten Ländern in vollem Umfang von der Vereinbarung profitieren können." Die Unterzeichnung der noch offenen Konventionen ist in Vietnam im gesellschaftlichen und parlamentarischen Diskussions- und Abstimmungsprozess.

Betrachtet man das Thema tarifliche Entlohnung oder auch gewerkschaftliches Handeln ist aber festzuhalten: Diese Bedingungen werden in Vietnam durch Unternehmer festgelegt, die ausländischen Konzernen gehören. Sie sind die Herren. Es ist richtig, dass die Bezahlung in den Fabriken Vietnams zu niedrig sind und die Arbeitsbedingungen verglichen mit den Bestimmungen hierzulande zum Himmel schreien. Dies aber vor allem der Regierung Vietnams vorzuwerfen ist mehr als perfide. Die Eigentümer der meisten Produktionsanlagen sitzen in China, Formosa, Japan, Korea und auch in Deutschland. Sie sind die Auftraggeber und erzwingen niedrige Einkaufspreise. Sie nutzen ohne Skrupel die fehlenden oder nur schwach entwickelten Sozial- und Umweltstandards aus, um kostengünstig arbeiten zu lassen. Es sind ihre Standortchefs und Abteilungsleiter, die die Beschäftigten triezen. Wenn die EU-Abgeordneten hier die vietnamesischen Billigproduzenten geißeln und fehlende Arbeitnehmerrechte bzw. zu wenig Gewerkschaftsmacht kritisieren, müsste sie diese Kritik an deutsche Unternehmen wie Adidas, Deichmann, Adler, Lidl, Tchibo und die deutschen Lebensmittelketten richten. Sie alle nutzen nämlich genau diese Defizite, um billig einzukaufen und hier Superprofite zu erzielen.


Anmerkungen:

[1] Viet Nam News Online; 02.08.2018; Concerns over Vietnam-EU FTA signing
https://vietnamnews.vn/economy/463014/concerns-over-viet-nam-eu-fta-signing.html#AkcW24xECBj4gk8Y.9

[2] Vietnam Express Online; 18.10.2018; _EU pushes for approval of trade agreement with Vietnam
https://e.vnexpress.net/news/business/economy/eu-pushes-for-approval-of-trade-agreement-with-vietnam-3825788.html__

[3] Vietnam Express Online; 15.10.2018; Vietnam to discuss ratification of more free trade
https://e.vnexpress.net/news/business/economy/vietnam-to-discuss-ratification-of-major-free-trade-pact-3824342.html

[4] Homepage der International Labor organization; 30.06.2018
Free trade deal with EU calls on VN to ratify remaining fundamental labour standards
http://www.ilo.org/hanoi/Informationresources/Publicinformation/newsitems/WCMS_635714/lang--en/index.htm

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Quelle:
© 2018 by Stefan Kühner
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Oktober 2018

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