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POLITIK/107: Welche Sicherheitstechnologien braucht Europa? (research*eu)


research*eu - Nr. 60, Juni 2009
Magazin des Europäischen Forschungsraums

Welche Sicherheitstechnologien braucht Europa?

Von François Rebufat, Julie Van Rossom


Unter dem Thema "Sicherheit" des 7. Forschungsrahmenprogramms sollen Technologien gegen die verschiedenen Bedrohungen im Europa der offenen Grenzen entwickelt werden, ohne die Grundrechte zu verletzen.


"Technologie allein kann zwar noch keine Sicherheit garantieren, jedoch ist die Sicherheit ohne die Unterstützung der Technologie nicht denkbar", liest man im Bericht (1) der Group of Personalities (GoP). Im Jahr 2003 hatte der Europäische Rat dieses Panel damit beauftragt, eine europäische Strategie hinsichtlich der Entwicklung von Sicherheitstechnologien auszuarbeiten. Terrorismus, organisierte Kriminalität, Extremismus, Natur- oder vom Menschen verursachte Katastrophen - die Liste der Bedrohungen, die auf dem globalen Dorf lasten, in dem Krisen und Konflikte ebenso schnell exportiert werden wie Handelswaren, ist tatsächlich sehr lang.

Deshalb gibt es einen speziellen Themenbereich, der sich innerhalb des 7. Rahmenprogramms (RP7) mit der Sicherheit befasst und bei dem die Europäische Union nicht an Mitteln gespart hat. Ein Budget von 1,4 Mrd. EUR für sieben Jahre ist dafür vorgesehen, also 5 % des Gesamthaushalts. Die Forschungsarbeiten konzentrieren sich auf vier Themenbereiche: Verbesserung der Sicherheit für die Bürger, Verstärkung der Sicherheit von Infrastrukturen, Überwachung der Grenzen und Krisenmanagement. Drei transversale Themen kommen noch hinzu: Interoperabilität und Verbindung der Sicherheitssysteme in den Mitgliedstaaten, Erforschung der komplexen Beziehungen zwischen Sicherheit und Gesellschaft und die Koordinierung der europäischen Forschungsbemühungen auf diesem Gebiet.

Im Vorfeld der Einführung des Themenbereichs "Sicherheit" wurden vier Jahre lang Vorbereitungsmaßnahmen mit rund dreißig Projekten durchgeführt, die angesichts ihres Umfangs und ihrer Komplexität sowohl die Naturwissenschaften als auch die Geisteswissenschaften vor große Herausforderungen stellen.


Ein riesiger Markt

Die europäische Strategie für die Sicherheitsforschung scheint zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen zu wollen. Das Risikomanagement der Demokratien wurde nämlich mit einem weiteren Ziel gekoppelt: der Anregung des Wachstums der europäischen Industrien. Denn es herrscht ein harter Konkurrenzkampf auf dem umkämpften Weltmarkt für Sicherheit, dessen Volumen auf 250 bis 350 Mrd. EUR geschätzt wird, und einen Zuwachs von 10% pro Jahr hat. "Die USA repräsentieren fast 50% dieses Marktes, Europa etwas weniger als ein Drittel. Und von den 50 größten Akteuren auf dem Gebiet sind mehr als die Hälfte US-Amerikaner", schätzte Laurent Collet-Billon, Generalbeauftragter für Rüstung des französischen Verteidigungsministeriums auf der dritten europäischen Konferenz zur Sicherheitsforschung (Security Research Conference - SRC'08), bei der sich im Oktober 2008 zahlreiche Marktakteure, vor allem Hersteller, trafen.

Und das ist noch nicht alles. Im Hinblick auf den Größeneffekt soll die europäische Sicherheitsstrategie auch die Synergien zwischen den Märkten für Verteidigung und Sicherheit mehren. "Eine Vielzahl von Herstellern, Forschungsinstituten sowie kleinen und mittleren Unternehmen, die Technologien für die Sicherheit entwickeln, sind auch im Verteidigungssektor aktiv. Im Kontext des derzeitigen Wirtschaftskrieges brauchen wir europäische Champions, die in der Lage sind, sich auf dem Weltmarkt zu behaupten. Die großen Hersteller im Verteidigungssektor werden auch große Hersteller von Sicherheitsprodukten sein", postuliert Laurent Collet-Billon.

Es besteht kein Zweifel, dass sich der Themenbereich "Sicherheit" der Europäischen Union an die Hersteller richtet, die nicht nur an zahlreichen europäischen Projekten teilnehmen, sondern sich auch an Entwicklung und Management dieser technologischen Entwicklungsstrategie beteiligen. Acht der 25 Mitglieder der GoP kamen aus den größten europäischen Rüstungsunternehmen. Rund 30% der Mitglieder des European Security Research Advisory Board (ESRAB), einem von der Europäischen Kommission 2005 eingerichteten ständigen Ausschuss, stammen aus dem privaten Sektor. Ende 2008 wurde das Europäische Forum für Sicherheitsforschung und Innovation (ESRIF) gegründet, um die Diskussion zwischen dem privaten und dem öffentlichen Sektor im Forschungsverlauf auf dem Gebiet des Bevölkerungsschutzes zu fördern.

Die Technologien sollen nicht nur wettbewerbsfähig sein, sondern auch dem Bedarf der Sicherheitsdienste in den 27 Mitgliedstaaten gerecht werden, deren Rechtsprechungen und Verfahrensweisen bei Weitem nicht einheitlich sind. Letztendlich steht man vor einem stark fragmentierten und strategischen Markt, der es rechtfertigt, dass der Themenbereich "Sicherheit" von der Generaldirektion (GD) Unternehmen und Industrie der Europäischen Kommission und nicht von der GD Forschung geleitet wird.

Einige Stimmen äußern sich besorgt über diese sehr liberale Vorgehensweise im Zusammenhang mit der Sicherheit. "Die US-Amerikaner dominieren die Welt auch im Hinblick auf die Entwicklung von genetisch veränderten Organismen (GVO), wodurch ihre multinationalen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil erhalten. Muss die Europäische Union deshalb ein Forschungsprogramm über GVO auflegen?", fragt sich Ben Hayes, Spezialist für europäische Binnensicherheit und Autor einer Studie zum europäischen Programm für Sicherheitsforschung(2). "Alle oder fast alle sind mit dem Grundgedanken einverstanden, die weltweite Verbreitung von Waffen sowie Unterdrückungs- und Zerstörungsinstrumenten einzuschränken. Die Sicherheitsforschung weckt die gleiche Besorgnis, aber es wird erwartet, dass wir das Postulat eines sogenannten militärischen und zivilen Kontinuums akzeptieren, was zur Folge hat, dass die Rüstungsindustrie sich am besten eignet, der Welt Sicherheitstechnologien anzubieten."


Ist Freiheit "verhandelbar"?

Man kann absolut nicht verneinen, dass der Kampf gegen den Terrorismus und die Unsicherheit im Allgemeinen einen gewissen Medienrummel hervorruft. Ungefähr seit dem Jahr 2000 rufen verschiedene Sicherheitsvorrichtungen - Werkzeuge zur Registrierung, Überwachung oder Erkennung - zahlreiche Proteste seitens der Zivilbevölkerung hervor. "Aus europäischen oder nationalen Umfragen geht hervor, dass die Bürger sich widersprüchlich äußern. Sie wollen im Fall eines Autodiebstahls, dass ihr Wagen verfolgt und leicht wiedergefunden werden kann, der Schutz ihrer Privatsphäre bei ihren täglichen Fahrten jedoch strikt eingehalten wird; dass Ärzte im Fall eines Unfalls Einblick in ihre Krankenakte nehmen können, diese aber sonst streng vertraulich bleiben muss; dass die Kontrollen beim Einsteigen in ein Flugzeug sehr effizient sein sollen, aber auch die Person umfassend respektieren müssen", bemerkte EU-Kommissar Jacques Barrot, verantwortlich für Freiheit, Sicherheit und Recht, auf der SRC'08. "Unsere Bürger wollen in Sicherheit und Freiheit leben. Sie wollen, dass Ihre Rechte strengstens respektiert werden. Sie wollen, dass die Demokratie geschützt wird. Mit ihren Wünschen haben sie recht. Wir, die politischen und professionellen Verantwortungsträger im öffentlichen Dienst, sind gefordert, so viele Lösungen wie möglich zu finden, aber die Forscher und Wirtschaftsvertreter ebenfalls."

Die Europäische Kommission ist sich der Herausforderungen für den Bürger bewusst, die die Verstärkung der Sicherheitsmaßnahmen mit sich bringt, und wählt einen Ansatz, der die Grundrechte respektiert. "Sicherheitsmaßnahmen, die die Freiheiten des Bürgers nicht respektieren, werden von der Bevölkerung möglicherweise nicht akzeptiert und hätten eine Verschlechterung der Sicherheitsbedingungen zur Folge", unterstreicht Gijs de Vries, der bisherige Vorsitzende des ESRIF, in seinem Vortrag auf der SRC'08. Der Themenbereich "Sicherheit" des RP7 unterstützt somit mehrere Arbeiten, um zu beurteilen, wie Sicherheitstechnologien und individuelle Freiheiten am besten in Einklang gebracht werden können.

Wird diese Vorgehensweise ein ausgewogenes Gleichgewicht zwischen Sicherheit und Freiheit gewährleisten? "Das ist ein gefährliches Ziel, weil es die Freiheit, das Grundprinzip eines demokratischen Systems, auf ein einfaches, verhandelbares Recht unter anderen deklassiert", gibt Anastassia Tsoukala, Kriminologin an der Universität Paris XI (FR), zu bedenken, die am europäischen Projekt Challenge(3) beteiligt ist. Dieses Projekt untersucht seit 2004 die Beziehung zwischen Freiheit, Sicherheit und Verteidigung im Hinblick auf eine kohärente europäische Strategie in diesem Bereich. Für Ben Hayes packen die technologischen Lösungen das Übel nicht an der Wurzel. "Die Technologie kann zweifellos polizeiliche Nachforschungen unterstützen. Aber nichts beweist, dass sie in der Lage ist, Terrorismus oder Kriminalität zu verhindern, weil sie gegen die vielförmigen Ursachen im Kern dieser sozialen Probleme nichts ausrichten kann."

Werden wir in Zukunft stärker überwacht und verdächtigt oder werden neue effiziente Technologien entwickelt, welche die Freiheiten respektieren? Für Frank Gregory, Spezialist für europäische Sicherheit an der Universität Southampton (UK), ist diese letztere Option umsetzungsfähig, er fordert jedoch "offene Diskussionen über die Zwecke der eingesetzten Vorrichtungen sowie eine präzise Bewertung des sicherheitstechnischen Zugewinns".


Quellen

(1) "Research for a secure Europe - Report of the GoP in the field of security research", März 2004.
http://ec.europa.eu/enterprise/security/doc/gop_en.pdf

(2) Ben Hayes, "Arming Big Brother - The EU security research program", Transnational Institute & Statewatch, April 2006. www.tni.org

(3) Challenge, www.libertysecurity.org


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Quelle:
research*eu - Nr. 60, Juni 2009, Seite 8-9
Magazin des Europäischen Forschungsraums
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veröffentlicht im Schattenblick zum 7. Oktober 2009