Schattenblick → INFOPOOL → GEISTESWISSENSCHAFTEN → MEINUNGEN


STANDPUNKT/020: "Wende"-Zeiten in der DDR - 2. Teil (Gerhard Feldbauer)


"Wende"-Zeiten in der DDR

Gregor Gysi griff 1989/90 die Liquidierung der italienischen PCI als Modell für seine PDS auf
Hans Modrow orientierte sich an ihr als Regierungschef - 2. Teil

Von Gerhard Feldbauer, 19. November 2019



CIA-General Vernon Walters übernimmt in Bonn das Kommando

Im Vergleich mit der Entwicklung in Italien muss man sich schließlich einmal vorstellen, dass zu dieser Zeit in Bonn der bereits erwähnte Vernon A. Walters eintraf, um als Botschafter die Zügel bei der Einverleibung der DDR in Modrows "Neues Deutschland" in die Hand zu nehmen. [48] Zu seiner Unterstützung hatte US-Präsident Bush sen. eine "European Strategy Steering Group" unter Leitung von Vize-Sicherheitschef Robert Gates gebildet, der in Bonn durchsetzte, der DDR "jede wirtschaftliche Unterstützung zu verweigern, bis tiefgreifende politische Reformen eingeleitet" seien.


Foto: Offizielles Porträt der CIA, lizenziert unter Public Domain, via Wikimedia Commons

Vernon A. Walters, damals Stellvertretender Direktor der CIA, im Jahr 1972
Foto: Offizielles Porträt der CIA, lizenziert unter Public Domain, via Wikimedia Commons

Den Drei-Sterne-General kannte ich aus meiner Arbeit in Italien. Zur Zeit, als Aldo Moro 1963 seine erste Regierung mit den Sozialisten plante, war er, damals noch Oberst, Militärattaché an der Botschaft in Rom und forderte, dass "die Vereinigten Staaten ohne zu zögern das Land militärisch besetzen müssten". [49] Dazu bereitete er mit neofaschistischen Offizieren und der geheimen NATO-Truppe Gladio einen Staatsstreich vor. Unter Präsident John F. Kennedy wurde der Putsch, nachdem Details davon in der Öffentlichkeit bekannt geworden waren, jedoch abgeblasen. Nach seinem Italieneinsatz wurde Walters, der in den USA the lone Wolf genannt wurde, eine Schlüsselfigur der Militärischen Aufklärung (DIA), avancierte später unter Präsident Richard Nixon im Generalsrang zum stellvertretenden CIA-Direktor und war an der Ausarbeitung des Szenariums für den Putsch gegen Allende (Centauroplan) beteiligt. [50] Die Vietnam-Aggression der USA, mit über drei Millionen toten Vietnamesen, die fast ganz Nordvietnam in Trümmer legte und 58.000 GIs das Leben kostete, war für ihn "einer der nobelsten Kriege" der USA. Während meiner diplomatischen Tätigkeit in Kinshasa begegnete ich ihm 1986 auch persönlich. [51] Er zog die Fäden zur Unterstützung der Rebellenbewegung der kolonialen Marionette Jonas Savimbi in Angola gegen die antiimperialistische Regierung unter dos Santos in Luanda durch das Mobuto-Regime in Zaire und die Apartheid-Regierung Südafrikas. So musste also klar sein, wer in Bonn im Diplomatenanzug das Kommando übernahm, um, wie der "FAZ" vom 10. Januar 1989 zu entnehmen war, "die letzte Ölung zu geben, bevor der Patient (die DDR) stirbt", oder anders ausgedrückt, "dem sowjetischen Sicherheitssystem das Herz herauszureißen". [52]


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-Z1014-018 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

José Eduardo dos Santos, Präsident der Republik Angola (5. v. l.), am 14. Oktober 1981 mit dem Ost-Berliner Stadtkommandanten Karl-Heinz Drews (2. v. r.) am Brandenburger Tor
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-Z1014-018 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Der Bericht in der "FAZ" konnte Modrow kaum entgangen sein. Er hatte sich ein paar erfahrene Journalisten, darunter den Pressechef des MfAA [53], Wolfgang Meyer, und aus dem "ADN" u. a. den Stellvertretenden Generaldirektor, Ralf Bachmann, in sein Team geholt. Meyer wurde im Ministerrang sein Pressesprecher. Sie beherrschten ihr Metier aus dem ff und fertigten dem Regierungschef natürlich täglich die Presseschau.

Bachmann und Meyer kannte ich aus meiner Zeit im "ADN". Meyer wurde nach mehreren Auslandseinsätzen, u. a. bei der UNO in New York, 1971 Nachrichtenchef und wechselte dann zur Agitationskommission des ZK der SED. Von dort avancierte er zum Leiter der Hauptabteilung Presse des Außenministeriums und war in dieser hochrangigen Funktion auch der Medienkoordinator der Auslandsreisen Erich Honeckers. Bald galt er als Pressesprecher der Partei- und Staatsführung. Für solche Funktionen mussten Journalisten in der DDR eine hohe fachliche Qualifikation mitbringen. Über sie verfügte Meyer mit seinen Auslandserfahrungen, soliden Sprachkenntnissen, hervorragenden redaktionellen Fähigkeiten und einem ausgezeichneten Organisationstalent ohne jeden Zweifel. Was ihn für diesen Posten aber besonders prädestinierte, war - im Urteil von Mitarbeitern -, dass er ohne jeden Widerspruch und ohne von seinen sicher begrenzten Möglichkeiten der Kritik Gebrauch zu machen, alle Weisungen bedingungslos ausführte.

Vor Bachmann stieg Meyer in der Modrow-Regierung im Herbst 1989 zum Regierungssprecher im Ministerrang auf. Mehr als nachdenklich stimmen musste nun, dass frühere Spitzenfunktionäre wie Meyer und Bachmann ihre eingeübte Linie der Anpassung und Unterordnung auch unter veränderten Bedingungen fortsetzten, dabei viele ihrer bisherigen Überzeugungen bedenkenlos über Bord warfen und sich, ganz nach dem Beispiel des Ministerpräsidenten, in keinerlei Hinsicht zu dem zu erwartenden Schicksal der DDR bei einem Anschluss an die Bundesrepublik äußerten. Denn auch Modrow, dass muss hier schon eingefügt werden, hat als Bezirkschef der SED in Dresden stets alle Weisungen seines Partei-Chefs ausgeführt und laut Anklage der bundesdeutschen Justiz auch zu den Kommunalwahlen im Mai 1989 die Ergebnisse manipuliert, was Modrow vor Gericht nicht bestritt.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1107-030 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Berlin, 7. November 1989 - Regierungssprecher Wolfgang Meyer gibt den Rücktritt des DDR-Ministerrates bekannt
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1107-030 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Die DDR-Journalistin Edith Spielhagen hat 1993 unter dem diffamierenden Titel "So durften wir glauben zu kämpfen" eine Schrift herausgegeben, in der Wolfgang Thierse zur Gründung der DDR bemerkte, sie sei eine "Mischung aus Irrationalität und Brutalität, von Byzantinismus und Banalität" gewesen. Der spätere Bundestagspräsident stellte den sozialistischen deutschen Staat durch die Phrase von "insgesamt 60 Jahren zweier unterschiedlicher autoritärer Regimes" mit der faschistischen Diktatur de facto auf eine Stufe. Wolfgang Meyer hinderte das nicht, sich an diesem Machwerk mit einem Beitrag "DDR-Medien im demokratischen Aufbruch" zu beteiligen und der "Bürgerrechtsbewegung" zu bescheinigen, es sei ihr "um eine bessere, d. h. demokratische DDR" gegangen. [54] Das war die herauszuhebende Grundtendenz des Beitrags, von dem, das möchte ich betonen, nicht alles zu verwerfen war. [55]

Ralf Bachmann schrieb das Buch "Ich bin der Herr und wer bist Du" (Dietzverlag; Berlin, 1995). [56] Bachmann stieg im ADN zum Leiter der Auslandsredaktion auf und war zuletzt einer der Stellvertreter des Generaldirektors. Auch Bachmann, den ich im ADN als einen sympathischen Kollegen kennen lernte, diente von der Pike auf und zeichnete sich durch brillanten Journalismus aus. In seinem Buch schildert er die Höhen und Tiefen eines Journalistenlebens in der DDR.

Knapp zwei Wochen nach der bekannt gewordenen Äußerung von Vernon Walters, wie die USA gedachten, mit der DDR Schluss zu machen, traf sich Modrow mit mehreren seiner Minister zu einer "konstruktiven Debatte" über eine "neue Etappe der Umgestaltung", die er als eine "revolutionäre Übergangszeit" charakterisierte, mit dem Oppositionsgremium des "Runden Tisches". [57] Mit dem Slogan von einer "revolutionären Übergangszeit" übernahm Modrow schließlich die Losung von der "friedlichen Revolution", unter der in Wirklichkeit die Konterrevolution antrat. Modrow nutzte nun das Treffen mit dem "Runden Tisch" nicht etwa, um die von General Walters angekündigten Pläne der USA, die in Bonn von Kanzler Kohl zustimmend aufgenommen wurden, zu enthüllen und die Vertreter der Bürgerbewegung aufzufordern, dagegen vorzugehen. Nein, er erklärte in völliger Missachtung dieser drohenden Gefahren, "wir stehen vor einer neuen Etappe der tiefgreifenden Umwälzung, die sich in unserem Land vollzieht". Dazu suchte er Konsens mit den oppositionellen "Runden Tisch"-Vertretern und bot ihnen an, in seine Regierung einzutreten [58], um eine "große Koalition" zu bilden. Für ein bevorstehendes Treffen mit Bundeskanzler Kohl lud er Vertreter der am Runden Tisch vertretenen Parteien zur Teilnahme ein.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0130-024 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

30. Januar 1990 im Haus des Allgemeinen Nachrichtendienstes - Medienverantwortliche trafen mit ADN-Generaldirektor Günter Pötschke (2. v. r.) zum zweiten "Runden Tisch" zusammen
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0130-024 / Zimmermann, Peter / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Während der Regierungschef mit den "Runden Tisch"-Vertretern über die Aufgaben in einer "neuen Etappe" der "revolutionären Übergangszeit" debattierte, brachen unter dem gezielten Einfluss dieser Opposition (die in den Kasernen ein- und ausgehen konnte) in 40 Kasernen bzw. Truppenteilen der NVA Soldatenstreiks aus. In einigen Dienststellen wurden Soldatenräte gebildet, die den Strafbestand der Meuterei erfüllten (§ 259 Militärgerichtsordnung der NVA). Der Minister, Admiral Theodor Hoffmann, begab sich zu einer Versammlung der Streikenden in Beelitz und stimmte ihren Forderungen im Wesentlichen zu. Den Vorschlag von Kommandeuren, das Fallschirmjägerbatallion gegen die Meuterer einzusetzen, lehnte er ab, da er das, wie er begründete, "für altes Denken" hielt und er damit "den friedlichen Charakter der Wende in der NVA verletzt" hätte. [59] Für Modrow war auch das kein Anlass, das Thema in seiner Debatte mit dem "Runden Tisch" zur Sprache zu bringen.


Selbstzerfleischung

In diesem Kontext ein Wort dazu, wie sich die PDS und Regierungschef Modrow bei der Bürgerbewegung anbiederten. Gleichzeitig fand in der Partei des demokratischen Sozialismus ein Selbstzerfleischungsprozess statt, der in dem Ausschluss führender Vertreter der SED, vor allem, aber nicht nur, Mitgliedern des Politbüros, und in der Diskriminierung des MfS, dass "den Medien zum Fraß" vorgeworfen wurde [60], gipfelte. Bei diesem an den Prangerstellen der bisherigen Parteiführung musste man sich nicht wundern, dass die dem Sozialismus feindlich gegenüber stehenden Oppositionellen das aufgriffen und ihre wütenden und oft hasserfüllten Angriffe neben dem MfS vor allem auf Honecker und das Politbüro konzentrierten.

Es war beschämend, dass der Regierungschef sich nicht traute, seinem langjährigen Partei- und Staatschef, nachdem diesem seine Wohnung in Wandlitz gekündigt worden war, vor der Verfolgung in einer gesicherten Unterkunft unterzubringen. Der Rechtsanwalt Wolfgang Vogel vermittelte, dass ihn der Pfarrer Uwe Holmer und seine Frau im Pfarrhaus in Lobetal aufnahmen. [61] Modrows Regierungskurs, der flankiert wurde durch die "Reform"-Politik der PDS unter Gysi, wirkte sich auch auf die Justizbehörden aus. Die Staatsanwaltschaft reihte sich mit der Verhaftung Honeckers in die Kampagne zur Ausschaltung der Partei ein. [62]

Sicher, mit der Parteiführung gab es schwerwiegende Probleme und Korrekturen waren dringend erforderlich. Man hätte sich dabei an Friedrich Engels erinnern sollen, der einst davor gewarnt hatte, in Situationen der scharfen Klassenauseinandersetzung über den einzuschlagenden Weg nicht zu sehr zurückzuschauen, sondern sich nach vorwärts zu orientieren. [63] Aber Rat bei den Klassikern zu suchen, war den Protagonisten dieser "Wende" fremd. Sie suchten, wie unter anderem die folgenden Ausführungen Gregor Gysis vor dem Parteivorstand der PDS im Juni 1990 zeigten, ihr Heil auf den ausgetretenen Pfaden der Sozialdemokratie.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-0115-011 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

15. Januar 1989, Gedenkstätte Berlin-Friedrichsfelde - Achim Hermann während seiner Ansprachen zum Gedenken an die Ermordung von Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht (auf der Ehrentribüne v.l. u.a. Willi Stoph, Egon Krenz, Achim Herrmann, Erich Honecker, Erich Mielke)
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-0115-011 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Ich will die Probleme in der Parteiführung nicht herunterspielen, aber zur Differenzierung einige Erfahrungen aus meiner eigenen Arbeit anführen. Als Auslandskorrespondent in Rom lernte ich bei nicht wenigen Arbeitsterminen Achim Hermann, meinen Chef im ND, näher kennen. Wie Günter Pötschke im ADN [64] genoss er den Ruf eines talentierten Journalisten, der von der Pike auf an die Spitze gekommen war. Jahrgang 1928, in einem Berliner Arbeiterbezirk geboren, kam er aus den ärmsten Schichten des Proletariats, hatte es dennoch, sicher auf Grund seines sprichwörtlichen Fleißes, geschafft, die Realschule zu absolvieren. Nach dem Krieg begann er als 17jähriger in einem Berliner Verlag als Zeitungspacker zu arbeiten. Später wurde er Bürobote. Er ging einen selbst für DDR-Verhältnisse fast einmaligen Werdegang, war bereits 1950 stellvertretender Chefredakteur der jungen Welt und stieg zwei Jahre später zum Chef der FDJ-Zeitung auf. 1962 wurde er Chefredakteur der Berliner Zeitung, die einen traditionsreichen Ruf besaß. Viele Leser wussten gar nicht, dass sie Organ der Bezirksleitung der SED war. Und so ging es für Achim weiter auf der Karriereleiter: Chef des kurzzeitig gebildeten Staatssekretariats für westdeutsche Fragen, eines Pendants des Ministeriums für gesamtdeutsche Fragen in Bonn, Aufnahme ins Zentralkomitee der SED, Chefredakteur des Zentralorgans Neues Deutschland und schließlich als Mitglied ins Politbüro.

Er stand im Ruf, fleißig, gewissenhaft und korrekt zu sein, ein journalistischer Leiter, der sein Metier aus dem Effeff beherrschte, war in allen Zeitungen ein beliebter Kollege, freundlich im Umgang mit den Mitarbeitern. Auch wenn man ihn ein "Arbeitstier" nannte, war das nicht abschätzig, sondern anerkennend gemeint. Von allen Mitarbeitern wurde er nur mit Achim angesprochen, so natürlich auch von mir. Das war außergewöhnlich. Ich kann mich nicht entsinnen, dass das unter Kollegen gegenüber anderen Politbüromitgliedern je der Fall gewesen wäre. Per Du war man natürlich mit allen, aber die Anrede war schon Genosse mit dem Namen. Achims Bescheidenheit war sprichwörtlich, aber natürlich und ungekünstelt. Ebenso war seine Frau Gisela. Als er nach Wandlitz umsiedeln musste, blieb sie in der Woche, aber oft auch über Sonnabend/Sonntag in Berlin in einer kleinen Wohnung und arbeitete als Kulturchefin in der Berliner Zeitung weiter.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-L0614-040 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

14. Juni 1972, am Brandenburger Tor - Werner Lamberz, Leiter der Abteilung Agitation beim ZK der SED (2. v. l.) mit Fidel Castro (Mitte)
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-L0614-040 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Nach Werner Lamberz Tod [65] wurde Achim Hermann 1978 dessen Nachfolger als Verantwortlicher für Agitation und Propaganda im Zentralkomitee und war damit für die Anleitung aller Medien zuständig, was allgemein als Gängelei und Bevormundung empfunden wurde. Aber es war schon so, dass von da ab seine Beliebtheit unter den Kollegen rapide sank. Nach der "Wende" sahen nicht wenige von ihnen die Stunde der Abrechnung gekommen und ergingen sich in üblen Attacken gegen ihn, bis zu Anklagen, er sei ein "bösartiger Mensch" geworden, der "durchs Telefon brüllte" und nur noch Honeckers "Politbürobote" gewesen sei. Sein langjähriger Stellvertreter in der jungen Welt, Manfred Gebhardt, hat das in einem Beitrag der heute noch existierenden Zeitung vom 28. Oktober 2008 "Auf der Höhe. Vom Büro- zum Politbüroboten. Joachim Hermann, eine fast vergessene DDR-Kariere" geschildert.

Achim Hermann hat sich im Gegensatz zu anderen aus der Parteiführung, aber auch früheren Mitarbeitern, nach der "Wende" zu seiner Arbeit öffentlich nicht geäußert, nichts relativiert, nichts widerrufen. Er verstarb 1992. Wenn man dem Prinzip folgt, vom Positiven und Guten auszugehen, dann kann ich nur sagen, ich habe Achim Hermann in Erinnerung als einen Menschen und Kollegen, der sich für die DDR als eine bessere und sozial gerechte Gesellschaft einsetzte und dabei seine Kräfte nicht schonte. Die Geschichte hat schon immer ihren Weg über Irrtümer und Fehler genommen.

Die im Wesentlichen auf Achim Hermann zutreffende Einschätzung entbehrt eigentlich nur eines Fakts. So haben es alle, auch auf den unteren Stufen der Ebene gemacht. Eingeführt wurde die widerspruchslose Unterordnung übrigens nicht erst von Achim Hermann, sondern generell seit Honeckers Amtsantritt als Parteichef. Ich habe das als Redaktionsleiter für Bildung, Wissenschaft und Technik im ADN selbst erlebt, als ich über die Umbenennung der Deutschen Akademie der Wissenschaften zu Berlin in Akademie der Wissenschaften der DDR im Oktober 1972 zu berichten hatte. Bei dem Staatsakt im Staatsratsgebäude erhielten wir eine vorbereitete Nachricht mit der Bemerkung, daran nichts zu verändern, in die Hand gedrückt. Ich habe, bevor ich nach Vietnam ging, unter Walter Ulbricht noch eine andere Praxis kennen gelernt. Als Redakteur in der Innenpolitik war ich damals bereits für Termine im Staatsrat zuständig. Da war es dem Berichterstatter noch völlig selbst überlassen, das Thema zu gestalten. Und es war üblich, dass Ulbricht so viel Zeit fand, sich mal bei den Journalisten blicken zu lassen. Übrigens haben wir in der Redaktion an der Nachricht über die Akademieumbenennung stilistisch einiges verändert, ohne das es Probleme gab.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-F0309-0201-001 / Kohls, Ulrich / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

9. März 1967 - Willi Stoph (Vorsitzender des DDR-Ministerrats) im Gespräch mit Lotte und Walter Ulbricht (v.l.n.r.)
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-F0309-0201-001 / Kohls, Ulrich / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Was Achim Hermann im Auftrag Honeckers später den Leitern der Medien auftrug, haben diese meist ohne Widerspruch entgegengenommen und so gegenüber ihren Mitarbeitern durchgesetzt. Und das waren die nachgeordneten Chefs der Bereiche, Abteilungen und Redaktionen. Was Wolfgang Meyer betrifft, so erhielt er seine Weisungen direkt von Honecker und führte sie so aus. Das war für Modrow kein Hindernis, ihn zu seinem Presse-Chef und Minister zu ernennen. Vielleicht war er gerade deswegen dafür geeignet. Denn kritische Meinungen waren weiterhin nicht gefragt.


Die Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion

Am 18. Mai 1990 wurde zwischen der DDR und der BRD in einem Staatsvertrag beschlossen, am 1. Juli 1990 eine Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion zu bilden. Der allgemein dafür verwandte Begriff Währungsunion griff jedoch zu kurz. Die DDR verlor nicht nur ihre Währungshoheit, sondern ebenso ihre Geschäftsfähigkeit über die Wirtschaft einschließlich ihres Außenhandels und aller damit zusammenhängenden Verwaltungsfragen. So übernahm die Treuhandanstalt 7.894 Volkseigene Betriebe mit vier Millionen Beschäftigten, etwa 40 Prozent aller Arbeitskräfte, sowie eine mehr als die Hälfte der DDR umfassende Grundfläche. Dazu gehörten auch Kraftwerke und Bergbauunternehmen, ausgedehnte Ländereien mit land- und forstwirtschaftlichen Betrieben sowie Hotels und Gaststätten bis hin zu Zirkusbetrieben. Praktisch war die Treuhandanstalt damit für den Großteil der DDR-Wirtschaft zuständig.

Es war faktisch der wirtschaftlich und währungspolitisch vorweggenommene staatliche Anschluss an die BRD. Der Staatsvertrag legte fest, dass die DM am 1. Juli Zahlungsmittel in der DDR wurde. Nach einem gestaffelten Umtauschkurs wurden den DDR-Bürgern ab 60 Jahre bis zu 6.000, Erwachsenen darunter bis zu 4.000 und Kindern bis 14 Jahren bis zu 2.000 DDR-Mark 1:1 in DM umgetauscht. Darüber liegende Sparguthaben wurden 2:1 abgewertet. Das bedeutete, dass die Regierung der BRD den "Brüdern und Schwestern", wie die DDR-Bürger immer genannt worden waren, mehrheitlich die Hälfte ihrer Ersparnisse raubte.


Abbildung: Jennus [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Sparkasse in Ludwigslust, 11. Dezember 1989 - Menschen stehen an, um ihre "Mark der DDR" in "D-Mark" umzutauschen
Abbildung: Jennus [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)]

Das Bekanntwerden dieser im Staatsvertrag beschlossenen Maßnahmen führte bereits im Vorfeld seines Inkrafttretens in der PDS erstmals zu kritischen Auseinandersetzungen darüber, dass die Führung dem zu wenig oder auch keinen Widerstand entgegengesetzt hatte und zwang Gregor Gysi auf der Sitzung des Parteivorstandes Mitte Juni, sich dazu zu äußern. [66] Hier einige Gesichtspunkte des widersprüchlichen Mischmaschs von einigen Eingeständnissen, des Relativierens einiger unmittelbar nach der "Wende" verkündeter Alternativen und in der Substanz an ihrem Festhalten. So versuchte er selbst jetzt Ursachen dieses mit der Währungsunion zu erwartenden Überstülpens des kapitalistischen Sytems auf die DDR zu beziehen. In der DDR habe kein Sozialismus, noch nicht einmal deformierter geherrscht, sondern einfach nur "Nichtkapitalismus".

Er musste nun zugeben, dass jetzt "Kapitalismus pur" komme, beharrte gleichzeitig darauf, dass, um aus den Fehlern der DDR zu lernen, "wir einen guten Schuss bürgerlichen Parlamentarismus gebrauchen" und eine effizientere Wirtschaft und "marktwirtschaftliche Elemente". Er erneuerte das Angebot an die SPD, unter "sozialistischen Vorzeichen" (wie sie die PDS nun vertrat) könne "ein Zusammengehen mit der SPD natürlich ausgesprochen positive Elemente haben". Zu diesen zählte er ausdrücklich ihren Hang zur "Effizienz der Wirtschaft, ihren Hang zur Demokratie". Dann beschwichtigend an die Kritiker, einen "Frieden mit dem Kapital", wie ihn die Sozialdemokratie (das bezog sich auf die Geschichte) gemacht habe, werde die PDS nicht machen. Aber, so entschuldigte er, auch in der DDR sei ja "der erste Versuch einer nicht kapitalistischen Gesellschaft gescheitert", um im nächsten Satz zu loben, dass "der Kapitalismus funktioniert" (der Nichtkapitalismus in der DDR eben nicht), dieser "Effizienz" und eine "relative Demokratiefähigkeit entwickelt" habe". Einen Gipfel der Demogagie erklomm er in seiner Rede, über die das "ND" auf einer Seite berichtete, in Bezug auf die Währungsunion vor dem längst beschlossenen Anschluss an die BRD zu warnen. [67]

Das vorgeblich kritische Nachdenken war bald vergessen. Mitte November 1990 - der Anschluss an die BRD war sechs Wochen alt, die volkseigenen Betriebe wurden platt gemacht, Zehntausenden hatten ihre Arbeitsplätze verloren, Wissenschaftler wurden abgewickelt (wie die Entlassungen bei ihnen genannt wurden), mit Brötchen für fünf Pfennige das Stück war Schluss, die Mieten waren auf das Sechs- bis Achtfache angestiegen [68] - gab es nun einen kritischen Rückblick. Erkenntnisse, dass es anders gelaufen war, als man es erhofft hatte? Nichts dergleichen. Modrow hielt weiter an der "demokratischen Umwälzung des Herbstes 1989" fest. Dass er nichts unternommen hatte, um den Sturm auf das "Stasi-Hauptquartier" zu verhindern, hielt er weiter für richtig. Dass die Polizei gegen Hausbesetzer in der Mainzer Strasse in Berlin-Friedrichshain brutal vorging (die Zeitungen sprachen von "bürgerkriegsähnlichen Zuständen"), verurteilte er nicht etwa, sondern meinte nur, das hätte "durch zielstrebiges, geduldiges Bemühen um Dialog" vermieden werden können.

Zwar räumte er ein, dass sich wieder mehr DDR-Bürgerinnen und -Bürger bestimmter "positiver Faktoren" erinnern, führte aber an "Erfahrungen der DDR" lediglich an, es habe "keine öffentliche, starke Opposition" gegeben. Kein Wort dazu, dass er als Ehrenvorsitzender der PDS wie auch sein Parteichef Gysi nichts unternommen hatte, die Menschen auf der Strasse gegen diesen Anschluss zu mobilisieren. [69] Ich habe selbst an Veranstaltungen dieser Zeit teilgenommen, darunter auch mit Gysi selbst. Der allgemeine Tenor war, so schlimm wird es schon nicht kommen. [70]

Ein Beispiel dafür, wie bedenkenlos frühere Überzeugungen über Bord geworfen und opportunistische Positionen bezogen wurden, lieferte Professor Lothar Bisky. "The show must go on" aus der Serie nl-konkret des Verlags Neues Leben war verdientermaßen ein Renner. Es ging Bisky, der als ein brillanter Medienwissenschaftler galt, um "Unterhaltung am Konzernkabel". Auch sein im gleichen Verlag erschienenes Buch "Geheime Verführer" war ein Erfolg. In seiner Studie über "Massenkommunikation und Jugend" [71] war er von "Was tun?" [72] ausgegangen und hatte herausgearbeitet, dass Lenin sich "ausführlich mit der Entstehung und Verbreitung der sozialistischen Ideologie, mit dem Problem der spontanen Bewußtseinsentwicklung innerhalb der Arbeiterklasse sowie mit dem Charakter sozialistischer Agitation und Propaganda" beschäftigte. "Wie sozialistisches Bewußtsein", so verkündete Bisky zu DDR-Zeiten, "nicht etwas aus dem Klassenkampf urwüchsig Entstandenes ist, weil der Sozialismus als Lehre nur das Ergebnis angestrengter wissenschaftlicher Erkenntnisse ist, weil in der kapitalistischen Gesellschaft die bürgerliche Ideologie die herrschende Ideologie ist, kann sich die sozialistische Ideologie nur durchsetzen, indem sie bewußt in den Klassenkampf des Proletariats hineingetragen wird". Das hatte der Mann tatsächlich geschrieben. Und er hatte betont, dass in der "Epoche des Übergangs vom Kapitalismus zum Sozialismus" dem Nachweis "des Klassencharakters der Massenkommunikation besondere Bedeutung" zukomme. Und weiter, dass die "führende Kraft" des sozialistischen Aufbaus die Arbeiterklasse ist, die ihre führende Rolle nur durch ihre marxistisch-leninistische Partei erfüllen kann".


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-057 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Prof. Dr. Lothar Bisky, Rektor der Hochschule für Film und Fernsehen, ergriff am 4. November 1989 nach der großen Demonstration auf dem Berliner Alexanderplatz das Wort
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1989-1104-057 / Link, Hubert / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Sicher, der Text war hölzern und phrasenhaft, in der Sache aber richtig, wie es die politischen Auseinandersetzungen 1989/90 verdeutlichten. Mit solchen Nachweisen theoretischer Kenntnisse des Marxismus-Lenismus stieg Bisky zum Kulturspezialisten an der Akademie für Gesellschaftswissenschaft des ZK der SED auf. Nach der "Wende" warf dieser waschechte Opportunist einstige Anschauungen prinzipienlos über Bord und startete eine steile Karriere, wurde 1991 bis 1993 Landesvorsitzender der PDS in Brandenburg, stieg im selben Jahr bis 2000 und nochmals von 2003 bis 2007 zu ihrem Bundesvorsitzenden auf. Unter seiner Führung fusionierten die PDS und die westdeutsche WASG (Arbeit & soziale Gerechtigkeit - Die Wahlalternative) zur Partei Die Linke. Zusammen mit Oskar Lafontaine war Bisky von 2007 bis 2010 ihr Vorsitzender. 2009 zog er als Spitzenkandidat in das EU-Parlament ein. Von 2007 bis 2010 war er Vorsitzender der Partei der Europäischen Linken.


Die verratene Armee

Man kommt in diesem Kontext nicht umhin, einen Blick darauf zu werfen, wie sich die Konzeption Modrows vom "Deutschland einig Vaterland" auch auf den Militärbereich auswirkte. Nicht erst durch seinen Nachfolger im Amt, Lothar de Maizière, sondern bereits unter Modrow wurde die Nationale Volksarmee (NVA) durch erste Generalsverhaftungen eingeschüchtert und ruhig gestellt. Der Regierungschef ließ zu oder regte regelrecht an, dass die NVA auf allen Ebenen mit dem Oppositionsgremium des "Runden Tisches" zusammenarbeite und diesem ein Mitspracherecht zu die Armee betreffenden Reformen einräumte, womit, wie auf Regierungsebene auch, in der Armee eine "Doppelherrschaft" installiert wurde. Das bedeutete, dass die Armeeführung, die verfassungsrechtlich ausschließlich der noch amtierenden Regierung unterstand, freiwillig militärpolitische Konzeptionen mit oppositionellen Kräften diskutierte, die eben die Streitkräfte ausschalten wollten.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0507-310 / Bernd Settnik / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Gregor Gysi, PDS-Vorsitzender, und Lothar de Maizière, CDU-Vorsitzender, im Wahlstudio im Palast der Republik nach den DDR-Kommunalwahlen vom 6. Mai 1990
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0507-310 / Bernd Settnik / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Unter dem Titel "Die verratene Armee" haben Ralf Rudolph und Uwe Markus im Berliner Phalanx Verlag in der Edition Militärgeschichte und Sicherheitspolitik eine Publikation zum Ende der Nationalen Volksarmee der DDR veröffentlicht, die das beweiskräftig belegt. [73] Die Autoren sind ausgewiesene Experten: Rudolph, Jg. 1938, Oberst a. D. und Diplom-Ing., studierte am Institut für Luft- und Raumfahrt in Moskau, war langjähriger Betriebsdirektor des Raketeninstandsetzungswerkes Pinnow, danach Abteilungsleiter für Spezielle Produktion (Rüstungsproduktion) im Ministerium für Allgemeinen Maschinen-, Landmaschinen- und Fahrzeugbau, 1990 Abteilungsleiter für technische Abrüstung im Ministerium für Abrüstung und Verteidigung, schließlich Unternehmensberater für ein Schweizer Consultingunternehmen mit Arbeitsschwerpunkt Rüstungskonversion. Markus, Jg. 1958, promovierter Soziologe, war bis 1990 am Institut für Sozialwissenschaftliche Studien in Berlin tätig, seither Marktforscher, Marketingberater und Dozent. Seinen Militärdienst leistete der Oberleutnant a. D. als Zugführer eines Panzerzuges in der 9. NVA-Panzerdivision.

Kaum zu überbieten war die Heuchelei des letzten Dienstherrn der NVA in der Regierung de Maizière, des früheren Pfarrers Rainer Eppelmann, der sich Minister für Abrüstung und Verteidigung nannte. Das ging so weit, dass dieser die NVA als "Machtinstrument des stalinistischen Unrechtsregimes der SED" diffamierte, sie am 20. Juli 1990 gleichzeitig den Eid für den Schutz der Deutschen Demokratischen Republik schwören ließ. Nachsprechend lautete der Schlusssatz: "Ich schwöre, meine ganze Kraft zur Erhaltung des Friedens und zum Schutz der Deutschen Demokratischen Republik einzusetzen." Modrows Haltung wirkte in der Endphase des Anschlusses der DDR schließlich auch darauf ein, dass mit dem letzten Verteidigungsminister, Admiral Theodor Hoffmann an der Spitze, nun selbst Generäle und Admiräle bereit waren, in den Dienst der Bundeswehr, nachgewiesener Maßen seit ihrer Geburtsstunde eine von Hitlergenerälen aufgebaute Aggressionsarmee des deutschen Imperialismus, zu wechseln.

War es im Spätherbst 1989 gerechtfertigt gewesen, die NVA nicht gegen die Proteste einzusetzen, so stand diese Frage, wie die Autoren verdeutlichen, spätestens nach dem Amtsantritt der Regierung Lothar de Maizière anders. Markus/Rudolph widmen sich der bis heute nicht untersuchten Frage, ob und welche Möglichkeiten es im Militärbereich gab, dem nun massiv einsetzenden Vormarsch der Konterrevolution entgegenzutreten und ihn aufzuhalten und gehen auch auf die Frage ein, ob die Militärs der DDR einen Putsch gewagt hätten. Immerhin standen für den "Tag X" in der DDR bereit: 365.000 Mann der Westgruppe der Sowjetarmee, 172.000 Mann der NVA, Volkspolizei und Staatssicherheit mit je 90.000 Mann Bewaffneter und (bevor sie aufgelöst wurden) 400.000 Mann der Betriebskampfgruppen.


Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0719-020 / Roeske, Robert / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Vor dem Palast der Republik in Berlin am 19. Juli 1990 - DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel spricht zu demonstrierenden Angehörigen der Volkspolizei
Foto: Bundesarchiv, Bild 183-1990-0719-020 / Roeske, Robert / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Der Innenminister de Maizières, Peter Michael Diestel, äußerte später, dass die Uniformträger gezielt mit Zuversicht geradezu zugepflastert wurden, um das zu verhindern und gab zu: "Wenn man ihnen von vornherein gesagt hätte, liebe Freunde, ihr müsst jetzt eure Waffen abgeben, und mit dem Beitritt (zur BRD) werdet ihr dann völkerrechtlich diskriminiert, werdet strafverfolgt, werdet auch in der öffentlichen Bewertung deklassiert, dann hätte es den Putsch gegeben." [74] Markus/Rudolph schlussfolgern: "Gegen den Widerstand einer strategisch denkenden und entschlossen auftretenden NVA-Militärführung, die sich aus dem politischen Entscheidungsprozess nicht hätte verdrängen lassen, wäre die Durchsetzung der in Bonn erdachten Auflösungsstrategie nicht möglich gewesen".

Außer zur Rolle Eppelmanns, dessen Heuchelei keinerlei Widerstand entgegengesetzt wurde, vermerken die Autoren, dass sich die Generalität unter dem neuen NVA-Chef, Admiral Theodor Hoffmann, auch damit abfand, dass mit Ausnahme der ersten Beratung, "keine Vertreter der Militärführung bei den Verhandlungen der die NVA betreffenden Teile des Einigungsvertrages zugegen" waren.

Der spätere langjährige Journalist der "jungen Welt" Peter Wolters, der als Aufklärer der HVA [75] selbst zu seinen Überzeugungen mutig bis zum bitteren Ende und auch im Gefängnis der Klassenjustiz gestanden hat, stellte die Kernfrage: "Objektiv gesehen war der Anschluss der DDR eine Konterrevolution - hätte die NVA sich ihr nicht entgegenstellen müssen?" und fragte: "Wie hat sich die politische Führung verhalten?" (jW, 2. Dezember 2013). Markus/Rudolph schätzen ein, "dass die noch in Amt und Würden befindliche Führungsspitze der NVA den Herausforderungen der System- und Staatskrise nicht gewachsen war". Das Verhalten einiger ihrer Generäle und Admiräle mit Theodor Hoffmann an der Spitze - Ende September 1990 waren das noch 24 - sei so weit gegangen, dass sie selbst bereit waren, in den Dienst der Bundeswehr zu wechseln.

Ein angefügter Beitrag des Oberstleutnants Ingo Höhmann, Jg. 1953, 1989/90 Kommandeur eines Mot.-Schützen-Batallions, belegte, dass es durchaus genügend Offiziere und Soldaten gab, die bereit waren, die DRR zu verteidigen. Er schreibt: "Es gab offensichtlich bei jenen DDR-Bürgern, die noch loyal zu ihrem Staat standen, die Hoffnung, dass die Armee sich der völligen Auflösung der staatlichen und politischen Ordnung entgegenstellt. Das war in meinen Augen eine Legitimation für ein stabilisierendes Eingreifen der Streitkräfte. Die DDR-Regierung hätte in der damaligen Situation jedes Recht der Welt gehabt, den Ausnahmezustand auszurufen." Leute wie Höhmann wurden jedoch im Stich gelassen und, wie der Titel des Buches aussagt, verraten. Dass zahlreiche DDR-Bürger darauf warteten, dass die NVA Position bezieht, zeigte sich auch, als im Januar 1990 250.000 Menschen an einer Protestdemonstration gegen Hakenkreuzschmierereien am Sowjetischen Ehrenmal in Berlin Treptow teilnahmen und die in Uniform kommenden Soldaten und Offiziere u. a. mit Rufen "Da seid ihr ja endlich" begrüßt wurden.

Markus/Rudolph leisteten mit ihrer souveränen Abhandlung einen gelungenen und tiefgehenden Beitrag zu einer immer noch ausstehenden Gesamtanalyse der Rolle der NVA in der letzten Phase der Existenz der DDR. Es ist zu wünschen, dass ihr Buch dazu Anlass gibt. Bei dieser Analyse wird man nicht umhin kommen, einen Blick auf das zu werfen, was die Klassiker zu solchen Augenblicken der Klassenauseinandersetzungen sagten, um Schlüsse für 1989/90 zu ziehen. Darunter, was Marx zur Machtergreifung des Pariser Proletariats im März 1871 sagte [76], oder das Vorwort Lenins zur russischen Übersetzung der Briefe von Marx an Kugelmann. [77]


Foto: Bundesarchiv, Bild Y 10-1908-80 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]

Truppenbesuch des Staatsratsvorsitzenden - Erich Honecker bei einer Einheit der Nationalen Volksarmee (NVA), 1972
Foto: Bundesarchiv, Bild Y 10-1908-80 / CC-BY-SA 3.0 [CC BY-SA 3.0 de (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/3.0/de/deed.en)]


Markus Wolf: In den Grauzonen des Selbstverrats und mithin des Verrats

Im Fahrwasser von Hans Modrow segelte auch der legendäre langjährige Chef der Hauptverwaltung Aufklärung (HVA) des Auslandsnachrichtendienstes der DDR, Markus Wolf. [78] Seinem Buch "Spionagechef im geheimen Krieg" (deutsche Ausgabe München 1997) war zu entnehmen, dass er allen Ernstes bereits 1990 mit dem Gedanken spielte, ein Angebot der CIA anzunehmen und für diese "eine Aufgabe" bei der Enttarnung eines "Maulwurfs" im KGB zu übernehmen. [79] Wolf wollte daraus auch ein gutes Geschäft für sich machen und bestand auf einer "verdeckten Form der Zusammenarbeit", um "nicht mein Gesicht zu verlieren". Ein Verlag oder eine Filmgesellschaft sollten ihn zur Vermarktung seines Buches in die USA einladen. Die CIA war jedoch in Zeitnot und wollte Wolfs sofortige Bereitschaft, "zu beraten" und "zu helfen". Daran scheiterte das Vorhaben dann.

Bei der Vermarktung seines Buches ließ Wolf dann linke Verlage außen vor [80] und unterwarf sich, ganz offensichtlich aus Gründen der Honorarhöhe, den Bedingungen des New Yorker Random House. Dem Verlag, der heute zu Bertelsmann gehört, überließ er die Weltrechte und die Filmrechte dazu. Das Buch erschien, von Ghostwritern auf die jeweiligen Bedürfnisse zugeschnitten, in Lizenzausgaben in vierzehn Ländern in elf Sprachen. Für die englischsprachige Ausgabe, die unter dem Titel "The man without a face" (Der Mann ohne Gesicht) erschien, engagierte Wolf als Ko-Autor nicht etwa einen renommierten linken Publizisten, von denen es in den USA oder Großbritannien nicht wenige gab, sondern die frühere stellvertretende Chefredakteurin des konservativen "Spectator" Anne McElvoy, die von 1988 bis 1992 Korrespondentin der Londoner "Times" in der DDR bzw. Berlin war. [81]

Bei ihr wie anderen Helfern, darunter dem langjährigen "Stern"-Journalisten Kai Herrmann, bedankte er sich "für Rat, Unterstützung und die ... bezeugte Solidarität und Hilfe" bei der Vorbereitung der Ausgabe. Die damals 31jährige McElvoy "dankte" es ihm, indem sie ihn in der "FAZ" im Juni 1997 durch den Kakao zog, sich als seinen "moralischen Fitnißtrainer" brüstete, ihm "merkwürdig unterentwickelte moralische Maßstäbe" nachsagte und ihn als "Monstrum" charakterisierte. Wolf konnte sich trösten, denn mit dem Buch soll er zweistellige Millionenbeträge eingefahren haben.

Als die "Welt am Sonntag" (WaS), zu deren Themen sonst die Schürung der "Stasi"-Hysterie gehörte, ihm auf ganzen zwei Seiten [82] einen recht wohlwollenden, mit viel, wenn auch verstecktem, Lob geschmückten Beitrag widmete, bescheinigte er ihr dafür, dass der Sozialismus "ein deformiertes System war" und die Jahre nach dem Untergang der DDR zwar die "vielleicht schwersten", aber auch "die schönsten" seines Lebens waren. Er versuchte zwar, das an der Ehe-Idylle mit seiner über zwei Jahrzehnte jüngeren dritten Frau festzumachen, zu der er von sich gab, "ich wusste nicht, dass es ein so erfülltes Leben geben kann." Damit das Ganze nicht nach offenem Renegatentum aussieht, bescheinigte ihm die "WaS", dass "er Kommunist blieb" und von ihm Verrat "nicht zu haben war. Wirklich nicht?

Gabriele Gast, eine der erfolgreichsten Kundschafterinnen der HVA, sah das anders. [83] Die hochintelligente Wissenschaftlerin arbeitete seit 1973 in der Zentrale des Bundesnachrichtendienstes (BND), wo sie bis zur Regierungsdirektorin aufstieg. Sie war über eineinhalb Jahrzehnte die wichtigste Quelle der HVA in Pullach und Wolf, leitete ihre Tätigkeit viele Jahre selbst. Ihre Enttarnung gelang, weil der Oberst der HVA Karl-Christoph Großmann (nicht verwandt mit dem letzten HVA-Chef Werner Großmann) sie an den BND verriet. Sie wurde zu einer Haftstrafe von sechs Jahren und neun Monaten verurteilt. 15 Monate wurde sie einer Isolationshaft unterworfen.

Vor Gericht musste Gast erleben, dass Wolf sich nicht solidarisch an die Seite seiner Kundschafter stellte, sondern "sich in eine politische Oppositionsrolle innerhalb der DDR zu argumentieren" und "als Parteigänger Gorbatschows politisch zu profilieren" suchte. Gast und der frühere MfS-Oberst Eichner enthüllten in diesem Zusammenhang, dass Gysi und auch Modrow hinnahmen, dass die früheren Mitarbeiter der HVA strafrechtlich verfolgt wurden, was gegen das Gleichheitsprinzip des Grundgesetzes verstieß, während die ostdeutschen Mitarbeiter des BND straffrei ausgingen, weil sie, wie der Bundesgerichtshof urteilte, in Übereinstimmung mit den Gesetzen gehandelt hätten. Ministerpräsident Modrow ließ, so Gast, auf ihre Bitte um Unterstützung mitteilen, sie möge sich doch "an die Kirche als karitative Organisation wenden". Gregor Gysi hatte die Stirn, ihr zu sagen, "was sie denn eigentlich wolle", schließlich "hätte ich gegen die Strafrechtsbestimmungen meines Staates verstoßen!" Kein Wunder, dass es die von Gysi geführte PDS auch hinnahm, dass der Bundestag 1992 rückwirkend alle in Ostdeutschland seit 1945 "wegen politischer Verfolgung" verurteilten Westagenten rehabilitierte. Damit wurde, so Gast, "der DDR das Recht eines souveränen Staates abgesprochen, sich strafrechtlich gegen Spionage zu schützen". Außerdem erhielt die Organisation des Hitlergenerals Gehlen "damit sozusagen den nachträglichen Persilschein: Sie ist seit dem 8. Mai 1945 laut diesem 'SED-Unrechtsbereinigungsgesetz' demokratisch völlig legitimiert."

In den Grauzonen des Selbstverrats und mithin des Verrats bewegte sich Wolf in diesem Buch, als er sich beispielsweise dem "Geist der Wendezeit" folgend, zu dem wegen Hochverrats zum Tode verurteilten hochrangigen MfS-Mitarbeiter Werner Teske, der zum BND überlaufen und mit seinem Wissen Dutzende in der BRD arbeitende Kundschafter ans Messer liefern wollte, äußerte, das Urteil sei "juristisch nicht zu rechtfertigen" und seine Vollstreckung 1981 als "unverständlich" bezeichnete. Seine Wertung wurde 1998 im Prozess der bundesdeutschen Siegerjustiz vor dem Berliner Landgericht gegen den Militärrichter Karl-Heinz Knoche und den Militärstaatsanwalt Heinz Kadien, die das Urteil beantragt bzw. gefällt hatten, zur Beweisführung herangezogen. Gegen die DDR-Juristen wurden vierjährige Haftstrafen verhängt. [84] Laut einem Bericht der "Frankfurter Rundschau" habe Wolf auch dem Vorschlag Modrows zugestimt, das MfS als "Schuldigen" an den Fehlentwicklungen der DDR zu benennen. [85]

Einen Höhepunkt seiner Medienstarkarriere, während der er von einer Talkshow zur anderen tingelte, Interviews von "Stern" bis "Spiegel" verkaufte und selbst den "Playboy" nicht aussparte, in einem Dutzend Fernsehsendungen posierte, erlebte er in dem Film "Die Wolfs", den die ARD in ihrem Hauptprogramm ausstrahlte. Vorgeblich widmete sich der subtilen Antikommunismus ausstrahlende Streifen der Familie des bekannten Schriftstellers und Kommunisten Friedrich Wolf, dem Vater des früheren HVA-Chefs. Auch Markus Wolfs Bruder Konrad, der Filmemacher und einstige Präsident der Akademie der Künste der DDR, fehlte nicht. Vornehmlich diente das Ganze jedoch wieder einmal vor allem dazu, Markus Wolf, der durch die Handlung führte, als "honorigen Kommunisten" vorzuführen. Dieser wusste längst, dass er in den Medien der Bourgeoisie für eine gute Gage auch etwas bieten musste. Gleich zu Beginn trat er als Freund des bekannten antikommunistischen "Kommunismus-Experten" Professor Wolfgang Leonhard [86] auf und gab sich am Ende des Films bei einem Familientreffen als Zeuge für die Aussage her, dass die Träger des großen Namens ihre Ideale auf immer verloren hätten und "ganz gewöhnliche Bundesbürger" geworden seien. Wie "gewöhnlich", soll hier dahingestellt bleiben.

Im Besitz neuer Erkenntnisse über Markus Wolf habe ich mir noch einmal die "Troika" vorgenommen, jenes Buch, das 1989, als die Konterrevolution zum Angriff rüstete, im Aufbauverlag der DRR erschien. Angeblich um dieses Buch, aber auch um seine Memoiren zu schreiben, die dann nach dem Sieg der Konterrevolution unter dem bereits erwähnten Titel "Spionagechef..." erschienen, quittierte er 1986 den Dienst als HVA-Chef. Lagen die Motive nicht tiefer? War er nicht schon zu dieser Zeit, wie er schreibt, dabei, über die "Krankheit des Systems nachzudenken, das wir für Sozialismus hielten"? Stand er nicht schon damals im Sog von Gorbatschows "Perestroika", die, wie dieser opportunistische Agent des Imperialismus inzwischen bekannte, die Liquidierung der UdSSR, den Verkauf der DDR an die BRD eingeschlossen, zum Ziel hatte? Führte ihn das an die Seite von Gregor Gysi und der Anführer des SED-Parteiputsches von 1989, mit dem der Konterrevolution in die Hände gearbeitet und der reformistische Kurs des Ankommens in der BRD eingeleitet wurde? Fest dürfte bereits heute stehen: Wolf gehört zu denen, die am besten, vor allem am bestdotierten, im imperialistischen System, ankamen.

Vor diesem Hintergrund nimmt es nicht Wunder, dass Überläufermentalität selbst hohe Chargen erfasste, was viele Quellen der Hauptverwaltung Aufklärung "teuer bezahlen" mussten, schreibt Engelhardt. Das sei so weit gegangen, dass "der eine oder andere General der Abwehr" gedacht habe, er könne nach einem Seitenwechsel "beim Verfassungsschutz reüssieren". Diese Denkweise sei nicht auf das MfS beschränkt gewesen. Auch bei der NVA, der Volkspolizei und der Zollverwaltung hätten sich einige führende Leute "schon in der Uniform eines neuen Dienstherren" gesehen.

Sein "Ankommen" in "Deutschland einig Vaterland" [87] bewahrte Wolf, wie auch Modrow, dennoch nicht vor der bundesdeutschen Rachejustiz. 1993 wurde Wolf angeklagt und zu sechs Jahren Haft verurteilt, die später aufgehoben wurden. In einem zweiten Prozess erhielt er 1997 eine Bewährungsstrafe.

(Fortsetzung folgt)


Fußnoten:

[48] Siehe Klaus Eichner/Ernst Langrock: Der Drahtzieher. Vernon Walters - Ein Geheimdienstgeneral des kalten Krieges. Berlin 2005.

[49] Roberto Faenza: Il Malaffare, Mailand 1976, S. 310.

[50] Vernon A. Walters: In vertraulicher Mission. München 1990.

[51] So auf einem Empfang, den der USA-Botschafter für Walters gab. Informationen zu seiner "Mission" erhielt ich vom Botschafter Angolas in Kinshasa.

[52] Nachzulesen auch in seinem Buch "Die Vereinigung war voraussehbar", München 1994.

[53] Ministerium für Auswärtige Angelegenheiten der DDR.

[54] Dass das in einigen Fällen, so auch bei dem gerade erwähnten Jens Reich, zutraf, soll hier nicht verschwiegen werden.

[55] Meyer wurde später Geschäftsführer des Instituts für angewandte Wirtschafts- u. Sozialforschung "Conkret" in Berlin und von 1999 bis 2005 Mitarbeiter Hans Modrows als PDS-Ehrenvorsitzender. Danach war er Mitarbeiter in der Zentrale der Partei Die Linke Berlin.

[56] Der Titel spielt auf das Politbüro-Mitglied Achim Hermann, Verantwortlicher für die Massenmedien, an. Ich komme darauf noch zu sprechen.

[57] So der Titel im ND vom 23. Januar 1990.

[58] Der Vorschlag wurde dann auch angenommen.

[59] Siehe Markus/Rudolf im folgenden Abschnitt.

[60] Siehe Engelhardt weiter oben.

[61] Honecker wurde am 1. Dezember aus der SED ausgeschlossen. Im Ermittlungsverfahren wurde er beschuldigt, seine Funktion als Generalsekretär, Vorsitzender des Staatsrates und des Nationalen Verteidigungsrates "zum Vermögensvorteil für sich und andere missbraucht zu haben". Später noch wegen des "Schießbefehls" an der "innerdeutschen Grenze". Nach einer Krebs-Operation (Nierentumor) wurde er am 28. Januar 1990 in seinem Krankenzimmer in der Charité festgenommen, am nächsten Tag in das Haftkrankenhaus des Gefängnisses Berlin-Rummelsburg eingeliefert, einen Tag später wegen Haftunfähigkeit entlassen. Am 13. März 1991 wurde er mit einem sowjetischen Militärflugzeug nach Moskau gebracht. Vor der Auslieferung in die BRD durch die russische Regierung unter Boris Jelzin floh er mit seiner Frau am 11. Dezember 1991 in die chilenische Botschaft. Da sich Chile anschickte, ihn an die BRD auszuliefern, verließen die Honeckers am 29. Juli 1992 die chilenische Botschaft. Honecker wurde nach Berlin ausgeflogen und bei seiner Ankunft verhaftet und in die Justizvollzugsanstalt Moabit eingeliefert. Margot Honecker flog mit einer Aeroflot-Maschine nach Santiago de Chile, wo sie bei ihrer Tochter Sonja unterkam und bis zu ihrem Tod am 6. Mai 2016 lebte. Der Prozess gegen Honecker war umstritten, weil die BRD-Justiz einen Politiker anklagte, den sie noch 1987 in Bonn, München und anderen Städten mit allen protokollarischen Ehren empfangen hatte. Honeckers Rede am 3. Dezember 1992 vor dem Tribunal erregte international großes Aufsehen. Er übernahm die politische Verantwortung für "die Toten an der Mauer", wies aber jede "juristische oder moralische Schuld" zurück, rechtfertigte den Bau "der Mauer", da anders ein "dritter Weltkrieg mit Millionen Toten" nicht zu verhindern gewesen sei und diese Maßnahme die Zustimmung der sozialistischen Führungen sämtlicher Ostblockstaaten erhalten hatte. Unter Berufung auf die fortgeschrittene schwere Krebserkrankung wurde das Verfahren letztendlich auf Forderung seiner Anwälte am 13. Januar 1993 eingestellt und der Haftbefehl aufgehoben. Honecker flog darauf nach Santiago de Chile zu seiner Frau und seiner Tochter. Am 29. Mai 1994 erlag er seiner schweren Krebserkrankung.

[62] Im Dezember leitete die Staatsanwaltschaft gegen 30 ehemalige DDR-Spitzenfunktionäre Ermittlungen ein, unter ihnen Honecker und zehn Mitglieder des Politbüros. Die meisten davon kamen in Untersuchungshaft. Sie wurden persönlicher Bereicherung und Vergeudung von Volksvermögen beschuldigt.

[63] "Wir sind noch weit davon entfernt, einen offenen Kampf führen zu können", hatte er am 31. Januar 1891 an Paul Lafargue geschrieben und die Pflicht betont, "keine Niederlage zu erleiden, sondern, wenn der Augenblick gekommen ist, in der ersten großen Schlacht zu siegen. Dieser Überlegung ordne ich jede andere unter". MEW, Bd. 38, Berlin/DDR 1968, S. 20.

[64] Er begann als Redakteur, stieg zum Chefredakteur auf und war zuletzt Generaldirektor.

[65] Lamberz stürzte während eines Besuchs bei Libyens Staatschef mit einem Großraum-Hubschrauber Super Frelon beim Start zum Rückflug von einem Treffen mit Gadhafi in dessen Wüstenresidenz in Wadi suf al Jin ab. Bei dem Absturz kamen alle elf Insassen ums Leben, darunter der Leiter der ZK-Abteilung für Internationale Verbindungen, Paul Markowski, und unser Kollege, der Fotoreporter Hans Joachim Spremberg. Die Ursachen des Absturzes waren umstritten.

[66] Als Mitglied der PDS (bis zu meinem Austritt 1991) erfuhr ich davon nicht nur über die Basis in Berlin-Marzahn, sondern auch über Kontakte zu leitenden Journalisten des ADN.

[67] Das Ganze setzte das frühere Zentralorgan der SED, das inzwischen zu dem der PDS mutiert war, unter die Überschrift "PDS steht in fundamentaler Kritik zum Kapitalismus". Die Ausgabe erschien zwei Tage vor dem Inkrafttreten der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, am 28. Juni 1990.

[68] Ich wurde als habilitierter Hochschullehrer am Institut für Internationale Beziehungen (IIB) in Potsdam-Babelsberg noch unter der Regierung von de Maizière bereits im Juni 1900 gekündigt. Die Miete unserer 90 m² 4-Zimmer-Neubauwohnung in Berlin-Marzahn stieg von 117 Mark (der DDR) auf 860 DM an.

[69] "Ein Jahr danach". Hans Modrow, in "ND", 17. November 1990.

[70] Ich bin von der Herkunft her Arbeiter. Bevor ich 1947 eine Lehre bei der Post aufnahm, bin ich im Martin Hoop-Schacht in Zwickau ins Bergwerk eingefahren. Ich hatte, auch als ich "Akademiker" geworden war, nie Probleme, mich mit dem "Mann an der Werkbank" zu unterhalten. Deshalb habe ich mich, als Proteste aus Betrieben bekannt wurden, im Herbst 89 bei der Kreisleitung der Partei in Marzahn gemeldet und gefragt, ob ich in einen Betrieb gehen könnte, um mit den Arbeitern zu sprechen. Ich wurde mit Argumenten wie "wir haben alles im Griff", aber auch "wir wollen nicht schlafende Hunde wecken" abgespeist.

[71] Massenkommunikation und Jugend. Zur Theorie und Praxis der Massenkommunikation und ihren Einflüssen auf die sozialistische Persönlichkeitsbildung und Bewusstseinsentwicklung Jugendlicher. VEB Deutscher Verlag der Wissenchaften, Berlin 1971.

[72] W. I. Lenin: Was tun? Brennende Fragen unserer Bewegung, Werke, Bd. 5, Berlin/DDR 1958.

[73] Uwe Markus/Ralf Rudolph: Die verratene Armee. Berlin 2013.

[74] Nach einem Vortrag 2008 vor Mitarbeitern des ZK der KP Kubas wurde Modrow gefragt, warum er als Ministerpräsident "die in der Verfassung definierte sozialistische Gesellschaftsordnung der DDR nicht mit den Kräften der Armee verteidigt" habe. Modrow erklärte, der Oberkommandierende der Staaten des Warschauer Vertrages, Armeegeneral Pjotr Luschow, habe ihm gegenüber darauf bestanden, dass sich "auf dem Territorium der DDR keine Gewalt entwickeln dürfe, die eine sowjetische Garnison zwingen würde, ihre Waffen zu schützen". Luschow habe deutlich gemacht, dass in solch einem Fall "Gewalt eingesetzt würde, um gegen Gewalt vorzugehen". Modrow dazu: "Wenn es in dieser Phase auf dem Gebiet der DDR zu militärischen Einsätzen oder Auseinandersetzungen gekommen wäre, hätte das den dritten Weltkrieg auslösen können. Das war die Verantwortung, in der wir standen." (Nachzulesen in Volker Hermsdorf: "Lektionen der Geschichte. Hans Modrow über Kuba, die DDR und die Perestroika". Berlin 2019, S. 66 ff.) Aus dieser Zeit gibt es jedoch aus diesem Kreis auch andere Verlautbarungen (von denen auch Markus/Rudolph ausgehen), dass es unter Kommandeuren der sowjetischen Truppen in der DDR Meinungen gab, die besagten, bei Aktionen der bewaffneten Kräfte der DDR mit ihren Einheiten in den Kasernen zu bleiben und sich ruhig zu verhalten, bis auch zu anderen, die erklärten, ihren Waffenbrüdern der DDR zur Seite zu stehen. Wie ich von dem Begründer der Freundschaftsgesellschaft mit Kuba und Leiter des Netzwerkes Kuba (bis zu seinem Tod 2016), Heinz Hammer, erfuhr, wurde diese Meinung in Kuba generell so nicht geteilt.

[75] Hauptverwaltung Aufklärung, der Auslandsnachrichtendient der DDR, der ein Bereich des Ministerium für Staatssicherheit (MfS) der DDR war.

[76] Brief an Ludwig Kugelmann, MEW, Bd. 33, Berlin/DDR 1966, S. 209.

[77] Werke, Bd. 12, Berlin/DDR 1959, S. 103.

[78] Von 1952-1986.

[79] Ich habe das Buch in "Marxistische Blätter", 2/1998 rezensiert: "Markus Wolfs Memoiren".

[80] Ich habe damals einige Verlage kontaktiert und erfahren, dass keine Angebote, Anfragen eingingen.

[81] Zur Geschichte der DDR und Impressionen aus ihrer Korrespondentenzeit erschien 1992 bei Faber and Faber London ihr Buch "The Saddled Cow".

[82] "Besuch bei Markus Wolf" und "Bis morgen, Karl (Marx)", Ausgaben vom 26. November, 3. Dezember 2000.

[83] Klaus Eichner: Agentin in der BND-Zentrale. Gabriele Gast im westdeutschen Spionagezentrum, Edition Ost, Berlin 2015.

[84] "ND", 3. Juli 1998.

[85] Laut Frankfurter Rundschau vom 12. April 2007 habe der frühere Oberbürgermeister in Dresden Berghofer erklärt, dass Modrow ihn nach dem "Sturm aufs große Haus" am 3. Dezember nach Berlin zu einer Beratung im Haus des Ministerrates mit Gregor Gysi, Markus Wolf und dem Rest der (SED)-Mannschaft gerufen habe. Nachdem er abgelehnt habe, die Führung der SED zu übernehmen, habe Gregor Gysi das dann übernommen. Modrow habe gesagt: "Genossen, wenn wir die Partei retten wollen, brauchen wir Schuldige!" Das müssten, habe Modrow erläutert, Verantwortliche sein, "zu denen es in der Gesellschaft schnell einen Konsens gibt und die Massen sagen, jawohl, das sind die Schuldigen." Dazu habe Modrow dann das "Ministerium für Staatssicherheit" genannt. Wolf habe Einspruch erhoben, aber Modrow habe ihn beruhigt, "die Aufklärung des MfS halten wir selbstverständlich aus dieser Einschätzung heraus". Danach sei Wolf "einverstanden" gewesen. Laut "Tagespiegel" vom 13. April 2007 habe Gysi das "Jahrbuch für Historische Kommunismusforschung 2007" über seine Anwälte ultimativ aufgefordert, eine Passage in dem Buch nicht mehr zu verbreiten. Die habe besagt, dass er an dem Treffen auf Einladung von Ministerpräsident Hans Modrow am 3. Dezember 1989 als Teilnehmer genannt wird. Er bestreite, eingeladen oder gar dabei gewesen zu sein. Auch habe er keine Kenntnis über den Inhalt des "angeblichen Treffens" gehabt. Hier ist anzumerken, dass unabhängig davon, ob die betreffenden Behauptungen der Wahrheit entsprechen oder nicht, die Aussage von Engelhardt beweise, dass diese Haltung gegenüber dem MfS von Modrow und seiner Regierung so praktiziert wurde.

[86] Von ihm erschien u. a: Eurokommunismus. Herausforderung für Ost und West, München 1978.

[87] Wie die Anbiederung an das der DDR von der BRD übergestülpte System von der Führung der PDS um Gysi gern genannt wurde.

*

Quelle:
© 2019 by Gerhard Feldbauer
Mit freundlicher Genehmigung des Autors


veröffentlicht im Schattenblick zum 29. November 2019

Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang