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HEINRICH BÖLL STIFTUNG/234: Iran-Report Nr. 9 - September 2009


Iran-Report der Heinrich-Böll-Stiftung - Nr. 9 - September 2009


Mit dem iran-report stellt die Heinrich-Böll-Stiftung der interessierten Öffentlichkeit eine Zusammenfassung ihrer kontinuierlichen Beobachtung relevanter Ereignisse in Iran zur Verfügung.

Nach der von der Heinrich-Böll-Stiftung im April 2000 veranstalteten Berlin-Konferenz und verstärkt infolge der Anschläge am 11. September stellen die Entwicklungen in Iran und der Region einen zentralen Arbeitsschwerpunkt der Stiftung dar.

Der iran-report erscheint monatlich (Nr. 10/2009 Anfang Oktober) und wird einem breiteren Interessentenkreis aus Politik, Wissenschaft und Medien zur Verfügung gestellt.

Heinrich-Böll-Stiftung, Berlin, im September 2009

Innenpolitik
Der Kampf um Demokratie, um Macht und um Ideologien
Schauprozesse gegen Oppositionelle
Reiss gegen Kaution frei gelassen
Säuberungen im Informationsministerium
Angeblich wieder gewählter Präsident vereidigt
Karrubi berichtet von schweren Vergewaltigungen in Gefängnissen
Parlamentarier: Revolutionsführer soll zur Verantwortung gezogen werden
Neuer Justizchef vereidigt
Revolutionswächter töten 26 Kurden
Rafsandschanis Kehrtwende
"Grüner Pfad der Hoffnung"
Größte Oppositionszeitung verboten
Pilgerreisen nach Mekka wegen Schweinegrippe verboten
Massenhinrichtung wegen Drogenhandels

Wirtschaft
Iran streitet Bereitschaft zu Atomgesprächen ab
Merkel droht Iran mit Sanktionen
Ölminister: Wir sind auf möglichen Benzin-Boykott vorbereitet
Zu Boykottmaßnahmen gegen Iran bereit
Iran will weltweites Verbot von Angriffen auf Atomanlagen
Bank of America lässt Kunden wegen Iran-Kontakten fallen
"Spiegel": Iran-Geschäfte gefährden Oppenheim-Geschäft
Millionenstrafe für DHL in USA wegen Sanktionsverstößen
Amerikanische Äpfel, israelische Orangen auf dem iranischen Markt
Ölpreis wird bis Januar auf 80 Dollar pro Barrel steigen

Außenpolitik
Die EU und die Menschenrechte
Schweden verteidigt Teilnahme an Amtseid Ahmadinedschads
Ban Ki Moon gratuliert Ahmadinedschad
Clinton: Bemühungen gegenüber Teheran im September neu bewerten
Iranischer Ministerkandidat wegen Terroranschlags gesucht
36 Exil-Iraner sollen im Irak vor Gericht

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Innenpolitik

Der Kampf um Demokratie, um Macht und Ideologien

Seit der Präsidentenwahl sind fast drei Monate vergangen. Die Proteste gegen den Wahlbetrug können trotz des Einsatzes von massiver Gewalt immer noch nicht zum Schweigen gebracht werden. Dennoch versucht das Regime, Normalität zu demonstrieren und zur Tagesordnung überzugehen. Am 1. August wurde der angeblich wieder gewählte Staatspräsident für eine zweite Amtszeit vereidigt. In der zweiten Augusthälfte wurde im Parlament über die neuen Minister abgestimmt. Weiter unten werden wir über diese Vorgänge berichten. Doch diese Maßnahmen können nicht über den gegenwärtigen Zustand der Islamischen Republik hinwegtäuschen.

Der Regierungschef hätte bei seiner Vereidigung nur genauer in den Plenarsaal zu schauen und einen Blick nach draußen auf den Vorplatz des Parlaments zu werfen brauchen, um festzustellen, dass die mit dem Wahlbetrug entstandene tiefe Staatskrise längst nicht überstanden ist. Zum ersten Mal seit der Gründung der Islamischen Republik hatten eine ganze Reihe von Abgeordneten und Träger wichtiger Ämter die Zeremonie boykottiert und draußen versuchten Ordnungskräfte und Milizen mit massiver Gewalt Demonstranten, die "nieder mit dem Diktator" riefen, auseinander zu treiben.

Revolutionsführer Ali Chamenei und Ahmadinedschad waren offensichtlich von der Annahme ausgegangen, schon die Niederschlagung der ersten Straßenproteste werde das Volk einschüchtern und ihre Wortführer zum Schweigen bringen. Aber die Protestbewegung ist nach wie vor präsent. Selbst die brutalen Folterungen in den Gefängnissen, bei denen zahlreiche Gefangene getötet wurden oder die Schauprozesse gegen Männer, die zum Teil in den vergangenen Jahren Schlüsselpositionen im Staat innehatten, scheinen nicht zu wirken. Im Gegenteil, jede Maßnahme, die die Machthaber bislang ergriffen haben, um Ruhe und Ordnung herzustellen, hat sich als Eigentor erwiesen. Inzwischen hat der islamische Staat seine Legitimität und Autorität, selbst bei vielen treuen Anhängern, verloren.

Der eigentliche Grund dafür, dass die Proteste gegen den Wahlbetrug ein derartiges Ausmaß angenommen und die Grundpfeiler der Islamischen Republik erschüttert haben, liegt darin, dass die Rebellion all die Widersprüche und Macht- und Richtungskämpfe, die bisher unter der Decke gehalten wurden, aufgedeckt hat. Die Proteste haben den Menschen in den entferntesten Provinzen deutlich vor Augen geführt, dass es den Staatsführern entgegen ihren Bekundungen und Beteuerungen nicht wie der Glaube es fordert um Gerechtigkeit, Moral und den Islam geht, sondern um die Macht und um die Durchsetzung ihrer ideologisch verbrämten Ziele. Sehen wir von dem tobenden Machtkampf ab, handelt es sich bei den Auseinandersetzungen um ideologische Widersprüche, die bereits mit der Gründung der Islamischen Republik angelegt waren.

Auch nach dreißig Jahren geht es immer noch um das Verhältnis zwischen einem islamischen Staat, der sich den Anweisungen Gottes und des Korans unterordnet und einer Republik, die sich nach dem Willen des Volkes richtet. Wie lassen sich diese beiden Staatsformen koordinieren? Überhaupt nicht, sagt die säkulare Opposition, die außerhalb des islamischen Lagers steht.

Sie strebt deshalb einen Systemwechsel an und die Trennung von Religion und Staat. Daher besteht zwischen dieser Opposition und dem Regime schon seit dreißig Jahren eine unüberwindbare Mauer. Erst jetzt hat diese Opposition durch die Proteste endlich eine Gelegenheit gefunden, sich zu Wort zu melden.

Doch auch innerhalb des islamischen Lagers, wo eine grundsätzliche Einigkeit über den Erhalt des Systems besteht, gibt es erbitterte Richtungskämpfe. Die Reformer legen mehr Gewicht auf das Republikanische. Ihrer Meinung nach kann die islamische Republik langfristig nur bestehen, wenn man den vom Volk gewählten Organen mehr Macht einräumt und die Macht der ernannten Instanzen einschränkt. Demnach müssten das Parlament und das Amt des Staatspräsidenten gestärkt und im Gegenzug die Kompetenzen des Revolutionsführers sowie des Wächterrats verringert werden. Der ehemalige Staatspräsident Haschemi Rafsandschani hatte zum Beispiel einmal vorgeschlagen, das Amt des Revolutionsführers nicht von einem Einzelnen, sondern von einem gewählten Gremium ausüben zu lassen.

Diese Meinung teilen inzwischen nicht nur die Reformer, sondern auch eine ganze Reihe von Konservativen. Die zweite Gruppe, die sich vor allem um den Revolutionsführer Chamenei sammelt, will das bisherige System des Welyat-e Faghieh (absolute Herrschaft der Geistlichkeit) beibehalten, ja sogar die Rolle des geistlichen Führers stärken. Eine Abschaffung oder auch nur Machteinschränkung der politischreligiösen Instanz würde den Anfang vom Ende des islamischen Staates bedeuten. Die enge Verknüpfung von Religion und Politik in der Person des Revolutionsführers müsse daher unbedingt beibehalten werden.

Während der Kampf zwischen diesen beiden Gruppen schon seit Jahren geführt wird, schält sich seit Ahmadinedschads Amtsübernahme immer deutlicher eine neue Richtung heraus, die einen reinen islamischen Staat ohne den Klerus, vor allem ohne die traditionell orientierten Großayatollahs anstrebt. Die Idee geht auf den Religionsphilosophen Ali Schariati zurück, der in den siebziger Jahren im Iran durch seine These von einem revolutionären Islam eine große Popularität genoss. Dass die Großayatollahs in den vergangenen Jahren aus ihrer Gegnerschaft zu Ahmadinedschad keinen Hehl gemacht haben, hat diesen ideologischen Hintergrund. Revolutionsführer Chamenei, der stets Ahmadinedschad unterstützt und auch bei der Wahlkrise den Rücken gestärkt hatte, scheint allmählich den Fehler bemerkt zu haben. Die Einsicht kommt vermutlich zu spät. Ahmadinedschad stützt sich auf die militärischen Kräfte und wird kaum im Zaum zu halten sein. Doch die Fortsetzung dieser Politik, die Ahmadinedschad seit seiner Amtsübernahme verfolgt, würde nichts anderes zur Konsequenz haben als eine Militärdiktatur mit islamischem Anstrich.


Schauprozesse gegen Oppositionelle

Rund hundert Oppositionelle, die an den Unruhen nach der Präsidentenwahl am 12. Juni teilgenommen hatten, standen am 1. August in Teheran vor Gericht, darunter prominente Reformpolitiker. Sie wurden beschuldigt, eine Verschwörung gegen die Islamische Republik angezettelt, Unruhen im Zusammenhang mit der Präsidentenwahl geschürt und mit Hilfe westlicher Geheimdienste eine "sanfte Revolution" zum Sturz des islamischen Staates geplant zu haben.

Der Prozess fand praktisch hinter verschlossenen Türen statt. Außer zwei regimetreuen Agenturen und dem staatlichen Rundfunk und Fernsehen war keine Presse zu den Verhandlungen zugelassen. Die Gefangenen wurden als Häftlinge gekleidet und zum Teil mit Handschellen in den Gerichtssaal geführt. Unabhängige Beobachter waren nicht zugelassen, nicht einmal die Anwälte der Gefangenen durften an dem Prozess teilnehmen. Saleh Nikbacht, der einige ehemalige Minister und Staatssekretäre wie den ehemaligen Vizepräsidenten Mohammad Ali Abtahi vertritt, sagte in einem Interview mit der BBC, ihm sei keinerlei Kontakt zu seinen Mandanten erlaubt worden, die Anklageschrift sei ihm völlig unbekannt und er habe den Gerichtstermin erst durch die Presse erfahren.

Wie die zugelassene Agentur Fars berichtete habe der Staatsanwalt bei der Prozesseröffnung die Angeklagten beschuldigt, einen von ausländischen Geheimdiensten vorbereiteten Plan zur Durchführung einer "sanften Revolution" ausgeführt zu haben. Ein Kronzeuge, dessen Name nicht genannt wurde - angeblich eine Schlüsselfigur bei dem "umstürzlerischen Projekt" - habe ausgepackt und der Staatsanwaltschaft genaue Informationen über einzelne Aktivitäten, die beteiligten ausländischen Institutionen und deren einheimische Agenten zur Verfügung gestellt. Genannt wurden amerikanische, britische, holländische, auch deutsche Institutionen, Rundfunk und Fernsehsender, die koordiniert mit iranischen Politikern und Kulturschaffenden schon vor Jahren mit der Vorbereitung begonnen haben sollen. Selbst der deutsche Philosoph Jürgen Habermas habe zu dem Plan seinen Beitrag geleistet. Durch die Unterstützung der Reformbewegung unter der Führung des ehemaligen Präsidenten Mohammad Chatami sollte nach Angaben des Staatsanwalts der islamische Staat "sanft" unterhöhlt und schließlich gestürzt werden. Man habe auf drei Ebenen, der geistigen, kulturellen und politischen Ebene, gearbeitet. Die gesamte Frauenbewegung sei ebenso von außen gesteuert und finanziert worden wie der Versuch, Geistes- und Kulturschaffende für den Plan anzuwerben.

Schon im Vorfeld der Präsidentenwahl sei die Stimmung für die Behauptung vom Wahlbetrug erzeugt worden. Im Falle einer Niederlage der Reformkandidaten sollten die Wähler zu landesweiten Protesten mobilisiert, Angst und Unsicherheit erzeugt und die Legitimität und Glaubwürdigkeit des Staates in Frage gestellt werden. Wie der Staatsanwalt behauptete, lägen entsprechende Geständnisse einiger Inhaftierter vor. Laut Fars soll zum Beispiel Abtahi gesagt haben, es sei eine "Lüge", wenn im Zusammenhang mit der Wahl von Betrug gesprochen werde. Mit dieser "Lüge" sollten Unruhen im Iran ausgelöst werden, "damit Iran wie Afghanistan oder Irak" werde.

Die Moscharekat-Partei, die größte Reformpartei, bezeichnete die Ausführungen des Staatsanwalts als "Hirngespinste", über die "selbst ein gekochtes Huhn lachen" würde. Der Prozess entlarve die "Absicht der Putschisten", Reformparteien und -gruppen sowie regierungsunabhängige Organisationen zu vernichten. Derartige Schauprozesse könnten niemals all die Verbrechen verdecken, die in den letzten Wochen an friedlichen Demonstranten begangen worden seien.

Der Prozess verstoße "gegen die Verfassung, gegen geltende Gesetze und Bürgerrechte", sagte Chatami. Das Gericht stütze sich auf "Geständnisse, die unter gewissen Umständen erreicht wurden, die nicht legal sind". "Diese Art von Inszenierung läuft vor allem den Interessen der Staatsführung zuwider und beschädigt das Vertrauen der Öffentlichkeit", kritisierte der Ex-Präsident.

Einen Tag vor Prozessbeginn hatte eine Gruppe von Geistlichen zur Fortsetzung der Proteste gegen das Wahlergebnis aufgerufen. Die einflussreiche Vereinigung der Lehrer und Forscher in der heilige Stadt Ghom kritisierte zudem, dass inhaftierte Demonstranten gefoltert worden seien. Sie bedauerte, dass all die Verbrechen im Namen des Islam geschehen.

Die Gerichtsverhandlung erinnerte an die Moskauer Schauprozesse: die niedergeschlagenen, erniedrigten und von Folter gezeichneten Gefangenen, die erzwungenen Geständnisse und die Verschwörungstheorien, die von den Machthabern aufgetischt wurden. Dass das Regime sich gezwungen sieht, solche Mittel anzuwenden, dass es Demonstranten auf offener Straße erschießen oder in den Gefängnissen durch Folter ermorden lässt, zeigt, wie tief Angst und Unsicherheit den Machthabern im Nacken sitzen. Und das ist nicht unbegründet.

Es ist schon erstaunlich, wie rasch ein Regime, das sich noch bis vor wenigen Wochen fest im Sattel glaubte, derartig in Bedrängnis gerät, dass es nicht nur seine über Jahrzehnte gepredigten Prinzipien über Bord wirft. Inzwischen gelten selbst islamische Rituale und Gebräuche, mit denen man die Massen zu verführen und an das Regime zu binden versuchte, als verboten. Am Tag des ersten Prozesses wurden tausende Menschen in Teheran, die eine Trauerfeier für die getöteten Demonstranten veranstalten wollten, mit Knüppeln und Maschinengewehren von der Teilnahme abgehalten. Wer heute im Iran "Allah o Akbar" (Gott ist mächtig) ruft, gilt schon als verdächtig. Die Teilnehmer am Freitagsgebet werden durch Ordnungskräfte scharf kontrolliert, Verdächtige abgewiesen. Auch der Zugang zu den Moscheen steht unter strenger Aufsicht. "Wenn das so weitergeht, wird bald keiner mehr in die Moschee kommen", warnte eine der geistlichen Instanzen.

Bei der zweiten Runde der Schauprozesse am 8. August saßen wieder mehr als hundert Häftlinge auf der Anklagebank. Ihnen wurde ebenfalls Spionagetätigkeit, Zusammenarbeit mit ausländischen Geheimdiensten zur Durchführung einer "sanften Revolution" sowie "organisiertes und geplantes Vorgehen" gegen die öffentliche Ordnung und Sicherheit vorgeworfen. Unter den Angeklagten befanden sich auch prominente Vorstandsmitglieder der Reformparteien, ehemalige Parlamentsabgeordnete und bekannte Journalisten.

Auch ein Mitarbeiter der britischen Botschaft in Teheran und eine junge Französin waren dabei. Dem Botschaftsmitarbeiter iranischer Abstammung, Hossein Rassam, wurde Spionage vorgeworfen. Er habe zu den moderaten Politikern enge Kontakte geknüpft, mit dem Umfeld des unterlegenen Oppositionskandidaten Mir Hossein Mussavi zusammengearbeitet und die britische Botschaft über die Pläne der Opposition informiert.

Die 23-jährige Französin Clotilde Reiss soll laut Anklage Informationen gesammelt und Demonstranten aufgehetzt haben. Reiss wurde am 1. Juli bei der Ausreise am Flughafen Teheran festgenommen. Sie hatte fünf Monate an der Universität Isfahan Französisch gelehrt. Sie habe zugegeben, Fotos von Protesten im Internet verbreitet und die Kulturabteilung der französischen Botschaft über die Unruhen informiert zu haben, sagte der Staatsanwalt. Sowohl Rassam als auch Reiss hätten ihre Schuld gestanden und um Gnade gebeten. Die EU zeigte sich über die Schauprozesse "beunruhigt" und verlangte die unverzügliche Freilassung der Angeklagten. Die EU betrachte jede Handlung der iranischen Behörden gegen ein einzelnes Mitgliedsland als gegen die gesamte Union gerichtet, hieß es in einer Erklärung der schwedischen Ratspräsidentschaft. Sie werde dementsprechend reagieren.

Das britische Außenministerium reagierte auf den Prozess mit Empörung. Die Entscheidung, Rassam den Prozess zu machen, sei "völlig inakzeptabel" und widerspreche allen Zusagen, sagte eine Sprecherin. "Wir werden entscheiden, wie wir auf diese neue Schandtat reagieren werden." Scharfe Kritik kam auch aus Paris. Die Vorwürfe entbehrten jeder Grundlage, ließ das Außenministerium verlauten.

Wie bereits bei der ersten Runde der Schauprozesse stütze sich der Staatsanwalt auf Geständnisse der Gefangenen, die offensichtlich durch Folter erpresst wurden. Der physische Zustand der Angeklagten zeugte von den Qualen, die sie in der Haft erlitten hatten. Einige erweckten den Eindruck, völlig orientierungslos zu sein. Anwälte ihrer Wahl waren nicht anwesend. Irans oberster Staatsanwalt Dorri Nadschafabadi erklärte ungeachtet der Berichte über Folterungen in den Gefängnissen, die Geständnisse seien "völlig korrekt" gewesen. "Soweit wir bei unseren Besuchen in den Gefängnissen beobachten konnten, sind keinerlei gesetzeswidrige Handlung festgestellt worden." Er fügte hinzu, das Urteil werde sich nicht allein auf Geständnisse stützen.

Vor dem Gerichtsgebäude hatten sich mehrere hundert Angehörige der Angeklagten sowie andere Oppositionelle versammelt. Viele konnten zum ersten Mal nach Wochen aus der Ferne ihre Verwandten sehen, die abgeführt wurden. Als sie Allah o Akbar (Gott ist mächtig) und "Nieder mit den Diktator" riefen, kam es zu gewaltsamen Auseinandersetzung mit der Polizei.

Die bislang letzte Runde der Schauprozesse fand am 25. August statt. Vor Gericht standen auch dieses Mal prominente Politiker wie der frühere stellvertretende Außenminister Mohsen Aminsadeh, der ehemalige Regierungssprecher Abdollah Ramesansadeh, Mostafa Tadjsadeh, früher Stellvertreter des Innenministers, Behzad Nabavi, Parlamentsabgeordneter und nahezu der gesamte Vorstand der größten Reformpartei Moscharekat.

Allgemeines Entsetzen erregte im ganzen Land der Auftritt Said Hadjarians, eines populären ranghohen Mitglieds der Moscharekat-Partei, der als einer der wichtigsten Köpfe der Reformbewegung gilt. Seit dem Mordanschlag auf ihn im Jahr 2000 ist Hadjarian, der zu den engsten Weggefährten des Ex-Präsidenten Chatami gehört, ein Held. Er ist teilweise gelähmt und kann nur schwer sprechen. Er wurde von zwei Männern in den Gerichtssaal getragen.

Sein Geständnis wurde von einem anderen verlesen. Er bekannte sich schuldig, durch seine Schriften die Unruhen angestachelt zu haben. Er habe mit falschen Analysen, die er unreflektiert aus dem Westen, zum Beispiel von Max Weber, übernommen habe, "schwere Fehler gemacht". Er distanzierte sich von seinen Analysen, entschuldigte sich beim iranischen Volk und erklärte seinen Austritt aus der Moscharekat-Partei. Die Einflüsse, denen er ausgesetzt gewesen sei, bildeten eine Gefahr für alle Wissenschaftler, Intellektuellen und Kulturschaffenden des Landes. Die zuständigen Staatsorganen sollten vor allem das geistige und wissenschaftliche Gut, das aus dem Westen importiert werde, besser kontrollieren, um der Gefahr von Irrwegen vorzubeugen, empfahl das durch Folter erzwungene Geständnis.


Reiss gegen Kaution freigelassen

Die französische Sprachlehrerin Clotilde Reiss wurde am 17. August gegen Kaution freigelassen. Die der Spionage Beschuldigte sei in guter Verfassung und werde in der französischen Botschaft in Teheran auf ihr Urteil warten, hieß es am 17. August in einer Mitteilung des Büros von Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy. Nach Einschätzung des Außenministers Bernard Kouchner könnte dieses innerhalb von acht Tagen gefällt werden, möglicherweise aber auch später. Bis zum Redaktionsschluss befand sich Reiss nach wie vor in der französischen Botschaft in Teheran.

Kouchner sagte dem Fernsehsender France 2, Frankreich habe eingewilligt, eine Kaution für Reiss zu hinterlegen. Dabei handele es sich nicht um eine große Summe, es gehe nicht um mehrere tausend Euro. Demgegenüber berichteten iranische Medien, Frankreich habe eine Kaution in Höhe von 213 000 Euro hinterlegt.


Säuberungen im Informationsministerium

Kurz vor seiner Vereidigung führte Präsident Ahmadinedschad in einer Blitzaktion eine Säuberung im Geheimdienstministerium durch. Er entließ den Minister Gholamhossein Mohseni Ejeh-i und vier weitere ranghohe Beamte. Die Betroffenen hätten sich kritisch über das Vorgehen der Regierung bei den Protesten gegen die umstrittene Wahl geäußert, erklärten Abgeordnete am 10. August.

Die Beamten hätten sich dagegen ausgesprochen, Geständnisse von festgenommenen Regierungsgegnern, die offenbar misshandelt worden seien, zu veröffentlichen. Auf regierungskritischen Webseiten war von mehr als einem Dutzend Entlassungen in dem Ministerium die Rede. Konservative Medien berichteten, vier Staatssekretäre seien gefeuert worden, darunter zwei Männer, die das Vertrauen des Revolutionsführers Chamenei genössen.

Der Sohn des früheren Geheimdienstministers Ali Junesi, Hassan Junesi, sagte: "Ahmadinedschad hat praktisch das Kommando über das wichtigste Sicherheitsgremium des Landes selbst übernommen." Ali Junesi war unter der Reformregierung von Präsident Mohammad Chatami von 1997 bis 2005 im Amt. Vater und Sohn haben nach wie vor enge Verbindungen zum Geheimdienst. Der konservative Abgeordnete Ahmad Awai kündigte an, das Parlament prüfe eine mögliche Untersuchung der Entlassungen.

"Es gibt die berechtigte Besorgnis, dass dem Geheimdienstministerium irreparabler Schaden zugefügt wird, wenn dieser Trend anhält", sagte Awai laut einem Bericht der Tageszeitung "Dschomhuri-e-Eslami" vom 10. August. Indes wurde der entlassene Minister Ejeh-i von dem neu ernannten Justizchef Sadegh Laridschani zum Generalstaatsanwalt ernannt, was von politischen Beobachtern als Affront gegen Ahmadinedschad bezeichnet und als neue Entwicklung in einem Machtkampf innerhalb des ultrakonservativen Lagers gesehen wird. Die Ernennung Ejeh-is wurde am 24. August vom staatlichen Fernsehen bekannt gegeben. Justizchef Laridschani und sein Bruder, Parlamentspräsident Ali Laridschani, sind in letzter Zeit zunehmend als Rivalen Ahmadinedschads hervorgetreten.

Ejeh-i äußerte sich zu seiner Entlassung nicht, aber Ahmadinedschad begründete die Maßnahme mit der Unfähigkeit des Informationsministeriums, die Lage nach der Präsidentenwahl unter Kontrolle zu bringen. "Herr Ejeh-i ist ein guter Mensch, er hat sich viel Mühe gegeben, wofür ihm Dank gebührt. Aber das Ministerium braucht eine gründliche Wandlung. Wenn das Ministerium richtig gehandelt hätte, hätten wir nicht so ein schädliches Chaos auf den Straßen gehabt. Dem sind eine ganze Reihe Menschen zum Opfer gefallen", sagte Ahmadinedschad.

Im Iran herrscht die Meinung vor, die Säuberung sei erfolgt, weil Ahmadinedschad dem Geheimdienst nicht mehr traute und lieber selbst die Zügel in die Hand nehmen wolle.


Angeblich wieder gewählter Präsident vereidigt

Am 5. August wurde Irans angeblich wieder gewählter Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad für eine zweite Amtszeit vor dem Parlament in Teheran vereidigt. Schon am frühen Morgen waren das Parlamentgebäude und die umliegenden Straßen mit Polizeieinheiten und Basidschi-Milizen belagert. Zwei nahe gelegene U-Bahnstationen waren geschlossen. Dennoch war es rund tausend Demonstranten, die "Tod dem Diktator" riefen, gelungen, bis zum Meidan-e Baharestan, dem Parlamentsvorplatz, vorzudringen. Sie waren zum Zeichen der Trauer schwarz gekleidet.

Es kam zu gewaltsamen Auseinandersetzungen. Die Polizei setzte Pfefferspray und Tränengas ein. Augenzeugen berichteten von mehreren Festnahmen. Ahmadinedschad ging in seiner Ansprache auf die Proteste nicht ein und begnügte sich mit der Bemerkung: "Wir werden Missachtung, Einmischung und Beleidigungen nicht dulden". Er rühmte sich, bei der Wahl die Zustimmung von "24 Millionen Wählern" erhalten zu haben. Auch die Teilnahme von über achtzig Prozent der Wahlberechtigten an der Wahl sei der Beweis dafür, dass das Volk geschlossen hinter dem Regime stehe und die bisherige Politik der Regierung akzeptiert worden sei. Die Wahl sei ein "einmaliges ruhmreiches Ereignis" gewesen, das sowohl im Iran als auch international "tiefe Veränderungen" zur Folge haben werde.

Der angeblich neu gewählte Präsident beschwor die Einheit der Nation. "Wir sollten uns an den Händen fassen, während wir voranschreiten, um unsere Ziele zu erreichen". Iran besitze ein großes Potenzial und seine Regierung sei entschlossen, dieses Potenzial voll einzusetzen. Ungeachtet der Proteste von Millionen, die ihre Stimme zurückverlangen, sagte der Regierungschef, Freiheit und Rechte der Individuen seien "ein Geschenk Gottes und eine Errungenschaft der islamischen Revolution". Niemandem sei erlaubt, diese Rechte und Freiheiten einzuschränken. Die Regierung werde ihre bisherige "aktive Außenpolitik" fortsetzen, sagte Ahmadinedschad. Sie werde sich für "Gerechtigkeit, Frieden und Brüderlichkeit" in der Welt einsetzen und versuchen bei der "Verwaltung der Welt eine entscheidende Rolle" zu übernehmen.

Zu ausländischen Regierungen, die die Wahlen kritisiert hatten und ihm nicht zu seinem Sieg gratulieren wollten, sagte er, diese Regierungen seien nicht bereit, "das Votum des iranischen Volkes zu akzeptieren" und fügte hinzu: "Das iranische Volk misst weder eurem Zorn und Geschrei eine Bedeutung bei, noch eurer Gratulation."

Nicht alle Abgeordneten waren bei der Zeremonie anwesend. Sowohl die reformorientierte Minderheit als auch einige aus dem Lager der Konservativen hatten die Veranstaltung boykottiert. Auch der Vorsitzende der Expertenversammlung und des Schlichtungsrats, Haschemi Rafsandschani, sowie die unterlegenen Kandidaten Mir Hossein Mussavi und Mehdi Karrubi waren der Vereidigung ferngeblieben. Sie werfen der Regierung vor, das Ergebnis der Präsidentenwahl vom 12. Juni gefälscht zu haben und beharren nach wie vor auf ihrer Forderung nach Wiederholung der Wahl. Beide Kandidaten hatten am Vortag erklärt, sie würden die Regierung nie anerkennen und seien entschlossen, ihren Protest fortzusetzen.

Parlamentspräsident Ali Laridschani, der sich schon in der Vergangenheit mit seiner Kritik am Regierungschef nicht zurückgehalten hatte, mahnte einleitend, in Zukunft besser zu planen, mehr auf die Gesetze zu achten und mehr Sachverständige einzusetzen. Justizchef Haschem Schahrudi, der dem Regierungschef den Eid abnahm, äußerte die Hoffnung, die Arbeit der Regierung werde auch in Zukunft für die Geschlossenheit des Volkes sorgen.

Erstaunen erregte die Teilnahme einiger ausländischer Botschafter an der Zeremonie, darunter des schwedischen Botschafters, dessen Land zurzeit die EU-Ratspräsidentschaft innehat. Oppositionelle im Iran fragten sich, wie diese Teilnahme, die praktisch einer Anerkennung der durch Betrug gewählten Regierung gleichkommt, mit den Bekundungen der EU-Staaten zu Menschenrechten und mit ihren Protesten gegen die Wahl zu vereinbaren sei.


Karrubi berichtet von schweren Vergewaltigungen in Gefängnissen

Mehdi Karrubi, einer der bei der Präsidentenwahl vom 12. Juni im Iran unterlegenen Kandidaten, hat schwere Vorwürfe gegen die iranischen Behörden erhoben. Einige bei den Unruhen der letzten Wochen festgenommenen Demonstranten seien in den Gefängnisse schwer misshandelt und vergewaltigt worden, schrieb Karrubi an den Vorsitzenden des Expertenrats, Haschemi Rafsandschani.

Junge Frauen seien dermaßen brutal vergewaltigt worden, dass sie schwere Verletzungen erlitten hätten. Auch junge Männer seien "bestialisch" vergewaltigt worden. Manche von ihnen litten so unter Depressionen und körperlichen und seelischen Verletzungen, dass sie sich in ihre Häuser verkrochen hätten und nicht mehr hinaus trauen würden.

Das Schreiben trägt das Datum vom 29. Juli, wurde aber erst am 10. August auf Karrubis Webseite veröffentlicht. Es sei zunächst vertraulich an Rafsandschani persönlich gerichtet worden, mit der Aufforderung, innerhalb von zehn Tagen zu antworten, erklärte Karrubis Sohn. Da Rafsandschani jedoch nicht reagiert habe, werde der Brief öffentlich gemacht.

Karrubi beruft sich auf Aussagen ranghoher Behördenvertreter. "Sollte nur einer dieser Fälle zutreffen, wäre das eine Katastrophe für die Islamische Republik", schrieb er. Hinzu kämen die "willkürlichen Verhaftungen, Schläge, durch die unsere Kinder verletzt und getötet wurden, Überfälle in Privathäusern und Studentenheimen und ein brutales Vorgehen sogar gegen ältere Frauen auf den Straßen". All dies habe es noch nie gegeben. Selbst nach vierzig Tagen könne man bei vielen Menschen, die an der Freitagspredigt teilnehmen wollten, Spuren von Misshandlungen feststellen, schreibt Karrubi.

Ein derart brutales Vorgehen gegen das Volk stelle jede Diktatur, auch die des Schah-Regimes, in den Schatten. Weder Kommunisten noch Religiöse hätten während ihrer Haft in den Kerkern des Schahs solche Verbrechen erlebt, schreibt Karrubi. Er bat Rafsandschani sich wegen dieser Vorfälle an Revolutionsführer Chamenei zu wenden. Ferner solle der Expertenrat ein Gremium beauftragen, das die Ereignisse untersuchen solle.

Indes räumte Irans Polizeichef Ahmadi Moghaddam Misshandlungen von Inhaftierten in den Gefängnissen ein, bestritt jedoch, dass Gefangene zu Tode gefoltert worden seien. Tatsächlich seien Häftlinge von Aufsehern geschlagen worden, sagte er. Mehrere Gefangene hatten nach ihrer Entlassung von brutalen Folterungen berichtet, die in einigen Fällen zum Tod der Häftlinge geführt hätten. Ein Gefangener soll sechs solcher Fälle selbst beobachtet haben. Die Berichte riefen im ganzen Land Empörung und Proteste hervor, so dass Revolutionsführer Chamenei Ende Juli die Schließung eines der Gefängnisse anordnen musste. Dort gebe es nicht die "notwendigen Standards, um die Rechte der Insassen zu garantieren", sagte er zur Begründung. Demgegenüber erklärte Moghaddam, die Todesfälle seien auf eine Viruserkrankung zurückzuführen.

In einer ersten Reaktion auf Karrubis Kritik haben die mächtigen Revolutionsgarden ein Gerichtsverfahren gegen ihn sowie gegen den bei der Wahl ebenfalls unterlegenen Kandidaten Mir Hossein Mussavi und Ex-Präsident Mohammad Chatami gefordert. Jadollah Dschavani, ein hochrangiger Befehlshaber der Garden, sagte am 9. August, sie seien die eigentlichen Drahtzieher der jüngsten Proteste und sollten deshalb bestraft werden.

Nach offiziellen Angaben waren bei den Protestdemonstrationen gegen die Wahlfälschung rund 4000 Personen festgenommen worden, von denen ein großer Teil inzwischen wieder freigelassen ist. Die Zahl der Toten wird mit 30 angegeben, die Opposition hat dagegen genaue Daten mit Fotos von 69 Opfern. Sie sind nachweislich im Gefängnis gestorben.

Eine vom Oppositionsführer Mir Hossein Mussavi eingesetzte Untersuchungskommission hat die Liste am 10. August dem Parlament übergeben. Die tatsächliche Zahl der Toten wird von Menschenrechtsorganisationen weit höher geschätzt. Hinzu kommen Personen, die verschwunden sind und deren Aufenthaltsort unbekannt ist.

Die Reformpartei "Mudschahedin der Islamischen Revolution" hat in einer Stellungnahme, die am 12. August auf ihrer Webseite erschien, die schweren Misshandlungen in den iranischen Gefängnissen mit denen im berüchtigten Gefängnis Abu Ghraib verglichen und Staatspräsident Mahmud Ahmadinedschad für den Tod zahlreicher Regimekritiker verantwortlich gemacht.

Das islamische Parlament hat zur Beruhigung der Gemüter eine Untersuchungskommission einberufen. Schon nach wenigen Tagen erklärte der Leiter der Kommission seinen Rücktritt, weil die Umstände eine objektive Untersuchung der Vorfälle nicht zuließen. Die Nachrichtenagentur ILNA berichtete am 15. August unter Berufung auf einen Sprecher der Kommission, dass zwölf Polizisten und ein Richter angeklagt werden sollen, weil sie politische Häftlinge ins falsche Gefängnis gesteckt haben. Das Gefängnis sei nur für Drogenschmuggler und Schwerverbrecher vorgesehen. Die Betreffenden sollen sich bald vor Gericht dafür verantworten. Einige entlassene Häftlinge haben inzwischen den Drohungen des Regimes zum Trotz ihre Erlebnisse und Beobachtungen öffentlich gemacht. Einer von ihnen erzählte, wie seine jungen Mitgefangenen nacheinander weggebracht und mit schweren Verletzungen an den Genitalien zurückgebracht worden sind. Er selbst sei schwer geschlagen und gezwungen worden, Toilettenschüssel sauber zu lecken.

Indes hat Justizsprecher Aliresa Dschamschidi zugegeben, dass im berüchtigten Gefängnis Kahrisak, das inzwischen auf Anordnung des Revolutionsführers Ali Chamenei geschlossen worden ist, "Verstöße" vorgekommen seien, für die die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden sollen. Einige seien bereits aus ihrem Amt entlassen worden. Auf die Frage, warum der Aufenthaltsort mancher Gefangener nicht bekannt gegeben worden sei, sagte er, dem Strafgesetzbuch nach sei die Bekanntgabe vor dem Urteil nicht erforderlich.

Parlamentspräsident Ali Laridschani bezeichnete am 11. August die Vorwürfe Karrubis, wonach Inhaftierte sexuell misshandelt worden seien, als "Lüge". Bei Untersuchungen in zwei Gefängnissen seien keine Anzeichen von sexuellen Übergriffen festgestellt worden. Er warnte die Opposition davor, nicht belegbare Vorwürfe zu erheben. Sie würden von ausländischen Medien und Feinden der Islamischen Republik ausgenutzt.

Dennoch wolle das Parlament den Vorwürfen nachgehen, sagte Laridschani, um der Opposition doch noch ein kleines Zugeständnis zu machen. Die Nachrichten über Misshandlungen und die weiteren Fälle, die nach und nach mit Hilfe von entlassenen Häftlingen ans Tageslicht kommen, haben die Grundpfeiler des Regimes schwer erschüttert. Das Regime, das sich als moralische Instanz sieht und mit seiner Sittenpolizei seit Jahren Ehebrüche und sexuelle Delikte verfolgen lässt und sie auch mit dem Tode bestraft, hat seine Legitimation auch unter eigenen Anhängern schwer eingebüßt. Die Verbrechen haben sogar manche religiöse Instanzen aus der Reserve gelockt.

Ayatollah Ali Mohammad Dastgheib, Mitglied des Expertenrats, forderte den Rat auf, sich um die "Nöte und Klagen" der Bevölkerung zu kümmern und Karrubi und Mussavi zu einer Anhörung einzuladen. Er warnte, "ehe es zu spät ist und die Ehre der islamischen Instanzen vollends verloren ist", einzuschreiten und dem Treiben Einhalt zu gebieten.


Parlamentarier: Revolutionsführer soll zur Verantwortung gezogen werden

Eine Versammlung aus rund 700 ehemaligen und gegenwärtigen Parlamentariern hat in einem bislang einmaligen Schreiben verlangt, Revolutionsführer Ali Chamenei solle für die Verbrechen der letzten Wochen zur Verantwortung gezogen werden. Damit wurde praktisch - in Anlehnung an Forderungen der Protestbewegung - die Absetzung des Revolutionsführers gefordert und das bisher unantastbare Tabu gebrochen, über das seit dem Ausbruch der Unruhen im Iran hinter den Kulissen diskutiert wird. Nun steht das System des welayat-e faghieh, die absolute Herrschaft der Geistlichkeit, das die Grundlage der Staatsordnung der Islamischen Republik bildet, am Prager. Nimmt man dieses System weg, bricht die ganze Ordnung auseinander.

Die Abgeordneten kritisieren das Vorgehen der Polizei und Basidschi-Milizen in den letzten Wochen gegen Demonstranten auf das Schärfste und verurteilen "die Schauprozesse", die in "stalinistischer Manier" gegen Oppositionelle organisiert worden seien. Ebenso wird das inzwischen geschlossene Gefängnis Kahrisak, in dem inhaftierte Demonstranten schwer misshandelt und in zahlreichen Fällen zu Tode gefoltert wurden, als "schlimmer als die US-Gefängnisse Abu Ghraib und Guantanamo" bezeichnet.

Das Schreiben, das an den Expertenrat gerichtet ist, verweist auf Artikel 111 der Verfassung, in dem die Aufgaben des Rates beschrieben sind. Demnach ist der Expertenrat für die Ernennung, Überwachung der Aktivitäten, aber auch nötigenfalls Absetzung der obersten Instanz der Islamischen Republik zuständig. Die Absetzung ist laut Verfassung dann erforderlich, wenn der Revolutionsführer seinen Pflichten nicht nachkommt oder den Grundsätzen der Moral und der sozialen Gerechtigkeit zuwiderhandelt. Die Abgeordneten weisen darauf hin, dass der Revolutionsführer als oberste Instanz für das Vorgehen der Polizei und Milizen verantwortlich ist und daher zur Rechenschaft gezogen werden muss.

Das Schreiben wird zumindest vorerst keine praktischen Konsequenzen haben. Denn die Mitglieder des Expertenrats, der direkt vom Volk gewählt wird, brauchen die Unterstützung des Revolutionsführers und die Zustimmung des Wächterrates, um zur Wahl zugelassen zu werden. Aber das Schreiben der Parlamentarier hat einen hohen Symbolwert, es zerstört die Autorität Chameneis und zeigt, wie weit selbst die Opposition innerhalb des Systems sich nach vorn wagt.

Auch ein Mitglied des Expertenrats, Seid Ali Mohammad Dastgheib, forderte den Rat auf, sobald wie möglich eine Sondersitzung einzuberufen, um über die Klagen aus der Bevölkerung zu debattieren.

Er übte scharfe Kritik an den Ordnungskräften und der Milizenorganisation Basidsch. Der Expertenrat müsse, ehe es zu spät ist, die Ehre der geistlichen Instanzen retten. Indes hat der unterlegene Kandidat und ehemaliger Parlamentspräsident Mehdi Karrubi seine Vorwürfe in Bezug auf die Behandlung von Häftlingen bekräftigt. Augenzeugen hätten berichtet, Gefangene hätten sich nackt ausziehen und mit Händen und Füßen auf dem Boden herumlaufen müssen, während Wachleute auf ihnen geritten seien, schieb Karrubi auf seiner Webseite. Er steht seit Wochen im Zentrum der Kritik der Anhänger Chameneis und des Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad. Sie bezeichnen ihn als Nestbeschmutzer, bezichtigen ihn der Kollaboration mit ausländischen Geheimdiensten und fordern seine Verhaftung. Der einflussreiche Prediger Ahmad Chatami, nicht zu verwechseln mit dem ehemaligen Präsidenten Mohammad Chatami, sagte beim Freitagsgebet am 21. August, Karrubi solle für seine Äußerungen auf die Anklagebank gesetzt werden. Seine "haltlosen und ungeheuerlichen Vorwürfe lassen die USA und Israel jubeln", sagte Chatami.

Auch Ahmad Dschannati, Vorsitzender des mächtigen Wächterrats und Freitagsprediger von Teheran, hat die Festnahme der Oppositionsführer gefordert.

Er warf Karrubi und Mussavi in seiner im Rundfunk übertragenen Freitagspredigt am 21. August vor, Aufstände angestachelt und einen Umsturz angestrebt zu haben, der "zu der größten Tyrannei" geführt hätte. Ihre Festnahme sei "das erste, was zu tun ist".

Jeder im Iran wisse, dass die Oppositionsführer in ein Komplott und in Korruption verwickelt seien, sagte Dschannati. Nur wegen ihrer Beziehungen zu "bestimmten" mächtigen Persönlichkeiten seien sie noch auf freiem Fuß.


Neuer Justizchef vereidigt

Der neue Leiter der iranischen Justiz, Sadegh Laridschani, hat am 17. August sein Amt angetreten. Der Hardliner war zwei Tage zuvor von Revolutionsführer Ali Chamenei zum neuen Justizchef ernannt worden. Bei der Vereidigungszeremonie deutete Laridschani die Einleitung von Strafverfahren gegen Sicherheitskräfte an, denen im Zusammenhang mit den Protesten gegen die umstrittene Wiederwahl von Präsident Ahmadinedschad vorgeworfen wird, Demonstranten misshandelt zu haben.

Laridschani ist Nachfolger des konservativen Ayatollah Haschemi Schahrudi, dessen zweite fünfjährige Amtszeit endete. Der neue Justizchef ist ein Bruder von Parlamentspräsident Ali Laridschani und war bisher Mitglied des einflussreichen Wächterrats, der die umstrittene Wahl offiziell bestätigte. Schahrudi übernahm nun den Platz Laridschanis im Wächterrat.

Laridschani sagte am 17. August laut dem staatlichen Fernsehen, niemand dürfe die Rechte oder die Sicherheit der Bürger verletzen. "Ich erkläre, dass ich in dieser Hinsicht niemandem vergeben werde, und wer die Gesetze verletzt, wird vor Gericht gestellt", sagte er weiter. Das kann sowohl als Warnung an die Opposition als auch an Justiz und Sicherheitsbeamte verstanden werden.


Revolutionswächter töteten 26 Kurden

Bei einem Großeinsatz im Nordwesten Irans haben Einheiten der Revolutionswächter nach eigenen Angaben 26 aufständische Kurden getötet. Wie Kommandeur Mohammad Pakpur am 23. August der Nachrichtenagentur Fars sagte, erfolgte der Einsatz in den Provinzen Aserbaidschan und Kurdistan. Zu welchem Zeitpunkt die Revolutionswächter gegen die Kurden vorgingen, wurde nicht mitgeteilt.

In den Kurdengebieten Irans sind aufständische Gruppierungen wie die Partei für ein freies Leben in Kurdistan (Pejak) aktiv, die mit der im Untergrund agierenden Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) in der Türkei kooperiert.


Rafsandschanis Kehrtwende

Der Vorsitzende des Expertenrats und Ex-Staatspräsident, Akbar Haschemi Rafsandschani, hat die Iraner zum Gehorsam gegenüber dem obersten Führer des Landes, Ali Chamenei, aufgerufen.

Rafsandschani verlangte am 22. August nach Angaben des Fernsehsenders Press TV, alle politischen Gruppen müssten die Leitlinien Chameneis befolgen. Bei einer Ansprache vor dem Expertenrat zu Beginn des muslimischen Fastenmonats Ramadan verlangte er zudem von der Führung und der Nation eine Stärkung der Einheit, um die politischen Unruhen im Land zu beenden. Der Agentur IRNA zufolge betonte er die Notwendigkeit, gegen Rechtsbrecher vorzugehen.

Wer Einfluss auf Medien und Podien habe, sollte "das Stiften von Spaltungen vermeiden und Schritte zur Beförderung der Einheit unternehmen".

Nach einem Online-Bericht der Zeitung "Teheran Times" sagte Rafsandschani weiter, jeder müsse den Leitlinien Chameneis folgen. Die Verfassung müsse befolgt und Gesetze müssen beachtet werden. Mit Recherchen sollte richtig umgegangen werden. Die augenblickliche emotionsgeladene Atomsphäre sollte durch eine rationale ersetzt werden. Zudem müsse Redefreiheit gewährt und auf konstruktive Kritik angemessen reagiert werden. Rafsandschani war nach der umstrittenen Wiederwahl von Ahmadinedschad zu den Unterstützern der Opposition gezählt worden. Er hatte beim Freitagsgebet Mitte Juli die Freilassung aller Inhaftierten gefordert und die Führung des Landes scharf kritisiert und dabei auch nicht den Revolutionsführer verschont. Die nun erfolgte Aufforderung Chamenei gegenüber Gehorsam zu erweisen, hat in Iran Erstaunen erweckt und jenen Recht gegeben, die davor warnten, Rafsandschani zu vertrauen.


"Grüner Pfad der Hoffnung"

Der iranische Oppositionsführer Mir Hossein Mussavi will seinen Protest gegen den Ausgang der Präsidentenwahl Zeitungsberichten zufolge mit einer "Grüner Pfad der Hoffnung" benannten Bewegung fortsetzen. Die Bewegung solle den Iranern helfen, ihre Ansprüche durchzusetzen, zitierte die Reformzeitung "Etemad Melli" Mussavi am 16. Juli. Die Bewegung setze sich aus "zahllosen" unabhängigen sozialen Netwerken zusammen, sagte er demnach. Mussavi habe sich bei einem Treffen muslimischer Ärzte geäußert, berichtete die Zeitung. Das Blatt machte keine Angaben zum Zeitpunkt des Treffens.

Mussavi hatte jüngst angekündigt, er wolle eine politische Bewegung gründen, um gegen den umstrittenen Wahlsieg seines Rivalen Mahmud Ahmadinedschad vorzugehen. Er war bei der Präsidentenwahl vom 12. Juni auf Platz zwei gekommen. Unbestätigten Meldungen zufolge soll Mussavi gesagt haben, er rücke von seiner Forderung nach Neuwahlen nicht ab, sei jedoch bereit auf eine abermalige Kandidatur zu verzichten.

Indes haben sich Ex-Präsident Mohammad Chatami und Ex-Parlamentspräsident und Präsidentschaftskandidat Mehdi Karrubi der Bewegung "Grüner Pfad der Hoffnung" angeschlossen. Die beiden einflussreichen Politiker gehörten dem Zentralrat der von Mussavi gegründeten Bewegung an, sagte Mussavi-Mitarbeiter Aliresa Beheschti am 18. August der halbamtlichen Nachrichtenagentur ILNA. Demnach habe der Führungszirkel der Bewegung fünf bis sechs Mitglieder.


Größte Oppositionszeitung verboten

Die Generalstaatsanwaltschaft hat am 17. August die größte Oppositionszeitung Etemad Melli vorübergehend verboten.

Das berichtete die Tageszeitung auf ihrer Internetseite. Das Blatt der gleichnamigen Partei des konservativen Reformers Mehdi Karrubi wurde am selben Tag eingezogen und konnte seitdem nicht mehr erscheinen. Die Zeitung hatte wiederholt über Folter und sexuellen Missbrauch von verhafteten Demonstranten berichtet, die gegen die Wahlfälschung bei der Präsidentenwahl am 12. Juni protestiert hatten.

Am Mittag desselben Tags versammelten sich einige hundert Demonstranten vor dem Zeitungsgebäude und skandierten "Tod dem Diktator". Die Polizei schritt ein und versuchte die Versammlung durch Einsatz von Wasserwerfern und Schlagstöcken auseinander zu treiben. Augenzeugen berichteten auch von Festnahmen.

Als Grund für das Verbot der Zeitung nannte die Staatsanwaltschaft mehrere Klagen gegen das Blatt. Auch sei die Zeitung mehrmals vorgewarnt worden, doch sie habe weiterhin das Pressegesetz verletzt und Staatsgeheimnisse veröffentlicht. Ferner seien manche Berichte in der Zeitung erschienen, die die nationale Sicherheit und Interessen gefährdet hätten.

Demgegenüber erklärte Hossein Karrubi, Sohn von Mehdi Karrubi, Grund für das Verbot sei eine Replik seines Vaters auf die schweren Vorwürfe gegen ihn, weil er über Folterungen und Vergewaltigungen in den Gefängnissen berichtet habe.

Bereits am Freitag vor dem Verbot waren beim gemeinsamen Gebet Handzettel verteilt worden, auf denen zu einer Protestkundgebung vor dem Zeitungsgebäude aufgerufen wurde. Da ähnliche Aktionen gegen Zeitungen zum Sturm auf die Redaktionsräume und Gewaltanwendung geführt haben, hatte der Herausgeber von Etemad-Melli die Polizei um Schutz gebeten. Die geplante Kundgebung wurde daraufhin abgesagt.

Mehdi Karrubi erklärte, er werde sich weder durch das Verbot noch durch Druck und Beschimpfungen einschüchtern lassen. Er werde keine Ruhe geben und seine Aufklärungsarbeit fortsetzen.


Pilgerreisen nach Mekka wegen Schweinegrippe verboten

Die iranische Regierung hat aus Sorge um eine weitere Ausbreitung der Schweinegrippe Pilgerreisen nach Mekka während des Fastenmonats Ramadan verboten. Gesundheitsminister Kamran Bagheri Lankarani erklärte am 6. August, die hohe Zahl der Pilger erhöhe das Risiko einer Infektion.

In Iran gibt es 145 bestätigte Fälle von Schweinegrippe. Ein großer Teil der Infizierten war in jüngster Zeit nach Saudi-Arabien gereist oder hatte sonstige Verbindungen dorthin. Laut iranischen Medien vom 26. August ist bisher ein Patient infolge der Schweinegrippe gestorben.


Massenhinrichtung wegen Drogenhandels

In einem iranischen Gefängnis wurden an nur einem Tag 24 Todesurteile wegen Drogenhandels vollstreckt. Wie die Reformzeitung "Etemad" am 5. August berichtete, fand die Massenhinrichtung am 30. Juli in einem Gefängnis in Karadsch nahe der Hauptstadt Teheran statt. Die Verurteilten seien gehenkt worden, berichtete die Zeitung unter Berufung auf die Justiz. Über die Identität der Hingerichteten wurde nichts bekannt. Damit wurden in Iran seit Beginn des Jahres mindestens 219 Menschen hingerichtet, wie aus einer Zählung der Nachrichtenagentur AFP hervorgeht. Iran belegt damit den zweiten Platz hinter China.

Erst Anfang Juli waren 20 Menschen ebenfalls wegen Drogenhandels in dem gleichen Gefängnis gehenkt worden. Die EU hatte dies heftig kritisiert. Zuvor hatte zum letzten Mal im Juli 2008 eine Massenhinrichtung ähnlichen Ausmaßes stattgefunden, damals wurden 29 Todesurteile an einem Tag vollstreckt. Im vergangenen Jahr wurden nach Zählungen von AFP in Iran 246 Menschen hingerichtet, die Menschenrechtsorganisation Amnesty International hatte sogar 346 vollstreckte Todesurteile für 2008 gemeldet.


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Wirtschaft

Iran streitet Bereitschaft zu Atomgesprächen ab

Der iranische Botschafter bei der internationalen Atomenergiebehörde IAEA hat die ihm zugeschriebene Ankündigung eines spektakulären Kurswechsels im Atomstreit bestritten. Es habe sich nichts daran geändert, dass Iran an seinen friedlichen Aktivitäten innerhalb der Regeln der Internationalen Atomenergiebehörde festhalte, sagte Ali Asghar Soltanieh am 18. August im Staatsfernsehen. Das gleiche Medium hatte ihn zuvor mit der Aussage zitiert, die Islamische Republik sei zu Verhandlungen mit dem Westen über das umstrittene Atomprogramm bereit. Wie es zu den widersprüchlichen Berichten kam, wurde nicht erklärt. Soltanieh sagte, er habe keine Interviews gegeben oder anderweitig zu diesem Sachverhalt Stellung genommen. "Irans Politik hat sich nicht verändert", bekräftigte er.

US-Präsident Barack Obama hatte Iran eine Frist bis September gesetzt, um ein Sechs-Länder-Gesprächsangebot über sein Atomprogramm anzunehmen. Der Islamischen Republik werden Handelserleichterungen in Aussicht gestellt, wenn sie ihre Urananreicherung einstellt. Ansonsten drohen härtere Sanktionen. Iran hat sich bisher nicht konkret zu dem Angebot geäußert. Das bisher letzte Mal hatte Iran im Juli 2008 in Genf Gespräche mit den ständigen Vetomächten im UN-Sicherheitsrat plus Deutschland geführt.


Merkel droht Iran mit Sanktionen

Bundeskanzlerin Angela Merkel hat für weitere Sanktionen gegen Iran plädiert, falls es im Atomkonflikt keine Fortschritte geben sollte. Zur Debatte stünden Sanktionen, die den Bereich Energiewirtschaft betreffen, sagte die Kanzlerin der Frankfurter Allgemeinen Zeitung am 21. August. Klar sei, dass es keine Atombombe in der Hand Irans geben dürfe. Dies gelte trotz Klagen der deutschen Wirtschaft, dass sie unter Sanktionen stärker leiden würde als amerikanische Unternehmen.

Laut russischen Angaben wird sich die Verhandlungsgruppe im Atomstreit das nächste Mal am 2. September treffen. Dies habe Außenminister Sergej Lawrow mit seiner US-Kollegin Hillary Clinton telefonisch besprochen, erklärte das Außenministerium in Moskau am 20. August. Demnach finden die Gespräche auf der Ebene der politischen Direktoren statt. Der Gruppe gehört neben den fünf Veto-Mächten im UN-Sicherheitsrat auch Deutschland an.

Westlichen Diplomaten zufolge wollen die USA, Deutschland, Frankreich und Großbritannien bei dem Treffen China und Russland zu einer vierten Runde von Sanktionen gegen die Islamische Republik drängen. Die Maßnahmen sollten sich gegen den Energiesektor Irans richten, hieß es am New Yorker UN-Sitz weiter. Russland und China haben sich bislang gegen eine Verschärfung gewehrt. Sie unterhalten enge Handelsbeziehungen zu Iran.

Teheran hat am 24. August erneut die Sanktionsdrohungen Angela Merkels kritisiert, aber Meldungen über eine Überprüfung der bilateralen Beziehungen zurückgewiesen. "Frau Merkel sollte gegenüber Teheran eine realistische Linie verfolgen und anstatt auf Konfrontation auf Kooperation bauen", sagte Außenamtssprecher Hassan Ghaschghawi in Teheran. "Es wird jedoch weder im Fall Deutschlands noch anderer europäischer Staaten eine Überprüfung der diplomatischen Beziehungen geben." Wenige Tage zuvor hatte Mohammad Karami, Sprecher des außenpolitischen Ausschusses im iranischen Parlament, erklärt, das Parlament werde die Beziehungen zur Bundesrepublik Deutschland überprüfen. Ghaschghawi wies dies als eine private Stellungnahme zurück.

Zugleich machte er aber deutlich, dass Merkel in den letzten vier Jahren bemerkt haben sollte, dass Iran sein international anerkanntes Recht auf friedliche Nutzung seines Atomprogramms ausüben und gegen jeglichen Drohungen und Ultimaten konsequent Widerstand leisten werde. "Man sollte die Fehler der letzten Jahre mit Drohungen und Sanktionen nicht wiederholen und auf Kooperation bauen", so Ghaschghawi. Er wies auch die Kritik der Kanzlerin an den Prozessen gegen die Kritiker der Präsidentenwahl zurück. "Frau Merkel sollte zunächst die Verhältnisse in den deutschen Gerichten verbessern, bevor sie sich um die Gerichte anderer Länder kümmert", sagte Ghaschghawi in Anspielung auf den Mord an der Ägypterin Marwa El-Sherbini Anfang Juli in einem Gerichtssaal in Dresden.

Auch der einflussreiche erzkonservative Kleriker Ahmad Chatami hatte bereits am 14. Juli in Hinblick auf die Kritik an der Verletzung der Menschenrechte aus den EU-Staaten entschiedene Schritte Teherans gegen die EU gefordert. "Das Außenministerium sollte Maßnahmen ergreifen und die europäischen Staaten vor eine Situation stellen, die sie ihre Vorgehensweise bereuen und sich bei der iranischen Nation entschuldigen lässt", sagte der stellvertretende Vorsitzende des Wächterrats beim Freitagsgebet in Teheran.


Ölminister: Wir sind auf möglichen Benzin-Boykott vorbereitet

Ölminister Gholamhossein Nosari sagte am 17. August der halbamtlichen Nachrichtenagentur Fars, alle Vorsichtsmaßnahmen seien bereits getroffen und es bestehe bezügliche der Benzinversorgung keinerlei Grund zur Sorge. Das Land gehöre zu den Ländern mit den reichsten Ölquellen der Welt, daher könne kein Staat Iran durch einen Benzinboykott in Schwierigkeiten bringen. Es trifft zwar zu, dass Iran über reiche Ölquellen verfügt, doch die Kapazität der Raffinerien reicht nicht aus, um die für den Eigenbedarf an Benzin benötigte Menge bereit zu stellen. Daher muss das Land vierzig Prozent seines Benzinbedarfs importieren. Sollte Iran sich tatsächlich weigern, an Verhandlungen über sein Atomprogramm teilzunehmen, ist es durchaus möglich, dass die USA und ihre europäischen Verbündeten Maßnahmen treffen, um den Benzinexport aus den Nachbarstaaten nach Iran zu verhindern. Anfang August wurde im US-Senat ein Antrag beschlossen, in dem ein Boykott jener Firmen bzw. Länder in Betracht gezogen wird, die sich weigern würden, der Aufforderung nach Einstellung ihrer Benzinlieferungen nach Iran Folge zu leisten. Allerdings wird der Beschluss nur dann in Kraft treten, wenn er die Zustimmung des Repräsentantenhauses erhält und vom Präsidenten unterzeichnet wird. Nosari erwähnte keine Details über die angeblichen Präventionsmaßnahmen.


Zu Boykottmaßnahmen gegen Iran bereit

Bei der Bundesregierung und der EU steigt einem Magazinbericht zufolge die Bereitschaft zu massiven Boykottmaßnahmen gegen Iran, sollte dieser im Atomstreit nicht bald Entgegenkommen zeigen. Es gebe etwa Überlegungen, die Benzinlieferungen an Iran zu stoppen, berichtete das Nachrichtenmagazin "Der Spiegel". Auch weitere Beschränkungen des Schiffs- und Luftverkehrs nach Iran würden erwogen. Ein Hebel dafür könnten Landeverbote für iranische Flugzeuge oder Schiffe in der EU sein.

Ein Sprecher des Auswärtigen Amtes in Berlin sagte, er wolle sich zu dem Bericht nicht äußern. Ein Gesprächsangebot von US-Präsident Barack Obama liege auf dem Tisch. Iran bleibe aufgefordert, Klarheit in sein Atomprogramm zu bringen. Tue es das nicht, drohen weitere Maßnahmen der internationalen Staatengemeinschaft. Es sei aber zu früh, um über die konkrete Ausgestaltung zu sprechen.

Laut "Spiegel" will die Bundesregierung zunächst versuchen, die Sanktionen gemeinsam mit den zögernden Vetomächten Russland und China im UNSicherheitsrat zu beschließen. Nach Ansicht deutscher Diplomaten würden die USA und die EU notfalls aber auch allein "sehr scharfe Sanktionen" beschließen. Eine neue Sanktionsrunde könnte dem Bericht zufolge während der UN-Vollversammlung Ende September in New York beginnen, wenn Irans Präsident Mahmud Ahmadinedschad bis dahin nicht auf die Angebote des Westens eingehe. Auch ein Treffen der Staatsund Regierungschefs der so genannten Sechsergruppe werde erwogen.

Im Juli hatten die G8-Staaten bei ihren Gipfel im italienischen L'Aquila Iran ultimativ zur Rückkehr an den Verhandlungstisch aufgefordert. Die Staats- und Regierungschefs zeigten sich dabei bereit, bis September Verhandlungen eine Chance zu geben. Der französische Präsident Nicolas Sarkozy sagte anschließend, wenn es bis dahin keine Fortschritte im Atomstreit gebe, "werden wir Entscheidungen treffen müssen".


Iran will weltweites Verbot von Angriffen auf Atomanlagen

Iran hat ein weltweites Verbot von Angriffen auf Atomanlagen vorgeschlagen. Der Vorschlag soll der Generalversammlung der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) im September vorgelegt werden, wie Diplomaten am 12. August der AP sagten. Der iranische Vertreter bei der IAEA in Wien, Ali Asghar Soltanieh, bestätigte die Initiative. Die Diplomaten vertraten die Ansicht, dass der Vorschlag darauf abziele, Druck auf Israel auszuüben, das Luftangriffe wegen des umstrittenen iranischen Atomprogramms nicht ausgeschlossen hat. Soltanieh bestritt diesen Zusammenhang.

Iran fürchte sich nicht vor Israel. Man wolle einfach nur die Unterstützung für eine Resolution, die alle Angriffe auf Atomanlagen überall in der Welt verbiete, sagte Soltanieh.


BaA Merrill lässt Kunden wegen Iran-Kontakten fallen

Die Bank of Amerika (BaA) hat informierten Kreisen zufolge einen Kunden aus den Vereinigten Arabischen Emiraten wegen dessen Verbindungen zu Iran fallen gelassen. Ein Sprecher des staatlich kontrollierten Förderunternehmens Dragon Oil aus Dubai sagte am 17. August der Agentur Reuters zufolge, sein Unternehmen werde nicht mehr von BaA Merrill Lynch, einem Investment-Arm der US-Bank, bei Übernahmegesprächen beraten. Eine Merrill-Sprecherin begründete den Schritt mit "internen rechtlichen Gründen". Einen Streit mit Dragon habe es nicht gegeben. Weiter wollte sie sich nicht äußern. Eine mit der Angelegenheit vertraute Person sagte Reuters jedoch, dass Dragons Kontakte in die Islamische Republik der eigentliche Grund für die Beendigung des Geschäftsverhältnisses waren.

Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass die Regierung in Washington über ihren Einfluss bei staatlich gestützten Institutionen außenpolitische Ziele erreichen will. "Dies ist ein Zeichen zunehmender US-Aggressivität. Es scheint so, als wenn die Regierung ihre Beteiligungen außenpolitisch nutzt", sagte ein Experte, der ungenannt bleiben wollte.

Die USA werfen Iran vor, am Bau der Atombombe zu arbeiten, was die Regierung in Teheran bestreitet. USSanktionen verbieten es amerikanischen Unternehmen, in Iran zu investieren oder iranische Firmen zu beraten. Experten rätseln darüber, gegen welches Gesetz Merrill Lynch mit der Beratung eines Unternehmens verstieß, das mit Öl mit dem Iran handelt.


"Spiegel": Iran-Geschäfte gefährden Oppenheim-Geschäft

Staatliche Institutionen Irans habe einem "Spiegel"-Bericht zufolge Auslandsguthaben in Milliardenhöhe bei der Frankfurter BHF-Bank angelegt, die seit 2005 eine Tochter der traditionsreichen Privatbank Sal. Oppenheim ist. Die bisher geheim gehaltenen Geschäfte könnten den Einstieg der Deutschen Bank bei Sal. Oppenheim behindern, berichtete das Hamburger Nachrichtenmagazin am 8. August vorab aus der Ausgabe vom 10. August. Auf Druck der USRegierung habe die Deutsche Bank gerade die Geschäfte mit Iran radikal nach unten gefahren.

Sal. Oppenheim braucht bis Ende August 300 Millionen Euro, berichtete der "Spiegel". Der Bedarf sei so groß, dass auch der staatliche Rettungsfonds Soffin auf Geheiß der Bankenaufsicht einen Einstieg prüfe.

Die Deutsche Bank plant einen Einstieg bei Sal. Oppenheim. Das größte deutsche Finanzinstitut machte dem Bankhaus bereits ein unverbindliches Angebot für eine Kapitalbeteiligung. Sal. Oppenheim ist durch die Finanzkrise angeschlagen und machte im vergangenen Jahr erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg einen Verlust.


Millionenstrafe für DHL in USA wegen Sanktionsverstößen

Die Deutsche Post-Expresstochter DHL Express muss in den USA eine Millionenstrafe wegen Sendungen in Staaten zahlen, gegen die Washington Handelssanktionen verhängt hat. DHL habe im Rahmen einer Einigung der Zahlung von 9,4 Millionen Dollar zugestimmt, teilte das US-Finanzministerium am 7. August mit. Die Strafe betrifft Lieferungen nach Iran, Sudan und Syrien.

Zudem geht es um die fehlende Dokumentation von Sendungen in diese Staaten. Die USA werfen DHL "umfassende Verstöße" bei Lieferungen nach Iran und Sudan vor. Dabei geht es um 300 Lieferungen in die beiden Staaten zwischen August 2002 und März 2007. Zusätzlich sollen tausende Frachtbriefe von Lieferungen nach Iran zwischen Dezember 2002 und April 2006 fehlen. Die USA haben die Lieferung vieler Güter nach Iran und Sudan untersagt, sie schreiben zudem vor, die Dokumentation mindestens fünf Jahre aufzuheben.

DHL Express USA erklärte, angesichts der Millionen Transaktionen weltweit jedes Jahr stünden die kritisierten Geschäfte für "deutlich weniger als ein Prozent des Gesamtvolumens". Unter den Lieferungen seien normale Briefe, persönliche Gegenstände und Verbrauchsgüter gewesen. Die USRegierung werfe DHL nicht vor, strategisch sensible Güter in die Staaten geliefert zu haben, betonte das Unternehmen.


Amerikanische Äpfel und israelische Orangen auf dem iranischen Markt

Iranischen Medien berichteten Anfang August vom Import von 150 Tonnen amerikanischer Äpfel in Iran. Demnach brachte ein schweizerischer Frachter aus Dubai kommend die Ladung zum iranischen Redjai-Hafen am Persischen Golf. Auf den roten Äpfeln sind Aufkleber des amerikanischen Unternehmens und der Wappen der USA zu sehen. Der iranischen Zeitung Khabar vom 29. Juli zufolge habe die einführende iranische Firma den Import ordnungsgemäß registrieren lassen und dafür auch die Zustimmung des Finanzministeriums und des Zollamts eingeholt.

Hossein Mohadscheran, Leiter des Verbands iranischer Obsthandlungen, sagte der Fars-Agentur, in Anbetracht des Anbaus zahlreicher Apfelsorten in Iran sei der Import von amerikanischen Äpfeln eine "Schande".

Iran hatte erklärt, mit Ausnahme von Israel seien Wirtschafts- und Handelsbeziehungen zu allen Staaten erlaubt. Dessen ungeachtet wurden in diesem Frühjahr auch israelische Orangen auf den Märkten mehrerer Städte zum Verkauf angeboten. Wie einige Zeitungen berichteten weisen die Aufkleber auf den Orangen deutlich auf das Herkunftsland hin, dagegen stand auf den Kisten China als Herkunftsland. Dazu sagte Mohammad Resa Naderi, Stellvertreter des Leiters im Zollamt, der Handel mit Israel sei nicht erlaubt und auch die Verbraucher kauften keine israelischen Waren. Demnach müssten die Orangen illegal eingeführt worden sein.


Ölpreis wird bis Januar auf 80 Dollar pro Barrel steigen

Der Rohölpreis wird nach Einschätzung Irans bis Januar auf 80 Dollar je Barrel steigen. Vom Ölmarkt kämen positive Signale, erklärte der iranische OPEC-Gesandte Mohammad Ali Khatibi am 2. August auf der Internetseite des Teheraner Ölministeriums. Zwei Tage zuvor war der Ölpreis auf mehr als 67 Dollar pro Fass gestiegen. An den Märkten setzte sich zunehmend die Hoffnung durch, dass eine weltweit bevorstehende Konjunkturerholung den Energiebedarf ankurbeln werde.



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Außenpolitik

Die EU und die Menschenrechte

Menschenrechte und die Würde der Menschen sind unantastbar. Das ist ein über Jahrhunderte erkämpfter Grundsatz, eine große Errungenschaft, auf die Europa stolz sein kann. Doch es sei die Frage erlaubt, ob mit "Menschen" nur Europäer, Amerikaner und allenfalls Israelis gemeint sind. Kann dieser Grundsatz über Bord geworfen werden, sobald man die Grenzen Europas verlässt und ökonomische und strategische Interessen im Spiel sind? Gelten in anderen Teilen der Welt andere Kriterien? Die EU hat zwar das Vorgehen der Polizei und Milizen im Iran gegen die Protestbewegung und die Verletzung der Menschenrechte kritisiert und auch erklärt, sie werde dem iranischen Regierungschef Mahmud Ahmadinedschad zu seinem angeblichen Wahlsieg nicht gratulieren. Doch das hinderte sie nicht daran, an der Vereidigung des angeblichen Präsidenten teilzunehmen und damit auch den eklatanten Wahlbetrug offiziell anzuerkennen.

Als bekannt wurde, dass hunderte iranische Oppositionelle im Kerker sitzen, dort gefoltert und zu Selbstbezichtigungen und falschen Geständnissen gezwungen wurden, schien sich die EU nur zu ernsthaften Handlungen und Reaktionen aufgefordert zu fühlen, weil sich unter den Angeklagten auch eine französische Staatsbürgerin und ein iranischer Mitarbeiter der britischen Botschaft befanden. Sie verlangte die unverzügliche Freilassung der Angeklagten. Andernfalls werde man entsprechende Maßnahmen ergreifen, was Sanktionen oder gar den Abbruch der diplomatischen Beziehungen bedeuten könnte.

Es ist nicht nur das Recht, sondern auch die Pflicht eines jeden Staates, eigene Bürger vor Übergriffen zu schützen. Aber wie glaubwürdig sind angesichts dieser Doppelbödigkeit die Bekenntnisse der Europäer zu Menschenrechten aus der Sicht der Iraner, die in den Gefängnissen zu Tode gefoltert werden?


Schweden verteidigt Teilnahme an Amtseid Ahmadinedschads

Schwedens Außenminister Carl Bildt hat internationale und heimische Kritik an der hochrangigen Teilnahme an der Vereidigung des iranischen Präsidenten Ahmadinedschad zurückgewiesen. Schweden hatte als amtierende Ratspräsidentschaft seinen Botschafter Magnus Wernstedt zu der Zeremonie entsandt, während sich andere EU-Länder wie Deutschland von rangniederen Diplomaten vertreten ließen.

Bildt sagte dazu am 6. August im Rundfunksender SR, sein Land habe mit der Entsendung des Botschafters keine politische Haltung zum Ausdruck gebracht. Weiter erklärte er: "Wir haben unsere Botschafter immer in allen möglichen und unmöglichen Ländern vor Ort, egal um welches Regime es geht. Als Beobachter sind sie besser, wenn sie anwesend und nicht abwesend sind."

"Es ist wichtig, dass die EURatspräsidentschaft einen diplomatischen Kommunikationskanal zur iranischen Regierung hält", sagte Anders Jorle, Sprecher des Außenministeriums in Stockholm. Nur so könnten "gute wie schlechte Botschaften" kommuniziert werden. Die Teilnahme an der Zeremonie bedeutet keineswegs, dass die EURatspräsidentschaft die Menschenrechtsverletzungen in Iran akzeptiert.

Jorle wies darauf hin, dass die schwedische Ratspräsidentschaft die gewaltsame Niederschlagung der Proteste klar verurteilt habe.

Unter anderem die Grünen in Berlin hatten die Anwesenheit des Botschafters aus Stockholm als Legitimierung der international angezweifelten Wiederwahl von Ahmadinedschad kritisiert. Auch Vertreter von Bildts eigener konservativer Partei in Stockholm distanzierten sich von der Entscheidung des Außenministeriums. Nach schwedischen Angaben waren auch die EU-Länder Großbritannien, Spanien und Frankreich durch ihre Botschafter vertreten.

Der CDU-Europaabgeordnete Elmar Brok sagte: "Wir haben als Europäische Union in den vergangenen Wochen stets eine Neuauszählung der Stimmen und Neuwahlen gefordert sowie die Niederschlagung der Proteste und Festnahmen scharf verurteilt. Wir dürfen deshalb nicht als Europäer durch eine Teilnahme an der Zeremonie den Eindruck erwecken, wir würden die Wahl Ahmadinedschads im Nachhinein legitimieren.


Ban Ki Moon gratuliert Ahmadinedschad

UN-Generalsekretär Ban Ki Moon hat dem iranischen Präsidenten Mahmud Ahmadinedschad zum Antritt seiner zweiten Amtszeit gratuliert. Ein entsprechendes Schreiben sei am 10. August verschickt worden, sagte eine Sprecherin der Vereinten Nationen am 11. August. Es handle sich dabei um ein "übliches Schreiben anlässlich eines Amtsantritts".

Der Inhalt werde jedoch nicht veröffentlicht. Der Generalsekretär der Vereinten Nationen gratuliert Staatschefs routinemäßig nach Wahlen. In der Vergangenheit haben die UN einige dieser Schreiben veröffentlicht. Die USA, Deutschland, Großbritannien, Frankreich und Italien hatten Ahmadinedschad unter anderem wegen der Auseinandersetzung um die Wahl und das brutale Vorgehen gegen Demonstranten nicht gratuliert. Die iranische Friedensnobelpreisträgerin Schirin Ebadi hatte Ban am 11. August aufgefordert, nach Iran zu reisen, um sich dort persönlich über Menschenrechtsverletzungen zu informieren.


Clinton: Bemühungen gegenüber Teheran im September neu bewerten

Die USA hoffen bei den Bemühungen um weitere Verhandlungen über das iranische Atomprogramm auf eine Entscheidung Teherans in wenigen Wochen. Die bisherigen Maßnahmen Washingtons sollten im September neu bewertet werden, sagte Außenministerin Hillary Clinton am 9. August. Eine Antwort Irans müsse bald kommen, erklärte sie im Fernsehsender CNN: "Wir werden das Fenster nicht immer offen halten." Zugleich betonte die Ministerin, dass sich die USA keine Illusionen machen.


Iranischer Ministerkandidat wegen Terroranschlags gesucht

Der designierte iranische Verteidigungsminister Ahmad Wahidi wird in Argentinien im Zusammenhang mit einem Anschlag auf ein jüdisches Kulturzentrum in Buenos Aires im Juli 1994 gesucht. Bei dem Bombenanschlag wurden damals 85 Menschen getötet und 200 verletzt. Argentinien und jüdische Organisationen reagierten empört auf die Nominierung Wahids durch Präsident Mahmud Ahmadinedschad.

Der im Fall ermittelnde argentinische Staatsanwalt Alberto Nisman sagte am 21. August der Nachrichtenagentur AP, Wahidi werde vorgeworfen, eine der Schlüsselfiguren bei der Planung und Ausführung des Anschlags vor 15 Jahren gewesen zu sein. Auf Ersuchen Argentiniens hat Interpol vor zwei Jahren Wahidi und vier weitere Iraner sowie einen Libanesen auf ihre Fahndungsliste gesetzt. Iran hat jede Beteiligung an dem Terroranschlag in Buenos Aires zurückgewiesen. "Seine Nominierung für ein Ministeramt in Iran ist mit großer Besorgnis zur Kenntnis genommen und auf das schärfste verurteilt worden", erklärte das argentinische Außenministerium. Die jüdische Vereinigung in Argentinien, Dia, äußerte sich schärfer. "Die Entscheidung des iranischen Präsidenten, der den Holocaust systematisch leugnet und zur Zerstörung des Staates Israel aufruft, stellt eine schwere Beleidigung der Opfer dar", teilte die Organisation mit.

Teheran reagierte am 23. August ungehalten auf die Kritik. Die Erklärungen aus Argentinien seien eine "eklatante Einmischung" in die inneren Angelegenheiten Irans. Teheran verurteile diese Haltung "aufs Schärfste", sagte Außenamtssprecher Hassan Ghaschghawi der Agentur Irna.

Der als Verteidigungsminister nominierte Wahidi fiel zum ersten Mal während des iranisch-irakischen Kriegs auf. Der frühere Staatspräsident Haschemi Rafsandschani berichtet in seinen Memoiren, Wahidi habe damals wichtige Informationen über US-Raketen ermittelt, die nach Iran geliefert wurden.

Diese Waffenlieferung löste in den USA die so genannte Irangate-Affäre aus. Die damalige US-Regierung unter Ronald Reagan hatte die Einnahmen aus den geheimen Waffenverkäufen an die rechtsgerichteten Contras in Nicaragua weitergeleitet.

Später übernahm Wahidi als Offizier der Revolutionswächter das Kommando über die berüchtigten al Quds-Brigaden, einer Abteilung der Revolutionsgarden, die für Militäroperationen und Terroranschläge im Ausland zuständig ist. Die argentinische Justiz sieht es als erwiesen an, dass Wahidi an der Planung des Anschlags beteiligt gewesen sei. Ob er persönlich die Hand im Spiel hatte oder Agenten der libanesischen Hisbollah schickte, ist nicht abschließend geklärt - ein Grund warum man Wahidi zu den Vorgängen vernehmen möchte.

Wahidi machte später Karriere. In der Regierung Ahmadinedschad wurde er zum Stellvertreter des Verteidigungsministers ernannt. Zuvor war er Leiter der Kommission für Politik, Verteidigung und Sicherheit des Schlichtungsrates.


36 Exil-Iraner sollen im Irak vor Gericht

Die irakische Justiz will 36 Exil-Iraner vor Gericht stellen, die bei den Unruhen Ende Juli im Lager Aschraf verhaftet wurden. Die Betroffenen hätten sich in Kürze vor Gericht in Chalis, 62 Kilometer östlich von Bagdad, wegen "Aufhetzung zur Gewalt" zu verantworten, berichtete die Nachrichtenagentur Aswat al-Irak am 16. August unter Berufung auf Justizkreise in der Provinz Dijala.

Rund 3500 iranische Volksmodschahedin leben seit mehr als 20 Jahren in dem Lager, das bislang unter dem Schutz des US-Militärs gestanden hatte. Als es Ende Juli von irakischen Sicherheitskräften gestürmt wurde, kam es zu gewaltsamen Zusammenstößen mit den Lagerbewohnern.

Nach deren Angaben wurden mindestens zehn Bewohner getötet und über 400 verletzt. Nach irakischer Darstellung wurden zwei Polizisten getötet und 66 Polizisten verletzt.


Der Iran-Report kann kostenfrei auf der Website der Heinrich Böll Stiftung abonniert werden unter
www.boell.de

Impressum:
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
Autor: Bahman Nirumand
Redaktion: Vera Lorenz
V.i.S.d.P.: Annette Maennel
8. Jahrgang


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Quelle:
Iran-Report Nr. 9/2009 - September / 8. Jahrgang
Hrsg.: Heinrich-Böll-Stiftung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 4. September 2009