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GUTE-NACHT/2329: Familie Schwalbe - Das Tagebuch (SB)


Familie Schwalbe - Das Tagebuch

Vater Menschlein blickt hinauf zum Schwalbennest. Er kann die Schwanzspitze einer Schwalbe aus dem Nest herausragen sehen, weiter aber nichts. Zu hören ist von da oben ebenfalls noch nichts. "Eigentlich müßten die Jungen jetzt schon geschlüpft sein", denkt Vater Menschlein. Dann erinnert er sich an die Zeit vor fünf Jahren. Damals hatte er ein Tagebuch über die Schwalben, die hier brüteten, geführt. Das holt er sich hervor und liest ein bißchen darin, bevor er zu Bett geht.


*


Aus dem Tagebuch einer Schwalbenfamilie


Gucky wird der Schwalbenvater bei uns genannt. Bereits im vergangenen Jahr lebte er mit seiner Familie bei uns im Hauseingang. Auch in diesem Jahr ist er wiedergekommen. Schon längst hatten wir auf die Rückkehr der Schwalben gewartet. Denn viele der anderen Zugvögel waren bereits heimgekehrt.


18.03.2002 Etwas erschreckte mich, als ich zur Haustür hinausging. Dieses etwas flog aus dem Hauseingang, als käme es direkt aus dem Schwalbennest. War es die erste Schwalbe dieses Jahres?


20.03.2002 Frisches Stroh steckt im Schwalbennest, das bereits seit einigen Jahren im Hauseingang hängt. Das Nest ist kugelig und oben offen. Immer wenn die Schwalben bisher nach dem Winter zurückkehrten, besserten sie das alte Nest aus, bevor sie mit dem Brüten begannen. Wie gemauert sehen die kleinen Nester aus, wie umgedrehte Iglus aus Lehm. Doch noch nie sah ihr Nest so wie jetzt aus. Helles Stroh ragt rechts und links aus dem Nest heraus. Diese Art des Ausbesserns ist für unsere Schwalben ungewöhnlich. Hat sich da etwa ein fremder Gast einquartiert?


23.03.2002 Auch heute begegnete mir beim Heraustreten aus der Haustür ein Vogel und ich erkannte, es ist keine Schwalbe, die sich da an dem alten Nest zu schaffen gemacht hat. Aber es war für mich auch nicht zu erkennen, welcher Vogel da so schnell davon flog. Gegen den Himmel sehen die Silhouetten der Vögel sowieso alle schwarz aus.


24.03.2002 Der fremde Vogel kehrt nicht mehr zum Schwalbennest zurück. Auch in den nächsten Tagen wird der freche Kerl nicht mehr auftauchen.


25.04.2002 Erfreuliches zu berichten: Heute ist die erste Schwalbe angekommen, genau heute. Ich trat vor die Tür und vernahm ein vertrautes Geräusch. Ohne groß zu überlegen wußte ich, die Schwalben sind wieder da. Dann erst sah ich die Schwalbe über mir dahinfliegen, so als wolle sie mich begrüßen. Heute, am Tag des Baumes, ist Gucky zurückgekehrt. Doch während der nächsten drei Tage läßt er sich bis auf dieses eine Mal nicht mehr blicken. Ob es ihm bei uns nicht mehr gefällt? Oder ob er uns das verunstaltete Nest übelnimmt?


29.04.2002 Drei Tage sind vergangen. Früh am Morgen ein Schrei: "Papa, Papa, komm mal schnell!" Was ist bloß geschehen, daß ich so dringend verlangt werde? "Schau mal da, eine Schwalbe, aber es ist bestimmt nicht Gucky. Der ist ja viel zu dick." - "Ja, jetzt sind sie endlich wieder zurück", freue ich mich mit meiner Tochter und erzähle, "vor ein paar Tagen habe ich schon mal eine Schwalbe hier am Nest gesehen. Doch scheint sie sich nicht weiter dafür interessiert zu haben. Oder ihr hat es nicht gefallen, daß sich da oben in dem Nest schon ein anderer Vogel ausgebreitet hat. Die Schwalben, zumindest die Rauchschwalben, haben das Nest nämlich oben ganz offen, wie bei einer Schale. Würde mich schon mal interessieren, wer das da oben so zugeklebt hat und ob die Schwalben sich das Nest jetzt wieder für ihre Zwecke herrichten werden, so wie sie es in den vergangenen Jahren stets taten."

Die dicke Schwalbe sitzt oben im Eingang gegenüber dem Nest auf einem Brett, das da oben befestigt ist, und schaut herunter. Ob sie uns sieht? Fast sieht es so aus, als blicke sie uns direkt in die Augen. Doch sicher sieht uns Gucky nicht. Denn wir beobachten ihn ja durch das Oberlicht in der Haustür.

Dann geht es los zur Schule. Die Haustür wird geöffnet. Nicht gleich fliegt die Schwalbe davon. Doch gerade als ich nicht hinschaue, fliegt Gucky los. Ob er heute abend wieder da ist? Wir werden sehen. "Warum ist die Schwalbe so dick?" werde ich gefragt. "Vielleicht weil sie so viele Eier im Bauch hat, die sie in den nächsten Tagen noch legen wird. Oder es ist ein altes kräftiges Männchen, das als erster angekommen ist, um das Nest vorzubereiten. Wir werden ja sehen."


06.05.2002 Eine Woche ist inzwischen vergangen. Bislang ist täglich nur eine Schwalbe hier am Nest im Hauseingang zu sehen. Morgens, wenn es zur Schule geht, sitzt sie auf dem Brett gegenüber dem Nest und blickt davon herunter. Geht die Haustür auf, fliegt sie sogleich davon. Doch am Abend, wenn es dunkel ist, sitzt sie wieder dort oben und will hier die Nacht verbringen. Noch ist sie ganz allein. Ist es das Männchen oder das Weibchen? Diese Frage ist ungeklärt.

Noch sieht das Nest gar nicht zurecht gemacht aus. Das helle Stroh, womit der fremde Vogel sich hier im Schwalbennest eine kleine Höhle gebaut und den oberen offenen Rand des Nestes bis zur Decke im Hauseingang zubegaut hat, ragt noch immer an den Seiten des Nestes heraus. Nur ein kleines Einflugloch ist offen geblieben. Im vergangenen Jahr hatte schon einmal ein fremder Vogel sich Stroh in das Schwalbennest geholt. Als die Schwalben dann zurückkehrten, schmiessen sie das Fremdwerk einfach aus dem Nest wieder heraus. In diesem Jahr ist allerdings noch nichts dergleichen geschehen. Ob das Schwalbenmännchen erst noch auf sein Weibchen wartet? Oder ob das Weibchen schon dort oben in dem Nest sitzt, es aber nicht zu sehen ist? Am liebsten würde ich einmal einen Blick von der Leiter ins Nest wagen. Doch damit könnte ich die Schwalben verscheuchen.


08.05.2002 Manchmal kommt Gucky, so nennen wir die Schwalbe wieder, auch tagsüber zum Hauseingang geflogen und ruht sich ein wenig auf dem Brett dort oben aus. Dann hält er sein Köpfchen schräg und bewegt es ruckartig hin und her, als überlege er. Der weiße Bauch und das rote Kehlchen sind von unten gut zu erkennen. Es ist eine Rauchschwalbe.


10.05.2002 Welch eine Freude: Am Morgen sitzen zwei Schwalben auf dem Brett und zwitschern mächtig. Durch das Oberlicht in der Tür können wir die Schwalben auf dem Brett gut beobachten. Doch sobald die Haustür geöffnet wird, fliegen sie davon. Meine Tochter hat mir die Neuigkeit laut zugerufen. Wir freuen uns, daß jetzt endlich zwei Schwalben da sind. Auch am Abend sind die beiden Guckys wieder da und sitzen auf dem Brett im Eingang. Wir wünschen ihnen eine gute Nacht.


11.05.2002 Es sieht so aus, als wollten die Schwalben nicht das alte Nest beziehen, sondern ein neues bauen. Denn heute abend ist an der Wand im Eingang ein dunkler Fleck wie von Dreck zu sehen, der vorher nicht da war.


12.05.2002 Mit einer Leiter wage ich mich in den Hauseingang, während die beiden Schwalben unterwegs sind. Ich bin so neugierig und will endlich wissen, was sich in dem alten Nest dort oben abspielt. Sitzt da vielleicht doch eine unserer Schwalben drin, oder brütet gar ein anderer Vogel? Doch die Leiter ist zu niedrig. Weit kann ich nicht in das Nest hineinschauen. Ich erblicke nur etwas grünes Moos, das ein weiches Nest verspricht.


14.05.2002 Spät am Abend, als es schon dunkel ist, sitzt nur eine Schwalbe auf dem Brett im Hauseingang. Wo steckt die zweite? Nein, sowas! Die sitzt doch oben an der Wand genau über dem Hauseingangsbogen. Sie hält sich dort an dem angeklebten schwarzen Zeug fest, das sicher der Grundstock für das neue Nest werden soll. Das wird bestimmt ein haltbares Nest, das nicht herunterfällt. Denn die Schwalbe testet ja jetzt schon die Haltbarkeit aus und verbringt die ganze Nacht dort oben. Bestimmt ist das unsere Schwalbenmutter.


15.05.2002 Ganz früh am Morgen sind die Schwalben noch an ihrem Nachtlagerplatz anzutreffen. Auch die Schwalbenmutter hängt noch an der Wand. Doch sobald die Haustür sich öffnet, fliegen sie davon und gehen zu ihrer Tagesarbeit über.

Emsig fliegen die Schwalben hin und her und bauen im Hauseingang das neue Nest. Von unten sieht es aus, wie ein schwarzer Matschklumpen, der da an der Hauswand klebt. Doch der Klumpen dort oben kann bereits eine kleine Schwalbe tragen.

Nicht nur zwei Schwalben fliegen über dem Hof immer hin und her. Vier Schwalben zähle ich. Ob sie alle vier hier im Eingang nisten wollen? Was ist mit dem alten Nest, das von innen mit Moos ausgestattet ist, ob dort auch bald gebrütet wird?


16.05.2002 Fleißig sind die Schwalben mit ihrem Nestbau beschäftigt. Am Abend sieht das Nest schon halb fertig aus. Es ist erstaunlich, wie schnell die Schwalben dieses kleine Meisterwerk fertig bringen und das nur mit ihren beiden Füßchen und vor allem ihrem Schnabel. Auch an diesem Abend schläft eine der beiden Schwalben wieder in dem angefangenen Nest.


17.05.2002 Den ganzen Tag geht es unermütlich um den Bau des Nestes. Hier ein Strohhalm aufgelesen, der beim Strohholen für die Kaninchen vom Wagen heruntergefallen ist, dort ein getrockneter Grashalm aufgeschnappt. Eine Menge Dinge eignen sich zum Bau eines Schwalbenestes.


18.05.2002 Den ganzen Nachmittag über lungerte eine getigerte Katze mit roten Flecken im Fell auf dem Hof herum. Sie streckte sich in der Sonne aus, geradewegs vor unserer Eingangstreppe. Die beiden Schwalben auf dem Stromkabel schimpften. Denn sie trauten sich wegen der Katze nicht zu ihrem Nest. Die Katze war aber auch zu treist. Sogar von unserem Hund, der mächtig wild auf sie reagierte, ließ sie sich nicht abschrecken oder gar verscheuchen. Schirkan soll sie heißen. Noch spät in der Nacht schlich sie auf dem Hof herum.

Abends ist von den Schwalben nur eine heimgekehrt. Sie sitzt im noch nicht ganz fertigen Nest. Wo steckt nur die andere Schwalbe, unser Gucky? Der sitzt doch sonst immer auf dem Brett an der Wand, gegenüber dem alten Nest. Oh, hoffentlich ist ihm nichts passiert. Ob sich die Schwalbendame dann ein anderes Männchen sucht? Oder ob Schwalbenpaare sich treu bleiben?


19. Mai 2007

Gute Nacht