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GUTE-NACHT/2376: Der seltsame Fremde (SB)


Der neue Sandmann (2)

An der Tür der Werkstatt des Puppenbauers klopft es. Nicht sofort antwortet der Puppenbauer. Zuerst legt er sein unfertiges Werk aus der Hand und deckt es mit einem Tuch zu. Jetzt erst bittet er den Fremden herein. Der Mann ist groß und sehr schlank. Er hat schmale lange Hände, die dem Puppenbauer sofort auffallen und auch das weißliche Gesicht. "Guten Abend", begrüßt der Puppenbauer den Fremden. Nie zuvor hat er diesen Mann gesehen.

"Guten Abend", entgegnet auch der Fremde und tritt ein, "ich habe gehört, daß sie sehr charaktervolle Puppen bauen. Die würde ich mir gern anschauen." Der Puppenbauer mustert den Fremden einen Moment, dann sagt er: "Wenn sie gekommen sind, ein Spielzeug für ihre Kinder zu bestellen. Dann ist jetzt die richtige Zeit, denn bis Weihnachten habe ich immer viel zu tun und schließlich soll doch alles bis zum Fest fertig werden." Der Fremde wendet ein: "Bis Weihnachten ist doch noch lange hin, es ist ja grad erst Sommer." Der Puppenbauer beäugt den merkwürdigen Fremden und erklärt dann: "Nun, wenn sie, wie sie schon sagten, die Puppen nur einmal sehen möchten, dann sollten sie in eine meiner Puppentheatervorstellungen kommen. Da sehen sie die Puppen im besten Licht und auch ihre Charaktere kommen dort besonders gut zur Geltung."

Der Fremde schaut sich um, er scheint etwas zu suchen. "Nun", beginnt er dann, "ich dachte eigentlich eher an eine Rohfigur, aus der erst noch eine Puppe werden soll." - "Da haben sie im Augenblick kein Glück bei mir, Herr...", sagt der Puppenbauer. Ihm ist seltsam zumute, denn unter dem Tuch auf dem Tisch liegt der unfertige Kopf der neuen Sandmannpuppe. Doch aus irgendeinem, dem Puppenbauern selbst unerfindlichen Grund, will er über diese Puppe nicht oder noch nicht sprechen und sie auch noch niemandem zeigen. Er weiß nicht einmal, ob er sie dem Vater der Drillinge, der diese Puppe bestellt hat, wirklich verkaufen will.

"Nun, wenn dem so ist, wie sie sagen", beginnt der geheimnisvolle Fremde erneut und schaut sich dabei noch einmal genau in der Werkstatt um, "dann sehen wir uns eben ein anderes Mal wieder." Mit diesen Worten klappt auch schon die Tür der Werkstatt wieder zu.

Der Puppenbauer schrickt zusammen und starrt die geschlossene Tür an. War da eben wirklich jemand gekommen und hatte mit ihm gesprochen? War er eingeschlafen und hatte einen Traum? Oder hat ihm mal wieder seine Phantasie einen Streich gespielt und ihm die Idee für ein neues Stück eingegeben? Er kann es nicht sagen. Aber plötzlich ist er sehr erschöpft und möchte nur noch seine Werkstatt abschließen und nach oben in sein Bett gehen. Dorthin wo seine Freunde die vielen Puppen, die er alle selbst gebaut hat, bereits auf ihn warten.

An diesem Abend nimmt der Puppenbauer den Rohling, der einmal die neue Sandmannpuppe werden soll mit nach oben. Eigentlich verlassen die Rohlinge die Werkstatt nicht ehe sie gesellschaftsfähig sind, das heißt nur fertige Puppen in ihrem entgültigen Kostüm verlassen die Werkstatt. Heute aber macht der Puppenbauer eine Ausnahme. Denn er hat so ein sonderbares Gefühl, daß diese Entscheidung wichtig sein könnte.

14. Juli 2007

Gute Nacht