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GUTE-NACHT/2517: Das Burggespenst (SB)


Mutter Maus im Sandmannhaus

"Du hast uns keine Überraschung mitgebracht", stellt Mäusekind Willi fest. Mutter Maus weiß gar nicht, wovon Willi spricht. "Aber du hast mir vorhin doch eine versprochen", trumpft Willi auf. "Das hab ich nicht", protestiert Mutter Maus. Aber sie will nicht streiten, weiß sie doch, wie oft sie bei einer ganz anderen Sache oder einfach in Gedanken versunken ist, wenn ihre Kinder sie löchern. Dann sagt sie schon automatisch "mhm" oder "ja" und hat gar nicht mitbekommen, was sie gerade zugesagt oder auch abgelehnt hat. "Das muß aufhören", denkt Mutter Maus, "immer schön bei der Sache bleiben." Willi zugewandt sagt sie: "Du bekommst noch eine Überraschung, aber nicht für dich allein. Auch für mich könnte es eine Überraschung sein und für deine anderen Geschwister, wenn ich herausbekomme, was der Sandmann gerade schreibt."

Willi möchte keine Geschichte. Er würde lieber selber gern Abenteuer erleben. "Ich brauche dich hier", sagt Mutter Maus und denkt, "ich habe ein ungutes Gefühl. Immer wenn alles so glatt zu gehen scheint, kommt meist etwas Unvorhergesehenes auf uns zu." Dann zu Willi gewandt, sagt sie: "Paß gut auf, wenn ich mich morgen, um einiges zu besorgen, gleich in der Frühe auf den Weg mache. Jetzt aber laßt uns alle schlafen." - "Eine Geschichte, eine Geschichte", fordern die kleinen Mäuse. "Also gut, eine kurze", gibt Mutter Maus nach.


*


Es war einmal ein Burggespenst. Das wachte immer auf, wenn die Turmuhr um Mitternacht schlug. Dann nach einer Stunde, sobald die Geisterstunde vorbei war, wurde das Gespenst wieder müde und legte sich in seine alte Kommode zum Schlafen nieder, um in der nächsten Nacht erneut um 0.00 Uhr zu erscheinen. Das Burggespenst war nicht dumm, es hatte bereits mitbekommen, daß es der Turmuhr nach nur eine Stunde wach war, während es die anderen elf Stunden schlief. Das Gespenst glaubte, daß von einmal Wachwerden zum nächsten Mal Wachwerden nur zwölf Stunden vergehen. Es wußte ja nicht, daß der Stundenzeiger der Uhr während es schlief, gleich zweimal die ganze Runde umlief, der Minutenzeiger sogar vierundzwanzig Mal und der Sekundenzeiger gleich sechzig mal vierundzwanzig Mal. Das waren dann gleich eintausendvierhundertvierzig Mal.

Was aber geschah alles in dieser Zeit? Das Burggespenst war neugierig und versuchte, nicht mehr einzuschlafen, wenn die Stunde herum war. Doch wo es auch steckte, sobald die Geisterstunde endete, fiel es in tiefen Schlaf. Das Gespenst versuchte nun immerwieder gegen den Schlaf vorzugehen. Eines Nachts kam es auf den Gedanken den Zeiger der Uhr einfach anzuhalten. Aber das gelang dem Gespenst nicht. Denn bei diesem Versuch brachen die Zeiger der Uhr ab. Sie waren im Laufe der Jahre ganz verrostet und nun gebrochen. Genau in dem Moment als die Zeiger brachen, hielt plötzlich die Zeit an und alles was damit verbunden war. Da es aber keine Zeit mehr gab, verschwanden auch die vielen Dinge und lösten sich von einem auf den anderen Moment in Nichts auf, die Kommode, der Dachboden, die Burg und auch das Gespenst. Denn nichts war mehr wichtig, es gab keine Zeit mehr.


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Im Mäusenest ist es mucksmäuschenstill. Ob denn wirklich einfach alles so verschwinden kann, auch sie selber? Den Mäuschen stellen sich ihre Fellhaare zu Berge. Das Kleinste beginnt zu weinen. "Nicht traurig sein, das Gespenst taucht ja wieder auf", flüstert Mutter Maus dem Kleinen ins Ohr. So kann es beruhigt einschlafen.

2. Januar 2008

Gute Nacht