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GUTE-NACHT/2650: Ein Pfennig auf Reisen - Ausgebreitet (SB)


Ein Pfennig auf Reisen

"Was machst du denn hier?" fragt der goldene Knopf den kleinen Pfennig, als die beiden in den Falten des Taschentuches, das sich in der Kinderhosentasche befindet, zusammenstoßen. "Anders herum wird ein Schuh daraus", kontert der Pfennig, der diesen Spruch irgendwo einmal aufgeschnappt hat und ihn jetzt endlich anbringen kann, "wie kommst ausgerechnet du hierher?"

Etwas Licht fällt gerade durch die Öffnung der Hosentasche in den Innenraum hinein. Denn das Kind leert jetzt den Inhalt derselben und möchte seine gefundenen Schätze bestaunen. Tief greift die kleine Hand in die Hosentasche hinein und zieht das schmutzige Taschentuch mit dem Popel, den wenigen noch übrig gebliebenen Brotkrümeln, den goldenen Knopf und den kleinen Pfennig heraus. Das Taschentuch wird auf der Wiese ausgebreitet und die gefundenen Utensilien darauf verteilt. Dann greift das Kind noch einmal in seine Tasche, um zu prüfen, ob wirklich nichts mehr darin steckt. Zu seiner eigenen Verwunderung findet es noch einen abgeschleckten Eisstiel und eine ganz winzige Muschel. "Da steckst du also!", freut sich das Kind, als es die letzten Funde aus seiner Hosentasche ans Tageslicht befördert.

Nun ist die zweite Hosentasche an der Reihe. Die linke Hand greift hinein und bringt mehrere kleine Steine, eine Briefmarke, einen Radiergummi, einen Zettel und eine Büroklammer hervor. Noch ein weiteres Mal greift die Hand in die Tasche und etwas Moos und eine kleine Figur kommen zum Vorschein. Alles wird mit Bedacht auf dem Taschentuch plaziert. Dann beginnt das Kind zu sprechen. "Darf ich mich vorstellen", sagt es und verbeugt sich, "mein Name ist..."

Nach einer kurzen Überlegung, als würde das Kind sich jetzt erst einen passenden Namen aussuchen, fügt es hinzu: "Also mein Name ist Eulalia. Aber nennt mich einfach Eule. Denn ich bin sehr scharfsichtig, wie die Eule in der Nacht. Mir entgeht nichts. Nicht einmal du mein Popel." Damit nimmt das Mädchen den Popel und steckt ihn sich zurück in die Nase: "Hier ist es doch besser, nicht wahr? Hier gehörst du hin."

Die Hose von Eule hat nicht nur eine rechte und eine linke Hosentasche vorne, sondern auch noch zwei Taschen am Hinterteil. Aus einer dieser Taschen lugt ein winziges geschwungenes Brettchen hervor, unter dem vier Räder angebracht sind. "Das ist ein Fingerskateboard", erklärt Eule ihren Zuhörern, "aber was soll mein Finger schon dahinrollen, wo er doch fliegen kann." Bei diesen Worten läßt Eule ihre Hand durch die Luft segeln und vorsichtig landen. Danach stellt sie mit eben dieser Hand das Mini-Skate-board, das bunt verziert ist, vor der kleinen Figur ab, die sie ebenfalls aus einer ihrer Hosentaschen gezogen hat.

"Ist das nicht ein tolles Geschenk für dich?" fragt Eule. Plötzlich ertönt eine Stimme: "Emma, Emma! Wo steckst du? Es ist Zeit für's Abendbrot!" Emma? Eulalia? Eule? Nunja, Eule ist Eulalia und eigentlich Emma. Emma kramt all die ausgelegten Dinge wieder zusammen und stopft sie diesmal in nur eine Hosentasche. Darin wird es ganz schön eng. "Abendbrot!" sagt Eule, "das ist lecker, aber danach muß ich gleich wieder ins Bett. Das ist blöd."


Erstveröffentlichung am 25. September 2003

6. Juni 2008

Gute Nacht