Schattenblick →INFOPOOL →KINDERBLICK → GESCHICHTEN

GUTE-NACHT/2796: Der Schreck kam aus dem Küchenschrank (SB)


Gute Nacht Geschichten - Wilhelm Wunderlich


Die Wiese ist leicht naß und auch die Bank im Park ist von einem feuchten Glanz überzogen. Auf dem Kompost liegt ein fauliger Kürbiskopf, der wohl bald in sich zusammenfällt. Eine einsame Sonnenblume läßt ihren Kopf hängen. Würde sie nicht von einer Holzkrücke gestützt, sie kröche schon längst am Boden. Nur noch ein paar wenige Sonnenblumenkerne warten darauf, herausgepickt zu werden. Die letzten Tagetes schimmern in Orange und Rostbraun. Hätten sie in Töpfen auf den Fensterbänken gestanden, würden sie jetzt sicherlich schon dem Kürbis auf dem Kompost Gesellschaft leisten.

Doch Parkwächter Wilhelm hat es bisher nicht übers Herz gebracht, die einzigen letzten Blüten auch noch aus den Beeten zu reißen. Aus einer gewissen Entfernung sehen die Tagetes schließlich noch recht hübsch aus. Aber nicht mehr lange werden sie sich dort halten können. Wilhelms Vorgesetzter hat ihm schon eindeutig zu verstehen gegeben, daß die letzten Tage des Novembers dafür genutzt werden sollen, den Park und alle übrigen Anpflanzungen im Ort winterfest zu gestalten. Das bedeutet, auf allen Beeten bleibt nur noch die braune Erde zurück, alle Blätter sollen fortgefegt sein und nirgends darf mehr etwas herumstehen, das nach Gartenaktivität aussieht.

"Ich soll wohl noch die letzten Blätter von den Bäumen pflücken, damit alles o_r_d_e_n_t_l_i_c_h ist", schimpft Wilhelm. Na, eines hat er jedenfalls erreicht. Die Parkbank darf den Winter über draußen stehenbleiben. Vielleicht setzt sich ja doch der eine oder andere Spaziergänger mal hin und ruht sich aus. An manchen Tagen ist es schließlich auch im Winter recht angenehm.

Wilhelm Wunderlich holt aus dem Schuppen den Plastikbeutel mit Vogelfutter. "Verflixt! Sind doch schon wieder die Mäuse im Schuppen eingezogen", stöhnt Wilhelm, "aber irgendwo müssen ja auch sie den Winter über bleiben. Dann lieber hier im Schuppen, als zuhause in meinem Küchenschrank." Wilhelm erinnert sich noch an vergangenes Jahr.

Eines Morgens, Wilhelm deckt sich gerade den Frühstückstisch, geht er zum Schrank und will das Brot herausnehmen. Da springt ihn doch so eine winzige Maus genau an. Wilhelm schreit laut auf. Die Maus springt von seinem Pullover direkt auf den Fußboden und verschwindet hinter der Spüle.

Es hat Wilhelm einige Mühe gekostet, alle Löcher in der Küche ausfindig zu machen und sie zuzustopfen. Doch dann war wieder Ruhe eingekehrt.

Hier im Schuppen ist es nicht möglich, die ganzen Löcher zuzustopfen. Da wird Wilhelm mit den Mäusen leben müssen. "Na, eigentlich sind es ja recht niedliche Tierchen", findet Wilhelm, "nur wenn man so ganz unerwartet aus heiterem Schrank von so einem Winzling angesprungen wird, ist es nicht verwunderlich, daß man erschrickt. Wer erwartet schließlich Mäuse im Brotschrank! Da gehören sie nun wirklich nicht hin. Sie hinterlassen einen ganz schönen Mäusedreck und außerdem stinkt es mächtig."

Die noch übrig gelassenen Körner und Sonnenblumenkerne schüttet Wilhelm in das Vogelhaus. In Zukunft wird er das Vogelfutter täglich mitbringen und im Schuppen nichts Freßbares mehr herumliegen lassen. Die Mäuse werden auch so genug finden. Da ist sich Wilhelm ganz sicher.

Jetzt muß Wilhelm an Sokrates denken. Sokrates war eine kleine weiße Maus, die früher einmal in Wilhelms schwarzem Schrank gewohnt hat. Doch das war zu einer anderen Zeit und ist eine andere Geschichte.

29. November 2008

Gute Nacht