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GUTE-NACHT/2904: Auf der Suche (SB)


Gute Nacht Geschichten


Müde sitzt Egon an seinem Schreibtisch und kratzt sich mit dem Bleistift am Kopf. Wie soll er, der berühmte Krimi-Autor, eine Kindergeschichte erfinden und damit auch noch ein ganzes Buch füllen? "Das ist doch schier unmöglich!", schimpft Egon, "ich bringe nur Raub und Mord zu Papier. Damit raube ich den Kleinen doch jeglichen Schlaf." Egon gähnt.

Wie war er eigentlich in diese Situation hineingerutscht? Nun ja, seine Krimis wurden in letzter Zeit nicht sonderlich verkauft. Der Verlag, für den er tätig ist, hat in diesen Zeiten mehr Absatz mit Vampirgeschichten, Fantasyromanen oder auch Thrillern und nicht zuletzt mit Kinderbüchern zu verbuchen. Krimis stehen nicht hoch im Kurs. Der Verleger hatte deshalb Egon gebeten, doch einmal für ein anderes Genre zu schreiben. Aber Egon tat sich schwer damit. Darum mußte er sich auch bereits einen Vorschuß holen, um überhaupt seine Rechnungen bezahlen und sich seine Brötchen leisten zu können.

Versucht hatte er es ja. Doch Fantasygeschichten mit Einhörnern, Feen und Elfen oder Zauberern und Hexen, das war nicht sein Ding. Er kannte sich mit gerissenen Gangstern und ihren Gegnern aus, aber nicht mit diesen Fabelwesen. Dann wurde die nächste Miete fällig und Egon wollte sich erneut einen Vorschuß holen. Diesmal war der Verleger nicht so freigiebig. "Wie wollen sie den Vorschuß denn wieder einbringen?", fragte er gleich. "Mir wird schon eine gute Geschichte einfallen. Ich arbeite gerade daran. Ein Hund spielt dabei mit. Das zieht doch immer." Das mit dem Hund hatte Egon nur so gesagt. Es war ihm gerade eingefallen, denn er dachte an seine Nachbarin, die ihrem Jungen gerade einen kleinen Hund gekauft hatte.

Grübelnd sah der Verleger aus dem Fenster und Egon hoffte, er würde ihm nun hoffentlich den Vorschuß gewähren. Da drehte sich der Verleger um und fragte: "Mit einem Hund?" - "Ja", beteuerte Egon. Dem Verleger schien etwas einzufallen, womit Egon den Vorschuß wieder ausgleichen könnte, und er begann wie folgt: "Sie wissen doch, daß die Leihmann aus der Kindersparte nicht mehr bei uns ist..." Egon erinnerte sich, sie war die beste Geschichtenerzählerin des Verlages. Als sie dann nach einer finanziellen Erhöhung fragte, kam der Verlag diesem nicht nach und so ließ sie sich abwerben. Jetzt saß der Verlag ohne sie da und brauchte dringend eine gute Geschichte für ein neues Kinderbuch. "Sie können die Leihmann vertreten, natürlich nur bis wir einen Ersatz für sie bekommen haben. Aber das sollte uns ja nicht schwer fallen. Es gibt genug Schreiberlinge, die sich für Kinder ins Zeug legen." Egon ärgerte sich. Schreiberlinge hatte der Verleger gesagt. Damit wollte er nur den Preis für die Schreibarbeit herunterdrücken. Es war gar nicht so einfach, Autor zu sein. Man mußte etwas erfinden, das bis zu dieser Zeit noch gar nicht da war. Man mußte sich Leute ausdenken, ihnen Namen und Kontur verleihen und sie zum Leben erwecken. Sicher, der eine oder andere hatte Ähnlichkeit mit wirklichen Personen. Doch im Grunde mußte ein Autor alles neu entwickeln.

"Nun wie ist es?", holte der Verleger Egon aus seinen Gedanken zurück, "schlagen sie ein und schreiben sie für uns ein Kinderbuch, in dem es um einen Hund geht." Egon dachte an seinen Vermieter und wollte nicht, daß dieser in den nächsten Tagen gegen seine Tür klopfen würde, so schlug er lieber ein. Damit war es besiegelt und Egon konnte sich erneut einen Vorschuß mitnehmen. Das neue Buch allerdings sollte bereits in wenigen Wochen fertig sein - der Rohentwurf schon in einer Woche. Das war gestern gewesen. Egon hatte seine drei Geschichten eingepackt und sie zum Verlag getragen. Seine Nachbarin mit ihrem Sohn Collin hatten ihm bei seinem Entwurf ohne es zu ahnen Pate gestanden. Den Namen des Jungen hatte er selbstverständlich verändert. Schließlich sollte niemand wissen, wer ihn da inspiriert hatte. In seinem Buch würde später im Vorspann stehen "Ähnlichkeiten mit lebenden Personen sind rein zufälliger Natur".

Mit drei Geschichten unter dem Arm betrat Egon erneut das Büro seines Verlegers. Dieser las die Geschichten sogleich durch. Egon begleitete ihn dabei mit den Worten: "Nun, ich werde die Storys noch ein bißchen zu überarbeiten haben, aber im Grunde sind sie fertig und die Weiterführung steht bereits in meinem Kopf geschrieben." Der Verleger rümpfte die Nase. Er war gar nicht einverstanden mit diesen drei Geschichten. "Das geht so nicht. Sie können dem Helden eines modernen Kinderbuches doch keinen uralten Namen verpassen. Zwar erinnert der Name an Heldentum und Leidenschaft. Aber Egon, kein Kind wird heute mehr Siegfried getauft, das ist doch die eigentliche Bezeichnung der Abkürzung für Siggi."

Egon mußte seinem Verleger Recht geben. Die Namensgebung hatte er stets als das Schwierigste angesehen. Für seine Krimis war es kein Problem, sie ähnelten sich eh alle, aber für dieses neue Kinderbuch, da war er schon ratlos gewesen. "Nun den Namen können sie ja noch ändern", entgegnete Egon, "das ist ja mit den heutigen Computern kein Problem mehr. Ein Knopfdruck und schon heißt der Knabe Bernd oder Schaschlik oder Collin." Collin war Egon gerade so herausgerutscht. Dieser Name schien dem Verleger zu gefallen. Doch das mußte Egon unbedingt verhindern, wegen des Namensschutz oder so. Auf Anhieb fiel Egon ein gutes Gegenargument ein: "Für ein Kinderbuch in deutscher Sprache ist es wohl nicht angebracht einen englischen Namen zu verwenden." Egon hatte absichtlich den Namen des Nachbarjungen nicht noch einmal wiederholt, um ihn nicht im Kopf des Verlegers festzuschreiben.

Doch der Verleger war bereits zu seinem zweiten Kritikpunkt gekommen. "Egon, sie haben keinen Hund! Stimmts?" Egon nickte. "Sehen sie, das merkt der Leser gleich. Und selbst wenn die Kinder es toll finden, daß ihr sogenanntes Fellbündel mit im Bett schläft, die Eltern werden sich zweimal überlegen, ob sie dieses Buch, das ihre Autorität geradezu untergräbt, kaufen werden. Und - wer hat das Geld und bezahlt die Bücher?" Egon mußte einsehen, daß es wert war, einmal das Ganze aus dieser Sichtweise zu beleuchten. Er stellte fest, jetzt hatte er gleich zwei Probleme. Das erste war, ein Buch für Kinder zu schreiben und das zweite war, eines herauszubringen, das die Eltern den Kleinen auch kaufen würden. "Verdammt", schimpfte Egon in sich hinein. Sein Vorschlag für das erste Kinderbuch in seinem Leben, das er nicht einmal hatte schreiben wollen, war abgelehnt. Was jetzt? Eigentlich hatte er die drei Geschichten hierlassen und im Gegenzug dafür einen erneuten Vorschuß kassieren wollen. Damit aber brauchte er jetzt dem Verleger erst gar nicht zu kommen.

Dieser reichte Egon die Mappe mit den Geschichten zurück. Es war ein Wunder, daß er sie nicht gleich in den Papierkorb geworfen hatte, so wie er dieses schon in früheren Zeiten getan hatte. Aber er war vorsichtiger geworden im Umgang mit dem anvertrauten Gedankengut seiner "Schreiberlinge". Bereits einmal war er wegen Zerstörung fremden Gedankenguts verklagt worden.


Das Telefon klingelt. Egon schreckt aus dem Schlaf hoch. Er weiß gar nicht, wo er sich befindet. Dann erkennt er seinen Schreibtisch und nimmt das Schrillen des Telefons deutlich wahr. Doch nur noch einmal klingelte es. Als Egon abnimmt, hat der Anrufer am anderen Ende bereits aufgelegt.

"Es wird Zeit, daß ich ins Bett gehe. Vielleicht fällt mir ja im Schlaf etwas Passendes ein." Damit zieht sich Egon in sein Schlafzimmer zurück und verschließt die Tür.

9. April 2009

Gute Nacht