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GUTE-NACHT/2921: Besuch aus dem Versteck (SB)


Gute Nacht Geschichten


Nach seinem Sturz mit dem Käfig - einen ganzen Absatz die Treppe hinunter - und seinem folgenden Flug mit anschließendem Aufklatschen gegen die nächste Wohnungstür, war es ein Wunder, daß Mäuserich Sokrates noch am Leben war. Gunnar hatte ihn zu der nächsten Tierarztpraxis gefahren. Die dortige Tierärztin untersuchte den kleinen Kerl und fand ihn zwar geschockt, aber doch bei guter Gesundheit. Damit der Halter sich aber keine Sorgen machte, behielt sie die Maus noch über Nacht zur Beobachtung in der Praxis. Sie hatte Tiernotdienst und war sowieso anwesend.

"Morgen können sie den Käfig mit ihrer Maus wieder abholen." Sie nahm den Käfig und trug ihn in den Warteraum für die kleinen Patienten. Hier waren noch weitere Tiere vor Ort, ein alter Kater namens Läusepeter, der so viele Frösche gefangen und gefressen hatte, daß er davon blind geworden war, eine Schildkröte, die Husten hatte, zwei Wellensittiche, die einfach nicht aufhören wollten, sich ihr Gefieder auszureißen und eine weitere weiße Maus in einem Käfig, der Sokrates Behausung verplüffend ähnlich sah.

Damit die kleinen Mäuse nicht vor Angst vergingen, stellte die Ärztin die beiden Käfige dicht nebeneinander. So konnten sich die beiden Mäuse beschnuppern. Den Käfig mit der alten Katze stellte die Ärztin ganz unten auf den Fußboden. Zwar konnte Läusepeter nichts mehr sehen, aber riechen konnte er noch besonders gut.

Während der Nachtschicht sah die Tierärztin des öfteren nach ihren Patienten, auch wenn alles ruhig war. Später dann aber war sie an ihrem Schreibtisch eingeschlafen und im Wartesaal nicht mehr gesehen.

Sokrates erkannte sofort, daß im Käfig nebenan ein Mäusefräulein weilte. Ihr Fell war ebenfalls weiß und ihre Augen rot wie die seinen. Das spornte ihn enorm an, Kontakt mit ihr zu schließen. Leider war die junge Dame ganz und gar nicht von ihm angetan. Sie hielt sich da lieber an einen sicher unerwünschten Gast. Als es dunkel wurde, war ein graues Mäuschen aus seinem Versteck gekommen und hatte sich von dem Futter geholt, das für die Patienten hier lag. Es konnte nicht das erste Mal gewesen sein, daß er sich hier bediente. Zielstrebig war er zu dem Sack mit dem Körnerfutter gelaufen. Auf dem Weg dorthin kreuzte er den Käfig des Katers. Dem machte er eine lange Nase, denn der konnte ihm ja nichts anhaben dort in seinem Käfig. Hätte das graue Mäuschen gewußt, daß der Kater ihn gar nicht sehen konnte, hätte ihm das Ärgern wohl nicht so viel Spaß bereitet.

Danach schaute er hoch. War seine Mäusefreundin etwa schon entlassen worden? Nein, nur der Käfig stand wo ganz anders. Dort hinauf kletterte das Mäuschen, nachdem es die erste Ladung Futter nach Hause gebracht hatte. Wo dieses Zuhause lag, wird nicht verraten. Schließlich könnten wir es ja der Tierärztin erzählen.

Freudig grüßte das Mäusefräulein und half dem grauen Mäuserich in ihren Käfig hinein. Der war schlank und paßte gerade so durch die Gitterstäbe hindurch. Das weiße Mäuschen bot ihm von ihrem leckeren Futter an. Doch der graue Mäuserich lehnte dankend ab. "Nein, nein, sonst bekomme ich eine so dicke Wampe, daß ich später nicht wieder aus dem Käfig verschwinden kann." Das weiße Mäuschen und der graue Mäuserich vergnügten sich. Sokrates hielt sich die Ohren zu. Er wollte nichts mehr von der jungen Dame wissen. Doch so sehr er sich auch bemühte einzuschlafen, er kam aus dem Grübeln nicht heraus, warum die weiße Maus einen grauen Kerl ihm vorzog. "Der hat doch keine Manieren!", schimpfte Sokrates vor sich hin. Endlich schlief er ein.

30. April 2009

Gute Nacht