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GUTE-NACHT/3034: Aus dem Mülleimer in die Kitteltasche (SB)


Gute Nacht Geschichten


Es ist nach Schulschluß. Alle Schülerinnen und Schüler der ersten bis zur vierten Klasse sind bereits nach Hause gegangen. Auch in dem Musik- und dem Kunstraum sind keine Kinder mehr zu sehen. Da rücken die Frauen mit den Besen und Putzlappen an. Raumpflegerinnen werden sie genannt. Elsbeth und Marie sind zwei von ihnen. Sie nehmen sich den Musikraum vor.

"Herrje, Marie, du sollst die Papierkörbe nur ausleeren. Was kramst du jetzt schon wieder darin herum? Wenn die Kinder etwas wegschmeißen, sollen sich doch die Eltern darum kümmern und nicht wir!", schimpft Elsbeth, "so werden wir ja nie fertig. Und schau nicht so lange unter die Tische. Einfach einmal das Fach leerwischen und alles rinn in den Mülleimer damit. Das Brot, das sie liegenlassen, wollen sie morgen sowieso nicht mehr essen. Die Gören gehören einfach besser erzogen."

"Das Erziehen ist aber nicht unsere Aufgabe", entgegnet Marie und leert vorsichtig den Mülleimer in den großen blauen Sack aus. Dabei schaut sie genau hin, was sich im Mülleimer befindet. Es könnte ja sein, daß etwas in den Mülleimer geraten ist, das besser nicht im städtischen Müllschlucker landen sollte. Maries Tochter hat ihr einmal berichtet, daß die Jungs den Mädchen ihre Ranzenanhänger stibitzen und dann in den Müll werfen. Nur so zum Spaß und um die Mädchen zu ärgern. Es ist schon vorgekommen, daß den Mädchen das Fehlen ihres Anhängers erst zuhause auffiel. Ohne Maries Hilfe hätten sie ihre lieben Kleinen nicht wieder bekommen.

Aber nicht nur Kuschelanhänger, sondern auch andere Dinge hat Marie schon aus den Mülleimern gerettet. Schulbücher, noch nicht vollgeschriebene Hefte und sogar ein Armband. Einmal hat sie einen kleinen Glasteddybären gefunden. Dem Teddy war ein Ohr abgebrochen worden und wurde wahrscheinlich deshalb heimlich weggeworfen. Marie fand den Teddy und auch das Ohr. Sie klebte es zuhause wieder an und brachte das Glastierchen dann am übernächsten Tag wieder mit in die Schule. Aber daran will Marie nicht mehr denken. Denn beinahe wäre sie durch diese Tat ihre Arbeit in der Schule los geworden. Man hatte sie verdächtigt, das Bärchen gestohlen zu haben. Nur weil Elsbeth ihr zur Seite stand und bestätigen konnte, daß Marie das Glastier in dem Mülleimer gefunden hatte, wurde von einer Kündigung abgesehen. Seitdem faßt Elsbeth in keinen Mülleimer mehr hinein und rät auch Marie immer wieder, nichts und niemand mehr aus einem Mülleimer zu retten. "Selbst wenn es der Direktor persönlich ist, der in dem Müllcontainer steckt", sagt sie immer, denn der hatte sie bei der Geschichte mit dem Glasbärchen am meisten geärgert.

"Ich werde schon mal in der Schulbücherei putzen gehen!", sagt Elsbeth, "wir sind hier ja so gut wie fertig." Marie weiß, daß sie jetzt jede Menge Zeit hat, denn wenn Elsbeth erst einmal ein Buch in die Hand nimmt, um es abzustauben, vergißt sie die Welt um sich herum und kann nur noch lesen. Marie putzt dann alles, was noch ansteht und holt Elsbeth erst danach wieder in der Bücherei ab.

Auch in dem Kunstraum steht ein voller Papierkorb. Marie entdeckt eine kaputte Schere, viel buntes Papier, das höchstens noch zu Pappmaschée verarbeitet werden kann und ...

"Was ist denn das?", fragt Marie und zieht eine Kordel zwischen den Pappen hervor. "Aber nein, das ist ja gar keine Kordel, wie ich zuerst dachte. Das sind ja zwei Puschen, und ein dicker Bauch taucht auch noch auf. Na und sogar ein Kopf. Aber der hat nur ein Ohr. Irgendwie finden wohl immer die Tiere mit Ohrproblemen zu mir?", lacht jetzt Marie. Sie zieht das entdeckte Etwas aus dem Papierkorb heraus. Dann schüttet sie den Rest in den blauen Sack. Aber halt! Da taucht ja noch so ein kleines Viehchie auf!"

"Bist du immer noch nicht fertig?", ruft da eine Stimme. Elsbeth ist zurück. Marie steckt die beiden Tierchen in ihre Kitteltasche und beeilt sich. "Ich komme ja schon. Sind in der Bücherei alle Bücher ausgeliehen oder wieso bist du so schnell wieder hier?" - "Die Handwerker sind da, wir können erst morgen saubermachen", erklärt Elsbeth ihre baldige Rückkehr. Schnell werden die Besen und die Putzlappen in die Putzkammer gesteckt und die Kittel dazu gehängt. Als Elsbeth abschließen will, fällt Marie plötzlich ein: "Warte, heute ist bei mir Waschtag, ich nehme meinen Kittel mit nach Hause."

Elsbeth stöhnt, schließt aber noch einmal auf. Dann gehen die beiden zusammen zum Haupteingang. Diese Tür braucht Elsbeth nicht abzuschließen. Das erledigt später, wenn auch die Handwerker gegangen sind, Hausmeister Gröschi. Die beiden Frauen gegen zusammen noch ein Stück über den Schulhof und wünschen sich gegenseitig einen schönen Feierabend. Bei den Müllcontainern trennen sie sich. Hier wirft Elsbeth die beiden blauen Säcke hinein, die heute angefallen sind. "Gute Reise!", sagte sie. Ob sie dabei vielleicht an den Direktor denkt?

22. September 2009

Gute Nacht