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GUTE-NACHT/3251: Der kleine Nachtwächter im Brombeerhag (SB)


Gute Nacht Geschichten

Die Laterne in der einen, die Taschenlampe in der anderen Hand geht der kleine Nachtwächter durch die Stadt. Ein lauer Wind streicht ihm um die Nasenspitze. Ansonsten ist er wie meistens allein. Sein Kätzchen Mathilda ist ebenfalls nicht bei ihm. Es nieselte, als der kleine Nachtwächter losmarschierte. Da beschloß er, daß Mathilda zuhause bleiben soll, um sich nicht zu erkälten.

Nach der Runde durch die Stadt folgt der Rundgang auf der Stadtmauer. Dort oben weht ein etwas heftigerer Wind. Der kleine Nachtwächter geht so vor sich hin und hält den Blick über die Stadtmauer gerichtet. Plötzlich ist ihm, als ob er am Ärmel gepackt wird. Schnell dreht er sich zu dem Angreifer um. "Wieso ist hier niemand", denkt der kleine Nachtwächter.

"Bin ich denn ein Niemand", schimpft der Busch. "Oh, Verzeihung!", entschuldigt sich der kleine Nachtwächter, obwohl doch der Busch sich mit seiner Unfreundlichkeit hätte entschuldigen können. "Nein, nein, nein. Ich brauche mich nicht klein zu tun!", meint der Busch, "ich bin ein gut tragender Brombeerstrauch und habe etwas zu bieten. Meine Früchte sind die leckersten und süßesten in der ganzen Umgebung. Kleiner Nachtwächter, du darfst gern einmal kosten."

Das läßt sich der kleine Nachtwächter nicht zweimal sagen. Besonders weil ihm schon seit einiger Zeit der Magen knurrt. "Mhm! Sind die lecker", bestätigt der kleine Nachtwächter, und er greift gleich noch einmal in den Busch. "Autsch!", entfährt es ihm da, "ich glaube, ich blute!"

"Nunja, ich bin ein Brombeerbusch und ein solcher hat nun einmal Widerhaken, schließlich bin ich ein Rosengewächs. Außerdem benötige ich die Häkchen, um mich an Zäunen und Hauswänden oder anderen Pflanzen empor zu ranken. Ich möchte doch nicht, daß meine glänzendschwarzen Früchte auf dem Boden liegen."

Der kleine Nachtwächter nimmt seinen Finger, den er sich nach dem Schmerz in den Mund gesteckt hat, um das Blut zu saugen, wieder aus dem Mund. Vorsichtig greift er noch einmal in den Busch, um sich eine weitere Brombeere zu pflücken. Dann hält er die Brombeere gegen das Licht seiner Laterne, die er auf dem Boden abgestellt hat, und besieht sich die Frucht genau. Verwundert fragt er: "Warum besteht eine Brombeere eigentlich aus so vielen kleinen Kullern?"

"Nun", beginnt der Brombeerbusch zu erklären, "weißt du denn nicht, daß Brombeeren Sammelfrüchte sind? Jede einzelne Kugel ist eine kleine Steinfrucht und zusammen ergeben sie eine Brombeere." - "Komisch!", meint der kleine Nachtwächter, "ich sehe gar keine Steine und auch keine Kerne." - "Nun ja, das liegt daran, daß die Steine winzig klein sind."

"Aber trotz der winzigen Steine schmecken Brombeeren total lecker", stellt der kleine Nachtwächter fest und will noch einmal in Höhe seiner Lampe, damit er die Dornen besser sieht, in den Busch greifen. "Nein, nein nein!", kommt es da von dem Busch, "bloß nicht die Beeren von dort unten essen, jedenfalls nicht ungekocht. Am besten ist sowieso, du pflückst die Beeren ganz oben und bereitest zuhause daraus Marmelade zu." - "Aber warum denn", möchte der kleine Nachtwächter wissen. "Nun, es gibt einen Fuchs in der Stadt, der manchmal auch hier oben auf der Stadtmauer daherwandert und gerne sein Geschäft gerade an meinem Busch erledigt. Dadurch kann er Würmer auf meine Beeren übertragen, die sich dann auch in den Menschen zuhause fühlen, wenn diese von den verunreinigten Früchten naschen."

Dem kleinen Nachtwächter wird ganz anders. Aber der Busch hat ihn ja rechtzeitig gewarnt. "Also gut", beginnt der kleine Nachtwächter, "dann bringe ich mir morgen ein kleines Gefäß mit und pflücke mir von deinen Beeren. Daraus koche ich mir dann Marmelade. Mathilda darf wohl auch ein bißchen schlecken. Jetzt aber ist mein nächsten Rundgang durch die Stadt an der Reihe. Also bis morgen."

Da verabschiedet sich auch der Busch von dem kleinen Nachtwächter und läßt ihn endlich los.


3. September 2010

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