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GUTE-NACHT/3261: Der kleine Nachtwächter trifft Matze (SB)


Gute Nacht Geschichten

Ein Lied pfeifend zieht der kleine Nachtwächter seine Runden - die Taschenlampe in der einen, die Laterne in der anderen Hand. Zuerst nimmt sich der kleine Nachtwächter heute die Straßen in der Stadt vor. Dann folgt der Rundgang oben auf der Stadtmauer. Plötzlich fällt ihm ein, daß er gar nicht in der schmalen Gasse neben dem Mäuseturm nach dem Rechten gesehen hat.

Noch bevor er nun eine Rast einlegt und sein Nachtmahl zu sich nimmt, steigt er von der Stadtmauer wieder herunter und sucht die Mäuseturmgasse auf. Es ist recht dunkel darin. Die Straßenbeleuchtung ist in diesem Bereich der Stadt nicht so ausreichend angebracht wie in manch anderen Stadtteilen.

Der kleine Nachtwächter schreitet vorsichtig voran. Hier in diesem Gässchen hat er schon so einiges erlebt. Einmal hatte eine Ratte versucht, ihn zu beißen. Ein anderes Mal fand er einen einzelnen Schuh, dann noch einen, bald die Strümpfe und weitere Kleidungsstücke. Die Sachen gehörten einem alten Mann. Ihn fand der kleine Nachtwächter allein und verwirrt. Manchmal ist es so, wenn Menschen älter werden, daß sie nicht mehr wissen, was sie tun und sich an vieles nicht mehr erinnern, nicht einmal an ihr Zuhause. Aber der kleine Nachtwächter konnte dem alten Mann helfen und geleitete ihn sicher heim.

In der Mitte der Mäuseturmgasse angekommen, bleibt der kleine Nachtwächter stehen. Irgend etwas türmt sich da 30 Schritte weiter vorn vor ihm auf. "Ist das ein Mann mit einem Rücken so breit wie ein Schrank?", fragt er sich und bekommt ein bißchen Herzflattern. Wer weiß schon, was so ein großer Mann, der sich noch spät nachts in einer Gasse herumtreibt, für Gedanken hegt. Dann aber erkennt der kleine Nachtwächter, daß es kein Mann da vor ihm ist. "Vielleicht ist es wirklich ein Schrank oder ein anderes Möbelstück", überlegt er. Vorsichtig tritt er näher heran, falls sich das Möbelstück doch noch als etwas Lebhafteres entpuppt. Nur noch wenige Schritte, da entdeckt der kleine Nachtwächter, daß er hier vor sich eine Matratze hat, die hochkant an der Wand angelehnt ist. Er atmet auf und beginnt sogar zu lachen: "Eine Matratze! Was macht bloß eine Matratze hier auf der Straße. Du gehörst doch eigentlich ins Bett!"

"Schön wäre es", entgegnet die Matratze, "aber man hat mich einfach mitten am Tag aus dem Schlaf und aus meinem Bett herausgerissen, mein schönes Holzbett auseinander geschraubt und uns dann auf die Straße hinaus getragen. Da mußte ich zusehen, wie mein Bett in ein Fahrzeug gepackt und weggefahren wurde. Und jetzt ist es mitten in der Nacht und ich stehe noch immer hier allein und friere. Denn auch das Bettlaken, die Kissen und die schönen weichen Decken sind fort. Langsam bekomme ich kalte und feuchte Füße. Die Kälte und der Nebel kriechen in mich hinein."

"Das ist nicht gut", stellt der kleine Nachtwächter fest, "da muß ich einmal scharf nachdenken, was hier passiert ist. Aber ich glaube nicht, daß man dich wegwerfen wollte. Denn es ist keine Sperrmüllzeit." - "Sperrmüll!", wiederholt die Matratze empört.

Während der kleine Nachtwächter vor sich hingrübelt, biegt plötzlich ein Fahrzeug in die Gasse ein und zwei Scheinwerfen erfassen ihn. Bald bleibt das Fahrzeug direkt vor ihm stehen. Heraus springt ein Mann, läuft auf die Matratze zu und ruft: "Da bist du ja noch. Was für ein Glück." Der kleine Nachtwächter erfaßt sofort, daß hier ein Mißgeschick geschehen war.

Jetzt wendet sich der Mann dem kleinen Nachtwächter zu: "Wir ziehen gerade um und haben doch tatsächlich unsere Matratze vergessen. Alles haben wir eingepackt und mitgenommen. Aber die Matratze haben wir erst vermißt, als wir zu Bett gehen wollten. Gutes altes Stück, daß du noch da bist," liebevoll streicht der Mann über den Stoff und meint ", so lang hast du mich begleitet, jetzt sollst du auch in der neuen Wohnung bei uns bleiben."

"Na, da packe ich doch gleich einmal mit an und wir tragen die Matratze gemeinsam in den Laderaum des Wagens!", schlägt der kleine Nachtwächter vor, damit die Matratze nicht noch mehr Feuchtigkeit abbekommt. "Vielen Dank für die Hilfe", sagt der Mann, "allein hätte ich das gute Stück gar nicht ohne Blessuren in den Wagen bekommen. Was habe ich mir nur dabei gedacht, allein hierher zu fahren. Ich hatte wohl Angst, jemand hätte Matze mitgenommen." - "Matze?", wiederholt der kleine Nachtwächter fragend. "Nunja, ich habe die Matratze schon als Kind bekommen. So manche Träne habe ich in sie geweint und manchmal auch mit ihr gesprochen. Darum habe ich sie Matze Matratze genannt." Der kleine Nachtwächter nickt wissend. "Haben sie denn zuhause Hilfe beim Ausladen." - "Ja, dort wartet schon jemand auf uns!" - "Na, dann wünsche ich noch eine gute Nacht!", verabschiedet sich der kleine Nachtwächter.


24. September 2010

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