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GUTE-NACHT/3296: Der kleine Nachtwächter sucht ein neues Quartier (SB)


Gute Nacht Geschichten

Am Abend, als der kleine Nachtwächter zu seinem Rundgang durch die Stadt aufbrechen will, betont Frau von Zitterspinne: "Jetzt ist es endlich soweit." Der kleine Nachtwächter wundert sich. "Nunja, es geht heute etwas später los als gewöhnlich", denkt er, "aber Frau von Zitterspinne hat es doch sonst nicht so eilig." Rebell, dem schwarzen Hund, ist die Spinne einerlei. Er möchte nur schnell hinaus und die Straßen hoch und runter laufen.

"Schnell, schnell!", ist die Spinne zu vernehmen. "Immer mit der Ruhe!", entgegnet der kleine Nachtwächter, "wir kommen schon früh genug in die Kälte." - "Aber da will ich ja gar nicht hin", protestiert Frau von Zitterspinne, "ich brauche eine gemütliche Ecke oben an der Decke für meine Kinder!" - "Ach, du dickes Spinnennetz!", entfährt es dem kleinen Nachtwächter, der jetzt endlich begreift, was Frau von Zitterspinne ihm die ganze Zeit mitteilen will.

"Aber in meinem Schlafzimmer will ich die zwanzig Krabbler nicht wissen!", kommt es spontan aus seinem Mund. "Es ist ja auch das einzige Zimmer, das ich habe", stellt er kleinlaut fest. Frau von Zitterspinne ist beleidigt. Die ganzen letzten Tage durfte sie in der Laterne des kleinen Nachtwächters wohnen, und jetzt wo sie wirklich eine Bleibe für sich und ihre zwanzig Kinder benötigt, soll sie sich etwas Neues suchen? "Aber wo sollen wir denn hin?", stöhnt sie.

Das weiß der kleine Nachtwächter zuerst auch nicht. Ihm fällt nur der Hausmeister ein. Aber auch dieser Mann würde sicher keine Spinnen zur Untermiete haben wollen. "Da ist guter Rat teuer!", denkt der kleine Nachtwächter, und er weiß, daß er gerade eine gute Freundin gekränkt hat. Darum bittet er sie um Verzeihung: "Es tut mir leid. Natürlich sollen die Kleinen nicht in der Kälte bleiben. Wir überlegen einmal gemeinsam, wo es euch am besten gefällt. In der Laterne ist es ja viel zu gefährlich. Nachher verbrennt sich noch eines der Kleinen an der Kerze. Kinder sind doch immer so neugierig." - "Wißbegierig, würde ich sagen und lebensfroh!", widerspricht Frau von Zitterspinne.

Rebell, der die letzten Minuten schon fünf Mal in der Stube hin und her gelaufen ist, legt sich wieder hin. "Das kann ja noch dauern", seufzt er. Schließlich hat der kleine Nachtwächter seine Laterne noch nicht angezündet und auch die Taschenlampe nicht einmal in die Hand genommen.

Der kleine Nachtwächter schaut sich im Zimmer um. Dann blickt er aus dem Fenster. Da sieht er den Wetterhahn auf dem Kirchturm, und plötzlich hat er eine Idee. Er bittet die Spinne, in der Laterne Platz zu nehmen. Die Kerze will er erst später anzünden. Aber Frau von Zitterspinne möchte alles wie jeden Abend. So setzt sie sich wieder auf die Laterne obenauf. "Es dauert ja noch ein bißchen bis die Kleinen schlüpfen. So lange kann ich auch noch die frische Luft genießen." Rebell freut sich, endlich geht die Haustür auf.

Zielstrebig geht der kleine Nachtwächter auf die Kirche zu. Frau von Zitterspinne ahnt, was er vor hat und will protestieren. "Dort in dem alten Gemäuer ist es doch sicher eisig kalt", schimpft sie. "Psst, nicht so laut! Wir wollen doch nicht den Küster aufwecken oder den Priester!"

Der kleine Nachtwächter, in dessen Laterne heute keine Kerze brennt, knipst vorsorglich auch seine Taschenlampe aus. Er schaut nach links und nach rechts, ob auch niemand auf der Straße zu sehen ist und schleicht sich in die Kirche hinein. Rebell bleibt draußen. Er versteckt sich neben der Kirchentreppe und hält Wache. Seine Aufgabe ist es, Bescheid zu geben, falls sich jemand dem Eingang nähert.

In der Kirche drinnen vermutet Frau von Zitterspinne völlige Dunkelheit. Doch die entzündeten Kerzen, die Tag und Nacht für die verstorbenen Seelen und für gewünschte Wunder brennen, geben ein behagliches Licht und auch Wärme ab. Der kleine Nachtwächter tritt näher an sie heran. "Hier wäre ein warmes Plätzchen", flüstert er und fügt lächelnd hinzu, "gleich vorne in der ersten Reihe!" Frau von Zitterspinne sieht die Gefahr: "Es gibt zu viele Kerzen! Da dürfen die Kleinen auf keinen Fall hin!"

"Dann bringe ich euch eben in den Umkleideraum des Priesters oder in die angrenzende Bibliothek. Beide Räume sind beheizt." Das gefällt Frau von Zitterspinne schon besser. Sie denkt an die Zukunft ihrer Kinder und wählt die Bibliothek als neues Heim. Gleich oben in der Ecke schräg bei der Tür nistet sie sich ein. "Von hier aus kann ich auch schnell mal einen Abstecher in die Kirche wagen", erklärt sie. "Ja, dann verpaßt in ein paar Wochen nicht das Weihnachtsfest. Da gibt es viel zu hören und zu schauen!", rät der kleine Nachtwächter, "und laßt euch auf keinen Fall entdecken!" Das verspricht die Spinne. Der kleine Nachtwächter verabschiedet sich und verspricht seinerseits, immer mal bei der kleinen Familie vorbei zu schauen.

Kurz vor der Kirchentür zündet er mit einem Streichholz seine Laterne wieder an. Dann tritt er aus der Kirche heraus auf die Straße. Ungeduldig wartet Rebell dort bereits. Er wedelt mit dem Schwanz und signalisiert, daß alles in Ordnung ist. Was die beiden nicht ahnen: Des Nachtwächters Hausmeister hat seinen Untermieter ohne entzündete Laterne in die Kirche hinein gehen sehen und fragte sich: "Paßt der Nachtwächter denn jetzt auch noch auf die Schätze in der Kirche auf?" Jetzt aber sieht er denselben mit der entflammten Laterne wieder aus dem Heiligtum herauskommen und gibt sich selbst eine Antwort: "Na, der kleine Nachtwächter hat wohl keine Streichhölzer und muß sich seine Laterne an den geweihten Kerzen der Kirche anzünden. Solch ein Frevel."

19. November 2010

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