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GUTE-NACHT/3529: Eine außergewöhnliche Bande - Teil  4 (SB)


Gute-Nacht-Geschichten

Eine außergewöhnliche Bande



Eine außergewöhnliche Bande hockt paarweise hinter dem Bushaltestellenhäuschen. Paarweise, denn es handelt sich bei ihnen um Schuhpaare. Die Stiefel, Sandalen, Kinderturnschuhe, goldene Damenschuhe und die Herrenschuhen wollten nicht in einen Altkleidercontainer gesteckt werden, sondern gemeinsam in die Welt hinausziehen.

Übrigens, was die Herrenschuhe angeht, die sind bereits in der Welt unterwegs. Ein Landstreicher namens Willi hatte sie in der Bushaltestelle unter der Bank gefunden und sie gegen seine eigenen alten und durchlöcherten Schuhe ausgetauscht. So sind sie bereits seit einem ganzen Tag unterwegs. Ob ihnen ihr neues Leben wohl gefällt? Das ist nicht klar. Aber den alten durchlöcherten Schuhen bereitet die neue Ruhepause Freude. Hingen sie doch Tag und Nacht ohne Unterlaß an den Füßen des Landstreichers. Nicht eine Minute zog er sie aus, hatte er doch Angst, ein anderer Landstreicher könnte ihm seine durchlöcherten Schuhe entwenden. Schließlich gibt es Menschen, die haben noch schlechteres Schuhwerk oder gar keine Schuhe an den Füßen. Den alten Männerschuhen jedenfalls gefällt es, endlich frische Luft zu atmen. Auch wenn sie sich doch ein wenig einsam vorkommen, ohne ihre langjährigen Freunde. Das allerdings wird nicht so bleiben.

Inzwischen sind die Wanderschuhe zu einem Erkundungsgang ausgezogen, um die vermißten Herrenschuhe zu suchen. Auch die Kinderturnschuhe bleiben derweil nicht untätig. Sie finden ein Astloch in dem Holz der Bushütte und spähen sogleich hindurch.

"Was siehst du?", fragt der linke kleine Turnschuh, dem der rechte zuvorgekommen ist, obwohl doch der linke es war, der das Astloch zuerst entdeckt hat. "Wahnsinn", stößt der kleine Turnschuh hervor, "ich glaube, direkt hinter dieser Wand stehen die vermißten Herrenschuhe. Aber sie sind mächtig verstaubt. Wo mögen sie nur gewesen sein?" - "Laß mich auch mal gucken!", drängelt der linke Turnschuh.

Doch der rechte mag sein Guckloch nicht sogleich aufgeben, sieht er doch noch viele andere interessante Dinge hinter der Wand. Gerade als der erste Wanderschuh um die Ecke biegt, wird es aber dem linken Turnschuh zu bunt und er stupst den rechten in die Seite, sodaß der von dem Loch weicht. "Das war aber gemein!", sagt der rechte Turnschuh und schwört sich insgeheim, es dem linken schon noch heimzuzahlen. "Es war auch gemein, daß du unbedingt als erster gucken woltest, obwohl ich doch das Loch gefunden habe", rechtfertigt sich der linke.

Beim Spähen entdeckt der linke Turnschuh die Wanderschuhe und ruft ihnen etwas zu. Die vernehmen das Rufen, können aber niemanden entdecken. Dafür aber sehen sie die verstaubten Herrenschuhe unter der Bank stehen. "Da seid ihr ja!", rufen sie dem Paar zu. Doch beim Näherkommen erkennen sie, daß hier ein ganz anderes Paar steht als sie erwartet haben. Das wundert die beiden. Schließlich, wo um alles in der Welt trifft man schon paarweise Schuhe auf der Straße ohne Beine darin an?

"Entschuldigung", beginnen die Wanderschuhe, "wir haben euch verwechselt." Eigentlich wollen die Wanderschuhe gleich kehrt machen. Doch ihre Neugier ist stärker und sie stellen Fragen. Der rechte Wanderschuh zuerst: "Wer seid ihr eigentlich?" Und der linke Wanderschuh fragt: "Und wie kommt ihr hierher?" Erst nach einer kleinen Pause fällt den beiden ihr eigentliches Anliegen wieder ein und sie erkundigen sich, ob das verstaubte Paar Herrenschuhe vielleicht einem weniger verstaubten Paar ihresgleichen begegnet sei.

"Ja", ist die Antwort, "ihnen verdanken wir ja unsere Freiheit." - "Eure Freiheit? Wie ist das möglich?", fragen die Wanderschuhe. Da mischt sich wieder die Stimme ohne Körper ein: "Bringt die Neuen mit! Wir alle wollen ihre Geschichte auch hören." Diese Aufforderung kann nur den Wanderschuhen gelten, auch wenn es sich bei den Neuen wohl eher um Uralte handelt. Aber die Wanderschuhe laden die Herrenschuhe ein, ihnen zu folgen und sich überraschen zu lassen. Zuerst ist den Herrenschuhen das alles ein wenig unheimlich. Doch sie sind neugierig, was sie wohl erwartet und trotten den Wanderschuhen hinterher. Wo werden die sie wohl hinführen? "Ist der Weg weit?", fragen sie, "wir sind nämlich nicht mehr so gut zu Fuß." Dabei zeigen sie ihre Löcher. "Es ist nur hier um die Ecke, kein weiter Weg." Die Herrenschuhe sind es zufrieden.

Inzwischen hat der linke Turnschuh das Guckloch wieder freigegeben. Jetzt wollen auch die anderen Schuhe sehen, was es da vermeintlich Spannendes zu entdecken gibt und alle stehen an. Der kleine Turnschuh lacht sich ins Fäustchen. Denn die Wanderschuhe und die Herrenschuhe sind bereits von der Bildfläche verschwunden.

Gute Nacht




zum 21. Februar 2012