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GUTE-NACHT/3651: Im Advent - Hoch in die Luft und Sturz in die Tiefe (SB)



Das kleine Stofftierschaf Molly sitzt verlassen auf einem Postkasten. Olgas Mama hat Molly dort am vorherigen Abend vergessen. Niemand sonst hat sich inzwischen um das Schaf gekümmert. Aber das ist Molly recht so. Sollen doch alle an ihr vorübergehen. Sie will sowieso nur von einem wieder mitgenommen werden - von Olga.

Doch Olga ist bisher nicht gekommen, weder am vergangenen Abend noch in der letzten Nacht. "Vielleicht kommt sie heute morgen vor der Schule vorbei und nimmt mich in ihrem Ranzen mit?", hofft Molly. Aber die Zeit vergeht und Olga erscheint nicht.

Indess sitzt Olga zuhause und ist sehr traurig. Mama hat ihr gestern abend, sobald sie entdeckten, daß Molly nicht mehr in Mamas Tasche steckte, versprochen, gleich heute Morgen, wenn Olga im Schulbus sitzt, nach Molly zu sehen. Olga will mit in die Stadt zum Weihnachtsmarkt fahren, dorthin, wo Molly verloren ging, aber Mama erlaubt es nicht. Sie steckt Olga in den Schulbus und macht sich auf zur anderen Bushaltestelle. Leider verpaßt Mama den frühen Bus in die Stadt und kann erst wieder den nächsten nehmen. Der fährt aber gegen Mittag ...

*

Molly duckt sich jedes Mal, wenn jemand am Postkasten vorbei geht. Sie will schließlich keine Aufmerksamkeit erregen und womöglich noch mitgenommen werden. Zum Glück ignorieren die vorbeigehenden Passanten das kleine Schaf.

Dann aber erscheint eine Frau, die Molly neugierig anblickt und sie sogar anspricht: "Was bist denn du für einer und überhaupt, wer hat dich hier vergessen?" Molly antwortet nicht. Auch ohne eine Antwort nimmt die Frau das Schaf hoch. Sie will es bereits in ihre Tasche stecken und mit nach Hause nehmen, da besinnt sie sich und setzt Molly zurück. "Nein, ich werde dich jetzt nicht mitnehmen. Schließlich gibt es sicher jemanden, der dich vermißt und unglücklich darüber ist, wenn er dich nicht wieder zurück bekommt. Ich werde ihm eine Chance lassen, dich nach Hause zu holen. Wenn du morgen aber noch immer hier sitzt, nehme ich dich mit!"

Noch einmal gut gegangen. Molly schaut links, Molly schaut rechts, keine Olga in Sicht. Ein Hund kommt des Weges gelaufen und bleibt stehen. Er hebt sein Bein und pinkelt an den Postkasten. "Wie gut, daß Mama mich nicht zu den Tüten auf den Boden gesetzt hatte, dann hätte ich jetzt eine unangenehme Dusche abbekommen." Ohne hinauf nach Molly zu schielen, läuft der Hund weiter.

Plötzlich kommen Kinder des Weges. "Die Schule ist aus", freut sich Molly. Sie hofft, daß nun endlich Olga kommt. Doch ihr Schulweg ist ein anderer. Davon weiß Molly nichts. Ein Junge auf einem Skateboard fährt vorbei und streckt die Hand nach Molly aus. Aber er erwischt Molly aber nicht. Dann kommen drei Jungen und ein Mädchen vorbei. Einer der Jungen schnappt sich das Schaf und blöckt: "Mäh!" Sein Freund nimmt ihm das Stofftier ab und wirft es hoch in die Luft. Der Dritte fängt es auf. So entwickelt sich das Spiel "Wirf das Schaf in die Luft!". Plötzlich hat einer der Jungen eine Idee und versucht das Schaf durch den Postkastenschlitz ins Innere zu schieben. "Gute Reise", murmelt er dabei.

Ein Mädchen schaut den Jungen zu und findet ihr Spiel gar nicht spaßig. Jetzt aber reicht es ihr und sie mischt sich ein. Dabei wird Molly unsanft zurück aus dem Briefkastenschlitz und den Händen des Jungen gezogen. Der schneidet dem Mädchen eine Fratze und läuft hinter seinen Freunden her. Von dem Mädchen wird Molly schnell auf den Postkasten zurück gesetzt. Auch sie läuft den Jungen hinterdrein. Molly aber kommt so unglücklich zu sitzen, daß sie das Gleichgewicht verliert, nach vorne kippt und kopfüber vom Postkasten in die Tiefe stürzt.

Molly liegt auf der Nase und kann nur nach rechts und links zur Seite schielen. Füße trampeln an ihr vorbei und sie bekommt es mit der Angst zu tun. Wenn jetzt jemand auf sie tritt? Niemand erbarmt sich ihrer und hebt sie auf. Plötzlich wird sie unsanft im Nacken gepackt und hochgehoben. Allerdings nicht sehr hoch. Ihr Blickfeld zeigt ihr noch immer den Fußboden. Sie schwebt nur einige Zentimeter über dem Boden. Denn ein Hund hat sie gepackt und trägt sie geschwind mit sich fort.

Nur ein kleiner Sprint, da ist Karlchen bei seinem Herrchen an der Parkbank angelangt und legt ihm das Schaf vor die Füße. "Was hast du denn da mitgebracht?", fragt Herrchen und sieht sich verstohlen um, ob auch niemand gesehen hat, was sein Hund gerade getan hat. "Wem das schon wieder gehört?", stöhnt Herrchen leise und läßt das Stofftierschaf unter der Bank verschwinden. Mit dem Fuß schiebt er es gleich noch ein bißchen weiter ins Gebüsch hinein.

Gute Nacht!

zum 2. Dezember 2018


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