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KALENDERGESCHICHTEN/005: 05-2011   Picknick auf dem Plattenteller (SB)

© 2011 by Schattenblick

Picknick auf dem Plattenteller


"Komm schon, die gefährlichste Strecke haben wir noch vor uns - die Treppe. Wenn dieser dumme Kater sich bloß irgendwann einmal einen anderen Schlafplatz aussuchen würde - aber nein, ausgerechnet auf dem oberen Treppenabsatz macht er es sich gemütlich!"

"Ich glaub', das macht er mit Absicht", überlegte Jan, der davon überzeugt war, dass Friedrich, der Kater, richtig fies war und sich freute, wenn er die Mäuse ärgern oder gar fangen konnte. "Gibt 's wirklich keinen anderen Weg?"

Opa Henrik antwortete nicht sofort. Dann aber sagte er: "Nun, wenn es dir gefällt, könnten wir zur Haustür hinausgehen, an der Regenrinne hinaufklettern, so lange am Fensterholz nagen bis wir das Fenster zum Dachboden geöffnet haben und hineinkrabbeln können. Ich allerdings fühle mich für derartige Unternehmungen etwas zu alt. Alt wie ein Mäuseopa, und ich bin mir nicht sicher, ob ich das schaffen würde!"

"Du hast ja recht, und ohne dich will ich gar nicht auf den Dachboden. Schließlich wollen wir auf unserem Lieblingsplatz unser Picknick halten. Weißt du was Opa, ich düse mal vor und sehe nach, ob der blöde Kater überhaupt auf seinem Posten ist ..."

Kaum gesagt, war er auch schon nach vorn gerannt bis zum unteren Treppenpfosten. So in Deckung und für den Kater Friedrich nicht sichtbar, schielte er nach oben und erblickte zu seinem Bedauern den großen, laut schnurrenden Kater. Jan trippelte wieder zu Opa Henrik zurück und erstattete ihm Bericht.

"Also, mein Junge, wir bewegen uns so leise wie möglich und zwar entlang des Geländers, wie sonst auch. Da wir diesmal etwas Gepäck zu tragen haben, wird es schwieriger als gewohnt, aber ich bin sicher, dass wir es schaffen können".

Henrik hob den kleinen Rucksack auf und befestigte ihn auf Jans Rücken, er selbst nahm den großen Korb mit all den Leckerbissen und sie begannen ihren Weg das Treppengeländer hinauf.

"Puh, verfluchter Mist, mein Rucksack wiegt ja so viel wie 'ne ganze Katze! Ein Glück, dass ich schon so stark bin und so toll klettern kann!", japste Jan.

Henrik folgte hinter Jan her und konnte gut beobachten, wie viel Mühe der Kleine hatte, und war schon ein wenig stolz auf ihn. So sagte er: "Ja, ja, kleiner Jan, du bist der Größte."

Nach wenigen Schritten hörten sie bereits das laute Schnurren und einen Augenblick später sahen sie Kater Friedrich zusammengerollt liegen. Es schien wirklich so zu sein, als schliefe er.

Jan blickte sich erfreut zu Opa Henrik um: "Na, das können wir leicht schaffen, der dumme Kater träumt bestimmt und wird uns nicht hören".

"Oh, Jan, da sei dir nicht so sicher. Katzen sind sehr aufmerksame Wächter, und sie liegen nicht zufällig an bestimmten Stellen im Haus. Sie wählen ihre Plätze so aus, dass sie möglichst alles im Blick behalten können - Maus wie Mensch oder sonstige Eindringlinge oder Besucher. Also, ab jetzt kein Wort mehr, hast du verstanden", befahl Opa Henrik.

Jan nickte heftig und war nun doch etwas aufgeregt. Falls der Kater aufwachen sollte, könnte er ja nicht mehr so schnell weglaufen, weil er den Rucksack trug.

© 2011 by Schattenblick

Die beiden Mäuse schlichen so leise es ging nach oben. Nun konnten sie vom Geländer aus auf Kater Friedrich hinuntersehen. Rasch huschten sie weiter, die Biegung des Geländers entlang und landeten schließlich wohlbehalten vor der Dachbodentür. Unten an der Türschwelle befand sich ein mausgroßes Loch, durch das die beiden krochen. Als sie endlich auf dem Dachboden angekommen waren, atmeten sie auf.

"Mann, Opa, das war aber das Gefährlichste, was wir bisher unternommen haben, oder?"

"Das stimmt. Wir haben noch nie zuvor so viel Gepäck mitgenommen."

"Naja, Opa, ein Picknick auf unserem Lieblingsplatz haben wir ja auch noch nie geplant."

Sie lachten erleichtert und Opa Henrik knuffte Jan freundschaftlich in die Seite.

"Da vorn, der Tisch mit der grünen Decke, da ist unser Platz. Wir hätten einen Fahrstuhl anbringen sollen, dann müssten wir nicht über Kisten und Stühle klettern ...", stöhnte Jan laut.

"Na, das werden wir ja wohl auch noch hinkriegen. So kurz vor dem Ziel machen wir doch nicht schlapp, oder?" Damit wollte Opa Henrik den kleinen Jan ermuntern und sich selbst wohl auch.

"Nöö, Opa, das schaffen wir schon."

Gerade hatten sie die Tischkante erreicht, als sie ein lautes Poltern hörten. Dann war es still. Einen kleinen Moment später knarrten die Dielen vor der Tür, so als wäre jemand hereingekommen. Henrik blickte sich hastig um, konnte aber nichts entdecken. Jan verharrte in seiner Bewegung und schaute in die gleiche Richtung. Er schüttelte den Kopf und wunderte sich. Niemand war zu sehen - oder doch? Halt, war da nicht ein leises Knistern, dort unten auf dem Fußboden? Jan schielte an seinem Opa vorbei und erschrak. Tatsächlich war Kater Friedrich ihnen gefolgt. Was nun?

"Schnell Jan, lauf weiter, gleich sind wir mitten auf dem Tisch. Dort sieht er uns nicht. Vielleicht ist er ja auch nur zufällig hier oben."

Mit wild klopfendem Herzen erreichten sie den Plattenspieler, der vor einiger Zeit dort abgestellt worden war. Das war ihr Reiseziel. Opa Henrik tippelte leise bis zur Tischkante zurück, um sich zu vergewissern, was Kater Friedrich tat. Aber der saß einfach nur da und leckte sich die Vorderpfote. Henrik eilte zu Jan zurück. Gemeinsam verstauten sie Rucksack und Korb auf dem Plattenspieler. Dabei bewegten sie sich vorsichtshalber ganz behutsam, um nicht auf sich aufmerksam zu machen.

Doch als sie nach und nach die Leckereien auspackten und vor sich legten, lief ihnen das Wasser im Munde zusammen. Es gab Torte, Bonbons, eine Wurst und Käse, etwas zu Trinken und viele andere Kleinigkeiten. Bei dem Anblick der Köstlichkeiten vergaßen sie Kater Friedrich.

Opa Henrik hatte auch einen Sonnenschirm mitgebracht. Zwar schien auf dem Dachboden bestimmt keine Sonne, aber er sah wirklich schön aus. Sie steckten ihn in die Mitte des Plattentellers und befestigten ihn dort.

"Oho, Opa, du hast ja sogar deinen Spazierstock dabei, wozu ist der denn?"

"Ach das, das ist nur mein Glücksbringer! Wie du ja weißt, bin ich noch sehr gut zu Fuß und brauche gar keinen Handstock", erklärte Opa Henrik.

Jan machte sich über die Torte her. Er kletterte auf das Stück hinauf und sank dabei etwas mit den Pfoten in die weiche Sahne und den fluffigen Tortenboden ein. Genüsslich stopfte er sich einen Happen nach dem nächsten in den Mund.

Auf dem Plattenteller lag noch eine echte Schallplatte. Darauf breitete Opa Henrik eine Decke aus und legte sich ein Stück Käse zurecht. Mhmmm, das wird lecker", freute er sich.

Dann geschah das Unfassbare!

Mit einem riesigen Schwupps landete Kater Friedrich auf ihrem Tisch. Listig blinzelte er die beiden an, legte seinen Kopf schief und miaute in einem gemein klingenden Ton. Den Mäusen blieb vor Schreck fast die Luft weg. Verängstigt starrten sie sich an. Was nun? Wegrennen? Der Kater blieb sitzen. Er sprang nicht auf die beiden zu, um sie zu fangen oder zu fressen, nein, er blieb einfach nur sitzen und ... Jan und Opa Henrik waren ganz verdaddert.

"Was will er denn?", Jan konnte sich auf das Verhalten der großen Katze keinen Reim machen. "Ich weiß es auch nicht", flüsterte Opa Henrik.

Kater Friedrich besah sich eingehend die Knöpfe auf dem Plattenspieler und überlegte laut: "Wozu die wohl da sind und was passiert, wenn ich auf einen drücke? Tja, das wäre gut zu wissen. Mir bleibt wohl nichts anderes übrig, als jeden Knopf auszuprobieren und dann zu sehen, was geschieht."

Gesagt getan. Der Kater hob seine Pfote und war kurz davor, sie auf den Knopf niederzusenken, auf dem "AN" stand. Der Plattenteller, auf dem Opa Henrik es sich gemütlich gemacht hatte, würde sofort anfangen, sich zu drehen. Oh nein! Opa Henrik würde entweder hinunter fallen oder direkt vor Kater Friedrichs Nase landen ...!

Doch bevor der Kater seine Bewegung beenden konnte, ertönte ein lautes Bellen und eine große Hundepfote landete ebenfalls auf dem Tisch, dem Kater genau gegenüber und verkruschte dabei die Tischdecke. Opa Henrik befürchtete, sie würden mitsamt dem Plattenspieler vom Tisch geschoben werden, und rief: "Komm her, Jan, schnell!"

Ohne zu zögern sprang Jan von seinem Tortenstück und rannte zu Opa Henrik. Der war inzwischen vom Plattenteller geklettert und lief in Richtung der großen Lautsprecherbox, hinter der sich die beiden verstecken wollten.

"Laß die Mäuse in Ruhe, ich warne dich, Friedrich!", drohte die tiefe Hundestimme. Nico, der Hund des Hauses und Beschützer aller kleinen Tiere, war wirklich wütend, was eigentlich selten vorkam. Nico war im Grunde viel zu gutmütig, um böse zu werden. "Du bekommst genug zu essen, und wenn du jemanden ärgern willst, dann kannst du es ja mal mit mir versuchen oder mit jemandem, der so groß ist wie du selbst."

"Oh, oh, mein Lieber, ich wollte den Mäuschen doch gar kein Leid zufügen. Nein, wie kommst du nur auf so eine Idee?", gab sich Friedrich empört.

Nico ließ sich nicht täuschen. Er wusste genau, dass Friedrich stets irgendetwas Hinterlistiges und Gemeines im Schilde führte. Es bereitete dem Kater unheimliche Freude, wenn er anderen schaden oder sie zumindest verängstigen konnte.

"Dann ist es ja gut. Dann kannst du ja jetzt verschwinden. Wie du sehen konntest, ist dieser Platz bereits besetzt, such' dir einen anderen!", bellte Nico ihn laut an.

"Nein, nein, ich finde es hier ganz unterhaltsam. Ich werde bleiben und mich amüsieren", beharrte Friedrich und sprach dabei die letzten Worte irgendwie gemein aus.

Nun wurde es Nico zu bunt: "Sag' mal Friedrich, warum bist du nur immer so garstig und gemein. Weder die Mäuse, noch ich haben dir jemals etwas zu Leide getan?"

Kater Friedrich überraschte Nico mit einer ausführlichen Antwort: "Och, mir ist sooo langweilig. Keiner kümmert sich um mich. Ich bekomme immer nur mein Dosenfutter hingestellt und was zu trinken, aber sonst ...?" Irgendwie klang das ganz traurig. Friedrich seufzte tief und fuhr in seiner Rede fort: "Naja, aber es ist ganz lustig, wenn andere sich über mich ärgern, das macht Spaß."

"Ja, ja, ich kann es mir vorstellen. Aber meinst du nicht, es würde noch mehr Spaß bringen, wenn du vielleicht mit mir und den Mäusen zusammen etwas unternimmst. Uns würden bestimmt ein paar Spiele einfallen, bei denen auch du mitmachen könntest", schlug Nico vor. Dabei gab er sich alle Mühe freundlich zu sein, denn eigentlich fand er das Verhalten von Friedrich nur ärgerlich. Doch gutmütig wie Nico war, wollte er dem Kater zumindest die Möglichkeit einräumen, einmal über diesen Vorschlag nachzudenken.

Nico wurde abermals überrascht, denn Friedrich erwiderte: "Meinst du das ernst? Ich meine, wirklich so wie du sagst, ich mit euch - spielen?"

Wieder war da dieser merkwürdige Ton in seiner Stimme und Nico wurde etwas unsicher ob der Ernsthaftigkeit des Katers. Vielleicht machte er sich doch nur lustig über sie.

Aber nein, Friedrich wurde ganz nachdenklich und leckte sich verlegen seine Schulter. "Was sagen denn die Mäuse dazu?", wollte er wissen, denn er hatte sie wirklich schon sehr oft geängstigt und war schon sehr oft gemein zu ihnen gewesen. Er befürchtete, dass sie wohl wenig Lust hätten, mit ihm zu spielen.

"Fragen wir sie einfach", beschloss Nico, "warte hier, ich gehe sie holen!" Nico nahm seine Pfoten von der Tischkante und ging um den Tisch herum, um von der anderen Seite besser an die Lautsprecherbox zu gelangen, hinter der sich die beiden Mäuse versteckt hatten. Dort berichtete er ihnen von seinem Gespräch mit Kater Friedrich. Aber er erntete nur vorwurfsvolle Blicke, die sagen wollten: "Bist du verrückt geworden, wir sollen ihm trauen, der verspeist uns doch bei nächster Gelegenheit."

Zwar konnte Nico die beiden gut verstehen, aber einer sollte wohl den ersten Schritt machen, wenn man Feindschaften beseitigen wollte. Schließlich wäre es für alle gut, wenn sie sich ohne Angst begegnen könnten - besonders gut natürlich für die Mäuse.

"Also Jungs", wandte Nico sich an Opa Henrik und Jan, "ich bin doch die ganz Zeit dabei und passe auf. Wenn Friedrich Ärger macht, wird er was erleben, das verspreche ich euch. Mit der Zeit können wir dann herausfinden, wie Friedrich sich verhält und ob wir ihm wirklich trauen können." Nico gab sich alle Mühe den beiden Mäusen die Möglichkeit einer Freundschaft schmackhaft zu machen: "Stellt euch einmal vor, ihr würdet euch mit ihm anfreunden. Dann könntet ihr im ganzen Haus ungehindert herumspazieren. Vielleicht könnte Kater Friedrich euch sogar vor den Menschen warnen oder sie ablenken, wenn ihr irgendein Ziel sicher erreichen wollt. Die Speisekammer zum Beispiel oder andere wichtige Orte."

"Du hast gut reden, du wirst ja nicht gefressen!", polterte Jan los. Doch Opa Henrik lenkte ein: "Das ist schon so wie Nico sagt, Jan, wir sollten es auf einen Versuch ankommen lassen."

Jan nickte missmutig, aber er vertraute seinem Opa und folgte ihm. Vorsichtig trippelten sie aus ihrem Versteck hervor und begrüßten Kater Friedrich mit leicht zittriger Stimme: "Guutenn Taag."

"Guten Tag, sehr erfreut", miaute der zurück und diesmal klang es so, als ob er es auch so meinte, "was spielen wir denn zuerst?"

Henrik, Jan und Nico blickten sich an. Da schlug Nico vor, 'Picknick auf dem Plattenteller' zu spielen, so für den Anfang, damit die Mäuse ihre angefangene Mahlzeit in Ruhe aufessen konnten.

Friedrich war etwas verunsichert, denn unter Spielen stellte er sich etwas anderes vor. Aber schließlich hatte er die beiden ja am Essen gehindert - also stimmte er zu. "Einverstanden", sagte er.

Nico und Friedrich sahen den Mäusen beim Essen zu. Dann gab Opa Henrik ihnen die mitgebrachte Wurst zum Teilen. Beide bedankten sich und jeder verspeiste eine Hälfte der Wurst - eine Hälfte Nico, die andere Friedrich.

Nach einer Weile, Opa Henrik und Jan hatten fast alles aufgegessen, hob Friedrich seine Pfote. Er tat so, als wolle er den "AN"-Knopf drücken und meinte diesmal allerdings scherzhaft: "Und nun spielen wir 'Mäuseärgern'!"

Nico blickte leicht drohend in Kater Friedrichs Richtung. Doch als der herzhaft zu lachen anfing, und seine Pfote wieder von dem AN-Knopf zurücknahm, stimmten alle froh in das Lachen ein.

"Was haltet ihr von Verstecken spielen", schlug Jan begeistert vor, denn der Dachboden bot wirklich viele gute Verstecke.

"Alles klar", bellte Nico und blickte abermals warnend in Friedrichs Richtung. Doch der Kater schüttelte den Kopf und flüsterte: "Keine Sorge, ich will lieber mit euch spielen als allein zu sein oder Ärger zu haben."


26. April 2011