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KALENDERGESCHICHTEN/060: 12-2015   Weggefährten - das große Treffen ... (SB)


Kamel und Junge rennen übers Land, oben in der Luft fliegt die Gans - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Was bisher geschah ...

Nachdem Bataa sich eine etwas merkwürdige Zirkusnummer ausgedacht hatte, von der die Gans überhaupt nicht begeistert war, mischte sich der Löwe in ihre Überlegungen ein. Da er mittlerweile mitbekommen hatte, dass sie überhaupt keine Artisten waren, riet er ihnen, den Zug doch einfach zu verlassen, sobald er in der nächsten Stadt in der Mongolei halten würde - dann bräuchten sie auch kein Kunststück vorführen.


Den dreien fiel ein Stein vom Herzen und sie konnten es nun kaum noch erwarten, bis der Zug endlich die nächste Stadt erreichen würde. Bataa hatte sich in eine Ecke des Waggons zurückgezogen und grübelte vor sich hin. Obwohl sie sich alle freuten, schien doch jeder etwas bekümmert und so waren sie eine lange Weile ganz schweigsam. Endlich sprach Edith aus, was alle stillschweigend beschäftigte: "Wo wollen wir denn eigentlich hin, ich meine, wo können wir bleiben?"

"Tja, darüber denke ich auch schon die ganz Zeit nach", murmelte Bataa. Das tat Doro auch, aber wohl über etwas ganz anderes. Sie lehnte an der Holzwand des Waggons und schubberte ihr Fell daran. Sie schien aber nicht sehr glücklich über das Ergebnis und sah etwas genervt zur Gans hinunter: "Könntest du Bataa wohl bitten, mir das Fell zu bürsten, das juckt überall."

Edith schmunzelte und gab die Bitte weiter. Bataa griff sich die Bürste des Löwen, der sie ihm bereitwillig überließ und begann das Kamel zu striegeln. "Mir scheint du bekommst dein Winterfell, Doro", meinte Bataa und Doro nickte. Edith sah ihnen eine Weile zu, dann begann auch sie ihr Gefieder in Ordnung zu bringen. Irgendwie fühlte es sich an, als würden sie sich für ein großes Fest fein machen. Die Zeit verging dabei recht schnell und gerade als sie fertig waren, quietschten die Bremsen des Zuges so laut, dass alle in die Höhe fuhren. Voller Erwartung schauten sie auf die Waggontür. Ganz allmählich wurde das Quietschen leiser und der Zug kam zum Stehen. Bataa packte seine Sachen und legte sie bereit. Ihm war etwas mulmig zumute, obwohl er gleichzeitig froh war, wieder in seiner Heimat zu sein. Mit einem kräftigen Ruck gelang es ihm, die Tür zu öffnen.

"Los, los, schnell, alle hinaus, bevor noch jemand kommt und uns entdeckt", rief Bataa und sprang als erster hinaus. Dann ergriff er die hölzerne Rampe, die an der Seite des Waggons befestigt war, baute sie an der Türöffnung auf, damit Doro als nächste hinuntersteigen konnte. Zum Schluss hüpfte Edith die Rampe hinunter, hinter ihr erschien der mächtige Löwe und brüllte ihnen ein gutmütiges: "Macht 's gut Leute! Viel Glück!" zu.

Nun wurden auch schon die ersten Zugtüren geöffnet, Männer sprangen heraus, reckten sich, holten tief Luft und schauten in die Gegend. Glücklicherweise genau in eine andere Richtung, so dass sie die drei Abenteurer nicht sahen. Bataa beschloss, einfach alles stehen und liegen zu lassen, sich seine Sachen zu schnappen und so schnell wie möglich zu verschwinden. Immer mehr Männer verließen den Zug ins Freie und versammelten sich. Der eine oder andere zündete sich eine Zigarette an und dann berieten sie, wie sie den Zirkusplatz aufbauen wollten. Sie waren also beschäftigt und ihre ganze Aufmerksamkeit galt ihrer Beratung. Keine Gefahr für die drei Flüchtenden. Wirklich nicht?

"Halt stehen bleiben!", brüllte plötzlich jemand. Bataa dachte gar nicht daran und rannte weiter, Doro neben sich, und hoch in der Luft über ihm flog Edith. "Verdammt, das Kamel entkommt!", fluchte ein anderer, "los Leute, hinterer!"

"Stopp, wartet mal", mischte sich Josch, der Dompteur ein, "in unserem Zirkus gibt es gar kein Kamel. Seht mal, die Tür vom Löwenwaggon ist noch offen und die Rampe steht davor. Das waren blinde Passagiere! Bei Maxim! Ja, Männer, die sind heimlich beim Löwen mit gereist."

"Stimmt", überzeugte sich ein anderer, "dann geht uns das aber nichts an, lassen wir sie laufen! Kommt, wir haben genug mit dem Zeltaufbau zu tun!"

Unterdessen rannten die drei Flüchtenden immer weiter geradeaus. Als sie den Zug nur noch als ein winziges Spielzeug ausmachen konnten, verlangsamten sie ihr Tempo und blieben schließlich stehen.

"Puh", pustete Bataa und sah gerade noch wie Edith eine etwas wackelige Landung hinlegte. "Du bist geflogen, richtig hoch geflogen! In der Luft, wie ein Vogel, einfach toll!", schrie Doro voller Begeisterung.

"Oh, das war, das war, mir fehlen die Worte, einfach irre dort oben." Edith schnappte nach Luft, so aufgeregt und außer Atem war sie. Bataa freute sich mit der Gans, deren sehnlichster Wunsch, fliegen zu können, so unerwartet in Erfüllung gegangen war. Er hielt nach einem geeigneten Platz Ausschau, wo sie übernachten konnten und entdeckte eine kleine Baumgruppe. Alle waren damit einverstanden, dorthin zu gehen und sich auszuruhen.

"Viele Bäume gibt es hier ja nun nicht gerade. Überhaupt sieht alles ganz anders aus. So ein weites Land, nur Gras und da hinten ein Gebirge. Es scheint fast, als sei es sanft aus dem Boden in die Höhe gewachsen. Das ist der Wahnsinn. Ich kann verstehen, warum du und Doro unbedingt wieder hierher zurück wolltet", begeisterte sich Edith und kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Bataa lächelte. Doro aber machte ein paar kleine Sprünge und drehte sich zu Edith um: "Ich muss einfach rennen, über die Weite, ich möchte das Gras und den Erdboden unter meinen Füßen spüren, juhuu - bin bestimmt bald zurück." Dann sahen Bataa und die Gans einem glücklich und übermütig dahin rennenden Kamel hinterher.



Das Kamel rennt über eine weite Graslandschaft, im Hintergrund erheben sich sanft grüne Berge - Buntstiftzeichnung: © 2015 by Schattenblick

Buntstiftzeichung: © 2015 by Schattenblick

"Ich richte mir einen Schlafplatz ein und werde ein Feuer machen, denn nachts wird es ganz schön kalt", erklärte Bataa.

"Wo sind denn hier die Häuser?", wollte Edith wissen.

"Es gibt keine, jedenfalls nicht hier. Wir leben in Jurten. Die können wir schnell auf- und wieder abbauen, wenn wir weiterziehen. Nur die Leute in der Stadt leben in Steinhäusern - die müssen dann aber auch immer an dem selben Ort bleiben. Das stelle ich mir schrecklich vor", stöhnte Bataa auf.

"Warum willst du denn eine Jurte, was immer das sein soll, aufbauen, nur um sie dann wieder abzubauen und weiterziehen, wohin denn?"

Gerade wollte Bataa antworten, als Doro angepeest kam und schon von weitem rief: "Dahinten sind Menschen, drei große, merkwürdige, runde Zelte, Ziegen, Schafe und, und, und ...", Doro hustete vor lauter Aufregung, "und Kamele, Kamele, alle sehen so aus wie ich - ganz viele!" Doro blieb endlich stehen und schnaufte: "Die wollten mich dort behalten, mich nicht weglassen - da bin ich aber geflitzt, so schnell ich konnte, nur fort. Schade, so viele Kamele...", seufzte sie, "ich hätte sie schon gerne kennen gelernt."

Edith berichtete Bataa, was Doro erlebt hatte. "Oh, das ist gut!", rief Bataa erfreut. "Was ist denn daran gut? Hast du nicht zugehört? Sie wollten Doro nicht gehen lassen, sie gefangen nehmen!", schimpfte die Gans.

"Ich bin ganz sicher, dass sie Doro nichts Böses wollten. Bestimmt haben sie gedacht, dass sie zu ihrer Herde gehört. Lasst uns dorthin gehen. Bestimmt bekommen wir etwas zu essen und vielleicht sogar einen Schlafplatz. Ich muss zugeben, dass ich ziemlich hungrig und noch viel müder bin."

Die Gans war nicht so überzeugt wie der Junge, denn sie hatte schon viele schlechte Erfahrungen mit Menschen gemacht. Aber andererseits vertraute sie ihm und sagte schließlich: "Wie du meinst, du kennst deine Mitmenschen hier besser als ich." Dann drehte Edith sich zu Doro um und erklärte ihr, was Bataa vorhatte. Doch das Kamel zögerte noch: "Glaubst du das auch, dass diese Leute freundlich sind und mich nicht einfangen wollen? Soviel Angst hatte ich noch nie."

"Ja, das kann ich verstehen. Aber Bataa kennt sich hier doch aus und weiß wie die Menschen hier so sind. Er wird uns bestimmt nirgends hinführen, wo es gefährlich für uns ist. Also, ich finde, wir sollten zu den Leuten gehen. Stell dir vor, wäre das nicht toll, du kannst endlich mal wieder so von Kamel zu Kamel sprechen, einfach auf kamelisch."

"Na, dann. Du hast recht, das hört sich gut an, lass uns los gehen!", fiel die Antwort von Doro nun schon freudiger aus. Kurze Zeit später machten sie sich auf den Weg, Doro vorne weg, Bataa und Edith hinterher. Zwischendurch rannte die Gans immer mal wieder los und erhob sich in die Luft, flog eine Runde und landete vor ihren Weggefährten - dabei wurden ihre Landungen immer perfekter.

Als sie auf dem Platz ankamen, um den herum die drei Jurten standen, die großen, runden Zelte, die Doro gesehen hatte, liefen ihnen lachend und rufend Kinder entgegen. Einige streichelten das Kamel, andere bückten sich zur Gans hinunter und bewunderten ihr schneeweißes Gefieder. Bataa hörte sich das muntere Geplapper an und hier und da Lobesworte. Als er wieder in Richtung der großen, runden Zelte schaute, erschrak er, denn vor ihm ragte ein wirklich kräftiger Mann auf, der ihn neugierig musterte.

"Seid willkommen Fremde. Wer seid ihr?" - "Ich heiße Bataa und das sind meine Gefährten Doro und Edith." - "Wohin wolltet ihr denn noch, es wird ja bald dunkel?" - "Oh, ich wäre froh, wenn wir bei euch über Nacht bleiben könnten", wagte Bataa eine schüchterne Anfrage. "Aber sicher. Ihr bleibt zum Essen und geht weiter eurer Wege, wann immer ihr es wollt", lachte der Mann freundlich, "seid unsere Gäste. Ich heiße übrigens Bodio." Dann drehte er sich zu Doro um und bestaunte sie. "Ein wirklich wunderschönes, prächtiges Kamel. Das könnte glatt einen Preis gewinnen."

"Einen Preis, wofür das denn und warum?", wunderte sich Bataa. Statt eine Antwort zu geben, lud der Mann ihn ein - und auch Edith - mit in seine Jurte zu kommen und erstmal zu essen. Dabei würde er ihm alles erzählen. Nur Doro passte nicht ins Zelt. Sie blieb draußen und nutzte die Gelegenheit, sich mit den anderen Kamelen bekannt zu machen. Sie redeten und redeten bis tief in die Nacht hinein. Doro berichtete den anderen von ihrer unfreiwilligen Reise nach Deutschland und ihrem abenteuerlichen Rückweg, auch wie sie Bataa und Edith kennen gelernt hatte. Aufmerksam hörte sie selbst danach den anderen Kamelen zu und erfuhr von dem Kamelschönheitswettbewerb, der schon am kommenden Tag stattfinden sollte. Davon hatte Doro nun wirklich noch nie etwas gehört.

Ringkämpfer, Bogenschützen üben schon mal, im Hintergrund wild galoppierende Reiter - Buntstiftzeichnung © 2015 Schattenblick

Buntstiftzeichnung © 2015 by Schattenblick

Am nächsten Morgen in aller Frühe begann ein munteres Treiben unter den Menschen. Überall lagen bunte Tücher, Schleifen und Papierstreifen herum, mit denen Kamele und Pferde geschmückt wurden. Köstlicher Duft breitete sich von den Kochstellen aus, lautes Lachen und fröhliches Kreischen der Kinder übertönte die Rufe der Erwachsenen. Alle wollten mithelfen beim Herausputzen der Tiere. Bataa entdeckte Doro, die schon ganz hübsch geschmückt aussah. Es schien ihr gut zu gefallen. Bataa erfuhr von Bodio, dass heute und morgen ein großes Fest gefeiert wird. Das schönste Kamel erhält einen Preis, ebenso das edelste, schnellste und prächtigste Pferd - und, da staunte Bataa, auch die hübschesten Menschen wurden gekürt. Die Ringkämpfe durften auf keinem Fest fehlen, ebenso wenig wie das Bogenschießen. Die Männer bereiteten sich schon darauf vor.

Mit jeder Stunde versammelten sich mehr und mehr Menschen und Tiere an diesem Platz. Es wurde gesungen und Musik gespielt. Das war ein Erlebnis. Schließlich begannen die Wettkämpfe. Edith und Bataa schauten gespannt zu und drückten mal dem einen mal dem anderen Ringer die Daumen - äh, die Federn - oder jauchzten über die gelungenen Treffer der Bogenschützen. Dann geschah etwas, womit niemand gerechnet hatte. Der Mann, der jetzt gerade seinen Bogen spannte - das war Bataas Vater! Er erkannte seinen Sohn unter den Zuschauern, ließ im selben Moment seinen Bogen fallen und stürmte auf ihn zu.

"Bataa, was machst du denn hier?" Er war so erstaunt und verwirrt, umarmte seinen Jungen aber voller Freude. "Papa, sei nicht böse, aber ich hatte so ein fürchterliches Heimweh!" Bataas Vater ließ sich die ganze Geschichte seines abenteuerlichen Heimweges berichten, lernte auch Doro und Edith kennen und nachdem sie alle etwas gegessen und getrunken hatten, versprach er seinem Sohn, dass er gern wieder nach Hause kommen kann und seine Weggefährten auch. Stolz zeigte er dann auf drei Kamele in der Herde: "Deine Doro wird sich freuen, denn die drei dort leben neuerdings bei mir und ich hoffe es werden noch mehr!"

Wer am Ende welchen Preis gewonnen hat, haben unsere Freunde über das Wiedersehen mit Bataas Vater völlig verpasst, sie freuten sich nur, nun ein gemeinsames Zuhause gefunden zu haben und endlich nicht mehr auf der Flucht zu sein.

Ende

zum 1. Dezember 2015


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