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KALENDERGESCHICHTEN/106: 10-2019   Der kleine Elefant - die zerrissene Seele ... (SB)



Die Gräfin und Johann beobachen heimlich aus einem Versteck Mama Maja mit dem Wundergras - Buntstiftzeichnung: © 2019 by Schattenblick

Mit einer List konnte Roland, der kleine Elefant, seinen Freund Nico aus der Gefangenschaft des hungrigen Tigers befreien, der so begierig darauf war, das Wundergras zu erproben, dass er die Flucht der beiden kleinen Elefanten nicht bemerkte. Als Nico und Roland endlich die Elefantenfamilie wiedergefunden hatten, befürchteten sie doch arges Schimpfen von Mama Maja. Nico und Roland liefen den kleinen Abhang hinunter und als sie von Mama Maja entdeckt wurden, trötete sie laut mit erhobenem Rüssel. Alle Elefanten horchten auf und blickten in die Richtung der beiden Ausreißer.

"Nico, mein Baby komm her", schluchzte Mama Maja und schlang ihren Rüssel zärtlich um seinen Hals. "Geht es dir gut, ist dir auch nichts passiert? Bist du verletzt, hast du dir wehgetan?"

"Nein Mama, ich bin heil und ganz gesund und das habe ich Roland zu verdanken, der mich gerettet hat", versuchte Nico seine Mama zu beruhigen. Aber das gelang ihm gar nicht, denn völlig aufgeregt fragte sie: "Gerettet? Wovor, verdammt noch mal, was ist geschehen? Was habt ihr getan?" Mit dieser letzten Frage wandte sie sich an Roland, den sie nun erst richtig bemerkte.

"Ja, ich bin auch froh wieder hier zu sein", begann Roland und wollte gerade weitererzählen, doch Mama Majas Stimmung wechselte nun plötzlich. "Seid ihr beiden eigentlich noch bei Trost, was ist in euch gefahren, dass ihr einfach weggelaufen seid? Ich habe mir solche Sorgen gemacht. Wir haben überall nach euch gesucht, gerufen, wieder und wieder nach euch gerufen", schimpfte sie nun doch sehr laut. "Und was hattet ihr so Wichtiges vor, dass ihr nicht einmal Bescheid sagen konntet? Oh, ich könnte euch die Elefantenohren lang ziehen", seufzte sie schließlich und ließ ihren Rüssel traurig hängen.

"Liebe Frau Maja", begann Roland, "wenn es Ihnen recht ist, dann kann ich es Ihnen in Ruhe berichten. Ich vermute, ich kann alles genau aufklären und sicherlich werden Sie nicht immer erfreut sein. Also, wollen wir uns etwas zurückziehen, damit ich erzählen kann, wie es sich zugetragen hat?"

"Oh, nein, wir Elefanten haben keine Geheimnisse voreinander und es sollen ruhig alle hören, was ihr getan oder vielleicht nicht getan habt!", bestimmte sie mit frostiger Stimme.

Roland und Nico sahen sich mit einem Mal von großen und kleineren Elefanten umringt, alle mit aufgestellten Ohren und aufmerksamen Blicken. Das war den beiden ziemlich unangenehm, aber es half nun alles nichts und Roland begann von Anfang an zu erzählen, wie sie sich aufmachten, um die Wunderpflanze zu finden, weil sie schnell groß werden wollten, wie sie in das Reich des alten hungrigen Tigers geraten waren, der sie gefangen genommen hatte und schließlich wie es Roland angestellt hatte, Nico zu befreien.

Begleitet wurde sein Bericht von vielen "Ohs" und "Ahs", von "Oh je, oh jes" der umstehenden Elefanten. Mama Maja hatte sich alles angehört, ohne Rolands Bericht zu unterbrechen, doch als er geendet hatte, schüttelte sie den Kopf: "Ihr seid ja völlig verrückt geworden. Eine Pflanze zu suchen, die ihr nie zuvor gesehen habt, ist ja schon ziemlich unsinnig. Aber selbst wenn ihr sie gefunden hättet, was wäre dann? Keiner von euch weiß, wie man sie zubereitet!" Abermals schüttelte sie verständnislos den Kopf. Nico und Roland standen ziemlich bedröppelt da und schauten verlegen auf ihre Füße.

"Hmm, was machen wir denn jetzt mit euch?", besorgt blickte Mama Maja die beiden an. "Mama, ich will ab jetzt lieber von ganz allein groß werden, aber Ronny, der kann das nicht und ich möchte dass du ihm bitte die Pflanze gibst. Er wünscht sich doch so sehr ein großer Elefant zu sein", bat Nico mit Tränen in den Augen.

Das rührte die Elefantenmutter und als sie die versammelten Elefanten ansah, die eifrig nickten, mit den Ohren wackelten oder ihre Rüssel in die Höhe reckten, wusste sie, dass alle damit einverstanden waren, Roland die Wunderpflanze zu geben. Die Versammlung löste sich nach und nach auf und jeder ging wieder seiner Beschäftigung nach. Mama Maja machte sich auf den Weg, das ganz besondere Gras zu holen. Es war auch für sie nicht ganz einfach, den Ort an dem diese Pflanze wuchs, zu finden. Ihre ganze Aufmerksamkeit war darauf gerichtet, so dass sie nicht bemerkte, wie sie von zwei Menschen aus einiger Entfernung beobachtet wurde. Eine ältere Dame und ein Herr in einem merkwürdigen Anzug und mit einem noch merkwürdigeren Hut auf dem Kopf, versteckten sich hinter einem Busch.

"Johann, vielleicht führt uns dieser Elefant zu Roland. Kann es nicht sein, dass auch er Anschluss bei einer Elefantenfamilie gefunden hat, obwohl er so klein ist?", wollte die Dame, bei der es sich natürlich um die Gräfin handelte, die Meinung von Johann hören.

"Das wäre sicherlich eine Möglichkeit, die ich sehr begrüßen würde. Was also schlagen Sie vor, dass wir unternehmen?", wandte sich Johann an die Gräfin.

"Wir warten und folgen dem Tier in gemessenem Abstand, es wird uns sehr wahrscheinlich zu seiner Herde führen. Vielleicht haben wir Glück und finden dort den kleinen Ronny." Sie schaute betrübt zu Johann, der ihr jedoch aufmunternd zulächelte: "Wir werden ihn wiederfinden, ganz sicher!"

Und so schlichen sie dem großen Elefanten hinterher. Es dauerte nicht lange, bis Mama Maja das Wundergras gefunden hatte, es vorsichtig oberhalb der Wurzel abriss und mit dem dünnen Bündel im Rüssel den Heimweg antrat. Von ihren Verfolgern wusste sie nichts. Sie achtete nur darauf, dass sie das Gras möglichst frisch und unbeschadet nach Hause brachte, denn es war unglaublich wichtig, dass es wirklich frisch gepflückt war. Mama Maja trabte das letzte Stück des Weges. Die Gräfin und Johann hatten nun alle Mühe, ihr zu folgen. Endlich erreichte die Elefantenmutter das kleine Tal, traf sich mit dem Elefantenbullen und machte sich mit ihm und mit der Hilfe der alten Elefantendame an die Arbeit. Die Herstellung des Saftes aus dem Wundergras war nicht ganz einfach und musste rasch vorgenommen werden. Alle waren sehr bedacht, keine Fehler zu machen und große Sorgfalt walten zu lassen. Den gewonnenen Saft füllten sie in eine ausgehöhlte Melonenschale, in der er einen Tag und eine Nacht stehen gelassen werden musste. Am darauf folgenden Morgen könnte Roland ihn dann trinken.

Die Gräfin und Johann beobachteten von einer Anhöhe aus das Geschehen. Aber sie verstanden nicht, was die Elefanten dort vorhatten. Plötzlich gelangten Nico und Roland in ihr Blickfeld und als die Gräfin ihren kleinen Ronny erkannte, schrie sie vor Freude laut auf: "Ronny, mein kleiner Schatz, Ronny!"

Die Elefantenfamilie erschrak und im Nu schlossen sie sich zu einer angriffslustigen Elefantenmauer zusammen, um die kleinen Elefanten zu beschützen. Johann versuchte die aufgeregte Gräfin daran zu hindern, sich den Elefanten zu nähern, doch sie hörte nicht auf ihn und rief immer wieder: "Ronny, du lebst, zeig' dich doch, Ronny!", wobei sie direkt auf die Elefanten zusteuerte. Roland drängelte sich zwischen dene großen Elefanten hindurch, trötete laut ein "Hallo" und lief auf die Gräfin zu. Die herzte und liebkoste ihn, wobei ihr Freudentränen über die Wange kullerten. Johann trat nun auch hinzu und bekundete in seiner förmlichen Art, dass er sehr erfreut sei, ihn gesund und munter anzutreffen.

Roland war auch froh, seine beiden Menschenfreunde wiederzusehen. Aber schon wenige Augenblicke später begann ein Widerstreit der Gefühle in seinem Inneren zu toben. Sollte er mit der Gräfin gehen, bei ihr bleiben oder doch lieber hier bei den Elefanten, bei denen er sich recht wohl fühlte?

Fortsetzung folgt ...


zum 1. Oktober 2019


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