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PFLANZEN/026: Wald erzählt - Hört da jemand? (SB)


Wem der Wald was bedeutet

Es mag sich vielleicht so zugetragen haben ...


Als Wissenschaftler, genauer gesagt als Biologe, ging ich der Frage nach, welche Bedeutung der Wald für unseren Planeten hat. Selbstverständlich las ich unzählige Bücher zum Thema und reiste schließlich mit dem Gefühl, wirklich gut über den Wald und seine vielseitigen Aufgaben Bescheid zu wissen, in den Regenwald von Borneo. Ich hatte mich um ein Treffen mit einem Mann bemüht, der im Regenwald so lebt wie Generationen vor ihm dort auch schon gelebt haben. Er gehört zu einem der letzten Waldnomadenstämme und weigert sich strikt, sich in ein Reservat umsiedeln zu lassen. Vielmehr kämpft er mit allen Mitteln, damit das Morden der Bäume in seinem Wald ein Ende findet.

Als ich mein Reiseziel Borneo erreicht hatte, musste ich mich noch einige Tage gedulden, bis es schließlich zu einer Begegnung mit ihm kam. In der Zwischenzeit hatte ich das große Glück, einen Dolmetscher anheuern zu können, denn ebenso wie mein Gesprächspartner würde ich wohl kein Wort verstehen. Nach einem langen Marsch durch den dichten Regenwald, erreichten wir den Lagerplatz des Nomadenstammes. Verwundert schaute ich mich auf der Suche nach Hütten oder sonstigen Behausungen um. Es gab keine. Wir wurden freundlich begrüßt und setzten uns. Mehr und mehr Waldbewohner gesellten sich dazu. Nachdem ich mich vorgestellt und mein Anliegen vorgetragen hatte, ihn im Kampf um den Regenwald zu unterstützen, bat er mich zu sagen, was ich zu sagen hätte. Auf einmal war ich noch aufgeregter als zuvor. In Anbetracht dieser Menschen und der mächtigen Bäume, in denen ich ebenfalls Zuhörer zu erkennen glaubte, empfand ich eine tiefe Ehrfurcht. Bis heute weiß ich nicht genau, warum ich damals schon das Gefühl hatte, dass all mein angelesenes Wissen hier fehl am Platz war. Ich schluckte, nahm mich zusammen und sprach zu ihm, der Übersetzer war sichtlich bemüht, mein Wirrwarr an Worten meinem Gegenüber verständlich zu machen.


Foto: 2007, by Sadalmelik (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Die Landoberfläche mit Höhen und Tiefen von Borneo
Foto: 2007, by Sadalmelik (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Zunächst wollte ich ihm klarmachen, dass ich die Bäume liebte und dass ich begriffen hätte, wie wichtig sie für uns Menschen sind: Erstens liefern sie uns Holz, das älteste Baumaterial überhaupt und sehr vielseitig verwendbar. Man kann beispielsweise Hütten, Schiffe, Möbel und vieles mehr daraus bauen oder Papier herstellen. Begeistert schilderte ich ihm auch, wie toll die Bäume das Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen und es in ihren Blättern mit Hilfe des Sonnenlichtes aufspalten, so dass Sauerstoff frei wird, den wir so dringend zum Leben brauchen. Eifrig referierte ich weiter: In ihren Blättern und den grünen Pflanzenteilen befindet sich ein ganz besonderer Stoff, das Chlorophyll. Einmal ist es für die grüne Farbe verantwortlich, aber die eigentlich wichtige Aufgabe besteht in der Umwandlung von Kohlendioxid und Wasser in Traubenzucker. Dieser Traubenzucker bildet praktisch die Basis und unter Verwendung von weiteren Stoffen, die die Pflanze aus dem Boden aufnimmt, können noch andere lebenswichtige pflanzliche Substanzen wie Eiweiße, Fette, Cellulose und Holz gebildet werden.

Der Übersetzer sah mich mit großen Augen an. Mein Gegenüber blickte zum Übersetzer, der nun den Kopf schüttelte, dann aber weiter sprach. Da ich nicht wusste, was er sagte, verhielt ich mich still und wartete darauf, meine Ausführungen fortzusetzen. Mein Gesprächspartner, der ein angesehenes Stammesmitglied zu sein schien, denn die ungeteilte Aufmerksamkeit der umstehenden Menschen galt ihm, lächelte mich an und nickte mir zu. Also erhob ich erneut meine Stimme und fuhr fort.

Mir lag viel daran, dass sie verstanden, wie wichtig es ist, gegen das Abholzen des Regenwaldes vorzugehen. Denn in den Bäumen und im Boden werden große Mengen Kohlendioxid gebunden. Durch Brandrodung, Abholzen und Umpflügen wird dieses Kohlendioxid dann wieder an die Luft abgegeben, was auch bei allen Verbrennungsvorgängen geschieht, egal ob Öl, Kohle oder Holz verbrannt wird. Im Zuge der Industrialisierung, angefangen mit dem Bau der Dampfmaschine, der Eisenbahn und den ersten Fabriken bis heute, wo weltweit unzählige Kohlekraftwerke, Fabrikanlagen, Autos, Flugzeuge und dergleichen mehr, ebenso unfassbare Mengen an Kohlendioxid an die Atomsphäre abgeben, wird die Atemluft für Mensch, Tier und Pflanze immer schlechter. Deshalb müssen die Wälder auf der Erde erhalten bleiben, deshalb dürfen nur wenige und ganz kontrollierte Mengen abgeholzt werden, damit die Menschen leben können.


Blick auf eine Palmöl-Plantage, angelegt als großflächige Monokultur - Foto: 2008, by Achmad Rabin Taim from Jakarta, Indonesia (P3260479) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Palmöl-Plantage auf Java, wo es zuvor noch den Regenwald gab
Foto: 2008, by Achmad Rabin Taim from Jakarta, Indonesia (P3260479) [CC BY 2.0 (http://creativecommons.org/licenses/by/2.0)], via Wikimedia Commons

Nach einer langen Zeit des Schweigens erhob mein Gegenüber die Stimme und stellte mir eine Frage: "Warum kommt ihr mit Maschinen, schlagt die Bäume und schafft sie fort? Warum errichtet ihr Plantagen mit Pflanzen einer Sorte in so ungeheuren Mengen? Warum streut ihr Gift in den Boden? Warum wird unser Wasser schlecht und ungenießbar? Jahrhunderte alte Bäume werden brutal getötet, ihnen werden Äste und Zweige abgeschlagen und der nackte Stamm verschwindet für immer. Warum?


Große Mengen an geschlagenen Baumstämmen liegen in Haufen auf kahlem Erdboden - Foto: by Wilson Dias/Agência Brasil [CC BY 3.0 br (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/br/deed.en)], via Wikimedia Commons

Illegale Holzentnahme, Brasilien
Foto: by Wilson Dias/Agência Brasil [CC BY 3.0 br (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/br/deed.en)], via Wikimedia Commons

Gerade wollte ich antworten, als er mit einer Ernsthaftigkeit, die mich frieren lies, hinzufügte: "Bäume sind Leben, Menschen sind Leben - wieso machst du einen Unterschied?"

Wieder baute ich mich innerlich auf, um nochmals zu betonen, dass ich doch auch die Bäume retten will, da empfing ich einen kalten Blick und ich hielt inne.

"Warum raubt ihr hier die Bäume für eure Häuser, für eure Möbel, für euer Bio-Benzin - warum zerstört ihr unser Leben? Wie wäre es, wenn Fremde bei euch einfallen und alle Häuser niederreißen würden, weil sie die Ziegelsteine für sich nutzen wollen?"

Nach einer kleinen Pause wurde seine Stimme etwas sanfter und er erklärte, dass sie als Waldnomaden ganz und gar anders leben. Der Wald gehört niemandem. Vielmehr ist er ihnen wie Vater und Mutter, er bietet Schutz und Nahrung und sie leben in ihm und mit ihm. Sie nehmen nur das von ihm, was sie zum Sattwerden und zum Leben brauchen. Sie häufen keine Vorräte an, die würden in dem Regenwald schnell verderben. Auch kennen sie kein Geld. Wozu auch? Für sie ist es wichtig, dass alle ihres Stammes satt werden und sie sich gemeinsam vor Gefahren schützen.


Ein schmaler Waldstreifen in der Mitte, rundherum große Flächen nackten Erdbodens - Foto: 2007, by Pedro Biondi/ABr [CC BY 3.0 br (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/br/deed.en)], via Wikimedia Commons

Großflächige Entwaldung am Amazonasbecken
Foto: 2007, by Pedro Biondi/ABr [CC BY 3.0 br (http://creativecommons.org/licenses/by/3.0/br/deed.en)], via Wikimedia Commons

Ich war bestürzt. Schließlich wohnte ich in einer Großstadt - so wie sie konnte ich gar nicht leben, selbst wenn ich wollte. Er schien meine Gedanken gelesen zu haben, denn er hob den Kopf und sah mir freundlich in die Augen: "Unser Leben ist nicht besser oder schlechter als deines. Wenn du nur mit dem zufrieden wärst, was du in deinem eigenen Land vorfindest, wenn du und dein Volk nicht andere Länder ausrauben würden! Du sprachst von diesem Gift (Kohlendioxid), dass ihr mit eurer Industrie in die Luft blast. Wenn die Bäume die Luft verbessern, dann sorgt doch dafür, dass in eurem Land möglichst viele Bäume wachsen. Du willst Bäume im Regenwald retten. Ich bin hocherfreut. Doch beschleicht mich ein Gedanke. Bist du so sehr an dem Regenwald interessiert, damit du in deiner Heimat weiterhin Gift in die Luft pusten kannst, die dann durch die vielen Bäume hier wieder gereinigt wird? Und wieso holzt ihr dann den Regenwald ab? Mir ist es egal, wie du es erklärst. Wir leben und sterben mit dem Wald, wie viele Tiere und Pflanzen auch. Unser Kampf um den Regenwald ist ein Kampf um unser Leben!"

Nachdenklich und bedrückt bedankte ich mich bei ihm und kehrte zurück in eine Welt, deren Luxus mir auf einmal wie Diebesgut erschien.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

Angst um den Wald
"Tebarans Testament"
Dokumentation, Deutschland, 2010
Palmöl-Nachfrage zerstört den Wald in Borneo
Film von Matthias Klum
52 Min.

http://www.weser-kurier.de/startseite_artikel,-Mehr-als-drei-Billionen-Baeume-_arid,1200831.html

http://www.zeit.de/wissen/umwelt/2013-11/wald-abholzung-google

http://www.focus.de/wissen/natur/tiere-und-pflanzen/braende-stuerme-rodungen-us-forscher-dokumentieren-weltweites-waldsterben_aid_1159441.html



Im nächsten Teil:

Das Fehlen der Bäume (des Waldes) und die Auswirkungen auf Boden und Wasser.



26. Februar 2016


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