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PFLANZEN/028: Wald erzählt - wie Bäume sprechen ... (SB)


Der Baum - ein unbekanntes Wesen?


In den letzten drei Kapiteln von "Wald erzählt" wurde deutlich, wie wichtig der Wald für das Leben auf der Erde ist. Speziell der Mensch hat sich die Bäume zunutze gemacht. Alles was er für seine handwerkliche und technische Entwicklung benötigte, fertigte er zunächst aus Holz: Räder, Wagen, Fässer, Teller, Löffel, Häuser, Schiffe, Mühlräder, Brücken, Waffen, Eimer - die Liste lässt sich fortsetzen. Die Entwicklung zum modernen Menschen, der umgeben von digitaler Technik ist, hat ihren Anfang mit einfachen Holzgegenständen genommen. Keine Hütte wäre gebaut, kein Feuer im Herd entfacht, kein Waschkrug entstanden, keine Wiege, kein Bett gezimmert worden. Der Mensch hat den Bäumen viel zu verdanken. Aber sind die Bäume wirklich nur als Rohstoff zu verstehen? Wachsen sie tatsächlich nur, um gefällt und verbraucht zu werden?

Vor nicht allzu langer Zeit begab es sich, dass ich Zeuge eines Gespräches wurde. Eines höchst ungewöhnlichen allerdings. Eigentlich gehört es sich ja nicht zu lauschen, aber ich konnte einfach nicht anders, denn das, was ich sah und hörte, überraschte mich dermaßen, dass ich wie angewurzelt stehen blieb. Eine gewaltig große, mächtige Eiche, gekrönt mit einem imposanten, ausladenden Blätterdach, sprach mit tiefer und sanfter Stimme zu einem kleinen Mädchen. Da ich unbemerkt bleiben wollte, hielt ich mich hinter einer Buche versteckt.

Eine große Eiche mit ausladendem Blätterdach im hellen Sonnenlicht - Foto: 2007 by Rainer Lippert (Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

Reither Eiche im hellen Sonnenlicht
Foto: 2007 by Rainer Lippert
(Own work) [Public domain], via Wikimedia Commons

"Weißt du, ich bin traurig, denn ich kenne dich gar nicht. In der Schule habe ich zwar so viel lernen müssen über Bäume, wie sie sich vermehren, wie sie wachsen, wie sie Nährstoffe aufnehmen und verteilen, wie das Wasser in die Blätter gelangt und dass ihr Bäume Fotosynthese betreibt. Ich weiß auch, dass das für alles Leben auf der Erde ganz wichtig ist, wegen des Sauerstoffs in der Luft und so und auch, dass ihr ganz viel Kohlendioxid aufnehmt und zu Nährstoffen verarbeitet, damit ihr Holz machen könnt, oder so ähnlich, - ja, damit ihr eben wachsen könnt."

Die Eiche antwortete: "Nun das hört sich für mich sehr merkwürdig an, aber wenn du das in der Schule gelernt hast, hat das wohl seine Richtigkeit. Ich selbst weiß von alledem nichts - aber ich habe auch nie eine Schule besucht!" Die Eiche fing an zu lachen, was ein wildes Blätterrauschen verursachte. "Aber sprich doch Kind, was bekümmert dich denn nun so sehr?"

"Ich weiß nicht genau wie ich es sagen soll, aber wenn Bäume gefällt werden, dann tut mir das total leid. Wenn ich den Eichenschrank von meiner Oma betrachte, wird mir ganz warm ums Herz, weil ich denke: "Das war mal ein großer, starker Baum". Oma sagt, dass sie stolz ist auf ihren Schrank, weil er schon seit 200 Jahren in ihrer Familie von einer Generation zur nächsten vererbt wird und wenn ich wolle, dann könne ich ihn irgendwann auch von ihr bekommen."

"Tja, das erheitert mich nicht gerade. Die Vorstellung zersägt zu werden, damit aus mir ein Schrank werden kann, ist ganz schön gruselig", gestand der Baum. "Ich möchte hier im Wald bleiben mit all den anderen Bäumen. Aber mir gefällt, dass deine Oma Ehrfurcht und Achtung vor dem Holz hat und sie wahrscheinlich nicht vergessen hat, dass ihr Schrank einst gelebt hat. Viele erinnern sich nicht daran und gehen recht achtlos mit Holz um."

"Ja, ich weiß. Meine Oma schimpft auf die großen Möbelhäuser, die es am liebsten sähen, wenn möglichst viele Menschen möglichst viele Möbel kaufen - alle paar Jahre neue Möbel! Irgendwie finde ich das alles nicht richtig ...", klagte das Mädchen.

Wie das Gespräch weiter verlief, konnte ich nicht mehr mitverfolgen, denn vor mir stand urplötzlich ein laut kläffender Hund - mein Versteck war entdeckt und ich entschied mich unverzögert, das Weite zu suchen. Da mir selbst nicht das Glück zuteil wurde, dass ein Baum zu mir sprach, forschte ich weiter in Büchern und befragte Wissenschaftler, in der Hoffnung, etwas über den Baum als Baum zu erfahren. Und so fand ich das nun Folgende heraus:


Der Baum im neuen Licht der Wissenschaft

Immer mehr Wissenschaftler, insbesondere Biologen, entdecken die Pflanzen als Lebewesen mit erstaunlichen Fähigkeiten und Empfindungen. Pflanzen erkennen ihre Umgebung und reagieren auf vielfältige Weise auf Angriffe oder Berührungen, auf Wind und Wetter. Sie wachsen dem Licht entgegen und gleichsam streben ihre Wurzeln in den Erdboden.

In vielen Versuchen stellten sie fest, dass die Pflanzen, große, kleine und natürlich auch die Bäume, Schmerz empfinden. Ihre Verletzungen heilen Bäume durch spezielle Säfte, die sie absondern. Das kann Harz, Kautschuk oder ähnliches sein. Die Substanzen schützen vor Infektionen und versiegeln die Wunde. Bäume können sich zwar nicht vom Fleck bewegen, aber in ihnen findet eine Menge Bewegung statt, man kann sagen, dass sie ununterbrochen unterwegs sind, allerdings überwinden sie keine Strecken wie wir. Ihre Bewegungsrichtung verläuft von oben nach unten oder von unten nach oben. Natürlich dauert alles ein wenig länger als bei den meisten Menschen und Tieren, aber die Auswirkungen dieser Bewegung sind eindeutig wirksam. Wasser und Nährstoffe werden über die Wurzeln, den Stamm, die Äste und Zweige bis in die Blätter gesogen. Baumzellen werden erneuert oder sterben ab. Holz wird gebildet, Rinde entsteht - der Baum wächst. Bisher wurde die Auffassung verbreitet, dass die Bäume im Kampf um Licht und Nährstoffe leben, wobei sich der stärkste oder zuerst gewachsene durchsetzt. Diese Ansicht kann heute in dieser Kürze eigentlich nicht mehr aufrecht erhalten werden, denn die Bäume leben durchaus in Gemeinschaften und sie helfen sich gegenseitig, indem sie sich vor Fraßfeinden warnen. Natürlich rufen sie sich keine Alarmrufe zu - sie haben andere Möglichkeiten.


Mehrere kräftige Baumstämme wachsen dicht nebeneinander in die Höhe - Foto: © 2016 by Schattenblick

Leben auf engstem Raum
Foto: © 2016 by Schattenblick



Wie sich untereinander verständigen

Bäume haben immer einen triftigen Grund, sich Botschaften zukommen zu lassen. Die Akazie beispielsweise, sendet Duftstoffe aus, wenn sie von einer Antilope oder Giraffe angefressen wurde. Sie hat zwar auch spitze Dornen als Schutz, doch die Tiere haben gelernt, mit viel Geschick an diesen Dornenspitzen vorbei zu fressen. Also stellt der Baum zunächst einen bitteren, giftigen Stoff her, der Tannin heißt, um der Giraffe den Appetit zu verderben. Würde zum Beispiel eine Antilope zu viel davon fressen, kann dieses Gift auch für sie tödlich wirken. Nebenher erzeugt die Akazie ein Gas mit einem speziellen Duft, der mit dem Wind ungefähr 45 Meter weit getragen werden kann. Die in der Nähe befindlichen Akazien werden durch diesen Duft gewarnt und fangen sofort an, auch das giftige Tannin herzustellen. Gerät nun eine Giraffe an einen dieser vorgewarnten Bäume, wittert sie den Geruch, der sie vorsichtig werden lässt und entweder knabbert sie nur kurze Zeit an den Blättern oder gar nicht. Sie zieht weiter, bis sie wieder auf eine nicht gewarnte Akazie trifft und alles wiederholt sich. [1]

Bäume halten zu Nachbarbäumen auf unterschiedliche Weise Verbindung, über Wurzeln oder Duftstoffe. Ihre eigenen Wurzeln reichen oft nicht direkt bis zu einem anderen Baum, weil sie mehr in die Tiefe wachsen, aber sie haben einen Gehilfen. Den Mykorrhiza-Pilz. Ihre Art und Weise des Zusammenlebens dauert nun schon mehr als 400 Millionen Jahre an. Man kann also sicher sagen, dass sie sich bewährt hat. Mykorrhiza Pilze können sich nicht selbständig ernähren. Nur durch die Verbindung mit einer Pflanze ist ihnen das möglich. Der Pilz dringt mit seinen dünnen Fäden in ihre Wurzeln und erlangt auf diese Weise die für sie notwendigen Kohlenhydrate. Als Gegenleistung sondert Mykorrhiza Phosphate und andere Nährstoffe an die Pflanzenwurzeln ab. Diese Stoffe werden aufgenommen und weitergeleitet. Sie wirken als Dünger und fördern das Wachstum der Partnerpflanze, bei der es sich vorzugsweise um einen Baum handelt.

Eine weitere Art des Kontakts von Baum zu Baum sieht wie folgt aus: Nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen verteilen die Bäume Kohlenstoff über ihre Wurzeln an andere Bäume und zwar nicht nur an die der eigenen Art, sondern auch von einer Buche zu einer Fichte zu einer Lärche oder Föhre. Es wird vermutet, dass die Weitergabe von Kohlenstoff, bei dem es sich um einen Grundbaustein der Nährstoffe handelt, nur über das gemeinsame Fädengeflecht der Mykorrhiza-Pilze möglich ist. Durch dieses Pilzgeflecht sind die Bäume eines natürlichen Mischwaldes eng miteinander verbunden. Bäume sind also keine Einzelwesen.

Bisher ist nur ein winziger Teil über ihre unterirdische Verbindung zueinander bekannt. Und das auch nur, weil die Forscher ja ein klares Ziel vor Augen hatten und genau wussten, was sie beweisen wollten. Deshalb suchten sie nach einem ihnen bereits bekannten Stoff (Kohlenstoff) und richteten ihre Versuchsanordnung dahingehend aus, den Weg dieses Stoffes verfolgen zu können. Aber was noch alles und in welcher Weise dort unten zwischen den Bäumen, den Pilzen und vielleicht noch anderen Mitwirkenden geschieht, bleibt uns verborgen. Über den Baum bleibt nur zu sagen, dass es noch unglaublich viel über sein Wesen und sein Leben zu erfahren gibt.


Anmerkung:

[1] KINDERBLICK/NATURKUNDE/PFLANZEN/019: Die Selbstverteidigung der Pflanzen - Giftküche, Drogen und willige Helfer (Die Akazie)



Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://www.unibas.ch/de/Aktuell/News/Uni-Research/Ueberraschung-im-Wald-Baeume-tauschen-untereinander-Kohlenstoff-aus.html

http://www.planet-wissen.de/natur_technik/pflanzen/sinne_der_pflanzen/pflanzen_wehren_sich.jsp

http://www.spektrum.de/lexikon/biologie-kompakt/mykorrhiza/7904

http://q-more.chemie.de/q-more-artikel/77/pflanzenfluesterer.html


7. Mai 2016


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