Schattenblick → INFOPOOL → KINDERBLICK → NATURKUNDE


TIERE/0138: Ich bau' mir ein Nest - der Kuckuck stirbt zuerst ... (SB)



Die meisten Vögel bauen mehr oder weniger kunstvolle Nester. Es ist schon beachtlich, mit welchem Geschick sie aus Halmen Flechtwerke herstellen, aus Wollhaaren und Federn oder jedem nur erdenklichen Material ihre Nester anfertigen, in die sie ihre Eier legen. Einige machen es sich einfacher und scharren lediglich eine Mulde in den Erdboden oder nehmen mit nur etwas Moos und Flechten auf Gestein als Eiablageplatz Vorlieb. Doch ein Vogel weigert sich, selbst ein Nest zu bauen. Kann er es nicht? Ist er vielleicht einfach zu faul? Doch hier ist Einhalt geboten, denn meistens hat ein scheinbar merkwürdiges Verhalten von Tieren einen triftigen Grund. Sehen wir uns diesen Vogel, bei dem es sich um den Kuckuck handelt, einmal etwas genauer an.


Ein Vogel mit schlechtem Ruf

Dem Kuckuck eilt sein schlechter Ruf voraus: das Kuckucksweibchen legt ihre Eier in fremde Nester! Nicht nur das, sie wirft gegebenenfalls auch die Eier des unfreiwilligen Wirtsvogels hinaus oder frisst sie auf. Manchmal werden sogar die bereits geschlüpften Nestlinge von dem Kuckuckjungvogel hinausgedrängt, um sich mehr Platz zu verschaffen. Hier handelt es sich um ein sogenanntes brutparasitäres Verhalten. Auf den ersten Blick scheint es so, als sei der Kuckuck einfach ein gemeiner Kerl, der die Brutpflegetätigkeit anderer Vogeleltern ausnutzt, damit sie das Kuckucksei ausbrüten und den kleinen Kuckuck aufziehen. Weder das Kuckucksweibchen und schon gar nicht das Männchen kümmern sich nach erfolgreicher Eiablage in einem Wirtsnest um ihren Nachwuchs. Sie sind ohnehin eher als Einzelgänger zu bezeichnen und trennen sich alsbald nach der Paarung voneinander, scheinen also keinerlei familiäre Bindung zu kennen. Ein Weibchen lässt sich zudem auch von mehreren Männchen begatten. Man könnte meinen, sie würden ein unbeschwertes Leben führen. Doch erfordert dieses brutparasitäre Verhalten eine ganze Reihe an Anpassungsleistungen des Kuckuckvogels, so dass es fraglich wird, ob dieses Vorgehen wirklich der leichtere Weg ist oder ob es nicht mit weniger Aufwand verbunden wäre, sich ein eigenes Nest zu bauen. Da dieser Vogel jedoch seit Jahrtausenden gerade dieses Brutverhalten bevorzugt, sollte es etwas genauer untersucht werden.


Der Kuckuck passt sich an

Das Kuckucksmännchen kehrt als erster aus dem Winterquartier, den südlichen Regionen Afrikas, zurück und wählt ein geeignetes Revier. Es müssen keine Mischwälder sein, doch gern sollten Bäume, Büsche oder Sträucher in dem Gebiet wachsen. Wasserläufe, hohes Gras und Gestrüpp sollten auch vorhanden sein. Doch der viel ausschlaggebendere Grund für die Wahl eines Reviers ist ein anderer: dort wo ausreichend viele Brutstätten einer möglichen oder bevorzugten Wirtsvogelart vorhanden sind, lässt er sich nieder. Dazu gehören beispielsweise die Rohrsänger, Grasmücken, Pieper, Bachstelzen, Neuntöter, Rotschwänze und sogar der kleine Zaunkönig.


Die Flügel sind dunkelgrau mit hellen Rändern und Spitzen, das Gefieder am Bauch wirkt durch die kleinen dunklen Federspitzen wie mit schwarzen Bändern versehen - Grafik: © 2020 by Schattenblick

Kuckucksmännchen
Grafik: © 2020 by Schattenblick


Das etwas später eintreffende Weibchen sucht sich ebenfalls ein Revier, das möglichst viele mögliche Wirtsnester aufweist. Es folgt dem Kuckucksruf des Männchens, stößt ihrerseits aber einen aufreizenden Kickerruf aus, der das Männchen noch mehr erregt und zudem weitere männliche Kuckucke anlockt. Nach der Paarung mit einem oder mehreren Männchen sucht das Weibchen einen günstigen Platz auf, meist in höherer Lage, von dem aus es das von ihr ausgewählte Nest beobachten kann. Sind die Eigentümer des Nestes gerade unterwegs, ist das die Gelegenheit für das Kuckucksweibchen, ihr Ei in das fremde Nest zu legen. Doch es bleibt nur wenig Zeit, denn vor der Rückkehr der Nestbauer muss das Kuckucksweibchen wieder verschwunden sein.

Eine andere Methode der schnellen Eiablage ist, wenn das Ei an anderer Stelle bereits gelegt, dann in den Schnabel genommen und eiligst in das Wirtsnest transportiert wird. Vorzugsweise sucht das Kuckucksweibchen Nester auf, in denen sich bereits Eier des Wirtsvogels befinden. Das Erstaunliche ist, dass das Kuckucksei den Eiern des Wirtsvogelpaares zum Verwechseln ähnlich sieht. Nur die Schale ist dicker. Das dient als Schutz für den Fall, dass die Wirtseltern das Ei als fremd entlarven und es zerstören wollen, was nur wenigen gelingt.

Der Nachteil für das Kuckucksküken ist allerdings, dass es sich sehr anstrengen muss, will es die relativ stabile Schale mit seinem Eizahn durchbrechen. Die Kuckucksweibchen sind vermutlich aufgrund einer genetischen Veranlagung dazu in der Lage, die Musterung der Eischale an jene der über viele Jahre bevorzugten Wirtsvogelart anzupassen. Es heißt, dass das Kuckucksweibchen jene Vogelart als Pflegeeltern bevorzugt, in deren Nest es selbst geschlüpft ist und aufgezogen wurde.

Aber das Weibchen ist ebenso dazu fähig, ihr eigenes Ei bereits im Mutterleib zu bebrüten. Ihre Körpertemperatur steigt in dieser Zeit auf ungefähr 40°C an. Legt sie nun ihr Ei in ein fremdes Nest, so hat die Entwicklung des Kükens bereits begonnen, was den Vorteil hat, dass es etwa zeitgleich mit denen der Wirtsvogelküken oder schon vorher ausschlüpfen kann.

Bald nach dem Schlüpfen beginnt das Kuckucksküken mit einer ihm angeborenen Bewegungsfolge, die Eier des Wirtsvogels aus dem Nest zu befördern. Ob ihm das gelingt, hängt auch davon ab, wie das Nest gebaut ist. Sind die Nestwände zu hoch, so verbleiben die Eier darin und das Kuckucksküken wächst mit Nestgeschwistern auf. Wie lange das gutgeht, ist fraglich. Ist das Küken zu groß geworden, muss es das Nest verlassen, doch fordert es weiterhin das Wirtselternpaar mit seinem aufgesperrten Schnabel dazu auf, es weiterhin zu füttern. Doch nicht alle Kuckuckseier werden ausgebrütet. Es kommt vor, dass die ausgewählten Nester von den Wirtsvögeln verlassen werden, wenn sie ein fremdes Ei darin erkennen und nicht in der Lage sind es zu zerstören. Sie bauen sich dann ein neues Nest und beginnen eine weitere Brut.

Manche Kuckucksweibchen legen ihr Ei manchmal in ein bereits verlassenes Nest, wo es erkaltet. Auch Nesträuber verhindern ein Ausbrüten, sie machen keinen Unterschied zwischen Wirtsvogeleiern und dem Kuckucksei.

Es werden über 100 verschiedene Wirtsvogelarten in dem mitteleuropäischen Raum genannt, doch nur weniger als die Hälfte von ihnen bebrüten die Kuckuckseier. Außerdem zeigen sich einige Wirtsvögel als sehr wehrhaft gegen Kuckucksweibchen, die sich in der Nähe ihrer Nester aufhalten. So sind Teichrohrsänger und Drosselrohrsänger in der Lage, ein Weibchen anzugreifen und sogar zu verletzten, um es an einer Eiablage zu hindern. Berücksichtigt man diese Fehlerquote, wird verständlich, warum die Kuckucksweibchen möglichst viele Eier in Nester anderer Vögel legen wollen und sich von mehreren Männchen begatten lassen. Das erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass genügend Eier ausgebrütet werden, um ihre Art zu erhalten. Doch bleibt die Frage, warum sie keine eigenen Nester bauen immer noch ungeklärt.


Warum baut der Kuckuck kein eigenes Nest?

Viele Wissenschaftler haben sich über dieses Verhalten den Kopf zerbrochen, Vermutungen angestellt und Versuchsanordnungen erdacht, um eine Erklärung zu finden. Im 18. Jahrhundert vermutete ein Ornithologe, dass es sich bei dem fehlenden Brutpflegeverhalten um einen anatomischen Defekt handeln könne. Das wurde allerdings durch entsprechende Versuche widerlegt.

Eine verbreitete Überlegung ist folgende: da die Kuckucke eine sehr lange und sehr anstrengende Reise aus ihrem Winterquartier in ihre nördlichen Brutgebiete zurücklegen müssen, bliebe ihnen nur wenig Zeit für Nestbau, Paarung und Brutpflege und sie könnten wahrscheinlich nur eine geringe Zahl an Eiern ausbrüten. Wie dem auch sei, sicher ist, dass die Arterhaltung für den Kuckuck immer schwieriger wird. In einigen Regionen ist dieser Vogel bereits vom Aussterben bedroht.

Da der Bestand der Singvögel in unseren Breiten dramatisch zurückgegangen ist, fehlt es auch dem Kuckuck an Wirtsvögeln. Verantwortlich für das Singvogelsterben und damit verbunden auch für den Rückgang der Kuckucksbestände ist die Zerstörung der Lebensräume durch Besiedlung und die moderne Landwirtschaft mit dem entsprechend hohen Einsatz an Pestiziden (Pflanzenschutzmittel), die für Vögel und Insekten tödlich wirken. Verschwunden sind beispielsweise eine Unzahl an ganzen Bienenvölkern, es fehlen viele Käferarten, Raupen und Schmetterlinge, sowie eine große Zahl an Wildbienen und Kleinlebewesen, die in Feldern, Wiesen, Äckern und Umgebung beheimatet waren. Als Nahrungsquelle für viele Singvögel sind sie verlorengegangen. Da wo es keine Vögel als mögliche Wirtseltern für die Kuckucke mehr gibt, hat auch er keine Überlebenschance.

Zudem könnte der Klimawandel für den Kuckuck zum Verhängnis werden. Für viele Vogelarten hängt der Vogelzug und der Beginn der Brutzeit von der vorherrschenden Temperatur ab. So sind einige Arten viel früher unterwegs und brüten dementsprechend früher. Der Kuckuck aber hält sich ziemlich genau an seine Abflugs- und Ankunftszeiten. So kann es passieren, dass in vielen Nestern das Ausbrüten der Wirtsvogeleier schon weit vorangeschritten ist, oder bereits Jungvögel geschlüpft sind. Der Kuckuck hat dann keine Möglichkeit mehr, sein Ei in ein fremdes Nest zu legen. Sollte es ihm trotzdem noch gelingen, so wird sich das Kuckucksküken wahrscheinlich als letztes aus dem Ei picken. Es würde dann eine langsamere Entwicklung durchmachen, da es die Nahrung mit den anderen, älteren Nestgeschwistern teilen müsste.

Wie auch immer man sich den Brutparasitismus bei den Kuckucken erklären will, muss man doch erkennen, dass auch dieses Tier sich in einem Überlebenskampf befindet. Momentan sieht es ganz so aus, dass sein jahrtausendelang gelebtes Verhalten sich in unserer Zeit als Nachteil auswirkt.


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://www.nabu.de/tier-und-pflanzen/aktionen-und-projekte/vogel-des-jahres/2008-kuckuck/07228.html

https://www.brodowski-fotografie.de/beobachtungen/kuckuck.html

Brehms Tierleben
Die Vögel
Biblographisches Institut
Leipzig und Wien, 1921
S. 436


14. Juni 2020


Zur Tagesausgabe / Zum Seitenanfang