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TIERE/148: Flügelforschung ... (SB)



Libellen sind schon seit ca. 200 Millionen Jahren auf der Erde anzutreffen. Bis heute haben sich viele weitere Arten entwickelt und man darf wohl sagen, dass sich ihre Überlebenstechnik als erfolgreich erwiesen hat. Im Insektenreich fallen sie durch ihre geschickten Flugkünste auf. Sie können in der Luft auf der Stelle verharren, ungeheuer schnell fliegen, kurze, abrupte Wendemanöver vollziehen und einige Arten beherrschen sogar das Rückwärtsfliegen. Sehen wir uns diese Insekten, insbesondere ihre Flugtechnik, einmal etwas genauer an. Die Libellen faszinieren Menschen nicht nur, sondern sie dienten und dienen immer noch als Vorbild für verschiedene Erfindungen. Da es sehr viele Libellenarten gibt, wenden wir uns hier beispielhaft der Blaugrünen Mosaikjungfer (Aeshna cyanea) zu. Sie gehört zur Familie der Edellibellen (Unterordnung: Großlibellen (Anisoptera)) und ist in den mitteleuropäischen Ländern weit verbreitet.


Ein ganz spezieller Insektenflug

Die Spannweite einer Blaugrünen Mosaikjungfer kann von 9,5 bis 11 Zentimeter betragen. Ihre Flügelpaare, Hinter- und Vorderflügel, sind nahezu gleich groß und können getrennt voneinander bewegt werden. Diese Besonderheit ermöglicht es den Libellen, die oben erwähnten Flugmanöver durchzuführen.


Die Libelle von oben betrachtet - Das feine Adernetz der Flügel ist zu erkennen - Foto: © 2022 by Schattenblick

Blaugrüne Mosaikjungfer
Foto: © 2022 by Schattenblick


Ihre Flügel sind oft nahezu durchscheinend und mit einem weiten Netz von Flügeladern durchzogen. Das verleiht ihnen eine hohe Stabilität. Außerdem setzt die Flugmuskulatur bei ihnen direkt an den Flügeln an, was eine rasche Steuerung der einzelnen Flügelpaare ermöglicht. Die Facettenaugen der Großlibellen sind im Unterschied zu denen der Kleinlibellen sehr groß und es scheint, als würden sie in der Mitte zusammenstoßen. Doch bleibt zwischen ihnen stets ein kleiner Zwischenraum, damit ist ihnen ein sehr weites Sichtfeld nach vorn und zu den Seiten gegeben, was ihnen beim schnellen Fliegen und Orientieren zugutekommt.


Die Augen der Libelle liegen dicht beieinander und sind auffallend groß - Foto: © 2022 by Schattenblick

Facettenaugen der Libelle
Foto: © 2022 by Schattenblick


Sie erreichen Geschwindigkeiten von bis zu 50 km/h (Stundenkilometer), was bei der Jagd auf andere Insekten nützlich ist; die Blaugrüne Mosaikjungfer zählt zu den räuberischen Insekten. Im Vergleich zu Stubenfliegen oder Bienen mit ca. 200 Flügelschlägen pro Sekunde erscheint es erstaunlich, dass sie mit nur 30 Flügelschlägen pro Sekunde diese Geschwindigkeit erreicht. Die Flugfertigkeit der Libellen hat schon vor hunderten Jahren viele Menschen begeistert. Auch Wissenschaftler wollten herausfinden, welche körperlichen Gegebenheiten diese Insekten zu den diesen Flugkünsten befähigen.


Die Flügel der Libelle als Forschungsprojekt

Mit den heutigen technischen Möglichkeiten gelang es, die fast durchscheinenden Libellenflügel mit einem starken Licht- oder einem Elektronenmikroskop zu untersuchen. Dabei kamen Wissenschaftler zu erstaunlichen Erkenntnissen. Schon mit bloßem Auge sind die feinen Äderchen, die den Flügel gleich einem Netz durchziehen, zu erkennen. Nähere Untersuchungen ergaben nun, dass die Verbindungen oder Knotenpunkte dieses Netzes aus einem bestimmten Eiweiß bestehen, dem Resilin. Es hat die Eigenschaft elastisch zu sein und wie Gummi zu wirken.


Eine Libelle von oben abgebildet, deutlich zeichnet sich ein filigranes Adernetz ab - Foto: © 2022 by Schattenblick

Der Libellenflügel ist von einem feinen Adernetz durchzogen.
Foto: © 2022 by Schattenblick


Auf diese Weise wird das Flügeladernetz insgesamt elastisch. Ihre Flügel sind durch die feste Struktur der Flügeladern und ihrer elastischen Verbindungsknoten also gleichzeitig stabil und beweglich. Beim schnellen Wechsel der Flugrichtung passt sich die Flügelform an und das ist gut, denn wären ihre Flügel starr, würden sie der Belastung eines raschen Richtungswechsels nicht standhalten und brechen.


Flügel mit antibakterieller Wirkung

Bei neuesten Forschungen am Libellenflügel stießen Wissenschaftler auf eine erstaunliche Besonderheit: die Flügeloberfläche der Libellen wirkt antibakteriell. Das bedeutet, das Bakterien, die sich dort ansammeln, alsbald vernichtet werden. Materialforscher machten sich mit modernster Technologie daran, die Flügeloberfläche der Libellen daraufhin ganz genau zu untersuchen. Sie fanden dort winzige, abgestumpfte Stachel dicht an dicht angeordnet. Mit dem Begriff "Nanosäulen" wird verdeutlicht, wie klein sie sind: ein Millimeter, den wir gerade noch gut erkennen können, enthält eine Million Nanometer! Oder anders: 1mm = 1.000.000 nm. Unmöglich einen Gegenstand von Nanometergröße mit bloßem Auge sehen zu können. Das Interesse der Forscher ist groß, weil sie auf Basis dieser Erkenntnis Folien herstellen wollen, die ebenfalls antibakteriell wirken sollen. So könnten Lebensmittel in derartigen Folien verpackt werden. Dadurch wäre eine längere Haltbarkeitsdauer möglich. In der Sportmedizin ist der Aufbau der Libellenflügel von besonderem Interesse, das heißt, ihre gleichzeitige Stabilität und Beweglichkeit. Nach ihrem Vorbild wurden Gelenkbandagen mit diesen Eigenschaften konstruiert. Auch beim Bau der Helikopter (Hubschrauber) nahm man sich den Libellenflug zum Vorbild. Eine Weiterentwicklung im Nachbau einer Libelle ist der sogenannte BionicOpter, der nahezu sämtliche Flugmanöver dieses Insekts nachahmen kann. Zwar handelt es sich dabei bislang nur um Flugmodelle mit einer Spannweite von 63 cm und einer Rumpflänge von 44 cm, die gerade mal 175 Gramm wiegen, aber wer weiß, was daraus noch werden kann? Für Wissenschaftler und Techniker sind die Libellen in vielerlei Hinsicht von Interesse und regen zu Nachbildungen an.

Die Libelle scheint uns in mancherlei Hinsicht weit voraus zu sein. Vielleicht sind es die besonderen Flugfähigkeiten und die Gestaltung ihrer Flügel, die es diesen Insekten ermöglicht haben, über die vielen Millionen Jahre als Art zu überleben?


Diesem Artikel liegen folgende Quellen zugrunde:

https://www.pressetext.com/news/forscher-nutzen-nanosaeulen-als-bakterienkiller.html

https://www.spektrum.de/news/gummi-protein-macht-libellenfluegel-kunstflugtauglich/343482

https://www.vdi-nachrichten.com/technik/gesundheit/sportbandage-nach-dem-vorbild-von-libellenfluegeln/


26. September 2022

veröffentlicht in der Schattenblick-Druckausgabe Nr. 177 vom 1. Oktober 2022


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