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UNTERWEGS/018: Kasper erzählt vom Leben im Lauenburger Puppentheater (SB)

Tri-tra-trallala! Tri-tra-trallala!

Der Kasper, der ist wieder da!


Hallo Kinder!

Ich freue mich, bei euch in Heide zu sein. Im vergangenen Jahr war ich ja bereits hier. Dennoch sind mir viele eurer Gesichter unbekannt. Nur einige erkenne ich wieder, habt ihr mich doch schon im letzten Jahr hier besucht. Das vergesse ich nicht. Denn ich habe ein gutes Gedächtnis.

Trallala! Hallo Christoph, du begeisterter Puppenspieler, und hallo Oma! Schön, daß ihr wieder die lange Fahrt von 30 Kilometer auf euch genommen habt, nur um mir einen Besuch abzustatten.

Christoph, du hattest mir von deiner Lieblingsbeschäftigung, dem Puppenspielen, erzählt. Läßt du noch immer deinen Kasper zuhause auftreten? Ja! Das freut mich. Hast du ihn vielleicht sogar mitgebracht? Nein? Ach, wie schade. Ich hätte ihn gern einmal kennengelernt. Da hätten wir glatt als Zwillinge auftreten können. Das wäre ein Spaß geworden. Die Hexe und der Räuber hätten Augen gemacht, wenn ich gleich zweimal auf der Bühne erschienen wäre.

Aber nun zu unserem heutigen Spiel. Denn deshalb seid ihr ja hier zu uns in das Lauenburger Puppentheater gekommen. Ihr wollt wissen, was dieses Mal auf dem Programm steht und bereits gestanden hat? Ja, zur Eröffnung am Donnerstag sind wir zur "... Hexe Wackelzahn" gereist. Am Freitag haben wir den "Räuber Hotzenplotz" überrascht und am Samstag war "Die neugierige Prinzessin" mal wieder unterwegs. Sie konnte es auch dieses Mal nicht lassen, ganz alleine in den Wald zu gehen, obwohl das sehr gefährlich werden kann. Ja, und heute könnt ihr den "Pumuckl" treffen.

Es werden stets verschiedene Stücke gezeigt. Damit ihr euch nicht langweilt. Trallala! Ah, euer Protest zeigt mir, daß ihr euch bei mir und meinen Freunden niemals langweilt. Das ist schön. Dennoch ist es doch von unserem Puppentheaterdirektor prima, daß er stets mehrere Stücke auswählt, damit ihr euch nicht zweimal dasselbe ansehen braucht. Was? Eure Eltern wollen sowieso nur einmal mit euch hierher kommen? Das ist aber höchst schade, wo ich doch nur so kurze Zeit vor Ort bin und erst im nächsten Jahr wieder in Heide vorbeischaue.

Ihr findet, der Puppentheaterdirektor sollte ein Stück für Erwachsene aufführen? Damit eure Eltern auch Lust bekommen, ins Puppentheater zu gehen? Und ihr würdet sie ganz sicher auch begleiten?!

Na, da habt ihr gar nicht so unrecht. Wußtet ihr, daß früher die ersten Stücke, der "Faust" und die "Heilige Genoveva", die der Ur-Ur-Ur- ... nein, ich habe keine Uhr verschluckt - ich spreche von dem Ur-Ur-Urgroßvater unseres lieben Puppentheaterdirektors, dem Heinz Lauenburger senior. Also wußtet ihr, daß diese Stücke eigentlich überhaupt für Erwachsene, trallala, für die Senioren gespielt wurden?

Was Senioren und senior bedeutet, wollt ihr wissen? Senior ist der ältere und Junior der jüngere von unseren beiden Heinz Lauenburgers. So wird nicht nur das Puppentheater, sondern auch der Name von einer Generation zur nächsten weitergegeben. Der besagte mehrfache Urgroßvater allerdings hieß Lorenz Lauenburger. 180 und ein Jahr ist es her - also es war 1829 -, da gründete er in Schlesien sein Marionettentheater. Ja, Marionetten gaben den Ton an.

Trallala. Richtig, da habt ihr gut aufgepaßt. Draußen in unserem Puppentheatermuseum habt ihr bereits die ur-ur-uralten Marionetten betrachten können. Dort hängt auch ein Kasper herum. Na, bin ich froh, daß sie mich nicht an solche Fäden aufgehängt haben. Da könnte ich ja gar nicht meine Mütze so schön um meinen Kopf wirbeln. Seht ihr, so wie jetzt.

Ob ich selber auch schon so alt bin und von Anfang an dabei war? Na, sehe ich etwa so aus wie meine Kollegen im Museum? Nein, ich bin erst 80 Jahre jung und damit der Älteste unter den Handpuppen. Aber auch ich wurde wie die Marionetten und alle anderen Figuren in unserem theatereigenen Fundus - rund 100 Puppen an der Zahl - von Hand aus Lindenholz geschnitzt. Denn das ist ebenfalls Tradition bei der Lauenburger Puppenbühne.

Übrigens: Habt ihr unser schönes Zelt gesehen? Ach ja, ihr sitzt ja mittendrin! Lang, lang haben unser Theaterdirektor und ich uns danach gesehnt, ein neues, größeres und ebenfalls beheizbares Zelt erstehen zu können. Ach, was sage ich, einen ganzen Zelt-Palast. Und endlich - im vergangenen Jahr zu unserem 180igsten Jubiläum - ist der langgehegte Traum Wirklichkeit geworden.

Früher war das ja anders. Da zog der Ururgroßvater noch mit Pferd und Wagen von Ort zu Ort. Er spielte in Gaststätten oder auf der Kirmes. Dann wieder diente das hinteren Ende des Wagens als Bühne. Die Besucher standen oder hockten auf mitgebrachten Stühlen und Bänken dahinter. Da hofften unsere Figuren zu jeder Aufführung, daß es nicht regnen werde, damit die Vorstellung nicht ausfällt.

Seit etwa 40 Jahren kommt die historische Puppenbühne mit einem eigenen Theaterzelt vorbei. Doch 40 Jahre sind eine lange Zeit und so wurde es dringend nötig, das alte durch ein neues Zelt zu ersetzen. Während in das alte weiß-blaue Zelt etwa 50 bis 60 Personen hinein paßten, können in dem neuen elfenbeinfarbenen und mit Rot abgesetzten Zelt rund 500 bis 600 Besucher Platz finden - auch wenn ihr das dem Zelt nicht anseht und es euch trotz der großen Zuschauermenge noch immer ganz heimelig wird.

Ja, die alte Zeit. Als der Fernseher in Mode kam, wandelte sich unser Publikum. Die großen Leute blieben aus. Die Lauenburger Puppenbühne spielte nun vorwiegend für euch Kinder. Bestimmt kennt ihr die Geschichten vom Räuber Schwarzbart. Nein? Euch ist nur der Räuber Hotzenplotz bekannt? Ja, den haben wir auch im Programm. Dem Räuber Hotzenplotz muß ich manchmal ganz schön eins über die Rübe geben. Aber Ehrenwort, er ist noch immer glimpflich davon gekommen. Ja, und dann haben wir auch die Hexe Wackelzahn und die neugierige Prinzessin. Das habe ich ja schon erwähnt.

Wenn ihr in den letzten drei Tagen oder aber im vergangenen Jahr hier ward, seid ihr den beiden begegnet. Die Prinzessin konnte es einfach nicht lassen, in den Wald zu gehen und dort die Hexe zu suchen. Und weil niemand mit ihr gehen wollte, lief sie alleine fort und gleich in eine Falle, aus der ich, der Kasper, sie mal wieder retten mußte. Wäre sie doch lieber nicht mit der fremden Hexe mitgegangen. Ihr geht doch schließlich auch nicht mit Fremden mit oder? Seht ihr. Und ihr geht auch nicht von zu Hause fort, ohne Bescheid zu geben. Aber unser Prinzesschen mußte erst durch schlimme Erfahrungen lernen, wie gefährlich das werden kann. Jetzt ist sie hoffentlich nicht mehr so dumm.

Ob auch die Großen etwas bei uns lernen können? Na klar! Deshalb hat sich unser Heinz Lauenburger junior ja auch überlegt, die alte Tradition aufleben zu lassen und wieder das Stück vom "Faust" zu spielen. Das wird eine tolle Abendvorstellung. Im Herbst werden wir mit unserem reisenden Puppentheater - eines der wenigen seiner Art, die es noch gibt - in Hannover Premiere feiern.

Was gegeben wird? Nun, den "Faust" hat unser Juniorchef von vorne bis hinten im Kopf und kann ihn nur so aus dem Stegreif spielen. Das schafft er übrigens gleich noch mit sechs weiteren Stücken. Na, könnt ihr rechnen? Wieviele Stücke kann unser Lauenburger junior auswendig? Trallala, ich werde euch ein bißchen nachhelfen. Sechs Stücke kann er und den Faust. Das macht nach Adam Kasperle gleich sieben. Aber ich glaube, wenn es darauf ankommt, schafft er noch mehr. Schließlich haben wir 15 Stücke in unserem Repertoire.

Da könnt ihr wirklich in die Hände klatschen. So viele Geschichten im Kopf verdient Applaus.

"Na, Kasper kann rechnen?", fragt ihr euch. Aber klar doch. Auch die Kinder hier bei den fahrenden Leuten bekommen Unterricht. Bei den Schulaufgaben darf ich dann stets dabeisitzen und mitlernen oder aushelfen, wenn sie mal etwas nicht wissen. Für die Kinder hier ist Schule gar nicht so einfach. Denn sie gehen immer dort vor Ort zum Unterricht, wo das Zelt und die Wagen gerade aufgestellt sind. Das bedeutet, sie gehen alle naslang in eine andere Schule, und die Lehrer wechseln fast jede Woche.

"Prima!", findet ihr das. Mag sein, aber für unsere Kinder vom Puppentheater ist das manchmal mit ganz schönen Schwierigkeiten verbunden. Jede Schule nimmt gerade einen anderen Stoff durch. Da ist es ganz schön schwer, Anschluß zu finden. Außerdem haben die Schulen meist verschiedene Bücher. Dazu kommt, daß die Lehrer unseren Kindern teils das Lehrmaterial verweigern. Onkel Fabricio hat einmal erzählt, manche Lehrer hätten ihm keine Bücher mitgeben wollen, weil sie dachten, sie bekämen sie nicht zurück. Das ist doch gemein. Aber da ist Onkel Fabricios Mutter hingegangen und hat die Bücher geholt.

Manchmal hat sie auch die Hausaufgaben erfragt. Denn teilweise bekamen unsere Kinder gar keine Hausaufgaben auf. Die Lehrer glaubten, sie würden sie sowieso nicht machen. Aber jedes Kind will doch lernen! Es stellt sich nur die Frage, ob die Lehrer ihnen das beibringen, was sie wirklich wissen wollen.

Wenn Onkel Fabricio gefragt wird, was ihn denn am meisten in der Schule gestört hat, erzählt er stets, daß es das Schlimmste für ihn gewesen sei, wenn er in eine neue Klasse kam und alle ihn anstarrten. "Wanderkinder wurden wir genannt", erklärt er dann.

So, nun habe ich aber genug über das Leben hinter den Kulissen berichtet. Jetzt wollt ihr doch sicher das Leben auf der Bühne erleben. Also ich verabschiede mich erst einmal von euch. Schließlich wartet bereits Pumuckl da hinten. Hört ihr ihn schon schimpfen? Warten mag er nämlich überhaupt nicht! Also bis später, denn nach der Aufführung könnt ihr euch noch alle mitwirkenden Puppen aus der Nähe ansehen. Wenn ihr dann das Puppentheater verlaßt, winke ich euch noch einmal zu mit einer Rolle in der Hand. Das sind Poster, auf denen ich und meine Freunde zu sehen sind. Vielleicht wollt ihr euch ja ein Andenken an uns mit nach Hause nehmen. Also bis später.

Tri-Tra-Trallala! Der Kasper ist bald wieder da!

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im Mai 2010