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FRAGEN/002: Klaus Staeck - Für mich ist Kunst gleichzeitig Geheimnis und Geheimnisverrat (spw)


spw - Ausgabe 4/2010 - Heft 179
Zeitschrift für Sozialistische Politik und Wirtschaft

Für mich ist Kunst gleichzeitig Geheimnis und Geheimnisverrat
Interview mit Klaus Staeck über Kultur, Politik, graue Brötchen und phantastische Torten

Das Interview führten Christina Ujma und Stefan Stache


Kunst, Kultur und Kreativität stehen in vielen Aspekten quer zum karriere- und geldbesessenen neoliberalen Zeitgeist, sie stellen für dessen Protagonisten höchstens schmückendes Beiwerk, quasi die Blume im Knopfloch, dar. Aber auch die Parteien der Linken sind schon lange keine Kulturbewegung mehr, andere, gerechtere und solidarischere Formen des Lebens und Arbeitens stehen schon lange nicht mehr auf deren Tagesordnung. Das hat sie austauschbarer gemacht und die Fähigkeit das eigene Milieu trotz gelegentlicher Differenzen an sich zu binden, z.T. nachhaltig geschwächt. Während man in Italien gerade sehen konnte, wie Bewegungen, Linksparteien, Kultur und Medien mit ihren Protesten gegen die Einschränkung der Medienfreiheit die Regierung Berlusconi an den Rand des Scheiterns brachten, scheint solch eine Koalition in Deutschland in weiter Ferne zu liegen. Grund genug den Plakatkünstler, Grafiker und Verleger Klaus Staeck, der sich seit vielen Jahren für die SPD engagiert, nach seiner Einschätzung zur Lage der linken Kultur zu befragen. Als Präsident der Berliner Akademie der Künste hat er schließlich den Überblick über die deutsche Szene und kann ohne Übertreibung als einer der wenigen übriggeblieben hochprofilierten Künstler innerhalb der SPD bezeichnet werden.


SPW: Sieht man sich diverse Länder Südeuropas an, scheint es dort fast eine organische Einheit zwischen Literatur und Kunst auf der einen und den Organisationen der Linken auf der anderen Seite zu geben. Auch in der Bundesrepublik gab es hier früher mehr - wie kommt es, dass besonders die SPD von allen Schöngeistern verlassen zu sein scheint?

KLAUS STAECK: Nach meiner Kenntnis trifft die behauptete Einheit von Kunst und Organisationen der Linken auch in Südeuropa nur in Ansätzen zu. Im Übrigen habe ich gar nicht den Eindruck, dass die SPD "von allen Schöngeistern" verlassen wäre. Jedenfalls versucht das Kulturforum der Sozialdemokratie gar nicht erfolglos, Künstler und Politiker bei unterschiedlichen Gelegenheiten zusammenzubringen. Ich frage zurück: wer sind, jenseits des Sektierertums die "reinen" linken Organisationen? Ob man es bedauert oder nicht, in Zeiten der grassierenden Individualisierung bei offensichtlich gleichzeitiger Sehnsucht nach Massenevents verschwimmen die Grenzen immer mehr. In den 60er und 70er Jahren gab es deutlich erkennbare Grenzen und auch Feindbilder. Der Neoliberalismus war insofern erfolgreich, dass er an allem mehr oder weniger nagte. Die wenigsten Künstler lassen sich heute einer Partei oder politischen Gruppierung eindeutig zuordnen.

SPW: Wie kann linke Kulturpolitik jenseits von beliebiger bürgerlicher oder sozialdemokratischer Traditionspflege einerseits und der Kultivierung übrig gebliebener sozialistisch-realistischer Restbestände andererseits aussehen?

KLAUS STAECK: Linke Kulturpolitik sollte sich zum Beispiel den Herausforderungen der Finanzkrise stellen, unter der vor allem Länder und Kommunen leiden. Sie muss jede Entscheidung der Sparpolitik befragen, welche Strukturen damit gefährdet werden. Was bedeutet es, eine Stadtteilbibliothek nach der anderen zu schließen, und gleichzeitig einen repräsentativen Bibliotheksneubau zu rechtfertigen, um die Bauindustrie und die damit verbundenen Arbeitsplätze zu fördern? Übrigens - kein erfundener Fall! Sie muss auch konservative Züge haben, etwa wenn es um den Erhalt wertvoller historischer Bausubstanz unserer Städte geht. Linke Kulturpolitik darf die jungen Leute nicht aus den Augen verlieren, die Rundfunk und Fernsehen gerade mal noch über das Internet konsumieren, auf Zeitungen meist ganz verzichten, Musik möglichst zum Nulltarif aus dem Netz laden und nach Herzenslust kopieren, ohne sich vom Urheberrecht beeindrucken zu lassen. Wie finden wir eine gemeinsame Sprache mit den 20-30 Jährigen, ohne uns anzubiedern? Wie überstehen wir den Spagat zwischen verständnisvoller Anpassung und der Forderung, sich mit Kunst, Philosophie und Politik ernsthaft auseinanderzusetzen? Diese Kulturpolitik muss dem Mainstream der Spaßkultur widerstehen und dabei keineswegs spaßfreie Gegenvorschläge machen. Kurz: nicht weniger ist gefragt als die Quadratur des Kreises. Wie macht man Lust auf Kultur und damit auf Demokratie?

SPW: Die SPD-Linke spezialisiert sich auf das Hervorbringen von programmatischen Konzeptionen, wirkt jedoch kulturell unterbelichtet. Könnte sie ein Dialog mit der Gegenwartskunst und -literatur auf neue Ideen bringen?

KLAUS STAECK: Dieser Dialog findet gewollt oder nicht gewollt immer statt, auch in der Ablehnung. Da die Kunst eine andere Sprache spricht, ist die Auseinandersetzung mit ihr immer produktiv. Bei dieser neuen Unübersichtlichkeit muss man nur genau hinschauen, mit wem man sich auseinandersetzt. Beileibe nicht alle Künstler und -Innen sind glühende Kämpfer für die Demokratie. Man sollte die Erwartungen an Kunst auf das beschränken, was Kunst zu leisten vermag. Für mich "muss" die Kunst zunächst gar nichts. Entscheidend ist, was sie leisten kann, wenn sich Kunst und Politik produktiv aneinander reiben.

SPW: Über die Arbeiter-Folklore und Anbiederung an kommerzialisierte Jugendkultur scheint die SPD momentan nicht hinaus zu kommen. Siehst Du eine Möglichkeit, nach innen und außen neue kulturelle Ausstrahlung zu gewinnen?

KLAUS STAECK: Eine Ausstrahlung erreicht man in erster Linie über überzeugende politische Angebote. Für mich ist Kunst gleichzeitig Geheimnis und Geheimnisverrat. So kann ich mir eine Politik ohne kulturelles Fundament gar nicht vorstellen. Zumal sich Politiker der anderen Fraktion zu ihrem konservativ-kulturellen Fundament bekennen und es verteidigen. Ich plädiere für eine Kultur, die der Aufklärung verpflichtet ist. Dazu gehören eine jedem zugängliche maximale Bildung und nicht zuletzt Probebühnen für die Demokratie.

SPW: Ohne Visionen und Utopien erscheint linke Politik armselig. Was hältst Du für die Eckpfeiler einer wiederzugewinnenden linkssozialistischen Utopie?

KLAUS STAECK: Gerechtigkeit, Politik mit sozialer Verantwortung, die Vorsorge für die nächste Generation trifft. Deshalb kommen wir an einem Bekenntnis zu ökologisch vernünftigem Handeln nicht vorbei, wenn der Planet unsere Nachfolger noch beherbergen soll. Das kann man im Rahmen der gegenwärtigen Verhältnisse schon für eine Utopie halten, und es wäre gut, wenn sie verwirklicht würde. Im Übrigen war ich immer ein Praktiker, der alle Utopien stets auf ihre Machbarkeit befragt hat. Nachdem wir die Negativseiten aller Ideologien auskosten durften, plädiere ich für einen Realismus, der wenigstens die Chance hat, hoffentlich von einer Mehrheit wahrgenommen zu werden. Allerdings hat man mir einmal den Vorwurf gemacht, ich würde immer nur graue Brötchen backen, anstatt Rezepte für phantastische Torten zu entwerfen, auch wenn diese nie gebacken würden. Graue Brötchen können überlebenswichtig sein, nur von Rezepten wird niemand satt. Es kommt darauf an, die Balance zwischen beiden zu finden.


Klaus Staeck ist Präsident der Akademie der Künste.


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Quelle:
spw - Zeitschrift für sozialistische Politik und Wirtschaft
Ausgabe 4/2010, Heft 179, Seite 8-10
mit freundlicher Genehmigung der HerausgeberInnen
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veröffentlicht im Schattenblick zum 3. September 2010