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ARBEITERSTIMME/306: Die Lage in Griechenland


Arbeiterstimme Nr. 188 - Sommer 2015
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Die Lage in Griechenland

Syriza zwischen Wünschen und objektiven Möglichkeiten


Am 16. Mai auf unserem Wochenendseminar in München berichtete ein Genosse von Syriza über die Krisenentwicklung in Griechenland und die Politik der nun regierenden Linkspartei. Da wir den Text seines Berichts nicht schriftlich haben, versuchen wir, in der Arsti einiges davon zusammenzufassen.


Im ersten Teil seiner Ausführungen gab der Referent einen Überblick über die Geschichte der Arbeiterbewegung in Griechenland seit dem I. Weltkrieg.

Der Dachverband der Gewerkschaften wurde im Oktober 1918 gegründet; er stand zeitweise unter starkem Einfluß der Regierung. Der Vorläufer der kommunistischen Partei wurde im November 1918 gegründet.

Als Folge der kriegerischen Auseinandersetzungen mit dem entstehenden türkischen Staat, in denen Griechenland am Ende militärisch unterlag, hatte das Land fast eineinhalb Millionen aus der Türkei Vertriebener aufzunehmen. Sie waren Flüchtlinge, sie waren aber auch offene Menschen, mit Interesse für Kultur, linken Ideen gegenüber aufgeschlossen. Sie entstammten überwiegend dem städtischen Bürgertum und waren eine Bereicherung für das agrarisch geprägte Land.

Immer wieder gab es Verbote, Menschen landeten in den Gefängnissen. Am 1. Mai 1936 fand ein großer Streik der Tabakarbeiter in Saloniki statt. Im August 1936 errichtete Ministerpräsident Joannis Metaxas ein diktatorisches System. Der Einsatz von Spitzeln war so erfolgreich, dass das 2. ZK der KKE durch die Diktatur gelenkt wurde. Im Oktober 1940 forderte das faschistische Italien, das vorher Albanien besetzt hatte, Griechenland zur Kapitulation auf. Metaxas aber sprach dazu sein "historisches Nein". Die KP forderte daraufhin ihre Mitglieder auf, auf der Seite der Armee zu kämpfen. (Heute sagt die historische Kommission der KKE dazu, das sei Verrat gewesen, da es sich um eine Auseinandersetzung zwischen zwei imperialistischen Staaten gehandelt habe.)

Im April 1941 marschiert dann die deutsche Wehrmacht, gemeinsam mit Italien und Bulgarien, in Griechenland ein. Die griechische Armee hatte kapituliert. Es entstanden bürgerliche wie auch kommunistische Widerstandsbewegungen, sowie deren Befreiungsarmee ELAS. Sie hielt die Nazis gegen die Sowjetunion auf, störte die Nachschubwege in Ägypten; die Sprengung der Eisenbahnbrücke gilt als nationale Heldentat.

Die KP gilt daher in Griechenland bis heute als "heilig": Sie waren immer Opfer, nie Täter.

Der Fehler aller KP's auf dem Balkan war aber: Sie haben die nationalen Interessen mit den Interessen der SU gleichgesetzt.

Der Beginn des Bürgerkriegs (1944-49): Im Oktober 1944 gab es keine Machtübernahme der KP. Die Partisanen liefern die Waffen ab und gehen in die Berge. Die Briten bringen bürgerliche Exilanten zurück; im Dezember 1944 greifen die Briten gegen die Kommunisten ein; es kommt zu Verfolgungen. Am 1. August kommt der Führer der KP aus Dachau zurück; er bringt den Hass zurück. Seine Parole, angelehnt an China, lautet: "Der Kampf geht vom Land aus, nicht von den Städten."

1946 finden halbwegs freie Wahlen statt; die KP ruft zum Boykott auf. Es herrschte Wahlpflicht, die Folge war, dass sie die eigenen Anhänger der Verfolgung aussetzte!

1949 erfolgte die endgültige Niederlage im Bürgerkrieg; die Partei war bis 1974 verboten. Die Anhänger landeten in KZ's oder in der Verbannung. Viele gingen z.B. nach Bulgarien, Polen, in die SU (Taschkent). Der Führer wurde 1973 in Sibirien aufgehängt.

In dieser Zeit entstand auch die Spaltung in KKE-Inland und KKE-Ausland.

Die Politik der KP war immer von der inneren Entwicklung in der SU abhängig, auch als 1956 Chrustchow an die Macht kam.

Es wurde die "Einheitliche demokratische Linke" (EDA) gegründet. Sie war eine legale Partei, in der sehr viele Kommunisten aktiv waren. 1958 war sie die stärkste Partei. Aus Angst vor einem Wahlsieg der Linken kam es 1967 zum Militärputsch der Armee und in der Folge zu brutalen Unterdrückungsmaßnahmen. Ein Aufstand an der Technischen Universität im November 1973 weichte das Regime auf; der Fehlschlag des Putschversuchs auf Zypern 1974 führte zum Zusammenbruch der Militärdiktatur.

Die KKE wurde wieder legal; es gab eine große Öffnung (wie auch schon 1966/67). Sie feierte große Erfolge. 1978 erfolgte die Vereinigung von KKE-I und KKE-A: "Synaspismos". Dann aber erfolgte der Marsch in die Isolation: Die eigenen Leute wurden aus den Gewerkschaften zurückgezogen, eigene Gewerkschaften wurden gegründet.

Eine der Auswirkungen davon war die Gründung von Syriza. Auch aufgrund der kapitalistischen Krise von 2008 konnte sich dieses Bündnis von 4,5 % 2009 auf 36 % heute steigern.

In der sich anschließenden Diskussion tauchte die Frage auf, wer die Anhänger der Kommunisten waren. Es waren 90 % der Bauarbeiter, es waren manche Flüchtlinge aus Kleinasien, die in den Vororten von Athen lebten, gebildet, aber verarmt, offen für den Marxismus. Ferner waren es viele Angestellte im Handel; es gab dort eine eigene kommunistische Gewerkschaft. Bei den Hafenarbeitern, die es heute kaum mehr gibt, waren sie stark. Auch auf einigen Inseln sind sie bis heute stark verankert, wie etwa auf Ikaria, Samos und Lesbos.

Die Frage, ob man die heutige KKE als stalinistisch oder etwa trotzkistisch bezeichnen könne, wurde so beantwortet: Sie verhalte sich wie die MG; sie vertritt die "reine Lehre", d.h., sie macht nichts, um nichts falsch zu machen.

Die anarchistische Bewegung (17. November) habe in letzter Zeit viele Sympathien verloren. Es stellten sich manche die Frage, ob der Schwarze Block teilweise von der Polizei unterwandert sei. Der Hungerstreik wurde als größtes Problem der neuen Regierung bezeichnet; nämlich offen zu sein und trotzdem nicht erpressbar.

Die KKE warte darauf, dass Syriza scheitert: "Es gibt keine Alternative zum Sozialismus; der Kapitalismus ist nicht reformierbar!"

Im zweiten Teil seines Vortrags ging der Referent dann auf die aktuelle Lage in Griechenland ein. Die Situation ist sehr dramatisch: Die Zahl der Arbeitslosen ist innerhalb von 5 Jahren von 5 % auf 27 % gestiegen! 6 Millionen leben mittlerweile unter der Armutsgrenze. Es gibt im Winter kein Brennmaterial mehr. 300.000 Geschäfte mußten schließen. Die Wirtschaftskraft ist um 25 % zurückgegangen.

Der Wahltermin wurde von der bürgerlichen Regierung vorgezogen, weil sie wusste, dass sie im Mai kein Geld mehr haben würde. Die Wahlen wurden von Syriza mit einem sozialen Programm gewonnen; es gibt kein sozialistisches Regierungsprogramm. Anfangs herrschte große Begeisterung über die neue Regierung, aber: Irgendwann beginnt das Regieren!

Deutsche Medien kann man nicht mehr ernst nehmen (Sie verbreiten nur noch Lügen), die griechischen Medien sind in den Händen der Regierungsgegner.

Die neue Regierung versucht, eigene Versprechen umzusetzen: Die 5 Euro Eigenbeteiligung beim Arztbesuch wurden abgeschafft, ebenso die Rezeptgebühr von 1 Euro. Der Zugang für alle zum Gesundheitswesen soll wieder gewährleistet werden. Für kleine Schuldner von Steuern und Versicherungsbeiträgen gilt die Regelung, dass sie in bis zu 100 Raten zurückgezahlt werden können. Im Gesundheitswesen wurden 4.500 neue Stellen geschaffen. Die kämpfenden Reinigungsfrauen werden auf ihre Stellen zurückkehren können. Die Preiserhöhungen werden zurückgenommen. Von drei infolge der Krise geschlossenen Zuckerfabriken wurde eine wieder in Betrieb genommen; die Bauern freuen sich. Die Humanisierung der Bedingungen in den Haftanstalten wird in Angriff genommen. Der Mindestlohn von 751 Euro wird wieder eingeführt, und zwar in zwei Stufen: zunächst 600, später dann 751 Euro.

Bis zum April hat der Staat 2 Mrd. mehr Einnahmen erzielt als im Vorjahr.

Für den Konflikt mit der EU und den Institutionen verwendete der Referent das Bild von den zwei Zügen, die aufeinander zurasen. Die Frage ist: Zieht einer die Notbremse?

Das Dilemma für die Regierung stellt sich folgendermaßen dar: a) Sie wird irgendwann unterschreiben. Das heißt aber, sie wird das Gesicht verlieren! Es wäre fatal für andere linke Projekte. "Wann bekommen wir wieder so eine Chance?" b) Sie wird nicht unterschreiben; das Ende wäre eine finanzielle Katastrophe für das Land!

Die sich anschließende Diskussion befasste sich zunächst mit der Frage einer Annäherung Griechenlands an die BRICS-Staaten. Die Frage, ob dies eine reelle Alternative darstelle, wurde kontrovers diskutiert.

Zum Bereich Schuldenaudit appellierte der Referent, man solle "nicht unsere Schulden und eure Schulden verquicken!"

Der Spagat für die neue Regierung besteht darin, ihr soziales Rettungsprogramm umzusetzen und gleichzeitig eine Einigung mit den EU-Partnern zu erzielen.

Die Exporte aus der EU nach Griechenland gehen zurück, weil die Exporteure nur noch gegen Vorkasse liefern.

Die Frage, ob nicht der kleine Regierungspartner, die rechtsnationalistische ANEL, ein Problem darstelle, wurde verneint: die ANEL habe sich von Anfang an gegen das EU-Spardiktat gestellt. Eine andere Partei wäre daher nie als Partner in Frage gekommen.

Das allerwichtigste sei, stellte unser Gast heraus, dass das Projekt kein griechisches Projekt bleibt und zu zeigen, dass im Kapitalismus Reformen möglich sind.

Mit anderen Worten: Die griechische Linksregierung will unbedingt so lange durchhalten, bis sie Unterstützung von ähnlichen Bewegungen erhält, die in anderen südeuropäischen Ländern erfolgreich sein werden.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 188 - Sommer 2015, Seite 17 bis 18
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
E-Mail: redaktion@arbeiterstimme.org
Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 1. August 2015

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