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ARBEITERSTIMME/332: Presse, Meinungsfreiheit und die Information als Ware


Arbeiterstimme Nr. 192 - Sommer 2016
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Presse, Meinungsfreiheit und die Information als Ware


1. Die Unzufriedenheit mit der Berichterstattung

"Lügenpresse", eine faschistisch vorbelastete Vokabel, gilt den einen als immer noch provozierender Kampf- und Protestruf, den anderen als das "Unwort des Jahres". Die "Lügenpresse" ist aber auch zum Begriff geworden, der eine alte; und früher von der politischen Linken aufgeworfene - Frage neu in das Bewusstsein der Menschen trägt: welche Rolle spielen die deutschen Leitmedien und ihre Spitzenvertreter bei der Durchsetzung und Befestigung der aktuellen Herrschaftsverhältnisse?


2. Glanz und Elend journalistischer Selbstwahrnehmung

Dass Netzwerke journalistischer Meinungsbildner bestehen, in welche politische Beraterstäbe auf transatlantischer Ebene ihre Informationen einspeisen, ist spätestens seit dem Umsturz in der Ukraine 2014 und der sich daran anschließenden Kriegssituation offenbar geworden. Dazu muss nicht auf Spekulationen oder Verschwörungstheorien zurückgegriffen werden. Uwe Krüger, Kommunikationswissenschaftler aus Leipzig, hat 2013 in seiner Untersuchung "Meinungsmacht" den Einfluss politischer und wirtschaftlicher Eliten auf Leitmedien und Topjournalisten analysiert. Weite Verbreitung fand die Recherche der Beziehungsgeflechte durch die ZDF-Satiresendung "Die Anstalt", in der Verbindungen exemplarisch und genüsslich nachgezeichnet wurden.

Die Nähe zu den Entscheidern, auch über Krieg und Frieden, der Zugang zu ihnen, die Möglichkeiten exklusiver Gespräche und Befragungen, die Teilnahme an den Tagungen der Spitzenzirkel fördert die Übernahme inhaltlicher Positionen. Sofern überhaupt noch Korrekturbedarf besteht - und darin liegt das Problem.

Die Grobschlächtigkeit offener Bestechung ist nicht, vielleicht auch nicht mehr, nötig. Das bedeutet nicht, dass keine politisch inspirierten Karrieren möglich und wünschenswert wären. So wird demnächst die Journalistin Ulrike Demmer (SPIEGEL, FOKUS, Mediengruppe Madsack) erste Stellvertreterin von Steffen Seibert (ZDF) in der Funktion als Regierungssprecherin. "Nach der inneren Arithmetik der großen Koalition" rückt sie auf den "von der SPD zu besetzenden Platz" vor. (SZ vom 25./26. Mai 2016)

Das Wunschbild vom Journalismus, der unerschrocken, unbeeinflussbar und frei im Dienste der Aufklärung tätig ist, um objektiv und der Wahrheit verpflichtet, als "vierte Gewalt" eine informierte Gegenöffentlichkeit zu schaffen, dieses Bild ist nicht nur in der Außenwahrnehmung überholt, sie entspricht auch nicht dem Selbstbild der im Journalismus Tätigen.


3. Meinungs- und Pressefreiheit und ihre private Aneignung

Schon Marx war, wenngleich selbst auch journalistisch tätig, seiner Zunft und ihren Voraussetzungen gegenüber äußerst skeptisch, er erdete manche Kopfgeburt. Im Kommunistischen Manifest befindet er: "Die Bourgeoisie hat alle bisher ehrwürdigen und mit frommer Scheu betrachteten Tätigkeiten ihres Heiligenscheins entkleidet. Sie hat den Arzt, den Juristen, den Pfaffen, den Poeten, den Mann der Wissenschaft in ihre bezahlten Lohnarbeiter verwandelt."

Dem bleibt nur hinzuzufügen: dies gilt auch für die Journalisten

Das Recht, seine Meinung frei zu äußern und das davon abgeleitete Recht, diese Meinung in Wort und Bild zu verbreiten, zählt hierzulande zu den Grundrechten und beruft sich auf den Menschenrechtskatalog der amerikanischen und der französischen Verfassungen des ausgehenden 18. Jahrhunderts. Damit wurden historisch die Meinungs- und Denkmonopole des Adels und vor allem der Kirche gebrochen, diese Freiheitsrechte sind, auch wenn sie universalistisch verfasst sind und damit für alle und für jede Zeit gültig sein sollen, erst notwendig und umsetzbar mit den bürgerlichen Revolutionen.

Der Sturz der feudalen Gesellschaften setzt eine breite Öffentlichkeit und ihre Debatte voraus und diese informierte Öffentlichkeit wiederum strebt nach wirtschaftlicher und schließlich politischer Herrschaft. Abgeleitet von der Mutter aller Menschenrechte, dem Recht auf Eigentum, bildet das System aller Freiheitsrechte den Ausgangs- und Orientierungspunkt des bürgerlich-demokratisch verfassten Staatsverständnisses. Die Universalität ihres Anspruchs zeigt die Bedeutung für die Gestaltung des politischen Überbaus.

Die Meinungs- und Publikationsfreiheit ist damit ein Recht, das allen Mitgliedern dieser Gesellschaften zugestanden wird. Das gilt, in Abhängigkeit von der Sicherheit der bestehenden Verhältnisse, auch für die politische Linke. Und sie ist für unsere Arbeit existenziell wichtig. Deshalb müssen wir beabsichtigte Beschränkungen im eigenen Interesse zurückweisen und für den Erhalt dieser Freiheit, gerade unter den gegebenen Verhältnissen, eintreten.

Eine Garantie ist damit nicht verbunden und die bestehenden Überwachungs- und Disziplinierungsinstrumente sollten weiter gehende Illusionen auf der Linken verhindern.

Andererseits sieht weder der bürgerliche Mensch noch sein Staat einen Widerspruch darin, dass die freie Meinung als Ausdruck journalistischer Arbeit vom Medienunternehmer gekauft werden kann. Die Freiheit unterliegt, ohne dass dies in irgendeiner Weise als unschön oder problematisch gilt, der privaten Aneignung. Deshalb hat sich die Meinungsfreiheit gerade derjenigen, denen dieses Recht aus Gründen der eigenen Berufstätigkeit wichtig sein müsste, den Gesetzen der Verwertung zu beugen.

Die Folgen der Einpassung in den Verwertungsprozess sind vielgestaltig. So können Journalisten auf die verlegerische Generallinie ihres Medienunternehmers verpflichtet werden. Das prominenteste Beispiel in der BRD ist dafür der Axel-Springer-Verlag mit seinen fünf Unternehmensgrundsätzen, die Bestandteil der journalistischen Arbeitsverträge sind. Die geforderte Unterstützung des transatlantischen Bündnisses und die Solidarität mit den USA engen Berichterstattung und Recherche empfindlich ein.

Dass diese unternehmerische Entscheidung sich doch nicht so ganz von selbst versteht und ein Rest von Fremdschämen in der Luft liegt, wird auf der Homepage des Verlages schnell deutlich, wenn vier aktuelle oder ausgeschiedene Chefredakteure einzelner Hauszeitungsgruppen mit Gefälligkeitsadressen zitiert werden. Alle betonen den Nutzen dieser Grundsätze für die praktische Arbeit, wobei noch variiert wird zwischen der Orientierungsfunktion (Peters, Chefredakteur WELT) und der Selbstverständlichkeit ihrer Gültigkeit (Huth, Chefredakteur B.Z.). Thomas Schmid, Herausgeber der WELT-Gruppe, veredelt das unternehmerische Weltbild: "Doch es ist ebenso eine journalistische Tugend, verantwortlich zu handeln. Wenn es auch nur annähernd stimmt, dass die Presse die vierte Macht im Staate ist, dann heißt das auch: Sie ist keine Privatveranstaltung, sie ist sowohl gegenüber ihren Kunden, den Lesern, wie auch gegenüber dem Gemeinwesen insgesamt und seiner Geschichte in der Pflicht." Die Presse der Medienhäuser, der Konzerne und Aktiengesellschaften ist also keine Privatveranstaltung. Glaubwürdig ist das nicht. Der Unternehmer besteht auf der Ergebenheitsadresse und er bekommt sie.

Andere Medienhäuser decken ihre Karten in dieser Frage weniger offensiv auf, was aber keinen Verzicht auf einen unausgesprochenen Wertekodex bedeutet. Abweichler bekommen die Grenzen ihrer beruflichen Meinungsfreiheit schnell zu spüren.

Die verlegerischen Entscheidungen sind, ob in Qualitätszeitungen, in Lokal- und Anzeigenblättern oder in Fernsehsendern, unantastbar und bedürfen weder der Darstellung noch der Kommentierung in den hauseigenen Medien.

Ein typisches Beispiel: kürzliche Warnstreikaktionen in der Druckerei und der Redaktion der SZ werden, wie seit jeher üblich, vielsagend beschwiegen. Allein ein dürrer Satz auf der Titelseite kündigt inhaltliche Kürzungen an. Die Möglichkeit, von realen Tarifauseinandersetzungen im eigenen Haus ohne großen Recherche- oder Reiseaufwand zu berichten, nehmen die Damen und Herren Qualitätsjournalisten nicht wahr. Oder sie ist ihnen versperrt.

Verlegerische Entscheidungen eines Medienunternehmers sind an der Quelle ihres Entstehens und an ihrem Wirkungsort tabu und können höchstens bei der Konkurrenz nachgelesen werden. Eine Beschränkung der Pressefreiheit wird darin landläufig aber nicht erkannt.

Von Berufs wegen Informationen zu sammeln, auszuwerten und zu bewerten sorgt weder für starke Berufsgewerkschaften noch schützt es vor der Ausdünnung der Redaktionen und vor Entlassungen. Dazu dann das hohe Lied der freien sozialen Marktwirtschaft anzustimmen, mag im Einzelfall einige Selbstverleugnung bedeuten. Aber ein Verstoß gegen Meinungs- und Pressefreiheit wird darin nicht gesehen.

Von Lobbyverbänden, Konzernen, Politikern oder Militärs auf Informationsreisen geladen zu werden, gilt nicht als anrüchig. Im Gegenteil, die Nähe zu den tatsächlich Mächtigen gilt als chic und eine weniger willfährige Berichterstattung kegelt den Journalisten aus diesem Informationszusammenhang, wirft ihn aus dem Netzwerk, arbeitsrechtliche Konsequenzen eingeschlossen. Aber Meinung und Presse sind frei.

Der geistige Überbau der systemtragenden Lohnschreiber- und Lohnsenderei bietet wenig Anlass zur Euphorie über die Meinungs- und Pressefreiheit. Dies erfahren gegenwärtig die "Kunden", d.h. die Leser, Hörer und Zuschauer der Medienwelt in zunehmendem Maße. Zu Zeiten gesellschaftlicher Zuspitzungen führt dies zu Irritationen, "Vertrauensverlust" genannt. Eigene Wahrnehmungen, Beurteilungen und Befürchtungen spiegeln sich nicht oder nur unzureichend in der veröffentlichten Meinung der Traditionsmedien. Das eigene Weltbild wird zunehmend als abweichlerisch, wenn nicht sogar als extremistisch erlebt, Fremd- und Eigenwahrnehmung geraten in Konflikt. Niemand aus der bisher schweigenden Mehrheit möchte Extremist sein, sondern in dieser Mehrheit aufgehoben bleiben.

Nicht die AfD-Wähler haben subjektiv das Einverständnis mit der deutschen Politik aufgekündigt. Die Politik und ihr Sprachrohr, die Medien, haben aus deren Sicht ihr Einverständnis mit der Bevölkerung aufgelöst, ohne Grund und ohne wirkliche Legitimation. Aktuelle Umfrageergebnisse zu Politikfeldern wie militärischem "Engagement" im Nahen Osten, zu TTIP, zur Flüchtlingsfrage zeigen, dass die Befragten wesentliche Regierungsentscheidungen mehrheitlich nicht mehr stützen.

Also rücken die Medien in die Nähe der Lüge. Unter Berufung auf die Meinungsfreiheit - "das wird man wohl noch sagen dürfen" - geraten die professionellen Verwalter und Nutznießer der Meinungs- und Pressefreiheit unter Legitimationsdruck. Fernsehen und Presse sind mit zunehmender Skepsis ihrer Kunden konfrontiert. Dies trägt zur Krise der Medien, nicht aber zu der ihrer Besitzer bei. Und die medial beschäftigten Lohnabhängigen stehen im Zentrum der Krise und suchen dort, wo es keine kollektive Gegenwehr gibt, individuelle Auswege. Sie passen sich an.


4. Aspekte der Medienkonzentration in der BRD(1)

Gefügiger Mainstreamjournalismus und die Einheitlichkeit der Themenwahl und ihrer Bewertungen sind in der Hauptsache nicht die Frucht der individuellen Anpassung charakterschwacher Lohnschreiber, auch wenn viel vorauseilender Gehorsam bei der Berichterstattung zu beobachten ist. Von den Voraussetzungen und Bedingungen hierfür war schon die Rede.

Der materielle Kern vereinheitlichter Meinungen und Urteile ist darin zu suchen, dass die Branche(2) selbst unter gewaltigen wirtschaftlichen Druck geraten ist. Der Zeitungsmarkt verliert massiv an Auflage. Von 26,3 Millionen Zeitungsexemplaren pro Tag im Jahr 2004 verbleiben zehn Jahre später noch 19,95 Millionen Exemplare, ein Viertel weniger. Die Werbeeinnahmen in diesem Bereich sind noch drastischer gesunken, 2,9 Milliarden Euro im Jahr 2013 entsprechen gerade einmal 45% der Vergleichseinnahmen im Jahr 2000.

Die großen Medienunternehmen reagieren auf wettbewerbskonforme Weise. Sie stellen sich zum einen "breiter" auf, das bedeutet, dass möglichst alle medialen Schienen vom eigenen Haus bedient werden und damit Rückgänge in einzelnen Bereichen mit Zuwächsen gerade bei den elektronischen Medien zu kompensieren sind. Damit ist freilich kein Verzicht auf eine steigende Wettbewerbsfähigkeit gerade der profitschwächeren Teilbereiche verknüpft, "Verschlankungen" reduzieren Belegschaften auch großer Medienkonzerne und verdichten die Arbeitsabläufe der Übriggebliebenen. Zum anderen versuchen die Unternehmen zu wachsen, indem Konkurrenten zusammen mit ihrem Verbreitungsgebiet, ihrem Markt aufgekauft werden. Dabei muss es nicht zwangsläufig zu einem formalen Zeitungssterben kommen, die Titel können auch erhalten bleiben. "Synergien" werden dadurch freilich zuhauf genutzt: aus zwei, drei, noch mehr Lokalredaktionen wird eine gemacht, aus vielen Redakteuren werden weniger Redakteure gemacht. Stückkosten werden über Größenvorteile gesenkt, dies ist auch im Medienbereich nicht anders.

So sank die Anzahl der fest angestellten Redakteure in der BRD zwischen 2000 und 2013 von über 15.000 auf unter 13.000. Auf diese Weise schreitet inhaltliche Gleichschaltung voran. Die fünf größten Verlagshäuser kommen 2014 auf einen Anteil von 36% der Gesamtauflage aller Tageszeitungen in der BRD, gegenüber 28,8% im Jahr 2004. Die zehn größten Mediengruppen decken insgesamt fast 60% Auflage ab. Die "Vermachtung" des Meinungsmarktes "zugunsten einer kleinen Zahl von Unternehmen"(3) ist nicht zu leugnen. So können beispielsweise 45% der Einwohner Nordrhein-Westfalens auf nur mehr eine regionale Monopolzeitung zurückgreifen. Das hoch gelobte und viel beschworene Konkurrenzprinzip auf dem Gebiet der freien Meinung wird in den System-Zwängen der Kapitalkonzentration zerrieben.

Journalisten sind Opfer und Propagandisten dieser Entwicklung gleichermaßen. Opfer, weil sie und ihre freie Meinung als Kostenfaktoren der Kalkulation ihrer Arbeitgeber ausgeliefert sind, gerade wenn sie schwach organisiert sind. Wenn es sich für das Unternehmen nicht rechnet, wird der Arbeitsvertrag kostenbezogen verschlankt oder das war's ganz mit der Beschäftigung.

Das Damoklesschwert, das über allen Lohnabhängigen hängt.

Sie sind aber auch Propagandisten und Stützen des Systems in demselben Maße, in dem sie nicht nur die Grundlagen ihrer eigenen Berufsexistenz wohlfeil verhökern, sondern dies auch von allen anderen Lohnabhängigen verlangen.

Ob sie dabei am Gängelband ihrer Unternehmer geführt werden oder freiwillig bei Fuß gehen.


Anmerkungen:

(1) Alle folgenden Sachinformationen, Zahlen und statistischen Angaben sind entnommen: Horst Röper: Zeitungsmarkt 2014: Erneut Höchstwert bei Pressekonzentration, in: Media Perspektiven 5/2014, S. 254-270

(2) Für diese Darstellung steht exemplarisch die Lage auf dem Tageszeitungsmarkt im Mittelpunkt

(3) Horst Röper, ebd. S. 254

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 192 - Sommer 2016, Seite 25 bis 27
Verleger: Thomas Gradl, Bucherstr. 20, 90408 Nürnberg
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Internet: www.arbeiterstimme.org
 
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. August 2016

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