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ARBEITERSTIMME/382: Jack London - Zwischen Abenteuer und Sozialismus


Arbeiterstimme Nr. 203 - Frühjahr 2019
Zeitschrift für die marxistische Theorie und Praxis
Die Befreiung der Arbeiterklasse muß das Werk der Arbeiter selbst sein!

Zwischen Abenteuer und Sozialismus

Eine literarisch-politische Skizze über Jack London


Der US-amerikanische Schriftsteller, Sozialaktivist und Abenteurer Jack London (1876-1916) ist vielen vor allem bekannt als Verfasser von Abenteuer-, Goldgräber-, Tramp- und Südseegeschichten. Das betrifft aber nur die eine Seite seiner Persönlichkeit und seines kurzen bewegten Lebens, das sich voll innerer Unruhe wie ein Feuer intensiv verzehrte. London war darüber hinaus auch Milieu-Journalist, kritischer Zeitchronist, Kriegsberichter, politischer Aktivist und Sozialist eigener Prägung. In Londons Biografie verkörpert sich die amerikanische Ideologie vom Aufstieg als Selfemademan aus niederen Schichten zum erfolgreichen Schriftsteller, der es nach bitteren Jahren der Armut zu Ansehen und Wohlstand brachte, den er auch zu genießen gedachte. Vor allem Londons Abenteuerromane, Tier- und Erlebnisgeschichten wie "Wolfsblut", "Der Seewolf", "Lockruf des Geldes", "Ruf der Wildnis", "Alaska Kid" u. a. begründeten seinen Weltruhm, so dass ihn auch Kinder und Jugendliche immer noch gerne lesen. Dass London aber auch noch ein anderes, sensibles Gesicht hatte und anderen Ambitionen anhing, ist weit weniger bekannt, wird vielleicht auch eher gerne ausgeblendet. Gemeint ist sein leidenschaftliches politisches und sozialkritisches Engagement und die Parteinahme in Wort und Schrift für den Sozialismus, aber auch sein privates Unternehmertum, worauf hier vor allem der Fokus gelegt werden soll, ohne Londons literarisches Wirken auszublenden.

Drang nach Westen

Jack London wurde am 12. Januar im denkwürdigen Jahr 1876 in San Francisco geboren. In welchem auch die Socialist Workers Party der USA gegründet und in Deadwood, South Dakota, der legendäre Revolverheld Wild Bill Hickok hinterrücks in einem Saloon erschossen wurde. Die USA begingen den 100. Jahrestag ihres Bestehens. Zugleich gingen 1876 mit der Indianerschlacht am Little Bighorn in Montana die Indianerkriege mit einer Niederlage für den ruhmsüchtigen Oberstleutnant "General" George A. Custer faktisch zu Ende. Sie war für die indianischen Ureinwohner nur noch ein symbolischer Triumph. Ihre Zeit neigte sich dem Ende zu. Zu Zehntausenden wurden sie in Ghettos, Reservate genannt, gepfercht, wo sie unter Armeebewachung und schlecht verwaltet von oft korrupten Indianerbeauftragten der Regierung unwürdig dahinvegetierten. Der ausgewanderte badische Revolutionär von 1848, Carl Schurz, versuchte noch als US-Innenminister sich für die Ureinwohner einzusetzen, arrangierte Treffen mit Häuptlingen. Der Amerikanische Bürgerkrieg, der erste industriell und mit modernsten Methoden und Waffen geführte Krieg der Neuzeit, war 1865 zu Ende. Der industrialisierte imperiale Norden setzte sich mit dem Sieg gegen die rückständige Sklavenhalterei des großagrarischen Südens durch. Der Weg nach Westen zur Eroberung der letzten weißen Flächen war nun endgültig offen. Ein Massentreck von Siedlern und Farmern wälzte sich auf den verschiedenen Trails durch Täler und über Pässe der Rocky Mountains bis nach Oregon und Kalifornien. In Texas und anderen Staaten des mittleren Westens wurden die ersten ergiebigen Ölquellen erschlossen, auf den Goldrausch in Kalifornien 1849 folgte bald ein Ölrausch, der eine ganz neue fossile Industrie begründete. Nicht nur New York oder Chicago, sondern auch Städte wie Sacramento, Los Angeles, San Francisco und Oakland erfuhren dank neuer Stahlbetonkonstruktionen einen Bauboom ohnegleichen und wuchsen z. T. nun explosionsartig auch in die Höhe. Die Eisenbahnbauer schlossen in den Rocky Mountains mit kühnen eisernen Brückenkonstruktionen und Tunneln die letzten Lücken zwischen Ost und West. Massen von aus ganz Europa einwandernden Arbeitern trafen mit ihren Familien ein und bevölkerten in Elendsquartieren die Gürtel um die Städte. Von Übersee jenseits des Pazifiks kamen vor allem Chinesen ins Land mit ihren Suppen-, Reis- und Nudelküchen und Kokain- und Marihuana-Höhlen in dunklen Hinterhöfen. San Francisco hatte eine extra Chinatown. Sie alle wurden zur Reservearmee, aus der die Fabrikanten und Unternehmer wie der Eisenbahnmagnat James Hill oder der Finanzmogul John Morgen sowie die Imperien der Rockefellers, Vanderbilts, Strauss' und Astors nach Belieben billige Arbeitskräfte beziehen konnten. Ein Krieg der Klassen und in den Klassen kennzeichnete die Frühindustrialisierung und Modernisierung des amerikanischen Westens. In diese sozial gespannte Atmosphäre und Welt der Wölfe unter Wölfen wuchs der junge Jack London hinein und besuchte den Umzügen der Familie folgend von 1881 bis 1889 verschiedene Volksschulen.

Zwei Charakterseiten

Natürlich wird man Londons schillernde Persönlichkeit nicht auseinander dividieren können und dürfen. In einen Geschichten Schreibenden hier und Politikengagierten dort, in Phantasie- und Realgestalt, die er immer zugleich war. Ohne Londons Erfahrungen und Erleben aus frühem, unstetem Leben ganz unten auf der sozialen Leiter, hätte es den anderen, der sich darüber erhob und schrieb und damit seiner Empörung über soziales Unrecht, ökonomische Ausbeutung und gesellschaftliche Unterdrückung Ausdruck gab, nicht gegeben. London selbst war handelnder Akteur und Raubein und zugleich genauer Beobachter von Menschen und Milieus. In keinem seiner Romane trug er dem Gegensatz der zwei Seiten, denen er zuneigte, so sehr Rechnung wie in "Der Seewolf" (1904). Verkörpert in den Romanfiguren des despotischen Kapitäns des Schoners "Ghost", Wolf Larsen, mit seinen schier übermenschlichen Kräften und dem humanistischen Idealen verpflichteten Schriftsteller und Schöngeist aus wohlerzogenem Haus, Humphrey van Weyden. Er, der körperlich Unterlegene, wird von Larsen, der Robbenfängern im Eismeer ihre Beute abjagt, immer wieder herausgefordert. Das deutsche Fernsehen adaptierte den Stoff einzigartig in einem TV-Vierteiler unter Wolfgang Staudtes Regie. Obwohl sich die Filmhandlung nicht streng an die Romanvorlage hielt und auch Handlungsstränge aus anderen London-Geschichten übernahm. Larsen kommt am Ende durch eine Tumorkrankheit elend um und die Menschlichkeit van Weydens, obwohl selbst längst zum harten ruhelosen Seefahrer geworden, obsiegt. Dies schien wie ein Plädoyer des Autors, offenbarte aber neben Londons Bewunderung für Karl Marx und andere Sozialisten auch seinen Hang zur Lehre Charles Darwins von der natürlichen Auswahl und Durchsetzung des Stärkeren und zur durch Nietzsche geprägten Philosophie Herbert Spencers.

Das Sein bestimmt das Bewusstsein

Marxens zentraler Satz vom gesellschaftlichen Sein, das das Bewusstsein bestimmt, und Londons Auffassung von der evolutionären Prägung des Menschen durch seine soziale und materielle Umwelt, fanden in Entsprechung zueinander. Nur kommt bei London noch ein Schuss Darwinscher Überlebenskampf-Lehre hinzu. Das macht auch Londons eigenes Sozialismusverständnis mit sozialdarwinistischen Zügen aus, lässt ihn auch immer wieder am Menschen zweifeln, was in seinen rauen Geschichten vor allem des Nordens und Landstreicherlebens durchscheint. Londons Leben wurde ohne feste elterliche Obhut von früh an bestimmt, sich in der Welt und Halbwelt der boomenden Westküsten-Metropolen San Franciscos und Oaklands alleine durchzuschlagen und zu behaupten. Er wuchs, bedingt durch Umzüge der Familie, in den Slums beider Städte auf. In Oakland, der Stadt jenseits in der Bucht von San Francisco, trat er 1895 in die High-School ein. Dazwischen liegen Jahre des Herumstromerns, in denen London immer wieder die Sklaverei der Kinderarbeit kennenlernte, um der Familie in ihrem Auskommen zu helfen und einer Frühreife, die ihn allzu schnell ohne richtige Kindheit erwachsen werden ließ. Der leibliche Vater hatte Londons Mutter noch während der Schwangerschaft verlassen und stritt die Vaterschaft ab. Ein späterer Partner der Mutter Flora Wellman, die spiritistischen Lehren anhing und ihren Sohn nie wirklich als Mutter annahm, kümmerte sich um ihn, von dem er auch den Namen angenommen hat. Denn eigentlich hieß er nach dem leiblichen Vater John Griffith Chaney. 1891 mit unglaublich frühen 15 Jahren, wurde er mit geliehenen 300 Dollar seiner Amme bereits Miteigner einer kleinen Schaluppe namens 'Razzle Dazzle', mit der er in der Bucht von San Francisco kreuzte, mit seinen Saufkumpanen die staatlich geschützten Austernzuchten plünderte und das Diebesgut unter der Hand verhökerte. So wurde er bald zum "Prinzen der Austernpiraten" und verschaffte sich Respekt. Er war als Erwachsener mittelgroß, kräftig von Statur, mit einer zähen Ausdauer. Und er lernte bald das Whiskeytrinken wie ein Alter. Als die Austernpolizei immer schärfer gegen die Räuberbanden vorging, wechselte London die Seiten, wurde selbst Führer einer Patrouille der Fischereipolizei und stellte ihr des eigenen Vorteils wegen seine Kenntnisse des Diebswesens zur Verfügung. Da war er 16 Jahre alt. Zugleich war London bildungsbeflissen und wissenshungrig. Den Versuch, nach vorzeitigem Schulabgang 1896 an der Berkeley-University 1897 nochmal zu studieren, brach London trotz im Selbststudium erworbenem Hochschulzugang ab. Es konnte ihm, obwohl es ihn in Berührung mit gehobener Bildungs- und Kulturwelt, Debattierclubs und erstmals der Socialist Workers Party brachte, zu deren Boy-Socialist er wurde, nicht annähernd das geben, was das Leben ihn täglich lehrte. Ein frühes Foto jener Tage zeigt London noch als Zeitungsjungen, wie er an einem Tisch der Hafenspelunke "Heinold's First And Last Chance" (Heinolds erste und letzte Gelegenheit) sitzt, den Kopf in die Hände gestützt hat und in die Lektüre eines aufgeschlagenen dicken Buches vertieft ist. Vielleicht eines jener Lexikonbücher, die er sich aus öffentlichen Leihbüchereien besorgte, aus denen er sich täglich einen Artikel einprägte. Wissen bedeutete Macht für London, durch Wissen sicherte man sich anderen gegenüber einen Vorsprung und Vorteil. Schneller und. gewitzter sein als andere war seine damalige jugendliche Lebensdevise.

Frühe sub-proletarische Erfahrungen

London wurde später trotz eigennütziger Sozialisierung zum glühenden Sozialisten und Agitator, u. a. auch durch seine Erfahrungen unterwegs als Tramp entlang der Schienenstränge. Hier erfuhr er nicht nur den brutalen Konkurrenzkampf um die besten Plätze auf den Zügen, sondern auch Solidarität in den Lagern der Hobos (Bahntramps), die gnadenlos der Willkür der bewaffneten Zugpolizei ausgesetzt waren. Nicht selten kam es zu Kämpfen auf den Zügen und gab es Tote auf beiden Seiten. In der Bay-Area von San Francisco und Oakland lebten 1,5 Millionen Menschen in ärmlichen Verhältnissen. Die Depression von 1893/94 führte in ganz Amerika zu Millionen Arbeitslosen und Hungernden. London schaufelte Kohlen im Heizwerk der Oakländer Straßenbahn, als Arbeiter dem Siebzehnjährigen das einfache kapitalistische Prinzip des industriellen Mehrwerts erklärten: anstelle von zwei entlassenen Arbeitern, die je 40 Dollar im Monat erhielten, leistete er allein deren Pensum für 30 Dollar. London, der eigentlich für ein Leben als Tramp plante, schloss sich nur halbherzig motiviert einem Sternmarsch von Arbeitslosen im ganzen Land auf die Hauptstadt Washington an. Unterwegs bildete er mit anderen zusammen eine Art Vorhut, die Geldspenden einsammelte und Lebensmittelgaben entgegennahm, von denen sie das Beste für sich abzweigten. Der anfängliche Treck von 700 Teilnehmern aus dem Westen Richtung Osten, die Arbeitslosenarmee des gewerkschaftlichen Anführers "General" Kelly, schwoll bald auf über 2000 an, die erreicht hatten, kostenlos per Bahn zu reisen. Der Kelly-Marsch verband sich mit der populistischen Bewegung um den Steinbruchbesitzer Jacob Coxey aus Ohio, verkrachter Demokrat und Initiator eines Wohlfahrtsplans sowie Organisator einer nationalen "Armee des Gemeinwohls". Am 1. Mai 1894 wurde Coxey jedoch in Washington verhaftet und wegen Störung des Friedens und Beleidigung der US-Regierung angeklagt. Zu dem Zeitpunkt war Kellys Marsch erst in Iowa angelangt und hatte die für diesen Tag in der Hauptstadt geplante Vereinigung mit Coxeys Leuten verpasst. Die Marschierenden zerstreuten sich bald und auch London verließ die Kelly-Armee. Er schlug sich als Zugtramp unter dem Namen "Sailor Jack" allein weiter Richtung Osten durch, wo er durch eine Reihe von größeren Städten kam und als nicht sesshafter Vagabund im Erie-County erstmals ein amerikanisches Gefängnis kennenlernte und in Ketten gelegt wurde. Er legte einige tausend Kilometer auf Schienensträngen zurück, bis er über Kanada wieder nach Oakland gelangte. 1902, nach seinen ersten größeren journalistischen Erfolgen, führte ihn ein Zeitungsauftrag in die Westend-Slums der britischen Hauptstadt London, wo er inkognito als amerikanischer Seemann getarnt recherchierte. Darüber verfasste er die 1903 erschienene Sozialreportage "The People of the Abyss" (Die Menschen der Tiefe). Eigentlich sollte er über den Burenkrieg in Afrika berichten. London ergänzte seine Berichte in die USA des vorgefundenen sozialen Elends und der in ihm lebenden Menschen durch zahlreiche Fotografien mit handlicher neuer Kodak-Technik und einklappbarer Kameraoptik. Er hatte auch beim legendären Erdbeben 1906 in San Francisco seine Kamera dabei, um die schlimmen Gebäudezerstörungen und verheerenden dreitägigen Brände, die den größten Schaden anrichteten, fotografisch festzuhalten. Am meisten traf es die Arbeiter und armen Leute. In "Collier's" erschien am 5. Mai 1906 sein Report der sozialen Katastrophe "The Story of an Eye-Witness" (Bericht eines Augenzeugen; in: "Geschichten vom Rande der Wirklichkeit"; s. Literatur).

Die Seereise mit der "Snark"

Jack London war begeisterter Fotograf und Seefahrer und so gibt es auch von seiner Seereise 1908/09 mit seiner zweiten Frau Charmian mit dem selbst konstruierten Zweimast-Segler "Snark" von San Francisco über Hawaii in die polynesischen und melanesischen Inselwelten bis nach Australien viele unterwegs geschossene Fotos von den Besuchen auf Hawaii, Tahiti, den Marquesas, Fidschis, Samoa, Neuen Hebriden und Salomonen, wo sie auf Guadalcanal Station machten. Sie fanden mit Texten Eingang in einen illustrierten Reisebildband "Die Fahrt mit der 'Snark'", basierend auf dem Logbuch, das Londons Frau führte und gelten heute als ethnographische Zeugnisse von besonderem Wert. Ähnlich wie B. Travens illustriertes Reise-Buch "Land des Frühlings" über die indigene Urwald-Bevölkerung im mexikanischen Bundesstaat Chiapas. Der Besuch der Südsee war auch eine Reminiszens Londons an zwei von ihm verehrte große Schriftsteller-Vorbilder: Herman Melville und Robert Louis Stevenson. Sie hatten ihr Leben zeitweise auf den Marquesas und Samoa verbracht. Doch als London dort eintraf, existierten die von beiden Dichtem beschriebenen paradiesischen Inselwelten nicht mehr bzw. hatten sich zivilisatorisch sehr verändert. Vielfach wurden die Eingeborenen auf den Inseln von den Weißen zur Plantagenarbeit gezwungen. Im Roman "Die Insel Berande" schildert London eine Eingeborenenrebellion gegen die weißen Ausbeuter. Und in "Die Meuterei auf der Elsinore" war der Aufstand der Mannschaft eines Segelschoners Gegenstand einer typischen Roman-Erzählung Londons. Immer galt sein Blick und seine Parteinahme den Erniedrigten und Beleidigten.

Der Segeltörn, der eigentlich als mehrjährige Weltreise geplant war, fand in Sydney ein vorzeitiges Ende, da sich London und mehrere Besatzungsmitglieder in der Südsee neben der Malaria eine seltsame Krankheit mit Geschwüren am Körper zugezogen hatten, die dringende medizinische Behandlung mit metall- und quecksilberhaltigen Salben und Medikamenten erforderten. Das Schiff kam noch vor Ort unter den Hammer. Die schwer verträgliche Behandlung mit der an Nebenwirkungen reichen Medizin setzte London erheblich zu und verschlechterte trotz Genesung nach der Rückkehr seinen allgemein angeschlagenen Gesundheitszustand weiter. Es machte London mehr und mehr schwermütig und mürbe, seine einst strotzende Konstitution schleichend dahinschwinden zu sehen und widersprach seiner Auffassung vom überlegenen starken Leben. Er setzte gegen seine Schmerzen zunehmend Morphium und Laudanum, zwei starke Schmerz- und Betäubungsmittel, ein und wurde abhängig davon. So wie er zuvor schon in Jugendjahren vom Alkohol abhängig geworden war, worüber er in seinen autobiografischen Romanen "Martin Eden" (1908), gleichzeitig ein Bildungsroman, und "König Alkohol" (John Barleycorn; 1912) freizügig Auskunft gab, ohne sich deshalb für krank zu halten. Er war, was man einen "kontrollierten" oder "Pegel-Trinker" nennen könnte. Immer wieder lagen zwischen seinen Exzessen längere abstinente Phasen, zumal es auch die Ehe mit Charmian stark belastete. Noch kurz vor seinem Tod schrieb London in einem Brief: "'Martin Eden' und 'Der Seewolf' (...) waren Proteste gegen die Philosophie Nietzsches, insofern die Philosophie Nietzsches die Stärke und den Individualismus selbst bis zum Kriege und zur Zerstörung vertritt und sich gegen Zusammenarbeit, Demokratie und Sozialismus wendet. Der Weltkrieg ist die logische Folge der Philosophie Nietzsches." (zit. nach Recknagel, S. 195)

Alaska-Abenteuer und erste Literaturerfolge

Gelingen und Scheitern lagen bei Jack Londons selfmade Unternehmungen nicht selten eng beieinander. Von seinem nur knapp elf Monate dauernden Trip 1897/98 zu den neu entdeckten Goldfeldern im Klondike-Distrikt am Yukon in Nordwestkanada und Ost-Alaska, kehrte er vorzeitig wegen einer ernsten Skorbuterkrankung, auch "arktische Lepra" genannt, und körperlicher Erschöpfung zurück, die auch sein Gebiss arg ramponierte. Die täglichen Mühen der schweren Transporte von Ausrüstung über schneebedeckte Pässe, unwegsame Pfade und hunderte von Kilometern mit selbstgebauten Flößen auf dem wilden Yukon; das oft wochenlange Ausharren im Winter in Eis, Schnee und arktischer Dunkelheit und Kälte, setzte London hart zu und zehrte an seinen jungen Kräften. Es prägte sich ihm unauslöschlich als "das weiße Schweigen" ein. Was er dabei selbst erlebte und an Lagerfeuern und bei Blockhüttenaufenthalten von anderen hörte und aufschnappte, begründete mit den Alaska- und Nordlandgeschichten Londons erste schriftstellerischen Versuche und späteren Erfolge. 1899 erschien eine erste Geschichtensammlung "Odyssee des Nordens". Er avancierte darüber zum meisterlichen Kurzgeschichten-Erzähler, seinem eigentlichen literarischen Genre. In strenger Selbstdisziplin legte er sich auf, täglich 1000 Worte zu schreiben. Obwohl Alaska für ihn nur eine kurze Episode blieb, er trotz eines erworbenen Claims nur mit lächerlichen vier Dollar und ein paar Cent Goldstaubausbeute zurückkam, prägte sie sich tief ein. Ohne Alaska kein schreibender Jack London. Sein "Gold" war hinfort literarischer Art. Stilistisch bedeutsam und wegweisend sind die in Dualität zueinander stehenden beiden Romane "Ruf der Wildnis" und "Wolfsblut" als Kern und Basis seines ganzen literarischen Schaffens. In ersterem geht es um die Verwilderung eines Wolfshundes, der aus menschlicher Zivilisation ausbricht und zum Leittier eines Wolfsrudels wird. Im zweiten um die umgekehrte Entwicklung der Zähmung und Anpassung eines Wolfsmischlings an die Menschen. Beides steht sinnbildlich und allegorisch für die zwei Tendenzen in Londons Wesen: den Zug zum sesshaften, geborgenen Häuslichen, das er kaum kennengelernt hatte und den ruhelosen Abenteuerdrang in die Wildnis und zum Reisen, zwischen denen er zeitlebens schwankte, ähnlich wie in der Charakterdualität im "Seewolf". Heimkehr und Flucht. Das Bild eines Wolfes wurde fortan auf allen ersten Buchcovern zu Londons Markenzeichen.

Das allererste literarische Werk Londons war jedoch seine Schilderung einer Sturmfahrt 1893 als junger Vollmatrose auf dem Dreimast-Robbenfangschiff "Sophia Sutherland" im Nordmeer. Sie mündete in die Erzählung "Ein Taifun vor der japanischen Küste", mit der London gleich den 1. Preis im Zeitungswettbewerb des "San Francisco Call" errang. London orientierte sich in Themen, Stil und philosophischem Schreiben u. a. am Dschungelbuchautor Rudyard Kipling und den finster-makabren Fantasy-Stoffen von Edgar Allen Poe. Über Kipling schrieb London 1901 den zwei Jahre später in "The Reader" publizierten Essay "These Bones Shall Rise Again" und über Poe die 1903 in "The Critic" erschiene Abhandlung "The Terrible and Tragic in Fiction" (beide dt. in: "Geschichten vom Rande der Wirklichkeit"; a.a.0.). Als London um 1900/01 nach etwa zwei Jahren der Mühen den Durchbruch endlich geschafft hatte, avancierte er zu einem bedeutenden modernen amerikanischen Schriftsteller und Autor, neben Mark Twain, Ambrose Bierce, Henry James, Theodore Dreiser und Upton Sinclair, an dem sich spätere Größen wie z. B. Ernest Hemingway oder John Steinbeck orientierten. London, als politischer Schriftsteller weitgehend vergessen, wurde und wird noch heute in aller Welt als Autor von Abenteuergeschichten gelesen und geliebt. Obwohl Reisen, wie er sie zu Land und Wasser unternahm, heute nicht mehr so exklusiv den Reiz des Abenteuerlichen und Exotischen haben und zur Routine wurden, während sie heute eher die Faszination ausüben einer Zeit und Welt, die nicht mehr existiert.

Soziale Gemeinschaft - ökologischer Landbau - Tierzucht

Im kalifornischen Glen Ellen/Sonoma County, im zauberhaften Moon Valley (Mondtal), erwarb der Autodidakt Jack London von seinen inzwischen reichlich fließenden Verlags-Tantiemen 1905 ein 50 Hektar großes Ranchanwesen, genannt die "Beauty Ranch" (Schöne Farm), die er ab 1910 zu einer Modellfarm ausbauen wollte. Wo er nach nachhaltigen Gesichtspunkten ohne Kunstdünger Gemüse- und Früchteanbau und Pferde- und Viehzucht betrieb, exklusive Baumpflanzungen anlegte und mit neuen Schweinehaltungsmethoden experimentierte. London war der Erste in Kalifornien, der für sein geerntetes Getreide Silos aus Beton baute. Damit verbanden sich ursprünglich für London durchaus nicht nur unternehmerische Zwecke, um damit Geld zu verdienen, sondern auch sozialgemeinschaftliche Ziele, die sich auch von Sozialutopien nährten wie jenen von Robert Owen oder Edward Bellamy. Nicht nur Agrarmodell, sondern auch Grundstein vielleicht für eine sozialistische Künstlerkolonie oder Siedlung. Die Beauty Ranch wuchs und entwickelte sich zum Treffpunkt für allerlei namhafte Persönlichkeiten der Region, engere Vertraute, politische Freunde von der Sozialistischen Partei bis hin zu Tramps und Vagabunden, die vorbeischauten. London scheint eine soziale Ausweitung des Projekts irgendwann nicht weiter verfolgt zu haben, nachdem er erkennen musste, dass seine Beauty Ranch mehr Ärger und Verluste einbrachte als Nutzen und Fortschritt. Er ließ deshalb seine Stiefschwester Eliza London-Shepard zu sich kommen, die auch während seiner häufigen Abwesenheiten auf Reisen in Begleitung seiner Frau mit strengem Regiment zur verlässlichen Hilfe bei der Führung der Farm und den Finanzgeschäften wurde.

Fehlschläge, Katastrophen und früher Tod

Typisch für Jack Londons Landwirtschaftsexperiment war es, dass seine Schweine es in einer sauberen Stallung, deren Boden und Wände mit Beton ausgegossen waren, hygienisch besser haben sollten, als in dem Dreck, in dem sie sonst hausten. Man sprach vom aufwendig errichteten, runden Stall aus Natursteinen schon belustigt vom "Schweinepalast" (Pig's Palace). Die kreisförmige Bauform sollte es einem einzigen Mann rationell erlauben, von einer zentralen Futterstelle in der Mitte aus die Tiere in 17 Gruben zu versorgen. Aber die empfindlichen Schweine zogen sich vom kalten Beton Lungenentzündungen zu. Londons nach eigenen Entwürfen gebaute Segelyacht "Snark" wies aufgrund in der Eile des Aufbruchs schlecht ausgeführter Dichtungsarbeiten nach ersten stürmischen Belastungen auf hoher See schwere Leckagen auf, so dass man zu monatelangen Reparaturen auf Hawaii ausharren musste. Die Schiffscrew einschließlich des Kapitäns, eines Onkels seiner Frau, erwies sich als ungeeignet und wurde in Hawaii ersetzt. London lernte in kurzer Zeit die Grundkenntnisse der Hochseenavigation und steuerte den Schoner von da an selbst. Die Vulkaninseln im mittleren Pazifik wurden auch später noch für das Ehepaar London zum Fluchtpunkt und seelischen Refugium, wo Jack und Charmian zu Fuß und Pferd das Land durchstreiften, Jack an den Stränden surfte, zum Salonlöwen avancierte und politische und literarische Vorträge hielt. Die jungen Setzlinge einer aufwendig angelegten Eukalyptusbaumpflanzung im Mondtal, von der sich London einmal einen einträglichen Gewinn versprach, gingen ein. Sein späteres Traumhaus, das riesige "Wolfshaus" im Mondtal mitten im kalifornischen Urwald gelegen, brannte im August 1913 bis auf die stützenden Grundmauern aus Lavagestein ab, kaum dass es auf die Fertigstellung zuging. Ob aus Brandstiftung blieb unklar. Liegen gelassene ölige Lappen sollen sich selbst entzündet haben, hieß es hinterher. London, der diesen Tiefschlag kaum noch mal verwand, hatte es auf einer Grundfläche von 1500 m² selbst entworfen, auch als Gästehaus gedacht, überwiegend erbaut aus Holz mit 29 Zimmern und einem ausgeklügelten Wasserleitungssystem für ein Schwimmbassin mit aus heißen Quellen fließend warmem und kaltem Wasser und legte beim Bau selbst mit Hand an. In Alaska hatte er gelernt, wie man stabile Holzhäuser baut.

Das aufwendige Projekt, wegen dem man London bisweilen auch schon mal Größenwahnsinn attestierte, fraß seine Geldmittel auf und zwang ihn zu weniger anspruchsvoller Schriftstellerei, die ihn zeitweilig zum verhassten "Schreibsklaven" machte. So entstanden z. B. Stories wie das unvollendete Romanfragment "Das Mordbüro", das erst in den 1960er Jahren lange nach Londons Tod von Robert L. Fish im London-Stil zu Ende geschrieben wurde. Sein bester Kurzhornstier brach sich bei einem Sturz das Genick. Der Paradezuchthengst 'Shire' verendete durch Gift. Früher als andere erkannte London die Möglichkeiten des neuen Stummfilms, wovon er sich Geldeinnahmen erhoffte. Er stieg ins Filmgeschäft ein und gründete die Firma Bosworth Inc. Ein Darsteller mit kräftiger Statur, ähnlich London selbst" Jack Bosworth, spielte die Hauptfigur in London-Abenteuer-Geschichten. Da man es mit Filmrechten damals noch nicht so genau nahm, entstanden Parallelproduktionen anderer Firmen, so dass man als Echtheitszertifikat Londons Filmen stets einige Filmszenen mit ihm selbst voranstellte, die wenigen, die es von ihm gibt. 1913/14 entstanden so sieben Filme, darunter erstmals "Der Seewolf", die jedoch nur ein laues Echo fanden. Das frühe Pionierkino wurde vom Publikum noch nicht wirklich ernst genommen. Zudem behinderte der Weltkrieg ab 1914 den Vertrieb. Die Filmerei wurde ein weiterer London-Flop, von der nicht viel erhalten blieb. Schließlich zu erwähnen ist noch das private Unglück des Paares, dass ein Kind vor und eines bei der Geburt starben. Alles in allem eine zu massive Anhäufung von Pleiten und Unglücken, die an Londons mentaler Verfassung nicht spurlos vorübergingen, ihn psychisch stark belasteten und depressiv zermürbten. Er las in jenen Tagen C. G. Jungs "Die Psychologie des Unbewussten". Er aß üppige fette Speisen, hatte stark zugenommen, bekam ein aufgedunsenes Gesicht und war schwer nierenkrank. Offiziell war die Angabe Nierenversagen die Ursache seines vorzeitigen Todes. Lange hielt sich unter Biografen aber auch die Version, London hätte sich das Leben genommen, was angesichts seines übermäßigen Alkohol- und Zigarettenkonsums und seiner Morphiumsucht durchaus im Bereich des Möglichen lag, zumal sich an seinem Bett auch zwei leere Morphiumphiolen fanden. Er, der Macher und Unternehmer, der "Übermensch" und Kämpfer für Sozialismus, hätte dann so durch Krankheit gezeichnet und frühzeitig gealtert nicht mehr weiter leben und leiden wollen. Der deutsche Biograf Alfred Hornung verweist die unbewiesene Suizid-These jedoch ins Reich der Mythenbildung.

London, die mexikanische Revolution und die Sozialisten

Man könnte vielleicht sagen, dass London in seinem kurzen Leben je mehr von seiner sozialistischen Orientierung verlor, desto mehr er zum eigenen Unternehmer wurde, der auf seiner Ranch auch Landarbeiter beschäftigte. Seine eigene Theorie von der evolutionären Prägung durch die Umstände schien ihn einzuholen. London war über die erfahrenen praktischen Misserfolge und Schicksalsschläge ein anderer geworden und verbitterte zusehends. Als Kriegsberichterstatter für "Collier's Weekly" in Mexiko 1914, schimpfte er auf die anfangs von ihm unterstützten Sozial- und Bauernrevolutionäre, die seit 1910 den gewaltsamen Umsturz betrieben und einen Guerillakrieg gegen die Regierung führten. In seiner Solidaritätsdresse von 1911 schrieb er noch: "Wir Sozialisten, Anarchisten, Hobos, Hühnerdiebe, Gesetzlose und in den Vereinigten Staaten unerwünschte Bürger sind mit Herz und Seele mit Euch in Eurem Kampf, Sklaverei und Autokratie in Mexiko zu stürzen." Nun nannte er sie einen Haufen von Banditen, die nur noch für ihren eigenen Vorteil kämpften. Sie sollten damit seiner Ansicht nach zu einem Ende kommen, das Land bräuchte dringend Stabilität, die ihm nur die USA gewähren könnten. Doch letztere Einschätzung zielte ziemlich an der Wirklichkeit vorbei. London selbst setzte mit einem amerikanischen Kriegsschiff nach Mexiko über, was ihm seine Genossen verübelten. US-Marines intervenierten im südlichen Nachbarland und besetzten die wichtige Hafenstadt Veracruz. Das Ziel dieser von London begrüßten Einmischung war nichts als Kanonenbootpolitik im eigenen Hinterhof, um amerikanische Interessen an mexikanischem Öl zu wahren und ein Übergreifen der Unruhen auf US-Gebiet zu verhindern. Die US-Regierung, die seit um 1900 eine Außenpolitik des "Big Stick" (großer Prügel) betrieb, trat im Jahr nach Londons Tod in den Ersten Weltkrieg ein und ging daraus endgültig als erste imperiale Supermacht in Ablösung des britischen Empire hervor.

Schließlich traten London und seine Frau sogar 1916 einige Monate vor seinem Tod noch aus ihrer Heimatsektion der Socialist Party in Glen Ellen aus. Doch nicht, wie man vielleicht annehmen mochte, weil er zur Gegenseite übergelaufen wäre. In seiner brieflichen Austrittserklärung schrieb er u. a.: "Ich verzichte auf die Mitgliedschaft in der Sozialistischen Partei, weil es ihr an Feuer und Kampfgeist gebricht und weil sie die Energie im Klassenkampf verloren hat (...). Weil die ganze Richtung des Sozialismus in den Vereinigten Staaten in den letzten Jahren nach Versöhnung und Kompromiss neigt, erlaubt mir meine Gesinnung nicht länger, ein Mitglied der Partei zu bleiben. Darum meine Resignation, darum mein Rücktritt (...). Im Namen der Revolution, J. L. (zit. nach Recknagel, S. 256/57). Dass Londons Begründung und persönliche Zweifel nicht ganz aus der Luft gegriffen waren und auch von anderen geteilt wurden, zeigte schon ein Jahr zuvor ein Londons Kritik bestätigender Beitrag im "American Socialist", der auf die Gefahr einer reformistischen Parteientwicklung hinwies und die Verdrängung revolutionärer Ideale zugunsten bloßen Stimmenfangs kritisierte. Londons Rückzug blieb unter Genossen nicht ohne Kontra. Bei Recknagel heißt es dazu: "Sozialisten aus Oakland stellten fest, dass der Genosse London schon lange den Kontakt zu ihrer Partei verloren habe, weil er es beispielsweise abgelehnt hatte, in ihren Versammlungen zu sprechen. Es könnte also gar nicht stimmen, dass er 'bis zum heutigen Tag ein kämpfendes Mitglied' gewesen sei." (S. 258). London konterte dies wiederum und verwies darauf, mit dem geschriebenen Wort seiner Schriftstellerei weit mehr Menschen erreicht zu haben als mit dem gesprochenen auf Versammlungen. Aussage gegen Aussage, aber auch, wie Recknagel meint, ein Aufweis sich "im Kreis" drehender "Rechtfertigungen" (Recknagel, ebd.).

Die wichtigen politischen Jahre

Etwa die ersten fünf Jahre nach der Jahrhundertwende waren politisch seine produktivsten. Er hielt an vielen Orten und zu sich bietenden Gelegenheiten für die Socialist Party Reden und Vorträge. Er agitierte bei Kundgebungen auf der Straße und schrieb politische Artikel. Er unterstützte die Aktivitäten der Unions (Gewerkschaften) und spendete Geld, wusste er doch als Intellektueller aus seinen eigenen Erfahrungen bestens Bescheid über die Bedingungen der arbeitenden Menschen und ihrer sozialen Nöte und Kämpfe. 1904 war London für die Hearst-Presse Korrespondent im Russisch-Japanischen Krieg, gelangte dabei auch nach Korea, doch nie nah genug heran an die Kampfgebiete. Dafür beeindruckte ihn die natürliche Anbauweise der Bauern ohne zusätzliche Dünger oder den Boden auszulaugen. Die Revolution von 1905 in Russland begrüßte er aus voller Überzeugung. Die Essays "Wie ich Sozialist wurde" (1902), "Revolution" und "Klassenkrieg" (Class War; 1905), eine Artikelsammlung, die zeitlich eng beieinander liegend abgefasst wurde, offenbarten seine beobachtenden und analytischen Fähigkeiten, auch wenn Londons Kenntnis des Marxismus nicht die profundeste war. Der US-Publizist und Historiker Philip S. Foner veröffentlichte 1964 die umfangreiche Sammlung "The Social Writings of Jack London" (Jack London: Soziale Schriften), der er seine eigene ausführliche Studie "Jack London: American Rebel" (S. 3-130) voranstellte. Sie liegt nur in Englisch vor, ist aber die vielleicht zutreffendste knappe Betrachtung zur Einordnung von Londons politischem Werk. London bewarb sich in seiner Heimatstadt Oakland auch mehrfach um das Bürgermeisteramt, ohne Erfolg. Er kam über knapp 1000 Stimmen nie hinaus. Im Gegenteil brachte ihm das sogar einen zeitweiligen Boykott seiner Schriften ein. Der DDR-Literaturwissenschaftler Rolf Recknagel, bekannt auch für seine biografischen Studien zu Oskar Maria Graf und B. Traven, zitiert London in einer kenntnisreichen Biografie (1976) aus Äußerungen bei Vorträgen in den Wintermonaten 1904, als er im literarisch-philosophischen John-Ruskin-Club über Fragen des Sozialismus und der Kunst sprach: "Ich bin Sozialist, erstens weil ich als Proletarier geboren wurde und bald erkannte, dass der Sozialismus die einzige Rettung für das Proletariat ist; zweitens weil ich, als ich aufhörte, Proletarier zu sein ein Parasit (ein Kunstparasit, wenn Sie wollen) wurde, erkannte, dass der Sozialismus die einzige Rettung für die Kunst und den Künstler ist" (S. 173). Mit der Aktivistin und Frauenrechtlerin Anna Strunsky ging er während der ersten Ehe, aus der die Töchter Joan und Becky hervorgingen, eine vorübergehende Schaffens- und Liebesliaison ein, die auch eine geistige Bereicherung und Ergänzung darstellte. Wie nach ihr Londons zweite Frau Charmian Kittridge (ab 1905), eine emanzipierte Reederstochter, in privater Hinsicht, übte Anna Strunsky bis zum Bruch 1902 politisch einigen Einfluss auf London aus, führte ihn auch in sozialistische Kreise ein. Unter dem Titel "The Kempten-Wace-Letters"(1901) veröffentlichten sie ihre politische Korrespondenz miteinander. Charmian und Jack wuchsen immer mehr zusammen und ergänzten einander auch intellektuell und in ihren kulturellen Interessen, vor allem der Reiselust in fremde Länder. Sie war intelligent, vornehm, gebildet, sportlich, wie Jack eine begeisterte Reiterin und sie konnte Maschine schreiben, korrigierte und tippte Londons Manuskripte.

Biografische und politische Werk-Rezeption

Im Roman "The Little Lady of the Big House" (1916) setzte London seiner resoluten, libertin gesonnenen Frau Charmian literarisch ein Denkmal. Sie betrieb dafür nach Londons Tod in ihrer eigenwilligen, zweibändigen London-Biografie "Jack London - Sein Leben und Werk" (dt. 1929) eine Glättung und Beschönigung der dunklen Seiten ihres Mannes und strickte an einem verklärenden London-Mythos. Es wurde eingangs schon erwähnt, dass man in der medialen Rezeption Londons politische und unternehmerische Dimension allzu leicht ausklammert und gerne übergeht. Dankenswerter Weise hat der ISP-Verlag die Sammlung "Krieg der Klassen - sozialistische Schriften" herausgegeben (1986), in der u. a. die Beiträge "Wie ich Sozialist wurde", "Was mir das Leben bedeutet", "Vorwort zu 'Krieg der Klassen'", "Der Klassenkampf", "Revolution", "An die lieben, tapferen Genossen der mexikanischen Revolution", "Austrittserklärung aus der Sozialistischen Partei" auf Deutsch vorliegen und die neben einem Brief Trotzkis vom Oktober 1937 an Londons erste Tochter Joan eine ausführliche Nachbetrachtung "Jack London und die amerikanische Arbeiterbewegung" (S. 203-250) von Paul Kleiser beinhaltet. In seinem Brief an die "Genossin London" berichtet Trotzki aus seinem neuen mexikanischen Exil, wie sehr ihn die erstmalige Lektüre von Jack Londons Sozialutopie "Die eiserne Ferse" (The Iron Heel; 1906) "überrascht" habe "durch die Kühnheit und Unabhängigkeit [der] geschichtlichen Vorhersage" des Buches. Der englische Schriftsteller und selbst Sozialist, George Orwell, kam freilich in seinem Vorwort zu Londons "Love of Live" (Die Liebe zum Leben) zu einer differenzierteren Bewertung. Über Londons utopisches Buch schrieb er: "'Die eiserne Ferse' ist kein gutes Buch. Insgesamt haben sich die Voraussagen des Buches nicht bestätigt. Seine Zeitabfolge und die geographischen Angaben sind lächerlich. London machte den Fehler vieler seiner Zeitgenossen, indem er annahm, dass die Revolution zuerst in den hochindustrialisierten Ländern ausbrechen würde. Aber in vielen Punkten hatte London richtig gesehen, wo alle anderen sich irrten. Und er hatte recht dank seiner Charaktereigenschaft, die ihn auch zu einem guten Kurzgeschichtenschreiber machte und zu einem wenig verläßlichen Sozialisten." (zit. nach Ayck, S. 141). Im utopischen Kurzroman "The Scarlet Plague" (Die Scharlachpest), veröffentlicht zwischen Juni und September 1913 im "American Monthly Magazine" (dt. in: "Geschichten vom Rande der Welt"; a.a.0.), findet sich der erstaunlich genau vorausschauende Satz "Die Welt war voller Menschen. Die Volkszählung des Jahres 2010 ergab acht Milliarden für die ganze Welt - ...." Eine positive deutsche Resonanz auf "Die eiserne Ferse" zeigte sich darin, dass im Zentralorgan der KPD, Rote Fahne, von Januar bis April 1923 der utopische Roman in Fortsetzung abgedruckt wurde. Gesamtbewertend urteilte die Rote Fahne im November desselben Jahres: "Und doch, obwohl solche Schwankungen und Abirrungen von den Grundsätzen und der proletarischen Ideologie im Gesamtwerk Jack Londons wie in seinem Leben manchen Schatten hinterlassen, bleibt er einer der Unseren" (zit. nach Recknagel, S. 194).

Es sind vor allem die älteren Biografien wie die von Irving Stone ("Zur See und im Sattel"; Berlin 1948) oder Robert Barltrop ("Jack London: The Man, the Writer, the Rebel"; London 1976), die authentisches Material aus erster Hand liefern. Londons Witwe und seine Halbschwester Eliza Shepard übergaben Stone einen Großteil von Londons privatem, literarischem und essayistischem Nachlass: Privatbriefe, Bibliothek, Rechnungsbücher, Papiere, Korrespondenz, Aufzeichnungen, Manuskripte und Familien-Dokumente Die Büchergilde Gutenberg hat 1982 zu ihrer Auswahl-Edition mit Werken Jack Londons die überaus interessante London-Biografie von Andrew Sinclair hinzugefügt, Dem britischen Novellisten, Historiker und Kritiker Sinclair ist bisher die vielleicht genaueste, weil "objektivste" Darstellung von Londons Werk und Leben gelungen, mit einem umfangreichen Anmerkungsteil, die auch die fragwürdige Seite Londons kritisch einbezieht. Ihm diente auch noch persönlich die London-Tochter Joan (1901-1971) als informelle Gewährsperson, die über Jahrzehnte als engagierte, schreibende Gewerkschaftlerin politisch in die sozialistischen Fuß stapfen ihres Vaters trat. Sie schrieb mit "Jack London and his Times" eine bemerkenswerte Werk-Biografie über ihren Vater, deren "sorgfältige Objektivität" bei der Schilderung der gesellschaftlichen Situation, wirtschaftlichen Entwicklung, philosophischen Ideen und politischen Strömungen, die ihren Vater trugen, Robert Barltrop lobend hervorhebt. Vor allem Sinclair bleibt jedoch auf kritische Distanz zu all jenen, die London in diese oder jene Richtung vereinnahmen wollen und hinterfragt auf bisweilen ironische Weise jegliche damit verbundene Mythen- und Legendenbildung. Eine Reihe neu erschienener Biografien erfolgte anlässlich des 100. Todestags von Jack London am 22. November 2016, von denen sich die reich illustrierte von Viotte/Mauberret besonders abhebt. die auch durchaus Neues zum bekannten biografischen Bild des Schriftstellers beiträgt. Ein bibliophiles Kleinod stellt die Neuveröffentlichung auf Deutsch des Snark-Reisebuches dar.


EK/HB, 5. März. 2019


Literatur/Quellen (kl. Auswahl):

TV-Dokumentation: "Jack London - Ein amerikanisches Original" (F, 2016; Regie: Michel Viotte); Arte, 3.12.2016/19.2.2019.

Thomas Ayck: Jack London in Selbstzeugnissen und Bilddokumenten. Reinbek b. Hamburg 1976.

Philip S. Foner (Ed.): The Social Writings of Jack London. Sicaucus, N. J. (USA) 1964.

Alfred Hornung: Jack London. Abenteuer des Lebens. Darmstadt 2016.

Michael Krausnick: Jack London (Portrait). München 2006.

Jack London: Krieg der Klassen - sozialistische Schriften. Hrsg. von Paul B. Kleiser und Christian Geyer. Frankfurt/M. 1983. Ders.: Geschichten vom Rande der Wirklichkeit. Erzählungen und Essays. Frankfurt/M. - Berlin 1985.

Rolf Recknagel: Jack London. Leben und Werk eines Rebellen. Berlin (Ost) 1976.

Michel Viotte u. Noel Mauberret: Die vielen Leben des Jack London. München 2016.

Londons Romane und Story-Sammlungen sind zahlreich in deutschen Verlagen erschienen. Von den politischen Schriften wurden meist nur die Sozialreportage "Menschen am Abgrund" und die Utopie "Die eiserne Verse" aufgelegt. Der politische Schriftsteller London bleibt im Deutschen bis auf die genannte Ausnahme ausgeklammert.

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Quelle:
Arbeiterstimme Nr. 203 - Frühjahr 2019, Seite 24 bis 30
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2019

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