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DAS BLÄTTCHEN/1361: Geld - NICHTS, geschöpft aus NICHTS


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
17. Jahrgang | Nummer 2 | 20. Januar 2014

Geld: NICHTS, geschöpft aus NICHTS

von Ulrich Busch



Die Deutsche Bundesbank verlagerte zum Jahresende 37 Tonnen Gold von New York und Paris nach Frankfurt am Main. Die Firma Degussa wirbt mit einem Slogan, wonach nur Gold wertbeständig sei, alles Papiergeld dagegen wertlos und vergänglich. Die Europäische Zentralbank weitet die Geldmenge im Euro-Raum trotz stagnierender Produktion weiter aus. Gleichwohl aber ist die Kreditvergabe rückläufig und schrumpft das Geldkapital. Wie passt das alles zusammen? Oder gibt es hier vielleicht gar keinen Zusammenhang? - Diese und ähnliche Fragen beschäftigen nicht nur Wirtschaftswissenschaftler; sie sind auch für Normalbürger von Interesse. Insbesondere dann, wenn sich der "Wert" des Geldes spürbar verändert, also das Preisniveau steigt oder fällt, und dies die reale Verwertung oder den Werterhalt der Geldvermögen empfindlich tangiert.

Die Grundfrage all dieser Vorgänge und komplizierten Verknüpfungen ist die nach dem Gelde selbst, nach seinem Wesen und Begriff. Die herkömmlichen Definitionen sind jedoch phänomenalistisch oder bloß funktionaler Natur. Danach ist Geld einfach das, was als Geld funktioniert, ein technisches Hilfsmittel, um den Güteraustausch zu erleichtern, ein Tauschmittel. Darüber hinaus fungiert es als Wertmaßstab und Wertaufbewahrungsmittel. Ferner gilt es als Statussymbol, Kommunikationsmedium, Mittel zur Distinktion und Verkörperung von Reichtum. - Auf diese Weise werden Einzelaspekte und Phänomene beschrieben, das Wesentliche aber, die "Natur" des Geldes, bleibt indes außer Betracht.

Hierzu finden sich aber erfreulicherweise substanzielle Aussagen bei Karl Marx: Für ihn ist Geld ein "gesellschaftliches Verhältnis", das sich in Form eines "Dings" kristallisiert, also ein "unter dinglicher Hülle verstecktes Verhältnis". Löst man diese Begriffsbestimmung auf, so stellen sich zwei Fragen, die nach dem Charakter der "Verhältnisse" und die nach der Beschaffenheit des "Dings", worin sich die Verhältnisse kristallisieren. Die Antwort auf die erste Frage verweist auf Warenproduktion, Arbeitsteilung und Privateigentum - und damit auf relativ allgemeingültige Aspekte der gesellschaftlichen Produktion. Folglich kommt Geld in den unterschiedlichsten Produktionsweisen vor. Die zweite Frage dagegen ist problematisch. Marx selbst beantwortete sie mit einem Diktum, wonach Geld von Natur aus "Gold und Silber" sei und selbst in entwickelter Gestalt, als Kreditgeld, "der Natur der Sache nach" nie von seiner metallenen Unterlage loskommen kann. Diese Aussage gilt, wie das ganze Marxsche System, selbstredend nicht außerhalb von Zeit und Raum, sondern, wofür sie formuliert wurde, für den klassischen Kapitalismus in Europa und Nordamerika und für die Zeit des Goldstandards.

Mit der Demonetisierung des Goldes aber, welche genau vor 100 Jahren 1914 begann und mit der Aufhebung der Bindung des US-Dollars an das Gold 1971 endete, büßte sie ihre Gültigkeit ein. Der Wert des Geldes hängt seitdem nicht mehr vom Gold ab, und das Gold zählt seitdem nicht mehr als Geld. Folglich ist das umlaufende bare und unbare Geld auch kein Stellvertreter des Goldes mehr, wie Marx es noch sah und wie es für das 19. Jahrhundert tatsächlich zutraf, sondern selbst Geld. Aber worin besteht jetzt seine Substanz, sein Wert? Die Antworten, die hierauf gegeben wurden, füllen Regale und ganze Bibliotheken. Trotzdem ist es bisher nicht wirklich gelungen, Licht in dieses "dunkelste Kapitel der Volkswirtschaftslehre", wie Ludwig von Mises es nannte, zu bringen. Der wohl überzeugendste Vorschlag zur Lösung des "Geldrätsels" stammt von dem Berliner Keynesianer Hajo Riese, welcher 1995 das Geld seiner Substanz nach als ein "Nichts" definierte, ein "Nichts", das mittels Zins durch die Zentralbanken, die es emittieren, knapp gehalten wird und das deshalb funktioniert. Während neoklassische Ökonomen das Geld als passiv und als "Schleier", der über der eigentlichen Wirtschaft, der Realsphäre liegt, interpretieren und Marxisten an der Werthaltigkeit des Geldes respektive der "Geldware Gold" bis heute festhalten, erlaubt die knappheitstheoretisch fundierte keynesianische Theorie, das Geld als "Nicht-Gut" und als ultimatives Zahlungsmittel zu begreifen.

Zugleich bietet sie einen Zugang für die Erklärung der Geldentstehung, für seine Schaffung mittels Kredit: Danach bilden nicht Tauschakte, wie klassische und neoklassische Ökonomen behaupten, die Grundlage für die Genesis des Geldes, sondern Schuldkontrakte, Kreditverhältnisse eben. Dies gilt historisch wie aktuell. Es war der österreichische Nationalökonom Joseph A. Schumpeter, der als erster erkannt hat, wie Geld in modernen Volkswirtschaften entsteht, nämlich auf dem Kreditwege. Und er wusste auch, woraus es entsteht, nämlich "aus Nichts": "Kredit ist wesentlich Kaufkraftschaffung" - "aus Nichts". Nicht die Umverteilung von bereits vorhandenem Geld erklärt das Wesen des Kredits, sondern die Schaffung von neuem Geld, welches mithin als Kreditgeld zu begreifen ist. Dies gilt für Zentralbanken ebenso wie für Geschäftsbanken. Beide emittieren Geld, Zentralbank- beziehungsweise Geschäftsbankengeld, via Kredit, indem sie mit der Kreditausreichung zugleich Forderungen begründen, Forderungen an die künftige Produktion, welche als Geld zirkulieren.

Mit der Definition des Geldes als einem "Nichts", einem immateriellen Code, geschöpft auf dem Kreditwege aus dem "Nichts", wenn auch nicht ohne wirtschaftliche Basis und Motivation, besitzen wir eine Erklärung für die Funktionsweise einer Geld- und Kreditwirtschaft. Auf dieser Grundlage lässt sich begründen, wieso die Zentralbank in der Lage ist, trotz stagnierender Produktion die Geldmenge anschwellen zu lassen, ja, sie zu verdoppeln und zu verdreifachen, wodurch verhindert wird, dass die Kreditkette reißt und die Wirtschaft kollabiert. Die Höhe der Goldbestände in den Tresoren der Zentralbank hat hierauf keinen Einfluss. Und auch die Stabilität der Währung hängt davon nicht ab. Die volkswirtschaftlichen Zusammenhänge, welche sich in den monetären Beziehungen, im Kreislauf des Geldes, in seinem Volumen und seiner Struktur, reflektieren und über diese finanzwirtschaftlich gestaltet und gesteuert werden, sind heute derart komplex, dass sie unmöglich in einem so archaischen Element wie dem Gold erfasst werden könnten. Nicht das Gold bildet daher die Gewähr für Sicherheit und Stabilität, sondern das Funktionieren des Bankensystems, dem Herz einer jeden modernen Volkswirtschaft.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 2/2014 vom 20. Januar 2014, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 17. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†), Heinz Jakubowski
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2014