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DAS BLÄTTCHEN/1507: Hummeln, Hitler & Tomaten(ketchup)


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
18. Jahrgang | Nummer 14 | 6. Juli 2015

Hummeln, Hitler & Tomaten(ketchup)

von Alfons Markuske


Aerodynamisch betrachtet, sollte die Hummel
eigentlich gar nicht fliegen können.
Da die Hummel das aber nicht weiß,
fliegt sie trotzdem.

Mary Kay Ash
(amerikanische Unternehmerin und Autorin; von Dave Goulson zitiert)

Wie ich als Kind dem Glauben anheimgefallen war, dass Hummeln (lateinische Gattungsbezeichnung: Bombus) keinen Stachel haben und also nicht stechen können, ist mir nicht mehr erinnerlich. Er währte allerdings nicht lange, denn bereits mein erster gelungener Versuch, einen dieser haarigen, drollig wirkenden Zeitgenossen in meinen halbkugelartig gewölbten Händen einzufangen, um diesen Käfig an mein Ohr zu führen und dem Summen der Hummel direkter lauschen zu können, erbrachte den äußerst schmerzhaft ins Gedächtnis eingegrabenen Beweis des Gegenteils.

Hätte ich damals bereits einiges von dem gewusst, was der Brite Dave Goulson seinen Lesern ebenso interessant wir kurzweilig mitzuteilen weiß, der Hummel und mir wäre einiges erspart geblieben. Denn die Spezies an sich gilt zwar als höchst friedlich und nicht nur im Vergleich zu Wespen als sehr entspannt, doch wenn sie sich in Gefahr wähnt, dann weiß auch die Hummel sich ihrer Haut, respektive ihres Pelzes zu erwehren. Über einen Stachel verfügen weibliche, also die meisten Tiere der Gattung nämlich durchaus. Allerdings stechen sie nie, ohne dem Störenfried zuvor Warnsignale gegeben zu haben, etwa durch Anheben ihres mittleren Beines in dessen Richtung. Wenn beispielsweise Bombus barbutellus, die Bärtige Kuckuckshummel, dabei allerdings, wie im eingangs geschilderten Fall, in einer abgedunkelten Gruft hockt, dann wird das Warnsignal zwangsläufig "übersehen", und die Folgen sind die nämlichen... Gottseidank weist der Bombusstachel keinen Widerhaken wie der der Honigbiene auf, so dass die Hummel sich beim Stechen zumindest nicht selbst tödlich verletzen kann.

Dass viele Familienmitglieder der Gattung Hummel heute in unseren Breiten zu den bedrohten Arten gehören, manche gar bereits ausgestorben sind, resultiert vor allem aus dem zunehmenden Verschwinden ihrer lebensnotwendigen Habitate, insbesondere von früher allgegenwärtigen blumenreichen Wiesen und Feldreinen, auf denen sie ihre Nahrung finden. Landschaftszersiedelung und Industrialisierung der Landwirtschaft, inklusive radikal wachsender Ackergrößen, zunehmender Monokulturen und jahrzehntelanger Masseneinsatz hochtoxischer Pesti- und Insektizide wie DDT, haben da ganze Arbeit geleistet.

Im Falle Großbritanniens, das Goulsons eigentlicher Betrachtungstopos ist, kommt noch ein weiterer Schuldiger hinzu: Hitler. Ein makabrer Scherz? Mitnichten: Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges, 1940, "sah sich Großbritannien isoliert. Vom europäischen Festland wurden keine Lebensmittel mehr geliefert. Die Versorgung über den Atlantik war gefährlich, da Schiffskonvois durch U-Boot-Angriffe schwere Verluste erlitten. Vor dem Krieg hatte Großbritannien jährlich etwa 55 Millionen Tonnen Nahrung importiert. [...] Und so startete die Regierung die Kampagne 'Graben für den Sieg' und rief alle Briten auf, ihren Rasen umzugraben und so viele Nutzpflanzen wie möglich anzubauen. [...] Auch noch der kleinste Flecken Land, der für die Nutzung bislang nicht in Frage gekommen war, wurde jetzt umgepflügt und mit Nutzpflanzen besät [...]. Zwischen 1939 und 1945 steigerte sich der Anteil der für die Nahrungsmittelproduktion genutzten Flächen um 80%." Von diesem Habitat-Kahlschlag haben sich die britischen Hummelpopulationen nie wieder erholt.

Apropos unsere Breiten: Die Hummel ist eine ausgesprochener Nordhalbkuglerin und hat sich auch hier in eher mittel- und kühler temperierten Regionen entwickelt. Schon in Spanien, so Goulson, sei sie kaum anzutreffen, da sie wegen ihres hohen Energieumsatzes bei Flug und Nahrungssuche bei hoher Außentemperatur leicht überhitze. Den Äquator hat die Hummel daher auch nur mit menschlicher Hilfe passieren können - durch zielgerichtete Aktionen zur "Umsiedlung" britischer Hummelköniginnen nach Neuseeland im späten 19. Jahrhundert, um in der dortigen Landwirtschaft die unbefriedigende Befruchtung und -ernte von Rotklee in Fahrt zu bringen. Zwar war die Hummel anschließend nicht schuld am weitgehenden Aussterben einheimischer Fauna, das anderen tierischen Mitbringseln europäischer Zuwanderer geschuldet war, aber ökologisch unproblematisch war die erfolgreiche Ansiedlung trotzdem nicht. Daher verbietet Australien bis heute die international mittlerweile sehr verbreitete Verwendung von Hummelvölkern aus künstlicher Aufzucht zur Bestäubung von Tomaten in Treibhäusern, da keine dauerhaft sichere Garantie gegen ein Entweichen von Tieren in die Umwelt gegeben ist. (Diese Art der Bestäubung kam ökonomisch einem Quantensprung gleich, denn zuvor musste jede Treibhaus-Tomatenpflanze von Hand bestäubt werden.) Der fünfte Kontinent soll weiterhin hummellos bleiben.

Wer nun allerdings meint, dass die Hummel dafür verantwortlich sei, dass Holland unsere Supermärkte seit Jahrzehnten mit völlig aromalosen Retortentomaten fluten kann, der hat bestäubungstechnisch zwar recht, tut der putzigen Hummel, die Segensreiches in der freien Natur bewirkt, zugleich aber zutiefst Unrecht. Denn für die Züchtungsmonster der Oranjes kann das kleine "Pelztier" nun wirklich nichts...

All dies ist von Dave Goulson zu erfahren. Und vieles mehr - zum Beispiel darüber, wie wenig wir erst vom Leben der Hummeln wissen oder wie schwer es ist, in der empirischen Feldforschung Hummelnester überhaupt aufzuspüren, dass aber einer dies ganz vorzüglich kann - der Dachs, für den Hummeln jedoch leider eine Delikatesse sind..., und nicht zuletzt darüber, was gegen das weitere Verschwinden der Nektar- und Pollensammler getan werden kann. Ein mittelgroßer Topf Lavendel etwa würde sicher manche Hummel selbst auf einen städtischen Balkon locken, denn noch gibt es sie. Auch in unserer Nähe.

Nicht zuletzt hält der Autor für die ökologisch nicht ganz so Beschlagenen unter uns Lesern manchen bedenkenswerten Hinweis bereit: "Wenn Sie das nächste Mal Heinz Tomatenketchup auf Ihre Portion Pommes spritzen, denken sie einmal über das Wesen der modernen Welt nach. Ihr Ketchup wurde höchstwahrscheinlich in einer Fabrik in den Niederlanden hergestellt, und zwar aus spanischen Tomaten; die Bestäubung fand durch türkische Hummeln statt, die ihrerseits in einem Betrieb in der Slowakei gezüchtet wurden." Noch Fragen? Das Produkt ist beim Rezensenten sofort ausgelistet worden.

Und dann hat dieses Buch noch etwas ganz Rares, im Bereich nicht hochwissenschaftlicher Literatur fast Ausgestorbenes, das demzufolge hier besonders lobend erwähnt werden soll: ein Sachwortregister. Das ist jüngeren Lesern vielleicht schon überhaupt kein Begriff mehr, aber sie würden es zweifellos zu schätzen wissen, hätten sie erst einmal in einem soeben oder schon vor einer Weile gelesenen oder auch in einem noch völlig jungfräulichen Buch nach einem bestimmten Terminus, einem Zusammenhang oder ähnlichem mehr gesucht und wären mittels Register tatsächlich fündig geworden!

Dave Goulson: Und sie fliegt doch. Eine kurze Geschichte der Hummel, Hanser, München 2014, 320 Seiten, 19,90 Euro.

*

Quelle:
Das Blättchen Nr. 14/2015 vom 6. Juli 2015, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 18. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
... und der Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 28. Juli 2015

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