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DAS BLÄTTCHEN/1666: Vor 70 Jahren - "Draußen vor der Tür"


Das Blättchen - Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
20. Jahrgang | Nummer 3 | 30. Januar 2017

Vor 70 Jahren: "Draußen vor der Tür"

von Manfred Orlick


Im Kältewinter 1946/47 schrieb Wolfgang Borchert sein Schauspiel "Draußen vor der Tür". Gleich nach der Fertigstellung las er das Stück den Eltern und einigen Freunden vor und sprach dabei alle Rollen selbst.

Die Hörspielabteilungen der Rundfunksender in den vier Besatzungszonen suchten damals händeringend nach jungen Autoren und Zeitstücken, die die Erfahrungen des Krieges, die Fragen von Schuld und Hoffnung thematisierten. An solchen Stücken herrschte Mangel, wie an fast allem in den ersten Nachkriegsjahren.

Und Wolfgang Borchert, Jahrgang 1921, war so ein junger Autor, der nach der Katastrophe des Zweiten Weltkrieges die Sprache wiedergefunden hatte. Als Soldat war er wegen antifaschistischer Äußerungen mehrfach inhaftiert, schließlich zum Tode verurteilt, dann aber zur "Frontbewährung" begnadigt und trotz schwerer Verwundungen und Infektionen weiter im Kriegsdienst eingesetzt worden. Nach Kriegsende war er während des Transports in die französische Kriegsgefangenschaft geflohen und hatte in einem 600-Kilometer-Fußmarsch seine Heimatstadt Hamburg erreicht.

Borchert, gerade einmal 24 Jahre alt, müde, abgerissen, krank, versuchte, wieder ins Leben zurückzufinden. Zunächst als Schauspieler oder Kabarettist, hatte er doch vor dem Krieg eine Schauspielausbildung abgeschlossen. Doch seine verschleppte Krankheit, häufig begleitet von Fieberanfällen, durchkreuzte dieses Vorhaben. Bis zu seinem frühen Tode sollte er fast völlig ans Bett gefesselt bleiben.

Während eines Krankenhausaufenthaltes im Frühjahr 1946 entstehen einige Erzählungen, darunter die bekannte Geschichte "Die Hundeblume", in der Borchert die seelischen Qualen eines in Einzelhaft gehaltenen jungen Mannes schildert. Bis zum Jahresende folgen noch rund zwanzig weitere Kurzgeschichten, und im Dezember erscheint sein schmaler Gedichtband "Laterne, Nacht und Sterne".

Im Wettlauf mit dem nahenden Tod schreibt Borchert im klirrenden Januar 1947 innerhalb von acht Tagen sein Drama "Draußen vor der Tür". Darin kehrt der 25-jährige Unteroffizier Beckmann verwundet aus Krieg und russischer Gefangenschaft ins zerbombte Hamburg zurück. Er verzweifelt in den Trümmern und kommt mit seinen Kriegserlebnissen, seiner Schuld und den Zuständen daheim nicht zurecht. Er findet nicht mehr in die bürgerliche Welt zurück. Immer wieder steht er vor verschlossenen Türen. Sein Zuhause ist - "draußen vor der Tür". Beckmann ist kein Held, eher ein Antiheld, der sich ausgeschlossen fühlt.

Wahrscheinlich kommt das Manuskript durch Ruth Malchow, Gründerin der Hamburger Spielstätte "Kleine Komödie" und freie Mitarbeiterin beim Nordwestdeutschen Rundfunk, in die Hörspielabteilung des Senders. Bereits am 13. Februar 1947 strahlt der NWDR eine Hörspielfassung aus. Borchert jedoch kann die Sendung nicht hören - in weiten Teilen Hamburgs herrscht an diesem Abend wie so oft Stromsperre. Zunächst Enttäuschung ... sollte sein Stück ungehört geblieben sein. Die Resonanz übertrifft jedoch alle Erwartungen, Wiederholungen werden gesendet, die auch dem Autor ein Mithören ermöglichen.

Wenige Monate später, am 21. November 1947, hat das Stück schließlich seine Uraufführung an den Hamburger Kammerspielen. Für die Theaterbesucher ein äußerst bewegender Abend, denn die Intendantin Ida Ehre informiert sie vor der Aufführung von Borcherts Tod, der am Vorabend im Alter von 26 Jahren in einem Schweizer Spital verstorben ist. Minutenlanges Schweigen ehe sich der Vorhang hebt. Dann erlebt das Publikum den jungen Schauspieler Hans Quest - ihm hatte Borchert das Stück gewidmet - in der Rolle des grauen Soldatengespenstes Beckmann, hungernd, frierend, mit einem steifen Bein und einer Gasmaskenbrille, der in seiner Angst und Verzweiflung immer wieder schreit: "Gibt denn keiner Antwort?"

Das Ende bleibt offen - wählt Beckmann den Freitod oder wagt er einen Neuanfang? Als der Vorhang fällt, ist das Publikum ergriffen, ja erschüttert, es herrscht Totenstille im Saal.

Nach dieser Uraufführung folgen sehr schnell weitere Inszenierungen in dreißig anderen Theatern im trümmerreichen Nachkriegsdeutschland.

Der Name Wolfgang Borchert bleibt untrennbar mit diesem Theaterstück verbunden. Das Schauspiel, das in seiner Form Beziehungen zum Expressionismus erkennen lässt, ist das wichtigste Drama im Nachkriegsdeutschland. Hier hatte Borchert denen, die aus dem Krieg heimkehrten und sich nicht mehr zurechtfanden, aus der Seele geschrieben. In der Figur des Beckmann schilderte er einen Vertreter der von ihm so genannten "Generation ohne Abschied", zu der er auch selbst gehörte.

Borchert hat damit aber nicht nur sein eigenes Schicksal verarbeitet, sondern den Überlebenden den ganzen Wahnsinn des Krieges noch einmal vor Augen geführt. Sein Werk ist ein eindrucksvolles Beispiel der "Trümmerliteratur", das auch nach siebzig Jahren nichts an Aktualität verloren hat.

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Quelle:
Das Blättchen Nr. 3/2017 vom 30. Januar 2017, Online-Ausgabe
Zeitschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft, 20. Jahrgang
Herausgeber: Wolfgang Sabath (†)
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Februar 2017

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