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DAS BLÄTTCHEN/986: Deutsche Destruktion


Das Blättchen - Zweiwochenschrift für Politik, Kunst und Wirtschaft
Nr. 16/2009 - 3. August 2009

Deutsche Destruktion

Von Erhard Crome


Die Bundeswehr hat ein Organ, das heißt Y - Das Magazin der Bundeswehr. Die Zentralredaktion ist beim Hauptquartier der Bundeswehr in Bonn, der Anbieter das Bundesministerium der Verteidigung/Leiter des Presse- und Informationsstabes mit Anschrift in Berlin. Zum Selbstverständnis heißt es, Ziel sei, "zu Hintergründen und größeren Zusammenhängen themenaktuell zu sein". Man verstehe sieh "als ergänzendes Medium zu den tages- und wochenaktuellen Periodika des Medienmixes der Truppeninformation". Zielgruppe seien "aktive Soldaten, Soldaten der Reserve, zivile Mitarbeiter/-innen der Bundeswehr, Angehörige und Partner der Soldaten sowie die interessierte Öffentlichkeit". So ist davon auszugehen, hier wird vor allem für die Militärangehörigen ausgebreitet, was man von kommandierender Stelle aus meint, daß sie denken sollen.

In der aktuellen Ausgabe wird über die Rede Obamas in Prag berichtet, in der er über die Perspektiven einer atomwaffenfreien Welt sprach. Bereits die Überschrift gibt die Linie vor: "Der böse Traum". Der Text beginnt ironisch: "Barack Obama, globaler Hoffnungsträger, enttäuschte die Wartenden nicht. 30.000 Menschen hatten sich vor der Prager Burg für ihn versammelt." Der Autor war wahrscheinlich auf Bush fixiert und findet es anrüchig, daß auch in Prag Massen zusammenkamen, um Obama zu hören. Dann heißt es weiter: "Im Namen der USA gab der amerikanische Präsident seine bislang kühnste 'Yes-we-can'-Botschaft ab." In wessen Namen sollen denn US-Präsidenten sonst sprechen? Hier liegt unterschwellig aber noch ein perfiderer Ton drin. Unter der Überschrift: "Nicht in unserem Namen" hatten zahlreiche Intellektuelle der USA gegen die Kriegspolitik von Bush protestiert. Hier wird das umgedreht und von den zuständigen Propaganda-Offizieren unterstellt, Obama sei eigentlich nicht berechtigt, im Namen der USA zu sprechen. Der nächste Satz im Text lautet dann: "Nicht weniger als eine atomwaffenfreie Welt versprach er ihnen an diesem Frühlingstag Anfang April." Das meint: alles eitle Frühlingsgefühle, alles Wunschträume. Unfreiwillig aber erinnert dieser, ebenfalls ironisierend gemeinte Satz an den "Prager Frühling", den Traum von einer hoffnungsvollen Welt, die anders wäre als die derzeitige.

Anschließend wird der Leser instruiert, alles sei anders, als es dieser Obama dargestellt habe. "Der Traum von einer atomwaffenfreien Welt ist fast so alt wie die Atomwaffe selbst. Doch viel spreche dafür, daß er von seiner Verwirklichung heute weiter entfernt ist als je zuvor." Die internationalen Kontrollmechanismen seien "löchriger denn je", der Atomwaffensperrvertrag "scheint morsch geworden zu sein. Nicht nur Staaten wie Iran und Nordkorea wollen Atomwaffen bauen, auch Terroristen streben nach diesen Waffen". Hier werden die üblichen Szenarien von Al Qaida, Afghanistan und Pakistan ausgebreitet. Als Kronzeuge, daß "innerhalb des terroristischen Netzwerkes ein Anschlag mit nuklearem Material vorbereitet werden könnte", wird natürlich Wolfgang Schäuble herangezogen. Lange, pejorativ gefaßte Passagen des Textes wärmen das eingewöhnte russische Feindbild auf.

An dieser Stelle könnte man einhalten und feststellen: Bei aller diplomatischen Freundlichkeit der Kanzlerin gegenüber Obama gibt es offenbar unter deutschen Konservativen eine beträchtliche Strömung, die dessen Kurs in Frage stellt und den Bush-Zeiten nachtrauert. Das ist aber nur die Hälfte der Wahrheit. Es ist offensichtlich schlimmer. Der Text von Y ist eine populäre Kurzfassung einer Position, die zuvor schon wortreich und polemisch ausgeführt wurde. Der Autor ist Michael Rühle. Er ist derzeit in der Verwendung als stellvertretender Leiter der Politischen Planung heim NATO-Generalsekretär. In der Edition der Körber-Stiftung publizierte er kürzlich einen "Standpunkt" mit dem Titel: "Gute und schlechte Atombomben. Berlin muß die nukleare Realität mitgestalten." Die guten Atombomben sind natürlich immer die eigenen - da die BRD auf solche verzichtet hat, die des Westens, der USA, Großbritanniens und Frankreichs beziehungsweise der NATO mit der "Errungenschaft" einer deutschen Teilhabe - und die schlechten die der anderen, während des Kalten Krieges die der Sowjetunion, heute die der anderen, nichtwestlichen Mächte. Auch hier Passagen zur russischen Gefahr, zu China und zur Erosion der Nichtweiterverbreitung. Das frühere sei das "erste nukleare Zeitalter" gewesen, heute befänden wir uns im "zweiten". Auch hier lange Darstellungen zu Indien und Pakistan, der iranischen Bombe, Al Qaida und dem Drang des islamischen Terrorismus.

Die Pointe bei Rühle ist der "transatlantische Schulterschluß" Deutschlands mit den USA. Das von ihm unterstellte Szenarium, an dem sich dieses Deutschland beteiligen soll, ist allerdings das der strategischen Planungen der Bush-Regierung. Er moniert, die "in der Abschreckungslogik des Kalten Krieges gewachsene Auffassung, daß der Einsatz militärischer Macht stets ein Versagen der Politik bedeute", habe "im deutschen sicherheitspolitischen Diskurs tiefe Spuren hinterlassen". Demgegenüber brauche Deutschland eine sicherheitspolitische Debatte, "die sich an der Konfliktlandschaft des 21. Jahrhunderts orientiert". An die Stelle der Abschreckung träten "militärische Einsätze von teilweise umstrittener völkerrechtlicher Legitimität, von ungewisser Dauer und mit ebenso ungewisser Erfolgsaussicht". Demzufolge gelte: "Der vorbeugende Einsatz von Gewalt ist dann nicht mehr Ausdruck imperialer Machtphantasien, sondern wird zum sicherheitspolitischen Gebot." Und dazu gehöre nun mal die "Mitgestaltung der nuklearen Realität".

Da hatte man sich das so schön gedacht, nun endlich auch auf nuklear-strategischem Gebiet mitzutun. Wie das praktisch aussehen soll, bleibt bei Rühle absichtsvoll im Dunkel. Aber Mithin sollte schon sein. Und dann kommt dieser Obama und redet davon, diese Waffen abzuschaffen. Das klingt ja fast wie die Friedensdemonstranten im Bonner Hofgarten 1981, die Rühle als junger Student erlebt hat und die er heute noch als gruselig empfindet. Die hatten den drohenden Weltkrieg einen Weltkrieg genannt und waren für die "Grundsatzdiskussion um Freiheit und Unfreiheit nicht empfänglich". Denn unsere Waffen sind ja die der Freiheit - auch wenn "wir" völkerrechtswidrige Präventivkriege führen, die sich am besten mit Atomwaffen führen lassen.


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Quelle:
Das Blättchen, Nr. 16, 12. Jg., 3. August 2009, S. 3-5
Herausgegeben vom Freundeskreis des Blättchens
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veröffentlicht im Schattenblick zum 15. August 2009