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GEGENWIND/380: Rassistischer Angriff 1996, Prozeß 2009


Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Rassistischer Angriff 1996, Prozess 2009
Manche Mühlen mahlen langsam ...

Von Reinhard Pohl


Die Sache begann harmlos. Ein junger Mann, 28 Jahre alt, besucht eine Disco. Später sitzt er am Eingang auf den Stufen. Andere Besucher verlassen das Haus, es kommt zu einer Rempelei. Dann eskaliert der Angriff. "Affe", "Nigger", "Buschmann" wird gerufen, der junge Mann wird geschlagen und getreten.


Was genau passierte, wird von den Beteiligten unterschiedlich dargestellt - aber einige Stunden später muss der 28-jährige Discobesucher vom Rettungshubschrauber in die Uniklinik geflogen werden, wo er erst nach einigen Tagen aus dem Koma erwacht.

Es geschah in der Nacht vom 19. auf den 20. April 1996 in Burg auf Fehmarn. Der Schwerverletzte ist Tedi Rezene, Asylbewerber aus Eritrea. Er bekommt während des Angriffs Tritte gegen den Kopf, der Kopf wird wohl auch gegen die Hausmauer geschleudert. Erinnern kann sich der Betroffene an nichts. Verantwortlich dafür ist eine Hirnblutung, die am Nachmittag des 20. April, also nur einige Stunden nach der Schlägerei (die am frühen Morgen stattfand), festgestellt wurde, die aber wohl direkt nach dem Tritt entstanden ist. Eine sofortige medizinische Hilfe wäre dringend erforderlich gewesen.

Fünf Jahre später, Anfang 2001, wird der Discobesucher Herbert M. wegen Körperverletzung zu einer Geldstrafe von 4.200 D-Mark (rund 2000 Euro) verurteilt. Das Gericht kann aber nicht endgültig klären, was überhaupt passiert ist. Denn die ersten Discobesucher, die die Disco verließen und Tede Rezene anrempelten, werden nicht ermittelt. Herbert M. kommt nach eigenen Angaben erst später dazu, das Opfer ist erregt und beschimpft die Angreifer als "Nazis" und "Rassisten". Der Verurteilte sagt auch, er habe Tedi Rezene helfen wollen, ihn in Schutz nehmen wollen. Erst als er selbst auch als "Nazi" bezeichnet worden sei, habe er Tedi Rezene mit dem Fuß gegen den Kopf getreten, seinen Kopf damit an die Hauswand geschleudert. Doch diese Einlassung wird nur von seiner Freundin bestätigt - gerade angesichts seiner massiven Gewalt ist sie genauso wenig nachvollziehbar wie aufgrund seiner im Ort bekannten ausländerfeindlichen Einstellung.

Zwei Probleme traten beim Prozess auf. Zwar gab es viele Zeugen, aber nur einer meldete sich und sagte aus. Da er das aussagte, was auch Tedi Rezene behauptete, sagte das Gericht, die Aussage könnte auch abgesprochen sein. Andere Zeugen meldeten sich nicht, waren nicht zur Aussage bereit. Und obwohl die Ortszeitung sonst über jeden auch kleinsten Vorfall berichtet, bei Straftaten auch Zeugen aufruft sich zu melden, geschah das in diesem Fall nicht. Ob das allerdings mit der Hautfarbe des Opfern zu tun hat, bleibt eine nicht belegbare Vermutung.

Ein zweites Problem war der Polizist, der alles aufnahm. Zu zweit waren sie gekommen, aber der Kollege am Steuer blieb gleich im Auto sitzen. Der andere Polizeibeamte nahm alles auf, machte auch einige Notizen. Aber einige Zeit später erkrankte er schwer, seine Eindrücke und Informationen konnte er bei Gericht nicht mehr vortragen.

Letztlich fand der Strafprozess auch viel zu spät statt. Mehrfach stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein, wollte keine Anklage erheben. Erst als Tedi Rezene im Jahre 2000 eine Deutsche heiratete, die sich offensiv an die Staatsanwaltschaft wandte, kam es zur Anklage - vier Jahre nach dem Angriff. Erst im Januar 2001 fand dann der Prozess statt, und fünf Jahre später ist es für jeden Amtsrichter schwer, den Tathergang zu rekonstruieren.

Klar war: Nach dem Tritt gegen den Kopf wurde Tedi Rezene bewusstlos. Er ist aber dann wieder wach, als ein Rettungswagen mit Sanitätern eintrifft. Sie behandeln ihn und fahren wieder weg, er will nicht ins Krankenhaus. Später, vor Gericht, ist der verantwortliche Sanitäter merklich nervös. Denn einen Bewusstlosen, auch wenn er inzwischen wieder erwacht ist, muss der Rettungswagen zu einer ärztlichen Untersuchung mitnehmen. Die Freundin von Herbert M. fordert die Polizisten dazu auf, Tedi Rezene im Streifenwagen nach Hause zu bringen. Sie tun es nicht, Tedi Rezene muss zu Fuß laufen. Um 9 Uhr wird Tedi Rezene dann mit starken Schmerzen von seiner Freundin ins Krankenhaus begleitet, wo eine Hirnblutung festgestellt wird. Sein Zustand verschlechtert sich so schnell, dass ein Rettungshubschrauber gerufen wird, der ihn nach Lübeck fliegt. Dort liegt er tagelang im Koma, wird erst am 3. Mai aus dem Krankenhaus entlassen. Bis heute leidet er an Kopfschmerzen und Konzentrationsstörungen.


Arbeitsunfähig-Rente nach dem Opferentschädigungsgesetz?

Mit der Verurteilung von Herbert M. endet die Angelegenheit aber nicht. Denn Tedi Rezene ist arbeitsunfähig, es wird eine Schwerbehinderung von zunächst 60 Prozent anerkannt. Er will vom Land Schleswig-Holstein nach dem Opferentschädigungsgesetz entschädigt werden, benötigt eine Rente. Auch ein Schmerzensgeld für die Folgeerkrankungen der Cortisonbehandlung käme in Betracht, denn die Gelenk- und Hüftschäden gehen wohl darauf zurück. Doch Schleswig-Holstein lehnt ab.

2006 lehnt das Sozialgericht Lübeck auch die Klage ab. In der ersten Ablehnung einer Entschädigung argumentierte das Land noch das Opfer wäre selbst angetrunken gewesen und habe die Angreifer als "Nazis" oder "Rassisten" beschimpft, nachdem diese ihn als "Affen" bezeichnet hatten, er sei also nicht nur Opfer. Er sei einfach "Beteiligter" an einer Schlägerei gewesen, die er mit verursacht haben. In der Gerichtsverhandlung argumentierte Schleswig-Holstein (Landesamt für Soziale Dienste) anders: Tedi Rezene habe laut Urteil des Strafgerichtes am frühen Morgen des 20. April einen Tritt gegen den Kopf bekommen. Danach sei er nach Hause gegangen. Einige Zeit später, zwischen 9 und 11 Uhr des gleichen Tages, habe er eine Gehirnblutung erlitten. Er müsse aber beweisen, dass beides miteinander zu tun habe.

Die Wand der Arterie könnte auch von Natur aus dünn gewesen sein, dass sie irgendwann reißt. Es könnte auch seine Erregung gewesen sein, die die Arterie zum Platzen gebracht habe. Der Tritt gegen den Kopf müsste nicht die "wesentliche Ursache" der Gehirnblutung sein, so auch die Richter im Urteil von 2006, er könnte auch nur mit dazu beigetragen haben.

Ein Gutachter sagte, die Hirnblutung könnte durch den Fußtritt ausgelöst worden sein, allerdings auch spontan ohne Fremdeinwirkung entstanden sein, im Zusammenhang mit einem Anstieg des Blutdrucks wegen körperlicher Belastung, Angst oder Aufregung zum Beispiel, aber auch wegen eine epileptischen Anfalls. "Der ... Fußtritt auf den Kläger kann m.E. nicht als sichere Ursache der (...) Blutung angenommen werden, auch wenn ein zeitlicher Zusammenhang zwischen dem Fußtritt und Auftreten von klinischen Beschwerden bestand", so der Gutachter des Sozialgerichtes.

Jetzt, 13 Jahre später, liegt der Fall beim Landessozialgericht. Dieses hat zwei neue Gutachten eingeholt. Beide Gutachter können keine medizinischen Untersuchungen mehr vornehmen, sondern sind auf die Krankenakten von 1996 angewiesen. Beide sagen: Die Gehirnblutung ist höchstwahrscheinlich eine Folge des Tritts gegen den Kopf, die Folgeschäden höchstwahrscheinlich eine Folge der Cortisonbehandlung. Denn später litt Tedi Rezene unter Hüft- und Gelenkschmerzen, konnte kaum noch laufen oder radfahren, musste 1998 eine künstliche Hüfte bekommen. Der Grad der Schwerbehinderung wurde zunächst mit 80 Prozent anerkannt, ist 1996 mit 50 Prozent, seit 1998 mit 40 Prozent. Das Land bezahlt eine Rente von 265 Euro im Monat. Wegen des späten Termins des Strafprozesses sind Schadenersatzforderungen an den verurteilten Täter nicht mehr möglich.


Rechtsstaat?

Sieht man sich die Akten an, die vor allem aus ärztlichen Stellungnahme und medizinischen Gutachten bestehen, scheint alles rechtsstaatlich einwandfrei. Alle beteiligten Richter haben unfangreiche Gutachten eingeholt, das Land Schleswig-Holstein (Landesamt für soziale Dienste) hat umfangreich Stellung genommen.

Auffällig: Zwischen dem Auftrag eines Richters und seiner Erledigung durch ein Gutachten vergehen Monate. Bis das Land zu einem Gutachten Stellung nimmt, dauert es wieder ein halbes Jahr. Bis der Anwalt von Tedi Rezene zu einer Frage des Gerichts dann Stellung nehmen kann, die ja erst durch Gutachten beleuchtet und durch das Landesamt beurteilt sein muss, vergeht in der Regel über ein Jahr. Zwischen Weitergabe der Akte durch die Polizei und Anklageerhebung durch die Staatsanwaltschaft Lübeck waren schon fünf Jahre ins Land gegangen, zwischen Rentenantrag und Bescheid sind jetzt noch mal acht Jahre verstrichen. Hoffen die beteiligten Steilen darauf, das Opfer würde aufgeben?

Das Landessozialgericht hat jetzt vorgeschlagen, dass das Land anerkennt, dass die Hirnblutung durch den Tritt ausgelöst wurde und die Behinderung und Rente anerkennt. Das hat das Land bei Redaktionsschluss getan. Der Tritt gegen den Kopf, so die Anerkennung nach 13 Jahren, ist Ursache der Gehirnblutung. Der Behinderungsgrad wird jetzt auf 70 Prozent heraufgestuft. Zu den übrigen Fragen soll das Land einen Bescheid erlassen. Das betrifft vor allem die Folgen der Cortisonbehandlung.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 250 - Juli 2009, Seite 40-41
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Juli 2009