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GEGENWIND/410: Rolle rückwärts in der Schulpolitik?


Gegenwind Nr. 259 - April 2010
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern

Rolle rückwärts in der Schulpolitik?

Von Anke Erdmann


In der Schulpolitik kündigt sich mit Bildungsminister Klug eine drastische Wende an. Noch vor dem Sommer will er den Entwurf eines anderen Schulgesetzes in den Landtag einbringen. Man mag nicht von einem "neuen" Schulgesetz sprechen, denn neu und nach vorne gerichtet ist daran gar nichts. An zwei Stellen wird es besonders spannend: Zum Einen demonstriert Minister Klug durch seine zermürbende Salami-Taktik gegenüber den Gemeinschaftsschulen, dass er ihnen die Umsetzung des neuen pädagogischen Konzepts des Gemeinsamen Lernens nicht leicht machen wird. Zum Anderen stoßen seine Reformpläne zum Thema Turbo-Abi auf Skepsis. Der Minister prescht unklug voran, wenn er eine soeben eingeführte Reform nun erneut "reformieren" will, nur um sich vor ihrer konsequenten und effektiven Umsetzung zu drücken.


Wir erinnern uns: 2007 hat die Große Koalition ein Schulgesetz auf den Weg gebracht, dass von allen Seiten als krummer politischer Kompromiss gewertet wurde. Das Gymnasium blieb unangetastet, Haupt- und Realschulen wurden abgeschafft. Stattdessen wurden zwei neue Schulformen eingeführt: Zum Einen die sogenannte Regionalschule, zum Anderen die Gemeinschaftsschule. Was unterscheidet diese beiden Schulformen? Die Regionalschule - das Ziehkind der CDU - dient keinem neuen pädagogischen Ansatz, sondern ist lediglich eine Antwort auf die demografische Entwicklung im ländlichen Raum. Bei sinkenden SchülerInnenzahlen war es der Union einfach zu teuer eine Schule weiterhin in Haupt- und Realschule zu trennen. Die SPD hat die andere Schulform ermöglicht: Die Gemeinschaftsschule. Hier sollen - im Idealfall - Kinder und Jugendliche auf alle drei Schulabschlüsse vorbereitet werden. Mit dem pädagogischen Ansatz des längeren Gemeinsamen Lernens soll verstärkt auf das individuelle Lerntempo der Kinder eingegangen werden. Erstens müssen "Spätzünder" nicht den mühsamen Weg auf sich nehmen und die Schule wechseln und zweitens führen heterogene Lerngruppen zu besseren Leistungen - wenn die Lehrkräfte wissen, wie die sogenannte "Binnendifferenzierung" geht. Mit dieser inneren Leistungsdifferenzierung ist die individuelle Förderung der Schülerinnen und Schüler durch die Lehrkräfte gemeint. Die Schülerinnen und Schüler werden also nicht in einem Tempo mitgeschleift, sondern dort abgeholt wo sie sich befinden. Binnendifferenzierung zeugt von Mut zur Verschiedenheit.

Mit dem Schulgesetz wurden die Profiloberstufe statt des Kurssystems und das Turbo-Abi an Gymnasien eingeführt.

Von Grüner Seite gab es zwei wesentliche Kritikpunkte am Schulgesetz der Großen Koalition: Eine Schule für alle und eine flexible Oberstufe. Die Liberalen kritisierten, dass sich überhaupt etwas ändert. Die Große Koalition hatte den Schulen eine mehrjährige Umsetzungsfrist zugestanden. Zu diesem Sommer sollte die Schulreform in Gänze bei den Schulen angekommen sein - eigentlich!

Doch nun kommt natürlich alles wieder ganz anders - und es ist bitter, dass das unzulängliche Schulgesetz der Großen Koalition in der jetzigen Debatte verteidigt werden muss, anstatt es nach vorne zu entwickeln. Aber bei der Rückwärtsrolle, die uns jetzt unter Union und FDP bevorsteht, scheinen die vergangenen Reformmaßnahmen unter Schwarz- Rot geradezu als pädagogische Speerspitze.

Der liberale Schulminister fängt nun an, was er in Oppositionszeiten versprochen hat. Seine Zugeständnisse richteten sich vor allem an zwei Adressen: Den Verband der Realschullehrer und den Philologenverband. Dies ist auch im Koalitionsvertrag nicht zu übersehen. Nur eines merkt der Minister nicht: Klug heißen und klug regieren, sind zwei verschiedene paar Schuhe!


Klug heißen, klug regieren - zwei Paar Schuhe

Eine seiner ersten Aktionen war das sogenannte Vorschaltgesetz: Den Realschulen im Land sollte eine Möglichkeit eröffnet werden, Realschulen zu bleiben. Aber nicht einfach so - das hatte die Union zu verhindern gewusst. Die Realschulen sollten erst mal genug Unterschriften einholen. Bevor das aber gelungen war, wurde das Gesetz geändert. Dabei war von Anfang an klar: Es kann eigentlich nur um sieben Realschulen im Lande gehen - maximal. Alle anderen waren schon umgewandelt, wollten sich umwandeln lassen oder aber die Schulträger wollten die Debatte nicht nochmal aufmachen. Inzwischen ist klar: In Schleswig-Holstein hatte das Volksbegehren zum Erhalt der Realschulen keinen Erfolg. Das Gesetz kam dennoch. Ein interessanter Start für einen Minister aus der Entbürokratisierungspartei.

Doch leider war das erst der Beginn von Klugs Schulchaos. Inzwischen sind die Grundzüge des "neuen" Schulgesetzes bekannt geworden.

Der Name Gemeinschaftsschule stellt sich künftig als inhaltsentleert dar. Denn die Schutzklausel für Gemeinsames Lernen im Schulgesetz soll fallen. Bislang stehen Gemeinschaftsschulen dafür, dass die Schülerinnen eben nicht in verschiedene Schubladen/Klassen/ Kurse gepackt werden - sondern bis zur zehnten Klasse in einer Lerngruppe bleiben, in der sie sich individuell entfalten können. Mit der beliebigen schulinternen Entscheidung über eine Umsetzung von Gemeinsamem Lernen entfällt der wichtigste, nachhaltigste und profilierteste Charakterzug einer Gemeinschaftsschule.

Es geht ein klares pädagogisches Signal an die Eltern verloren. Da künftig aber such Kurse oder die Einführung von Haupt- und Realschulklassen an Gemeinschaftsschulen möglich sein sollen, wird nicht nur die Grundidee auf den Kopf gestellt, sondern auch die Umsetzung gefährdet. Die SchulleiterInnen schlagen die Hände über dem Kopf zusammen. "Gerade haben wir ein pädagogisches Konzept - nicht ohne Konflikte - mit viel Arbeit auf die Beine gestellt, da geht die Debatte in den Kollegien vielerorts wieder von vorne los", ist von mehreren Schulleitern neuer Gemeinschaftsschulen zu hören. Das ist mehr als fahrlässig von der Regierung. Dabei müsste es nun doch darum gehen, endlich Kraft in die Umsetzung der anspruchsvollen neuen Lernformen zu stecken! Denn - auch das ist klar - die ehemalige Bildungsministerin Erdsiek-Rave hat die Lehrkräfte bei der Einführung dieses neuen pädagogischen Ansatzes ziemlich allein gelassen.

Dennoch: Im Vergleich zu ihrem Nachfolger hatte sie eine Idee davon, wie Schulen auch pädagogisch besser werden können, um mehr Kinder und Jugendliche zu einem erfolgreichen Schulabschluss zu führen. Minister Klug aber scheint in die alten Gräben zwischen GesamtschulgegnerInnen und -befürworterInnen zurückzufallen: anstatt für die Gymnasiallehrkräfte, die für Gemeinsames Lernen dringend gebraucht werden, faire Anreize zu schaffen, stellt er ihnen im Falle eines Wechsels an eine Gemeinschaftsschule nun längere Arbeitszeiten in Aussicht. Dazu hat die Regierung angekündigt, im ersten Schritt 180 Stellen umzuschichten - um die Benachteiligung der Gymnasien abzubauen.

Diese Benachteiligung wird von der FDP unter anderem auch daran festgemacht, dass Gemeinschaftsschulen nicht in acht, sondern in neun Jahren zum Abitur (G8/G9) führen. Zumindest in der Theorie, denn bislang haben nur die alten Gesamtschulen auch Oberstufen an den Schulen.

Über die schlechte Umsetzung des achtstufigen Gymnasiums (G8) besteht kaum noch Zweifel. Dabei wird das Jahr auf dem Weg zum Abitur nicht in der Oberstufe, sondern in der Sekundarstufe I eingespart. Die Folge ist, dass die Kinder, die nun in der fünften und sechsten Klasse der Gymnasien sind, unter enormer Arbeitsbelastung leiden. Es bleibt keine Zeit dafür, "einfach mal nur Kind" zu sein, denn der Leistungsdruck und das Arbeitspensum durch zusätzliche Hausaufgaben sind zu hoch. Deshalb hat sich an dieser Stelle der Begriff "Turboabi" herausgebildet. Lernstoff wird in der Regel lediglich verdichtet. Aber es gibt Schulen, die wirklich einen gangbaren Weg gewählt haben. So hat die Klaus-Groth-Schule in Neumünster inzwischen Lehrpläne entfrachtet und neue Methoden entwickelt - zur Zufriedenheit der Schülerinnen und Lehrkräfte. Es ist gut und wichtig, hier zu schnellen und tragfähigen Lösungen zu kommen.


FDP in Sachen Abi allein zu Haus!

Und darum bastelt Klug nun an einem bundesweit einzigartigen Modell: Die Gymnasien sollen es sich komplett selber aussuchen können, ob sie G8 oder G9 oder aber sowohl G8- als auch G9-Klassen an ein und derselben Schule einführen. Begeistert ist eigentlich niemand!

Die Argumente sprechen gegen seinen Ansatz: Das System ist intransparent, es lässt die jetzigen G8-SchülerInnen im Regen stehen und ist zudem extrem teuer. Mehr als dreihundert Planstellen würde eine solche Parallelstruktur voraussichtlich kosten. Der Minister steht mit seinen Plänen nicht nur bundesweit alleine da, sondern auch im eigenen Land.

Der Philologenverband, der viele Lehrkräfte an Gymnasien vertritt, will beim achtjährigen Bildungsgang bleiben - eigentlich ein wichtiger Bündnispartner der FDP. Der Landeselternbeirat der Gymnasien verweist auf einige Schulen, in denen es trotz G8 tatsächlich weniger Klagen von SchülerInnen gibt, und mahnt, diese Schulen zum Vorbild zu machen. Die Eltern der Kinder, die jetzt betroffen sind, sind ebenfalls nicht begeistert, weil die Reform nur für diejenigen gelten soll, die ab 2011 in die fünfte Klasse eines Gymnasiums gehen werden.

Auch die Kreise und kreisfreien Städte reiben sich die Augen, haben sie doch vielerorts begonnen, die Gymnasien für den Ganztag fit zu machen. Auch die CDU als Koalitionspartner will bei dem Zwei-Säulen-Modell bleiben: G9 an Gemeinschaftsschulen, Turbo-Abi an Gymnasien.

Nun hat Klug ohne Not genau das provoziert, was er zu verhindern behauptet hat: Er wollte weg von den Strukturfragen, und mehr Ruhe, damit die Schulen pädagogische Konzepte umsetzen können - er schafft viel Verunsicherung bei Eltern, Kollegien und SchülerInnen.

Dabei wäre Bewegung jetzt so wichtig: Viel entscheidender als die Fragen nach G8 oder G9 ist die Frage, wie SchülerInnen ohne erheblichen Lernstress und angemessener Wahlfreiheit zum Abitur kommen und wie man das schnell, pragmatisch und kreativ auf den Weg bringen kann. Wie die Lernpläne vernünftig entrümpelt werden können. Und welche Unterstützung die Kollegien brauchen, damit sie neue Methoden und Gemeinsames Lernen zum Erfolg führen können. Doch Minister Klug liebt den Retrolook! Und er liebt die alten Grabenkämpfe. Statt den Schulen Rückenwind für die Zukunft zu geben, bremst er jene aus, die sich auf den Weg machen wollen: Wer sich bewegt, ist scheinbar selber schuld.


Anke Erdmann
Seit Oktober 2009 schulpolitische Sprecherin der Grünen im Landtag Schleswig-Holstein. Sie hat sich bis dahin als Kieler Ratsfrau für Gemeinsames Lernen, Schulsozialarbeit Ganztagsschulen und mehr Geld für Schulen eingesetzt.


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Quelle:
Gegenwind Nr. 259 - April 2010, Seite 25-26
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veröffentlicht im Schattenblick zum 10. April 2010