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GEGENWIND/659: Volksinitiative gegen CETA in Schleswig-Holstein?


Gegenwind Nr. 332 - Mai 2016
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Volksinitiative gegen CETA in Schleswig-Holstein?

Von Günther Stamer


Die politischen Auseinandersetzungen um die sog. Freihandelsabkommen CETA und TTIP gehen in diesem Jahr auf die Zielgerade.


Bundeswirtschaftsminister und SPD-Vorsitzender Sigmar Gabriel geht fest davon aus, dass seine Partei das EU-Handelsabkommen CETA mit Kanada mitträgt. Anfang Juni soll ein SPD-Konvent in Berlin darüber abstimmen. "Ich bin sicher, dass wir eine Mehrheit bekommen. Das ist einfach ein gutes Abkommen", sagte Gabriel nach einem Treffen mit der kanadischen Handelsministerin Chrystia Freeland. Der überarbeitete CETA-Vertrag, in dem sog. Handelsgerichtshöfe das umstrittene System privater Schiedsgerichte für Konzerne ersetzen, wäre eine "exzellente Messlatte" für das größere EU-USA-Abkommen TTIP, meint Gabriel. Ein Nein der SPD zu CETA wäre aus Gabriels Sicht strategisch eine große Fehlentscheidung. Er glaube nicht, dass sich die Sozialdemokratie die Chance entgehen lasse, die künftigen Standards im Welthandel zu setzen.

In das selbe Horn stößt EU-Handelskommissarin Cecilia Malmström, die die Proteste gegen das umstrittene transatlantische Freihandelsabkommen TTIP kritisiert. "Die Globalisierung ist eine Kraft, die ganz unabhängig davon wirkt, ob wir das mögen oder nicht", so ihre Auffassung. Über die geplante Vereinbarung mit den USA werde die EU ihre globale Stellung stärken können und ihre hohen Standards und Werte schützen. "Macht Euch nichts vor. Irgendjemand wird die Regeln für die Globalisierung schreiben", sagte Malmström an die Adresse der TTIP-Kritiker.

Im Vorfeld der Großdemonstration am 23. April in Hannover sollte also den TTIP/CETA-Gegnern ein wenig der Wind aus den Segeln genommen werden, als sich dort US-Präsident Barack Obama und Bundeskanzlerin Angela Merkel zur Eröffnung der Hannover Messe einfanden und wohl auch über die Perspektiven des transatlantischen Handels konferierten.

In diese Auseinandersetzung hat "Mehr Demokratie jetzt" Schleswig-Holstein die Überlegung ins Spiel gebracht, eine Volksinitiative zum Stopp von CETA ins Leben zu rufen.

Nach deren Überzeugung kann CETA auf mehreren Wegen gestoppt werden: 1) durch Klage vor dem Verfassungsgericht; 2) durch einen Volksentscheid in den Niederlanden, der von "Mehr Demokratie Niederlande" durchgeführt wird; 3) durch eine ablehnende Entscheidung im Bundesrat.

Nun erwägt der Landesverband von "Mehr Demokratie e.V." eine Volksinitiative gegen CETA in Schleswig-Holstein auf den Weg zu bringen. Neben Bayern ist Schleswig-Holstein eines der wenigen Länder, in denen per Volksinitiative ein Auftrag an die Regierung zum Verhalten im Bundesrat beschlossen werden kann. Das ist zwar nicht verbindlich, aber es könnte damit weiter Druck auf die Landesregierung ausgeübt werden, die vor achtzehn Monaten in der Landtagsdebatte viele Vorbehalte gegen CETA geäußert hatte. "Mehr Demokratie Schleswig-Holstein" würde eine solche Initiative gemeinsam mit anderen "freihandelskritischen" Organisationen und Initiativen vorbereiten und einreichen, wenn sich dazu ein Bündnis in Schleswig-Holstein bildet, das sicherstellt ist, dass die benötigten 20.000 Unterschriften gesammelt werden.

Landtag für CETA aber "mit fairen RegeIn"

Am 13. November 2014 hatte der schleswig-holsteinische Landtag auf Antrag der Piraten bereits über das CETA-Abkommen debattiert. Die Piraten-Fraktion hatte in ihrem Antrag die Landesregierung aufgefordert, den Abschluss des Wirtschafts- und Handelsabkommens CETA mit Kanada abzulehnen und festzustellen, dass der Bund nicht berechtigt ist, CETA ohne parlamentarische Zustimmung beizutreten. Diesem weitreichenden Beschluss wollte sich die Ampelkoalition allerdings nicht zu Eigen machen. Mit den Stimmen von SPD, Grünen und SSW wurde stattdessen ein Koalitionsantrag unter dem Titel "Klare und faire Regeln für Handelsabkommen" beschlossen, der beinhaltet, dass CETA in Kraft treten könne, wenn bestimmte Standards erfüllt würden - so müssten Arbeitnehmer- und Mitbestimmungsrechte gewahrt bleiben, ebenso wie die europäischen Standards beim Verbraucher-, Daten- und Umweltschutz.

Und Ralf Stegner (SPD) hob damals in der Debatte weiterhin hervor: "Zwischen demokratischen Staaten darf es keine unabhängigen Schiedsgerichte geben." Zudem forderte er einen "transparenten Prozess", bei dem das EU-Parlament, der Bundestag und der Bundesrat in den Entscheidungsprozess entscheidend einbezogen werden müsse. Flemming Meyer (SSW) lehnte CETA und TTIP "in der jetzigen Form" mit der Begründung ab, dass mit diesen Abkommen die umstrittene Erdgas-Förderung mittels Fracking "durch die Hintertür nach Schleswig-Holstein kommen könne." Bernd Voß (Grüne) sah "die kommunale Daseinsvorsorge, den Kulturbereich, die Arbeitnehmerrechte, die klein- und mittelständische Wirtschaft" bedroht.

CDU und FDP dagegen sahen die Freihandelsabkommen naturgemäß positiver und erhoffen sich vor allem "Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze." Johannes Callsen (CDU) sah in dem Nein zu CETA/TTIP "einen Weg zurück in den Nationalismus", der Millionen Arbeitsplätze in Deutschland gefährde.

Pech für ihn und für CDU und FDP war nur, dass zeitgleich zur Debatte im Landtag eine Studie der Tufts University (Massachusetts, USA) veröffentlicht wurde, die diese Legende der Freihandelsbefürworter ad absurdum führte. Diese Studie kommt zu dem Ergebnis, dass TTIP in Europa rund 600.000 Jobs kosten würde. In den beiden größten europäischen Volkswirtschaften, Deutschland und Frankreich, könnten 134.000 beziehungsweise 130.000 Stellen verloren gehen. Weiterhin prognostizierten die Wissenschaftler außerdem eine höhere finanzielle Instabilität und eine Zunahme ökonomischer Ungleichgewichte, sollte TTIP in Kraft treten.

Eineinhalb Jahre später kann festgestellt werden: Von den Wünschen der Ampelkoalitionäre für einen "transparenten CETA/TTlP-Prozess" unter Einbeziehung der gewählten Parlamente kann ebenso wenig die Rede sein wie von Wahrung juristischer Standards. S0 erklärte der größte Berufsverband der Richter und Staatsanwälte in Deutschland in einer Stellungnahme Ende letzten Jahres, dass mit den in den Abkommen vorgesehenen Schaffung von Sondergerichten (einer Paralleljustiz zum Schutz von Konzerninteressen) nicht nur die Rechtssetzungsbefugnis der Europäischen Union und der Mitgliedstaaten eingeschränkt, sondern auch das etablierte Gerichtssystem innerhalb der Mitgliedstaaten und der Europäischen Union geändert werden.

Unterm Strich kann das für die schleswig-holsteinische Landesregierung also nur heißen: Im Bundesrat gegen CETA/TTIP stimmen. Eine erfolgreiche Volksinitiative kann dabei in zweierlei Hinsicht sinnvoll sein: Einmal außerparlamentarische Rückenstärkung für das NEIN der Koalition, zum anderen liegt darin die Chance einer Mobilisierung weiterer Teile der Öffentlichkeit gegen die geplanten Abkommen.

Alternative Handelspolitik - wie könnte eine Welt jenseits von TTIP & CETA aussehen?

Zur Mobilisierung für die Demonstration in Hannover am 23. April war das Kieler Stop-TTIP-Bündnis am 9. April an mehreren markanten Punkten im Stadtgebiet mit Info-Ständen im Gespräch mit den BürgerInnen und führte am 13. April eine Info- und Diskussionsveranstaltung unter dem Motto "Alternative Handelspolitik - eine Welt jenseits von TTIP, CETA & Co ist möglich" durch.

Der Referent, Günter Sölken (attac Berlin), führte u.a. aus: Je mehr über die sogenannten "Frei"handelsabkommen wie TTIP und CETA bekannt wird, desto stärker wird das Bewusstsein dafür, dass hier in geheimen Hinterzimmern die Zukunft ganzer Gesellschaften in tausende Seiten starke Vertragstexte gegossen wird. Diese sollen dann möglichst ohne Verständnis der Inhalte durch die Parlamente geschleust werden. Zielvorgabe ist dabei offenbar die Profitsteigerung global tätiger Konzerne und zwar auf Kosten von Umwelt, Arbeitsrechten, Verbraucherschutz und Demokratie. Wer sich dieser Art von "Frei"handel, der eher an ein Kuhhandel erinnert, widersetzt, wird schnell als "hysterisch" (Gabriel) oder "rückschrittlich" gebrandmarkt.

Wie aber sähe eine Handelspolitik aus, die nicht im Dienste von Profit und Macht stünde, sondern Mensch und Umwelt dienen würde? Sölken griff dabei Ideen einer "solidarischen Ökonomie" auf, die ihren Beitrag dazu leisten könne, die Schere zwischen Arm und Reich zu schließen, den globalen Süden nicht mehr der Ausbeutung durch den Norden auszuliefern, Fluchtursachen zu beseitigen und den Klimawandel zu bekämpfen. Der beobachtbar rücksichtslosen Globalisierung stellte er u.a. das Konzept einer behutsamen Re-Regionalisierung entgegen.

Die Ausführungen des Referenten provozierten durchaus zu kritischen Nachfragen. An den Begriffen einer ökonomischen Regionalisierung und eines grundlegenden Umdenkens bei konsumtiven Verhaltensmustern und sich daraus herleitenden Gegenentwürfen zur gegenwärtigen globalen Wirtschaft entspann sich eine kontroverse Diskussion, in der vor allem Gewerkschafter und marxistische Linke kritische Fragen an den Referenten hatten - weil aus ihrer Sicht noch zu wenig ein realistisches Gegenmodell skizziert worden war, das in der Lage wäre, die Masse der abhängig Beschäftigten in der globalen Wirtschaftswelt in Bewegung zu bringen. Regionale, genossenschaftliche Ökonomie allein wird kaum "das Gegenmodell" sein können in einer Welt, "des Weltmarktes, (der) die Produktion und Konsumtion aller Länder kosmopolitisch gestaltet und zum großen Bedauern der Reaktionäre den nationalen Boden der Industrie unter den Füßen weggezogen" hat, wie Marx und Engels schon vor im "Manifest der Kommunistischen Partei" konstatieren. "An die Stelle der alten lokalen und nationalen Selbstgenügsamkeit und Abgeschlossenheit tritt ein allseitiger Verkehr" (MEW 4, S. 466)

Die Veranstaltung zeigte aber auch, dass die Stop-TTIP-Bewegung gut beraten ist, stärker positive Gegenentwürfe zu den vorliegenden Handelsabkommen zu diskutieren und Umrisse einer alternativen Handelspolitik zu beschreiben. Und vor allem, wie und von wem dies (macht)politisch in Angriff genommen wird.

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Quelle:
Gegenwind Nr. 332 - Mai 2016, Seite 21 - 23
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 20. Mai 2016

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