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GEGENWIND/699: Energie - Größte Beteiligungs-Farce in der Geschichte Schleswig-Holsteins?


Gegenwind Nr. 342 - März 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Energie
Größte Beteiligungs-Farce in der Geschichte des Landes?

von Klaus Peters


Die Begrenztheit der Ressourcen ist für viele Menschen erstmals durch die Anfang der 1970er Jahre veröffentlichte Studie "Die Grenzen des Wachstums" deutlich geworden. Weitere Publikationen folgten, in denen die Autoren auch auf die Notwendigkeit von Änderungen unserer Wirtschafts- und Lebensweise verdeutlichten. Nach verschiedenen Ansätzen in der Umweltpolitik werden seit etwa zwei Jahrzehnten fast nur noch der Ausbau der Windenergienutzung und der von Stromtrassen vorangetrieben, mit verheerenden Wirkungen auf Jahrhunderte alte Kulturlandschaften.


Anfang der 1970er sind zunächst mehrere Umweltschutzgesetze auf den Wege gebracht und bald auch noch verbessert worden. In den größeren Gebietskörperschaften wurden spezielle Umweltbehörden gebildet, auf Bundesebene erfolgte dies allerdings erst nach der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl. Bürgerinitiativen und Umweltorganisationen entstanden, Naturschutzorganisationen ergänzten ihre Ziele und erweiterten ihr Tätigkeitsspektrum, 1980 gründete sich die Partei Die Grünen. Die Auflösung der DDR und die Zusammenführung ihres ehemaligen Staatsgebietes mit der Bundesrepublik war auch eine Zäsur für den Natur- und Umweltschutz. Andere Themen standen nun auf der Agenda ganz oben. Die Ausweisung verschiedener Nationalparks und Biosphärenreservate in den neuen Bundesländern und die Sanierung bzw. Abwicklung einer großen Zahl der dortigen Industriebetriebe überdeckten die wenigen sonstigen Aktivitäten zum Schutz unserer Lebensgrundlagen. Eine Neuausrichtung unserer Wirtschafts- und Lebensweise in Richtung Nachhaltigkeit und Wachstumsbegrenzung fand nicht statt. Die EU übte über die Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie einen gewissen Druck aus, im Bereich der Agrarpolitik setzte sich nach diversen Reformen ein allerdings nicht sehr weitgehendes "Greening" durch.

Zunehmende Konzentration auf die Energiepolitik

Die Entwicklung im Umweltschutz und Energiebereich ist durch die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl (1987) und später durch die Tsunami-Katastrophe in Fukushima (2010) maßgeblich bestimmt werden. Die Debatte über die Gefahren der Nutzung der Atomkraft ist zudem durch die Debatte über die Folgen des Anstiegs von Treibhausgasemissionen überlagert worden.

Gleichzeitig sind andere Themen, insbesondere der Natur- und Landschaftsschutz (Waldbildung, Artenschutz) in den Hintergrund geraten. Dies gilt auch für die Umweltauswirkungen des motorisierten Individual-Verkehrs. Obgleich die Debatte über die Folgen des Straßenverkehrs (Unfälle und Unfallfolgen, Landschaftsverbrauch, Energieverbrauch, Schadstoffemissionen) auch schon sehr lange geführt worden ist, speziell generelle Geschwindigkeitsbegrenzungen auf Autobahnen wurden immer wieder diskutiert, ist nur sehr wenig geschehen. Die Zahl der Kraftfahrzeuge und deren Motorisierung nahmen ständig zu.

Die zunehmend neoliberal ausgerichtete Politik brachte es mit sich, dass nur noch Konzepte und Maßnahmen attraktiv erschienen, die hohe Gewinne versprechen. Naturschützer hatten sich bei den Grünen ohnehin nicht durchsetzen können, die damals etablierten Parteien erkannten aber, dass sie deren zunehmender Popularität etwas entgegensetzen mussten oder versuchen mussten, sie zu vereinnahmen.

Profitmaximierung bestimmt auch die Energiepolitik

Als ein Ausweg zur Bewältigung der Energiefrage und zur Einbindung der inzwischen auch zum Neoliberalismus mutieren Grünen erschien die Nutzung erneuerbarer Energien wie Wasser, Sonne, Wind, Wellenenergie oder Erdwärme zu sein. Lange wurde der Energiemix propagiert. Ende der 1990er Jahre trat kurz vor der ersten rot-grünen Bundesregierung jedoch ein Paradigmenwechsel ein. Dieser Paradigmenwechsel ist durch die Privilegierung von Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energie gemäß Bundesbaugesetzbuch und das dann durch die Schröder/Fischer-Regierung auf den Weg gebrachte Erneuerbare-Energie-Gesetz (EEG) eingeleitet worden. Über das EEG sind in bisher nicht gekanntem Ausmaß Fördermittel zur Verfügung gestellt worden, damit ist zu den bereits erfolgten Privatisierungen von Kraftwerken und Stromnetzen noch ein zusätzliches groß angelegtes Privatisierungsprogramm initiiert werden. Die Dimensionen und Folgen dieses Programms wurden zunächst nicht erkannt. Zu Beginn handelte es sich nur um relativ kleine Anlagen, wobei die stärksten Wirkungen auf die Landschaften und die Biodiversität von den Windenergieanlagen und den für den Betrieb von Biogasanlagen angelegten ausgingen. Maismonokulturen mit ihren mehrere Meter hohen Pflanzen, die im Sommer den Blick in die Landschaft versperren, entstanden relativ schnell. Durch Windenergieanlagen waren zunächst nur wenige Regionen betroffen, die Anlagen erreichten auch nur Höhen von noch deutlich unter 100 Metern.

Konzentration auf Windenergieanlagen

Durch Erfahrungen und technische Innovationen wurden die Windenergieanlagen jedoch von Jahr zu Jahr immer größer und leistungsfähiger. Damit stiegen selbstverständlich auch die Gewinnerwartungen. Einerseits waren inzwischen auch Konzerne in der Branche tätig geworden, andererseits wurden auch Bürgergesellschaften propagiert, nicht zuletzt, um die Akzeptanz der Anlagen zu verbessern.

Die boomartige Entwicklung der Windenergieanlagen, ihrer Zahl und Größe und damit ihrer negativen Wirkungen auf Mensch und Natur, ja auch auf Dorfgemeinschaften, war vom Gesetzgeber, von der Politik und von den meisten Bürgern nicht vorausgesehen worden. Die Bürger wurden meistens erst dann mit den Auswirkungen konfrontiert, wenn die Bagger und die Baukräne anrollten. Die Politik hatte den Bau massiv vorangetrieben, so dass nicht einmal genügend Netzkapazitäten vorhanden waren. Die entsprechend notwendigen Gesetzesänderungen sind dann im Eiltempo verabschiedet werden.

Was hätte geschehen müssen

Zwingend erforderlich gewesen wäre eine Änderung des Bundes-Immissionsschutzgesetz und des Gesetzes über Umweltverträglichkeitsprüfungen, um eine grundsätzliche Öffentlichkeitsbeteiligung bei Anlagengenehmigungen sicherzustellen. Ferner müssten sehr viel größere Abstände zum Schutz der Gesundheit und von Natur- und Landschaft festgelegt werden. Über 70 Meter hohe Anlagen dürften nur in Industriegebieten zulässig sein.

Derzeit werden nicht einmal bestehende Gesetze konsequent eingehalten, so das Vorsorgegebot nach § 35 (3) Baugesetzbuch (BauGB), das Vorsorgegebot nach § 15 Bundesnaturschutzgesetz (BNatschG) und insbesondere auch das nach § 44 im BNatschG festgelegte Tötungsverbot von Vögeln und anderen wildlebenden Tieren. Viele wissenschaftliche Fakten und entsprechende Konzepte, wie das "Helgoländer Papier zum Schutz von Brut- und Rastvögeln", werden nicht- oder nur unzureichend berücksichtigt.

Die Entwicklung in Schleswig-Holstein

In Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Mecklenburg-Vorpommern hatte sich der Bau von Windenergieanlagen wegen der verhältnismäßig günstigen "Windhäufigkeit" relativ früh und schnell entwickelt. Bereits vor Inkrafttreten der Privilegierung am 1.1.1997 waren nach Aussage der Staatskanzlei des Landes in Schleswig-Holstein rund 1000 Anlagen genehmigt worden. Diese Genehmigungen erfolgten offenbar über Raumordnungsverfahren und über von den Gemeinden aufgestellte Flächennutzungspläne. Die Anlagen waren in der Regel für vergleichsweise geringe Nennleistungen, von einigen Hundert kW ausgelegt.

Nach der Privilegierung erfolgte, auch auf der Basis gerichtlicher Entscheidungen, eine Vorauswahl von Eignungsgebieten nach den Bestimmungen des Raumordnungsgesetzes. Die Planungen sind mehrfach geändert werden. Nachdem zunächst eine Fläche von 0,8 % der Landesfläche vorgesehen war, sollte mit dem Abschluss der Planungen für das Jahr 2012 rund 1,7 % der Landesfläche (jeweils bezogen auf die Gesamtfläche, einschließlich der Siedlungsbereiche) für WEA zur Verfügung stehen. Ursprünglich waren im Rahmen dieser neuen Planung nur 1,5 % der Landesfläche vorgesehen, aufgrund von Wünschen einiger Gemeinden erhöhte sich die Fläche jedoch auf 1,7 %. Von den Kreisen waren auch Ausschlussflächen definiert werden, die aus Gründen des Landschaftsschutzes freigehalten werden sollten.

Nachdem zahlreiche Klagen eingereicht worden waren, überwiegend von potentiellen Betreibern, entschied das Oberverwaltungsgericht (OVG) Schleswig Anfang des Jahres 2015 die 2012 abgeschlossene Planung hauptsächlich aus drei Gründen für unwirksam. Die Kriterien für die Auswahl der Flächen seien nicht ausreichend begründet gewesen, die Berücksichtigung von nicht fachlich begründeten Wünschen von Gemeinden sei unzulässig, zudem war entgegen den gesetzlichen Vorgaben nach den vorgenommenen erheblichen Änderungen keine erneute Öffentlichkeitsbeteiligung durchgeführt worden. Inzwischen waren aber schon insgesamt rund 3000 Anlagen genehmigt worden, darunter auch zahlreiche deutlich höhere und leistungsstärkere Neuanlagen, die Altanlagen ersetzten. Für dieses Verfahren der Ersetzung von "Altanlagen" ist der Begriff "Repowering" eingeführt worden.

Die Landesregierung hatte nach der Entscheidung des OVG durch das Parlament eine Änderung des Landesplanungsgesetzes vornehmen lassen. Mit dieser Änderung wurde formal ein Baustopp bis zur Entscheidung über eine neue Windenergieplanung durchgesetzt, gleichzeitig ist aber die Möglichkeit eröffnet worden, Ausnahmegenehmigungen zu erteilen.

Die bisherige Planung musste nun grundlegend überarbeitet werden. Insbesondere kam es darauf an, die Kriterien für die Ausweisung von Eignungs- bzw. Vorrangflächen für die Nutzung durch Windenergieanlagen auf der Basis fundiert begründeter Kriterien neu festzulegen. Die Staatskanzlei der Landesregierung, die für die Landesplanung zuständig ist, hatte deshalb auch ein Gutachten zur Bestimmung von charakteristischen Landschaftsräumen (CL), genauer "zur Abgrenzung von charakteristischen Landschaftsräumen als Ausschlussflächen für die Windenergienutzung", in Auftrag gegeben. Bei den charakteristischen Landschaftsräumen handelt es sich gemäß den seit 1997 festgelegten Vorgaben der Regionalplanung des Landes prinzipiell um solche Landschaften, die als besonders prägender Landschaftsraum anzusehen sind. An der Westküste sind es vor allem auch weiträumige Flächen ohne landschaftsuntypische, störende Elemente. Aufgrund unzureichender Datengrundlage konnte das im Februar 2016 vorgelegte Gutachten nicht alle Erwartungen erfüllen. Es lagen weder eine aktuelle Biotopkartierung noch eine flächendeckende Kartierung von Kulturlandschaftselementen vor. Weiträumige charakteristische Landschaftsräume wurden (wegen relativ geringer Kulturlandschaftselemente) sogar weitgehend ausgeklammert. Diese Flächen, die vorher bereits bekannt waren, sind dann von den zuständigen Landräten als Landschaftsschutzgebiete sichergestellt worden. Wobei bei der Konzeption keine fundierte Berücksichtigung der Einbeziehung von Pufferzonen zu erkennen ist. Die Landschaft Eiderstedt wiederum, die als CL-Gebiet bestimmt worden ist, sollte deshalb auch von WKA freigehalten werden. Die Landesplanung hat dann im Dezember 2016 eine überarbeitete Teilfortschreibung der Regionalplanung zur Ausweisung von Vorrangflächen für die Windenergienutzung vorgelegt. Bei den Kriterien gibt es eine Unterteilung in harte Kriterien, weiche Kriterien und Abwägungskriterien. Die Einstufung der Schutzwürdigkeit und die Festlegung von Abständen zu schutzwürdigen Gebieten, Objekten und Wohngebäuden erfolgten durch die Landesplanung. Hierzu müssen gerichtliche Entscheidungen berücksichtigt werden, die Spielräume der Landesplanung sind allerdings relativ groß. Die Abstände sind in den Bundesländern auch sehr unterschiedlich festgelegt worden. Schleswig-Holstein handelt insgesamt und insbesondere in Bezug auf die Interessen von betroffenen Anliegern sehr restriktiv.

Das vorgelegte Planwerk, zudem jeder Bürger bis zum 30. Juni Stellungnahmen abgeben kann, ist unvollständig, da es sich nur um eine Teilfortschreibung Windenergie handelt. Die Neuaufstellung der Landschaftsrahmen- und Regionalplanung soll erst später erfolgen. Eine aktualisierte Biotopkartierung ist erst auf den Weg gebracht worden und eine Kartierung der Kulturlandschaftselemente ist überhaupt nicht vorgesehen.

Der Grund für die restriktive Haltung der amtierenden Landesregierung sind Wahlversprechen und besonders ehrgeizige energiepolitische Ziele. Bis 2025 sollen durch Anlagen zur Nutzung erneuerbarer Energien Windenergieanlagen 37 TWh, davon 22 TWh durch WKA (entsprechend ca. 2000 Vollaststunden bei 10 GW Anlagen-Nennleistung), erzeugt werden. Diese Zielsetzung leitet sich aus dem angestrebten Ersatz des durch Atomkraftwerke erzeugten Stroms ab. Konkrete Vorgaben durch die EU-Kommission oder die Bundesregierung gibt es nicht. Gerne angeführt wird auch die in einem Gerichtsurteil enthaltene Formulierung, "für die Windenergienutzung muss substantieller Raum geschaffen werden". Das in mehreren Gesetzen enthaltenen Vorsorgegebote wird, wie bereits erwähnt, dagegen nicht angemessen berücksichtigt.

Die vielfältigen Probleme, die sich durch Windenergieanlagen ergeben, sind unterschätzt oder bewusst verschwiegen und verdrängt worden. In der Anfangsphase handelte es sich ja auch nur um relativ wenige und vergleichsweise kleine Anlagen. Zu den grundsätzlichen und schwerwiegenden Problemen gehören die Privilegierung, die Tatsache, dass es keine generelle Höhenbegrenzung gibt, dass Genehmigungen unbefristet erteilt werden, dass keine Entschädigung von Betroffenen vorgesehen ist und die geringe Öffentlichkeitsbeteiligung bzw. Möglichkeit der Einflussnahme von Bürgern und Gemeinden. Weitgehend ohne Resonanz blieb, dass hier ein gewaltiges Privatisierungsprogramm öffentlicher Daseinsvorsorge in Gang bzw. fortgesetzt worden ist.

Bürger und Naturschützer müssen darüber hinaus um größere Abstände kämpfen, um die Verhinderung von Umzingelungen, von optischer Bedrängung, von Schattenwurf und Diskoeffekten, von Lärm und Infraschall, sie müssen um die Verhinderung oder Verminderung der Belästigung durch Lichtemissionen (Blinklichter), um Höhenbegrenzungen, um Abschaltungen, um Vogelflugkorridore, um den Schutz von Revieren gefährdeter Großvögel kämpfen, um Wiesenvogelschutz und um den Schutz von Fledermäusen. Gekämpft werden muss aber auch um Denkmalschutz, um den Schutz von Stadtsilhouetten und Ortsbildern, um angemessene Berücksichtigung von Kulturlandschaftselementen, um die Erhaltung der Qualität des Tourismus, des Bahn- und Fahrradfahrens.

Alles das kann nur mit erheblichem Zeitaufwand und bei umfassenden Kenntnissen erfolgen. Gleichzeitig ist der Einsatz für eine Anpassung von Gesetzen und für die Implementierung des "Standes der Technik" in Technischen Regeln sowie für angemessene Beteiligungsformen gefordert. Beispielhaft sind zu nennen: Umsetzung der Europäischen Landschaftskonvention, Novellierung des Erneuerbaren-Energien-Gesetzes mit dem Ziel einer Aufhebung der Förderung, Novellierung des Bundes-Immissionsschutzgesetzes und UVP-Gesetzes (Beteiligung bei jeder WKA, Höhenbegrenzung, Befristung von Genehmigungen), Streichung der Privilegierung aus dem Baugesetzbuch, Implementierung der Anfechtungsklage in das Verbandsklagerecht (Klagemöglichkeit gegen einen noch nicht erledigten belastenden Verwaltungsakt), Einführung der Popularklage, generelle Verpflichtung zur Verlegung der Hochspannungstrassen als Erdkabel, Entschädigungsregelung für Immobilien, Festlegung größerer Abstände in den Schutzgesetzen (Naturschutz, Gewässer, Wald), aber auch zu Straßen, Wegen und Eisenbahnstrecken. Ferner ist, um Abhängigkeiten auszuschließen, vorzuschreiben, dass notwendige Gutachten nicht durch Betreiber vergeben werden können.

Ausblick

Es ist ungewiss, inwieweit Vorstellungen der Oppositionsparteien Realität werden können. Nachdem der Druck der Bürgerinitiativen und von Betroffenen stärker geworden war, fordert die Landes-CDU die Abstände zu Wohngebäuden von 400 auf 500 Meter und zu Siedlungen von 800 auf 1000 oder 1200 Meter zu vergrößern. Die Landesregierung hat dies bisher kategorisch abgelehnt, genauso wie die von der Partei Die Piraten aufgestellte Forderung, den Bürger- und Gemeindewillen verbindlich zu berücksichtigen. Die überwiegend im Verein Gegenwind-SH zusammengeschlossenen Bürgerinitiativen haben im Dezember 2016 zwei Volksinitiativen auf den Weg gebracht, durch die ein Abstand von 10H, dem Zehnfachen der Höhe einer Anlage, und die verbindliche Berücksichtigung des Bürgerwillens durchgesetzt werden sollen. Die Sammlung der notwendigen Unterschriften ist angelaufen, begleitende Veranstaltungen haben bereits stattgefunden.

Ab dem 1. Januar werden nach der letzten Novellierung des EEG an Investoren die Anlagen neu genehmigen lassen wollen, keine pauschalen Vergütungen pro erzeugter kWh mehr gezahlt. Ab einer bestimmten Größe der Anlage müssen sich Investoren an einem Ausschreibungsverfahren beteiligen. Der günstigste Anbieter erhält dann den Zuschlag. Für sogenannte "Bürgergesellschaften", die im Gesetz näher definiert sind, gibt es Ausnahmen. Auf einer Veranstaltung zur Windenergieplanung in der Nordsee-Akademie in Leck am 19. Januar wurde beiläufig bekannt, dass bis Ende 2016 insgesamt über 300 Ausnahmegenehmigungen nach § 18a des Landesplanungsgesetzes erteilt worden sind. Da es vor wenigen Monaten nur ca. 200 Genehmigungen waren, drängt sich der Verdacht auf, dass hier einige Investoren noch schnell die Möglichkeit erhielten, sich einer Beteiligung an Ausschreibungsverfahren zu entziehen. Die aufgrund der Umweltbeihilferichtlinien der Europäischen Kommission erforderlichen Ausschreibungsverfahren treten für ab 2017 genehmigte Anlagen über 750 KW in Kraft. Es sind allerdings wiederum Ausnahmen vorgesehen, so für sogenannte Pilotanlagen. Darüber hinaus wird aber eine Obergrenze des Zubaus festgelegt, die maximal 58 % der installierten Leistung entspricht, die im Jahresdurchschnitt 2013 bis 2015 im jeweiligen Gebiet in Betrieb genommen wurde. Die Gebietsgrenzen sollen demnächst durch eine Verordnung festgelegt werden.

Zum Trassenbau gibt es die Ankündigungen, dass die Südlink-Trasse, die überschüssigen Strom aus Schleswig- Holstein, aber auch aus Niedersachsen, nach Süddeutschland transportieren soll, voraussichtlich bis 2025 fertig gestellt werden kann. Diese Hochspannungs-Gleichstrom-Übertragungsleitung (HGÜ) wird wie einige andere Hochspannungsleitungen nach Bürgerprotesten, denen sich die Landesregierung Bayern angeschlossen hatte, als Erdkabel verlegt. Die Westküstentrasse, die von der Unterelbe bei Barlt bis an die deutsch-dänische Grenze führen soll, wird voraussichtlich einige Jahre früher fertigstellt. Diese Trasse soll kurioserweise oberirdisch und sogar durch neu ausgewiesene Landschaftsschutzgebiete verlaufen. In Dänemark ist dagegen generell eine unterirdische Verlegung von Hochspannungsleitungen vorgesehen. Größere Strommengen können also bis 2025 nicht abgeführt werden. Dänemark wird mit dem Überschuss-Strom aus Schleswig-Holstein sicher auch nichts anfangen können. An anderen Bundesgrenzen mussten bereits Phasenschiefertransformatoren aufgestellt werden, um den hochvolatilen Öko-Überschussstrom abwehren zu können.

Die Umsetzung der sogenannten Energiewende ist zu einem Desaster geworden, so auch der Titel eines Vortrags, den Fritz Vahrenholt kürzlich vor einem Expertengremium im House of Commons (Britisches Parlament) gehalten hatte. Das vorliegende Planwerk dürfte an diesem Desaster kaum etwas ändern. Um die energiepolitischen Ziele der Landesregierung zu erreichen, werden sogar Gutachterempfehlungen missachtet und die fachlichen Kriterien, etwa die zum Schutz von Wiesenvogelbrutgebieten und die zum Schutz von Grünachsen, abgestuft. In einer Antwort auf eine Anfrage des Landtagsabgeordneten Oliver Kumbartzky (FDP) vom 18. Januar diese Jahres wurde durch die Landesregierung mitgeteilt, dass seit 2003 bis Mitte 2016 30 streng geschützte Seeadler durch WKA getötet worden sind. Konsequenzen sind nicht bekannt. Zu möglicherweise nicht entdeckten "Schlagopfern" gibt es keine Aussage. Die Landesregierung verweist lapidar auf den letzten Jagd- und Artenschutzbericht.

Die "Gutmenschen" der Landesregierung trommeln dagegen seit geraumer Zeit unermüdlich dafür, dass sich alle Bundesländer bzw. alle Bürger an den Netzausbaukosten beteiligen, obgleich der exzessive Ausbau von Windkraftanlagen in Schleswig-Holstein weder mit der Bundesregierung noch mit den Bundesländern abgestimmt worden ist.

Ende Januar wurde vom größten deutschen Entsorgungsunternehmen, Remondis, auf ungelöste Probleme bei der Entsorgung der zunehmenden Mengen von ausgedienten Rotorblättern aus Glasfaser und Kunststoffen aufmerksam gemacht.

Der neueste politische Coup von Vertretern der Regierungskoalition in Schleswig-Holstein soll wohl die Ankündigung sein, die auch als ein weiteres Ablenkungsmanöver gewertet werden kann, wegen offensichtlicher Unzufriedenheit mit der Bundesnetzagentur eventuell eine landeseigene Netzagentur zu gründen.


Kosten
  • EEG-Förderung: 24 Mrd. Euro/a (2015)
  • Entschädigungsansprüche für Redispatch-Maßnahmen: ca. 400 Mill. Euro (2015), ca. 600 Mill. Euro für 2016
  • Entschädigungszahlungen für nicht abgeführten (abgeregelten) Strom: 300 Mill. Euro/a bzw. über 820.000 Euro/d allein in Schleswig-Holstein (2016)
  • Netzentgelte an Netzbetreiber: ca. 1 Mrd. Euro/a
  • Befreiung von stromintensiven Unternehmen von der EEG-Umlage: ca. 2 Mrd. Euro (2016)
  • Erlöse durch Pacht für einen Anlagenstandort: bis zu 70.000 Euro/a

Quellen: Angaben der Bundesnetzagentur, "Der Dreh mit den Kosten" und "Wie viele Trassen müssen sein ?", neue energie 11/2016


Literatur/Schrifttum:

Richard Brunnengräber: Deutschland - Deine Landschafen, Ein Geographiebuch zum Thema Umweltzerstörung, München 1985

Bundesministerium für Umwelt (EMU): Klimaschutz in Zahlen, 2015

Horst Demmler: Wider den grünen Wahn, Eine Streitschrift, Münster 2015

EnergieAgentur NRW: EEG 2017: Die wichtigsten Änderungen, EnergieDialog NRW, 12. Juli 2016

Georg Etscheit (Hrsg.): Geopferte Landschaften, Wie die Energiewende unsere Umwelt zerstört, München 2016

Christian Felber: Gemeinwohlökonomie, Wien 2012

Sylvia Hamberger, Peter M. Bode, Ossi Baumeister, Wolfgang Zängl: Sein oder Nichtsein, Die industrielle Zerstörung der Natur, München 990

Hans Immler: Vom Wert der Natur, Zur ökologischen Reform von Wirtschaft und Gesellschaft, Opladen 1989

Tim Jackson: Wohlstand ohne Wachstum, Leben und Wirtschaften in einer endlichen Welt, München 2011

Ulrich Jasper, Claudia Schwievelbein u. a.: Leitfaden zur Regionalentwicklung, Rhede-Wiedenbrück 1997

Bruno P. Kremer: Kulturlandschaften lesen, Vielfältige Lebensräume erkennen und verstehen, 2015, Bern

Landschaftsverband Rheinland (LVR): Beiträge zur Landesentwicklung 60, Europäische Landschaftskonvention, Tagungsdokumentation 17. Fachtagung Altenberg, 2.-3. Mai 2006

Donella Medows u.a.: Die Grenzen des Wachstums. Bericht des Club of Rome zur Lage der Menschheit, 1973

Werner Nohl: Landschaftsästhetik heute, Auf dem Wege einer Landschaftsästhetik des guten Lebens, München, 2015

Niko Paech: Befreiung vom Überfluss, Auf dem Weg in die Postwachstumsökonomie, München 2013

Schleswig-Holsteinischer Heimatbund (Hrsg.): Historische Kulturlandschaften in Schleswig-Holstein, Neumünster 1999

Friedrich Schmidt-Bleek: Grüne Lügen, Nichts für die Umwelt, alles fürs Geschäft - wie Politik und Wirtschaft die Welt zugrunde richten, München 2014

E.F. Schuhmacher: Rückkehr zum menschlichen Maß, Alternativen für Wirtschaft und Technik, "Smal is beautiful", Reinbek, 1977

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Quelle:
Gegenwind Nr. 342 - März 2017, Seite 60 - 64
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. April 2017

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