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GEGENWIND/707: Offener Brief aus Angeln - Zurück nach Afghanistan?


Gegenwind Nr. 344 - Mai 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Flucht & Asyl
Offener Brief aus Angeln
Zurück nach Afghanistan?

von Miteinander e.V.


Wir sind eine Unterstützergruppe für Asylsuchende aus verschiedenen Ländern, die sich im Spätsommer 2015 in den kleinen Dörfern rund um Uelsby in Angeln gebildet hat. Wir haben das Mögliche getan, um Flüchtlinge bei uns willkommen zu heißen und haben sie inzwischen als Nachbarn kennen gelernt und viel von ihnen erfahren.


Afghanistan - kein sicheres Land

Die Berichte "unserer" Flüchtlinge aus Afghanistan sind erschütternd. Wir haben zusammen geweint, als sie von ihrem persönlichen Verfolgungsschicksal erzählten. Die afghanischen Flüchtlinge, die wir kennen, sind nicht aus wirtschaftlichen Gründen nach Deutschland gekommen, oftmals war ihre Jugend geprägt von Gewalt, Hass und Angst. Viele haben direkt Bombenanschläge miterlebt, andere wurden von kriminellen Banden verfolgt, ohne dass sie Hilfe von der Polizei erhielten. Einige Frauen haben das Haus über Jahre nicht verlassen, weil sie begründete Angst vor Überfällen hatten. Afghanen berichten uns, dass Polizei und andere staatliche Stellen durchsetzt sind von mafiösen Strukturen und korrupten Beamten. Aus Afghanistan erhalten sie die Information, dass die Daten der Rückkehrenden schon bei der Ankunft am Flughafen an die Taliban verraten werden. Offenbar sind diese Terrororganisationen gut vernetzt in Afghanistan, so dass von sicheren Orten für Rückkehrer wirklich nicht ausgegangen werden kann.

Integration in Deutschland

Einige der afghanischen Flüchtlinge haben das erste Mal in ihrem Leben keine Angst, fühlen sich sicher und wundern sich, dass sie keine Alpträume mehr haben. Alle lernen die deutsche Sprache und verzeichnen dabei gute Erfolge. Ein Mädchen ist die Klassenbeste in Deutsch. Verschiedene Betriebspraktika sind ausgesprochen positiv verlaufen. Alle versuchen, sich in Sportvereinen, in ihrer Nachbarschaft, in der Feuerwehr, in Musikgruppen, bei dörflichen Veranstaltungen (Schiet sammeln, Boßeln, Dorfpokalschießen...) u.a. bestmöglich zu integrieren. Sie sind Deutschland sehr dankbar, möchten dem Staat nicht "auf der Tasche liegen", sondern möglichst bald eine Ausbildung beginnen oder arbeiten.

Zurück nach Afghanistan?

Wir freuen uns sehr über die Fortschritte und die Erfolge, die die Flüchtlinge trotz ihrer teils traumatisierenden Erfahrungen machen. Gleichzeitig sind wir entsetzt über die unverständlichen Entscheidungen des BAMF (Bundesamt für Migration und Flüchtlinge), fast allen Afghaninnen und Afghanen aus unseren Dörfern keinen Schutz zu gewähren. Für uns ist es unvorstellbar, in einem Land wie Afghanistan, in dem seit Jahrzehnten Krieg, Gewalt und Willkür herrschen, zu leben. Für uns ist es menschenverachtend, diese Menschen wieder nach Afghanistan zu schicken und sie damit erneut den bereits erlebten Verfolgungen auszusetzen. Sie würden in Afghanistan wieder Angst um Leib und Leben haben und schon der Gedanke daran setzt sie förmlich außer Kraft und erschüttert sie ins Tiefste. So müssen sie jetzt gegen die Bescheide des BAMF klagen, was alle sehr belastet. Durch die Ungewissheit über ihr Bleiberecht geht schon hier die Angst um und behindert die gewünschte Integration. Die Ehrenamtlichen haben vermehrt das Gefühl, dass ihre Arbeit durch diese Art des politischen Handelns entwertet und ihre Energie missbraucht wird.

Keine Abschiebungen nach Afghanistan!

Viele Entscheidungen des BAMF, die wir kennen, sind unserer Meinung nach nicht mit der im Grundgesetz festgeschriebenen Unantastbarkeit der Würde des Menschen vereinbar. Mit Abschiebungen nach Afghanistan treten wir unsere "westlichen Werte" mit Füßen!

Aus unseren persönlichen Erfahrungen mit Flüchtlingen aus Afghanistan fordern wir:

  • Keine Abschiebungen nach Afghanistan
  • Asylverfahren beim BAMF, die die aktuelle Sicherheitslage berücksichtigen
  • Kein Wahlkampf auf dem Rücken der Flüchtlinge
  • Umsetzung des Grundgesetzes in der Flüchtlingspolitik
  • Eine angemessene Ausstattung der Verwaltungsgerichte angesichts der Klagewelle


Miteinander e.V.

Integrationsnetzwerk

c/o Michael Goos
An de Beck 5, 24860 Uelsby
www.miteinander.one

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Quelle:
Gegenwind Nr. 34 - Mai 2017, Seite 20
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 17. Juni 2017

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