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GEGENWIND/732: Buchvorstellung - Was ist ein Rechtsstaat?


Gegenwind Nr. 348 - September 2017
Politik und Kultur in Schleswig-Holstein

Buchvorstellung
Was ist ein Rechtsstaat?

besprochen von Klaus Peters


Welche Rechte - und Pflichten - sollten die Bürger in einem Staat, der sich Rechtsstaat nennt, haben? Mit dieser Frage befasst sich der Autor des Buches "Bürger ohne Macht?", Erich Buchholz, ehemals Prof. für Strafrecht an der Humboldt-Universität Berlin und war der 1990 als Rechtsanwalt tätig war. Der Autor kennt die Rechtssysteme der DDR und der BRD als Jurist, vergleicht beide Systeme und analysiert die jeweiligen Rechte der Bürger. Zunächst einmal ist es spannend zu erfahren, wie das Rechtssystem in der DDR aufgebaut war, um daraus auch abzuleiten, wie es in einem sozialistischen Staat grundsätzlich gestaltet sein müsste.

Erich Buchholz, der bereits andere Bücher veröffentlicht hat, arbeitet sich verständlicherweise ausführlich an der pauschalen Diskreditierung des DDR-Rechts ab, insbesondere weist er nach, dass die Beurteilung des Rechtssystems als Unrechtssystem und die Bezeichnung der DDR als Unrechtsstaat, keine reale Basis haben. In seiner vergleichenden Untersuchung stellt er dann, ähnlich wie andere Autoren, die teilweise erheblichen Defizite des geltenden deutschen Rechtssystems dar. Auch wenn manche Vergleiche zumindest für diejenigen, die das DDR-Recht nicht kennengelernt haben, nicht vollkommen schlüssig sind, werden doch einige Unsicherheiten ausgeräumt. Und die erheblichen Defizite des geltenden Rechts werden in den Medien, selbst von publizistisch aktiven Juristen, abgesehen vom Verwaltungsrechtler Hans Herbert von Arnim, Verwaltungsrechtler aus Speyer, viel zu selten genannt und kritisiert.

Das geltende Recht und seine Umsetzung haben einige grundsätzliche Defizite, die mit der Vergangenheit und mit dem kapitalistischen System zu tun haben. Große Teile der Gesetze sind ohne wesentliche Veränderungen aus dem Kaiserreich und sogar aus dem Dritten Reich übernommen worden. Eine große Zahl der Juristen aus dem Hitler-Faschismus ist viele Jahre an teilweise maßgeblicher Stelle tätig gewesen. Als gravierendste rechtliche und politische Fehlleistungen prangert Erich Buchholz das Verbot der KPD in den 1950er Jahren und die Verurteilung von Funktionsträgern der DDR nach westdeutschem Recht in den 1990er Jahren an. Obgleich über die Unrechtmäßigkeit des KPD-Verbots inzwischen weitgehende Übereinstimmung herrscht, gibt es bis heute keinerlei Anzeichen einer Rehabilitierung.

Erich Buchholz weist nach, dass das geltende Recht heute auf ein durch und durch kapitalistisches System zugeschnitten ist. Aufgrund der Besitz- und Vermögensverhältnisse sind die Chancen, gerade auch bei juristischen Auseinandersetzungen, extrem ungleich verteilt. Eines der gravierendsten Defizite ist das Fehlen eines Arbeitsgesetzbuches und in diesem Kontext wiederum das fehlende Recht auf Arbeit, das vor allem sogenannte Arbeitnehmer von vorneherein in eine extrem schlechte Ausgangsposition bringt. Folgerichtig auch die Hervorhebung der hohen weitgehend systembedingten Kriminalitätsrate.

Weitere schwerwiegende Kritikpunkte sind, wie Erich Buchholz darlegt, dass viele Menschen- und Bürgerrechte im deutschen Grundgesetz durchaus genannt werden, konkrete Ausführungsbestimmungen fehlen aber sehr oft. Selbst wenn es diese gibt, ist die Durchsetzung dieser Rechte extrem aufwendig, an zahlreiche Vorbedingungen geknüpft und oft dennoch nicht durchsetzbar. Dies gilt beispielsweise für die Verfassungsbeschwerde. Es gibt in Deutschland darüber hinaus immer noch keine Möglichkeit, eine Volksabstimmung auf den Weg zu bringen. Volksabstimmungen auf Länderebene und Bürgerentscheide sind inzwischen zwar möglich, sind bekanntlich jedoch immer noch hohe Hürden zu überwinden. Die Entschädigungsregelungen sind paradox. Vielfach gibt es, wie beispielsweise bei Baumaßnahmen mit negativen Auswirkungen auf die Umgebung und die Nachbarschaft, keine Entschädigung, umfangreiche Vorhaben der Vergesellschaftung sind nicht finanzierbar. Umfassende Beteiligungsrechte und das in anderen Ländern verfügbare Rechtsinstrument Popularklage fehlen. Die Parteispendenpraxis grenzt an Korruption. An manchen Stellen verstößt das geltende deutsche Recht gegen EU-Recht und gegen die Europäische Menschenrechtskonvention.

Auf 40 Seiten mit Anmerkungen erhält der juristisch nicht so erfahrene Leser in diesem wichtigen Buch die Möglichkeit, sich vertiefender mit einigen der aufgeworfenen Probleme auseinanderzusetzen.


Erich Buchholz: Bürger ohne Macht? Teilhabe unerwünscht - Wie unser "Rechtsstaat" sein Volk von der Macht fernhält,
495 Seiten, edition berolina, Berlin 2015, 14,99 Euro

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Quelle:
Gegenwind Nr. 348 - September 2017, Seite 82
Herausgeber: Gesellschaft für politische Bildung e.V.
Schweffelstr. 6, 24118 Kiel
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veröffentlicht im Schattenblick zum 22. September 2017

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