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GLEICHHEIT/2312: Leiharbeiter sind die ersten Opfer der Rezession


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Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Leiharbeiter sind die ersten Opfer der Rezession

Von Ludwig Niethammer
8. Januar 2009


Erst die Leiharbeiter entlassen, dann Kurzarbeit, schließlich Massenentlassungen. Nach diesem Fahrplan reagieren derzeit viele Betriebe, allen voran in der Autoindustrie, auf die wachsende Rezession.

Bereits im November 2008 lag die Zahl der Kurzarbeiter bei 135.000. Für Januar wird mit über 200.000 gerechnet. Zum Vergleich: Vor einem Jahr waren nur 11.700 Kurzarbeiter gemeldet. Sämtliche großen Autokonzerne, aber auch namhafte Chemie- und Stahlkonzerne haben bereits Kurzarbeit eingeführt oder angemeldet.

Die Bundesregierung hat, um eine Welle von Massenentlassungen zu vermeiden, die maximale Bezugsdauer des Kurzarbeitergeldes von generell sechs auf 18 Monate verlängert. Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) preist diese Maßnahmen als "Schutzschirm für Arbeitplätze" und fleht die Unternehmen an: "Haltet an euren Mitarbeitern fest. Ihr werdet sie brauchen, wenn die Konjunktur wieder anzieht."

Während sich große, bisher höchst profitable Konzerne wie Daimler oder BMW die Kurzarbeit mit Millionensummen vom Staat finanzieren lassen, müssen die betroffenen Arbeiter empfindliche Lohneinbußen hinnehmen. Mehrere Betriebe haben auch bereits massive Entlassungen angekündigt.

Als erstes wurden nach Beginn der Finanzkrise die schlecht bezahlten Leiharbeiter vor die Tür gesetzt. Im Jargon der Firmenleitungen heißt das, "Mitarbeiter an die Zeitarbeitsfirmen zurückgeben". Die meisten werden aber arbeitslos, weil sie von ihren Verleihfirmen nicht weiter beschäftigt werden.

Allein das BMW-Werk in Leipzig entließ im November auf einen Schlag 500 Leiharbeiter. Auch VW, Daimler und viele andere feuerten mehrere Tausend Leiharbeiter. Der Autozulieferer Continental entließ bereits im Herbst 2008 5.000, BMW 5.000 und MAN 3.400 Leiharbeiter. Volkswagen hat begonnen, seine weltweit 25.000 Leiharbeiter abzubauen.

Die Zahl der Leiharbeiter ist in Deutschland in den letzten Jahren dank der Gesetzgebung der rot-grünen Bundesregierung extrem gewachsen. Mitte 2008 waren 794.400 Menschen in solchen prekären Arbeitsverhältnissen beschäftigt. Es gibt keine genauen Zahlen, wie viele Leiharbeiter in den letzten Monaten entlassen wurden. Aber Schätzungen gehen von 100.000 bis 150.000 aus.

Hajo Holst, Soziologe an der Uni Jena, forscht seit Jahren über Zeitarbeit. In seiner Untersuchung zur Praxis von Leihfirmen kommt er zu folgendem Ergebnis: "Unserer Erfahrung nach liegen die Verrechnungssätze, das ist das, was die Verleihfirma pro geleisteter Arbeitsstunde von dem Einsatzbetrieb erhält, zwischen 80 und 150 Prozent über dem Arbeitgeber-Brutto. Das heißt über dem Lohn, den die Verleihfirma den Arbeitskräften zahlen muss. Gedacht ist es natürlich dafür, dass die Verleihfirmen einmal ihre Verwaltungskosten decken. Aber sie sind natürlich auch dafür da, dass Leiharbeiter in den verleihfreien Zeiten bezahlt werden und weitergebildet werden. In der Praxis zeigt sich, dass die beiden Punkte in der Praxis nicht passieren."

Die Gewerkschaften und die Betriebsräte haben die weit unter Tarif bezahlten Leiharbeiter in den Betrieben völlig im Stich gelassen und so für die Spaltung der Belegschaften gesorgt. Jetzt haben sie gegen die Entlassungen der Leiharbeiter nichts einzuwenden, obwohl ihnen klar ist, dass dies nur der Auftakt zu Massenentlassungen bei den Stammbelegschaften ist.

Der Stahlkonzern Arcelor Mittal teilte vor Weihnachten mit, er werde 600 Arbeitsplätze in Deutschland streichen. Qimonda, ein Tochterunternehmen des Chip-Herstellers Infineon in Dresden, steht vor der Pleite. 3.000 Arbeitsplätze sind akut gefährdet. 500 Leiharbeiter wurden bereits entlassen.

Das amerikanische Telekommunikationsunternehmen Avaya hat angekündigt, in Deutschland 600 von 3.600 Stellen zu streichen. Die Unternehmensberatung Bain erwartet, dass allein in der deutschen Finanzwirtschaft bis zum Jahr 2012 an die 180.000 Arbeitsplätze wegfallen werden.

Hans-Werner Sinn, der Präsident des Ifo-Instituts, spricht mittlerweile von einer Rezession, die zwei Jahre andauern werde. Die Wirtschaftsleistung werde 2009 um mindestens zwei Prozent schrumpfen. Außerdem sagte er der Bild-Zeitung: "Die deutsche Wirtschaft steht vor der schwersten Rezession der Nachkriegsgeschichte." Er rechne auch mit einer dramatischen Entwicklung am Arbeitsmarkt: "Die Arbeitslosigkeit wird bis zum Dezember um eine halbe Million steigen."

Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank, Norbert Walter, beurteilt die Lage noch kritischer. Er hält einen regelrechten Absturz der deutschen Wirtschaft für nicht ausgeschlossen. "Die Situation hat sich in den vergangenen sechs Wochen weiter verschlechtert", sagte Walter am Montag. Das Risiko, dass das deutsche Bruttoinlandsprodukt in diesem Jahr um vier Prozent schrumpfe, habe zugenommen, sagte er, denn wichtigen Handelspartnern - neben europäischen Ländern auch Japan und vielen Rohstoff exportierenden Staaten - gehe es schlechter.

Der DZ-Bank-Volkswirt Philipp Jäger meint, dass die Auswirkungen der Rezession erst Anfang des Jahres voll auf den Arbeitsmarkt durchschlagen werden. Sollte sich nach den Weihnachtsferien keine grundsätzliche wirtschaftliche Besserung abzeichnen, drohe in vielen Branchen der Abbau von Arbeitsplätzen, glaubt er. "Derzeit haben wir noch einen Stillstand auf dem Arbeitsmarkt mit einer unveränderten saisonbereinigten Arbeitslosigkeit, bevor im Januar der Abbau von Stellen beginnt."

Die am Mittwoch bekannt gegebenen Arbeitslosenzahlen für Dezember lassen die wirkliche Entwicklung der Arbeitslosigkeit erahnen. Zunächst ist die offizielle Zahl von 114.000 neuen Jobsuchenden im Dezember deutlich höher als in den letzten Jahren. Sie bedeutet einen Anstieg auf 3,1 Millionen.

Nicht enthalten in diesen Zahlen sind eine Millionen Menschen, die von der Bundesagentur in irgendeiner Form "gefördert" werden, z.B. indem sie sich als Ein-Euro-Jobber verdingen müssen. Nicht enthalten sind auch die Kurzarbeiter, die meist über mehrere Wochen zu Hause bleiben müssen, sowie viele Leiharbeiter, die entlassen wurden und nicht registriert sind.

Ebenfalls nicht enthalten ist, wie die Bundesagentur selbst stolz verkündet, wer aufgrund einer "systematischeren Überprüfung des Arbeitslosenstatus'" keine Leistungen mehr bekommt oder vorübergehend darauf verzichten muss. Und nicht mitgezählt werden auch die etwa 3,8 Millionen, die in so genannten Minijobs geringfügig beschäftigt sind und von ihrer Arbeit nicht leben können.

Im Laufe des Dezembers meldeten sich 770.000 Personen bei einer Arbeitsagentur - das sind 15 Prozent mehr als vor einem Jahr. Im gesamten Jahr 2008 waren 8,44 Millionen Bundesbürger ein- oder mehrmals arbeitslos. Im Schnitt dauerte eine solche Phase ohne Job 38,7 Wochen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 08.01.2009
Leiharbeiter sind die ersten Opfer der Rezession
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veröffentlicht im Schattenblick zum 9. Januar 2009