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GLEICHHEIT/2339: Rückzug aus Gaza kommt laut israelischem Militär "nicht in Frage"


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Kommitee der Vierten Internationale (IKVI)

Rückzug aus Gaza kommt laut israelischem Militär "nicht in Frage"

Von Julie Hyland
23. Januar 2009
aus dem Englischen (21. Januar 2009)


In zeitlicher Übereinstimmung mit der Amtseinführung des neuen amerikanischen Präsidenten Barack Obama zog Israel am Dienstag weitere Truppen aus dem Gazastreifen ab.

Am frühen Sonntagmorgen gab Ministerpräsident Ehud Olmert das Ende der "Operation gegossenes Blei" bekannt und erklärte, seine Regierung wolle die Truppen "so schnell wie möglich" zurückziehen. Aus der israelischen Armeeführung verlautete jedoch, zum jetzigen Zeitpunkt komme "ein vollständiger Rückzug nicht in Frage".

Ein hoher Beamter des Verteidigungsministeriums sagte am Dienstag: "Wir reduzieren die Zahl der Soldaten im Gazastreifen, aber die Truppen außerhalb dieses Gebiets bleiben in Bereitschaft, damit sie, wenn nötig, rasch reagieren können." Später gab es unbestätigte Berichte über Schüsse der israelischen Marine auf den Gazastreifen, die als "Abschreckungsmaßnahme" bezeichnet wurden. Beim Grenzübergang Kissufim sollen durch israelisches Geschützfeuer ein Palästinenser getötet und mehrere weitere verletzt worden sein. Während dieser Artikel geschrieben wurde, waren darüber keine weiteren Einzelheiten zu erfahren.

In der 22-tägigen israelischen Offensive wurden über 1.300 Palästinenser getötet und mehr als 5.000 verletzt.

Die Zahl der toten und verletzten Palästinenser wird voraussichtlich noch steigen, sobald die Trümmer beseitigt worden sind. Nachdem der Generalsekretär der Vereinten Nationen, Ban Ki-Moon, in den Gaza einreiste, gestattete man endlich auch einigen Journalisten den Zutritt zu einem Teilgebiet, das offenbar erheblich zerstört ist.

"Ganze Wohngebiete sind verschwunden", hieß es auf BBC. Das Palästinensische Zentralbüro für Statistik gab bekannt, mindestens 4.100 Häuser seien vollkommen zerstört und weitere 17.000 beschädigt. Weiter hieß es, es seien etwa 1.500 Fabriken und Produktionsstätten, zwanzig Moscheen, 31 Schutzeinrichtungen und zehn Wasser- und Abwasserleitungen beschädigt.

Schätzungsweise 50.800 Menschen sind obdachlos, Hunderttausend wurden vertrieben. Etwa 400.000 Menschen sind ohne fließendes Wasser, und Strom gibt es keine zwölf Stunden am Tag.

Nach UN-Angaben sind fünfzig humanitäre Einrichtungen und 21 Krankenstationen beschädigt worden. Ban Ki-Moon hielt vor den rauchenden Trümmern des UN-Nahrungsmitteldepots, das von israelischen Bomben zerstört worden war, eine Rede. Er bezeichnete den Angriff als "empörend" und wiederholte seine Forderung nach voller Aufklärung. "Die Verantwortlichen müssen zur Rechenschaft gezogen werden", sagte er.

Gaza-Bewohner berichteten der Menschenrechtsgruppe B'Tselem, wie die israelischen Streitkräfte (IDF) mehrere Zivilisten, die sich ergeben wollten, niedermähten. In einem Bericht heißt es, vier Mitglieder der Familie A-Najar aus dem Dorf Khuza'a, östlich von Khan Younis, seien getötet worden, als sie der Anweisung des Militärs Folge leisteten und ihre Häuser verließen. Als sie paarweise herauskamen und dabei weiße Fahnen schwenkten, eröffneten die Soldaten das Feuer und töteten sie.

Weitere Hinweise belegen, dass Israel weißen Phosphor einsetzte, was in dicht besiedeltem Gebiet verboten ist. Der Guardian veröffentlichte Filmmaterial der Internationalen Solidaritätsbewegung in Khoza'a, im Süden des Gazastreifens, auf dem Klumpen des chemischen Brandmittels am Boden zu sehen sind.

Christopher Cobb-Smith, ein Waffenexperte von Amnesty International, sagte, man habe "haufenweise Beweismittel auf den Straßen und Gassen vorgefunden, darunter noch glühende Keile, Granatsplitter und Kapselreste, die die israelische Armee abgeschossen hatte". Krankenhausärzte berichteten von zahlreichen Fällen mit schrecklichen Verbrennungen, wie sie für Phosphor typisch sind.

John Ging, Direktor des UN-Hilfswerks UNRWA, sagte, wichtig sei jetzt eine Grundversorgung mit Nahrungsmitteln, Medikamenten und Benzin. "Vor uns stehen eine gewaltige Bergungsoperation und der Wiederaufbau. Natürlich wird absolut nichts davon möglich sein, solange die Grenzübergänge nicht geöffnet werden."

Israel hat bisher erst 143 Hilfslastwagen in den Gaza hineingelassen und lehnt eine Aufhebung seiner Blockade für die nächste Zukunft ab. Laut einem Bericht der Londoner Times müssen UN-Einrichtungen und - Diplomaten "beweisen, dass das Material nicht für Waffen benutzt werden kann, ... dass das Geld direkt an einen lokalen Vertragspartner geht und dass Hamas keine Möglichkeit hat, in irgendeiner Weise davon zu profitieren".


EU und UN wollen Abbas unterstützen

Alastair Crooke, ehemaliger Sicherheitsberater der Europäischen Union, beschwerte sich in einem Artikel des Guardian über das "chaotische, zweideutige 'Ende'" des Konflikts.

Die Einseitigkeit des Waffenstillstands bedeutet, dass Israel sich kaum zu etwas verpflichtet. Tel Aviv lehnt nach wie vor jede Diskussion über die Zukunft von Gaza und der palästinensischen Bevölkerung ab, wenn Hamas daran beteiligt ist. Wie es aussieht, hat Israel sogar Ägypten ausgebootet, den arabischen Staat, der die israelische Offensive im Gazastreifen besonders erleichtert hat.

Hossam Zaki, ein Vertreter des ägyptischen Außenministeriums, sagte der Jerusalem Post, sein Land sei enttäuscht, dass seine Vermittlungsbemühungen von Israel faktisch umgangen worden seien. "Wir haben von der israelischen Seite ein anderes Vorgehen erwartet", sagte er. Israel habe den Waffenstillstand nicht mit Ägypten abgestimmt. "Das heißt, es zieht es vor, nicht an den Bedingungen festzuhalten, die wir mit den Palästinensern aushandeln konnten", beschwerte er sich.

Israel hat sich ausschließlich mit Washington abgestimmt. Am Freitag wurde ein gemeinsames Memorandum beschlossen, in dem sich die USA zu einem besseren Informationsaustausch, zu technischer Hilfsleistung und der Bereitstellung weiterer Unterstützung verpflichtet hat, um die Einfuhr von Waffen in den Gazastreifen zu verhindern.

Während Israel behauptet, es habe gesiegt, wachsen die Sorgen über die Auswirkungen seiner Taten in der ganzen Region. Im gesamten dreiwöchigen Konflikt konnte sich die Arabische Liga nicht auf eine gemeinsame Position zur Offensive im Gaza einigen, was sie unter den arabischen Massen zusätzlich diskreditiert.

Eine Versammlung der gesamten Häupter der europäischen Großmächte am Montag in Scharm El-Scheich sollte die Glaubwürdigkeit der mehr pro-westlich eingestellten Regimes wieder herstellen, deren Ansehen durch das israelische Vorgehen schwer gelitten hat.

Die führenden Politiker von Frankreich, Großbritannien, Deutschland, Italien, Spanien und der Türkei nahmen am Gipfel teil, den der ägyptische Präsident Hosni Mubarak ausrichtete. Die Teilnehmenden forderten die Öffnung der Grenzübergänge, verpflichteten sich zu humanitärer Hilfe zum Wiederaufbau des Gazastreifens und versprachen Unterstützung bei der Grenzüberwachung.

Die Financial Times versuchte, Mubarak gegen den Zorn der ägyptischen Bevölkerung in Schutz zu nehmen, weil er sich geweigert hatte, die Grenzen zum Gaza für Flüchtlinge zu öffnen. Außerdem heißt es in dem Times-Artikel, der Gipfel "verschaffte Mahmoud Abbas, dem Präsidenten der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA), die Gelegenheit, seine Glaubwürdigkeit wieder herzustellen". Abbas hielt an dieser Versammlung eine Rede.

Benita Ferrero-Waldner, die EU-Kommissionarin für Außenbeziehungen, betonte, man werde jede Hilfe von einer Gaza-Regierung abhängig machen, die für die EU akzeptabel sei. Sie schloss zwar Hamas nicht ausdrücklich davon aus, legte jedoch nahe, dass Abbas und die Palästinensische Autonomiebehörde die Kontrolle über das Gebiet übernehmen müssten.

In ähnlicher Weise verlangte Ban Ki-Moon, der am Dienstag auf einem Wirtschaftsgipfel der Arabischen Liga in Kuwait sprach, dass die siebzehn Staatschefs sich "hinter die Führung von Präsident Abbas" stellen müssten.


Angst vor der "Internationalisierung" des Waffenstillstand

Israel hat jegliche Hilfe an Gaza ausgeschlossen, solange Hamas an der Macht bleibt, und es will offenbar die Verantwortung für den Wiederaufbau abschieben und der Weltbank, UNRWA oder der Palästinensischen Autonomiebehörde übertragen. Ein israelischer Politiker sagte: "Wir versuchen, Möglichkeiten herauszufinden, wie der Gaza ohne Hamas wiederaufgebaut werden kann."

Scheinbar sind alle bezüglich der Hamas einer Meinung. Dieses Einvernehmen trägt jedoch das Potential künftiger Konflikte in sich, die weit über die Israel-Palästina-Frage hinausgehen.

Ägypten und Jordanien waren die einzigen arabischen Länder, die an der Konferenz vom Sonntag in Scharm El-Scheich teilnahmen. Und am Dienstag war der Arabische Wirtschaftsgipfel nicht in der Lage, in einer Sitzung hinter verschlossenen Türen ein gemeinsames Abkommen über den Waffenstillstand zustande zu bringen oder auch nur einen Fonds für den erwarteten Wiederaufbau von Gaza zu gründen. Die offizielle Nachrichtenagentur von Kuwait, KUNA, beschuldigte "die kompromisslose Haltung, die einige Länder einnehmen", während andere davon sprachen, der Bund zerfalle in eine "Doha-Syrien-Achse" und eine von Ägypten und Saudi-Arabien geführte Allianz.

Am Treffen in Scharm el-Scheich fehlten auch Israel und die Vereinigten Staaten. Später verurteilte Israel einen Vorschlag, den Frankreich während des Treffens gemacht hatte, "einen Palästinenserstaat zu schaffen".

"Frankreich und Ägypten bestehen seit Jahren auf der Idee einer internationalen Konferenz, aber das führt zu nichts", sagte ein führender israelischer Diplomat, der anonym bleiben wollte.

Ein Kommentar von Charles Heyman, Herausgeber der Zeitschrift Armed Forces of the United Kingdom, verstärkte noch die Befürchtungen. Associated Press berichtete, Heyman habe "von bestimmten Leuten, die es wissen müssen, erfahren, was die Politiker in Brüssel hinter den Kulissen diskutieren. Es geht um die Möglichkeit, eine EU-Flotte auf den Weg zu bringen, um Waffen aus dem Gaza herauszuhalten".

Obwohl das technisch möglich wäre, "ist es seine sehr schwierige Aufgabe", wird Heyman zitiert. "Das ist einer jener schrecklichen Aufträge, wofür sich beide Seiten wahrscheinlich hassen werden." Die Hauptgefahr für jede EU-Truppe, fuhr er fort, "wäre ein Zusammenbruch der Kommunikation mit der israelischen Marine."

"Sie müssten untereinander sehr effektive Regeln für das Engagement und für ihre Kommandolinie ausarbeiten, andernfalls könnte das auf dramatische Weise schief gehen", fügte er hinzu.

Siehe auch:
Ausmaß der Zerstörung in Gaza wird bekannt
(21. Januar 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 23.01.2009
Rückzug aus Gaza kommt laut israelischem Militär "nicht in Frage"
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veröffentlicht im Schattenblick zum 24. Januar 2009