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GLEICHHEIT/2558: Haushaltsdefizit - SPD und Union bereiten rigorose Sparmaßnahmen vor


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Haushaltsdefizit: SPD und Union bereiten rigorose Sparmaßnahmen vor

Von Peter Schwarz
26. Juni 2009


SPD und CDU/CSU sind entschlossen, die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise und die Milliardenbeträge, die sie den Banken zur Verfügung gestellt haben, nach der Bundestagswahl auf die Bevölkerung abzuwälzen. Das geht aus der mittelfristigen Haushaltsplanung hervor, die Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) am Mittwoch der Presse vorstellte.

Bund und Länder werden sich in den kommenden Jahren hoch verschulden, und die Regierungsparteien wollen diese Schulden in kürzester Zeit auf Kosten der Bevölkerung wieder eintreiben. Die sozialen Folgen der damit verbundenen Sparmaßnahmen werden verheerend sein. "Wie immer die Regierungskonstellation nach dem 27. September aussehen wird - es wird erhebliche Verteilungskämpfe geben", kündigte Steinbrück in einem Interview mit der FAZ an.

Allein der Bund wird im kommenden Jahr neue Schulden von 86 Milliarden Euro aufnehmen. Bis 2013 wird sich die Neuverschuldung auf 310 Milliarden Euro summieren. In dieser Zahl sind die Kosten aus dem Bankenrettungsfonds, den Steinbrück in einen Nebenhaushalt ausgelagert hat, noch gar nicht beinhaltet. Bezieht man sie mit ein, so wird die Neuverschuldung 2010 über 100 Milliarden Euro steigen. Das ist zweieinhalb Mal so viel wie der bisherige Rekord von 1996.

Ähnlich sieht die Lage bei den Ländern aus. Hatten die Länderhaushalte aufgrund der drastischen Kürzungsmaßnahmen der vergangenen Jahre 2008 insgesamt noch mit schwarzen Zahlen abgeschlossen, so rechnet die Bundesbank in diesem Jahr mit einem Gesamtdefizit von 30 Milliarden Euro.

Noch schwerwiegender sind die Risiken, die die Länder mit ihren Finanzspritzen für marode Landesbanken und Bürgschaften für große Konzerne eingegangen sind. So hat die Rettung der Bayrischen Landesbank den bayrischen Landeshaushalt in den ersten vier Monaten des Jahres mit 7 Milliarden Euro belastet. Hamburg und Schleswig-Holstein haben der HSH Nordbank 13, bzw. 18 Prozent ihres gesamten Jahreshaushalts als Finanzspritze zur Verfügung gestellt. Hessen hat seinen Bürgschaftsrahmen für Unternehmen von 300 Millionen auf 3 Milliarden und Baden-Württemberg den seinigen von 150 Millionen auf 2,2 Millionen Euro erhöht. Fallen diese Gelder aus, droht den Ländern die Zahlungsunfähigkeit.

SPD und Union wollen diese Schulden durch drastische Sparmaßnahmen wieder eintreiben. Sie halten sich zwar vor der Bundestagswahl mit konkreten Vorschlägen zurück, weil sie Stimmenverluste befürchten. "Ich werde hier keine Ankündigung machen, die die Tagespolitik vor dem 27. September aufmischen wird", erklärte Steinbrück auf der Pressekonferenz zynisch.

Doch die Große Koalition hat bereits Ende Mai eine "Schuldenbremse" im Grundgesetz verankert, die jede zukünftige Regierung zu strikten Sparmaßnahmen zwingt. Sie schreibt zwingend vor, dass sich der Bund ab 2016 nur noch mit maximal 0,35 Prozent des BIP verschulden darf - das wären aktuell 8,5 Milliarden Euro. Die Länder dürfen ab 2020 überhaupt keine Schulden mehr machen.

Um diese Ziele zu erreichen, sind bereits in den kommenden Jahren massive Einsparungen nötig. Steinbrücks Pläne sehen für die Jahre 2011 bis 2013 Kürzungen von 37 Milliarden Euro vor, die als "Globale Minderausgabe" durch alle Ressorts - mit Ausnahme natürlich des Schuldendiensts - aufgebracht werden müssen. Die nächste Regierung werde sich ganz darauf konzentrieren müssen, die Vorgaben der Schuldenbremse zu erfüllen und wieder zu einem stabilen Haushalt zurückzukehren, sagte Steinbrück dem Tagesspiegel.

"Man muss kein studierter Volkswirt sein, um zu wissen, dass bei einer solchen Größenordnung nur zwei Möglichkeiten bleiben", kommentiert dies die Süddeutsche Zeitung. "Entweder müssen die Sozialausgaben drastisch gekürzt oder aber die Steuern ebenso drastisch angehoben werden." Die Süddeutsche gelangt zum Schluss: "Die nächste Wahlperiode wird wegen der Finanzlage von Verteilungskämpfen geprägt sein, wie sie die Republik lange nicht gesehen hat."

Mit der Verankerung der Schuldenbremse im Grundgesetz hat sich die Große Koalition selbst jedes finanzpolitischen Spielraums beraubt. Auch gesellschaftlich dingend notwendige Investitionen in Bildung oder Infrastruktur werden dadurch verunmöglicht. Die Schuldenbremse dient vor allem politischen Zwecken. Sie liefert den Vorwand, um einen rigorosen Sparkurs gegen massiven Widerstand durchzusetzen. Was SPD und Union im Wahlkampf versprechen, werden sie nach der Wahl unter Hinweis auf die Schuldenbremse für nicht finanzierbar erklären.

Auch dazu bekannte Steinbrück offen. "Ohne eine solche Disziplinierung geht es nicht. Das zeigt die Erfahrung. Ich bin froh, dass es die neue Schuldenregel gibt", sagte er. Er vermied allerdings jegliche Aussage, wie die Haushaltslücken gedeckt werden sollen. Es sei Sache der nächsten Regierung, über Einnahmen und Ausgaben sowie vor- und nachrangige Politikbereiche zu entscheiden, sagte er. Er treffe dazu keine Aussage: "Ich schließe alles ein, ich schließe alles aus." Dabei macht Steinbrück kein Hehl daraus, dass er Finanzminister bleiben will, falls es nach der Wahl erneut zu einer Großen Koalition kommt.

Hinter den Kulissen hat die Debatte aber längst begonnen, wo und auf wessen Kosten gespart werden soll. So berichtete die Bild-Zeitung über Vorschläge aus der CDU-CSU-Bundestagsfraktion, den ermäßigten Mehrwertsteuersatz von sieben auf 19 Prozent zu erhöhen, was rund 14 Milliarden Euro an zusätzlichen Einnahmen brächte. Getroffen würden vor allem ärmere Bevölkerungsschichten. Der ermäßigte Steuersatz gilt unter anderem für Lebensmittel, für den sie einen weit höheren Anteil ihres Budgets aufwenden als Wohlhabende.

CDU-Generalsekretär Ronald Profalla dementierte zwar pflichtschuldig und bezeichnete die Meldung als "Unsinn". Doch schon 2005 hatte die Große Koalition nach der Bundestagswahl die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöht, obwohl die SPD eine Erhöhung im Wahlkampf strikt abgelehnt und die CDU eine Erhöhung von maximal zwei Prozent angekündigt hatte.

Wirtschaftsexperten gehen davon aus, dass eine Mehrwertsteuererhöhung auf jeden Fall kommen wird. Der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Klaus Zimmermann, sagte dem Münchner Merkur : "Ich bin sicher: Mittelfristig wird sich die Regierung einer Anhebung der Mehrwertsteuer nicht entziehen können." Er schlug eine Anhebung von 19 auf 25 Prozent vor.

Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung Halle meinte in MDR aktuell : "Sparmöglichkeiten sind sehr beschränkt, die sind schwer durchsetzbar, so dass letztendlich der Weg bestritten werden dürfte über Steuererhöhungen die Löcher sukzessive zu stopfen." Und der Vorsitzende der Wirtschaftsweisen, Wolfgang Franz, sagte der Berliner Zeitung : "Da der Spielraum durch die Kürzung von Subventionen nicht ausreichen dürfte, wird es wohl auf Steuererhöhungen hinauslaufen."

Neben einer Erhöhung der Mehrwerststeuer, die sich in Form höherer Preise auf den Lebensstandard breiter Bevölkerungsschichten auswirkt, zielen die diskutierten Sparvorschläge auf Renten und Sozialausgaben. "Die permanenten Schuldentreiber im Etat sind neben den aufwachsenden Zinslasten die Zuschüsse an die chronisch defizitären Sozialkassen, allen voran die Rentenversicherung. Sie verschlingt mit 81 Milliarden Euro mittlerweile ein Viertel der Bundesausgaben", kommentierte die FAZ das Haushaltsloch.

In der Unionsfraktion gibt es laut Bild-Zeitung Überlegungen, mehrere Milliarden Euro durch die Einführung einer Mietkostenpauschale für Hartz-IV-Empfänger einzusparen. Bisher werden ihnen die tatsächlich anfallenden Mietkosten ersetzt. Die Einführung einer solchen Pauschale würde zahlreiche Hartz-IV-Empfänger zwingen, in eine billigere Wohnung umzuziehen.

In Verbindung mit der wachsenden Arbeitslosigkeit und sinkenden Einkommen werden die Einsparungen im Haushalt die soziale Krise dramatisch verschärfen. Laut Berechungen des Wirtschaftsforschungsinstituts RWI werden die Reallöhne in diesem Jahr um durchschnittlich 1,5 Prozent sinken. Und die jüngste Voraussage der OECD geht davon aus, dass die Zahl der Arbeitslosen in Deutschland bis Ende 2010 von derzeit 3,5 auf 5,1 Millionen steigen wird. Das entspricht einer Rate von zwölf Prozent.

Während die Bevölkerung die vollen Auswirkungen der Krise zu spüren bekommt, verdienen die Banken, die die Krise ausgelöst haben, bereits wieder kräftig Geld. Erst diese Woche hat ihnen die Europäische Zentralbank Kredite in unbeschränkter Höhe mit einjähriger Laufzeit zum Zinssatz von nur einem Prozent angeboten. Über 1.110 Banken griffen zu und erhielten insgesamt 442 Milliarden Euro. "Wir ersaufen im Geld", kommentierte ein Börsenhändler.

Die Banken geben die niedrigen Zinsen nicht an ihre Kunden weiter. Sie verlangen für Kredite und Hypotheken hohe Zinsen und kassieren die Differenz. Privatkonteninhaber zahlen für Überziehungskredite zweistellige Zinssätze. Selbständige und kleine Unternehmen haben nach wie vor Mühe, überhaupt Kredit zu erhalten.

Bis um Wahlsonntag am 27. September werden sich SPD und Union bemühen, ihre Sparpläne hinterm Berg zu halten. Doch danach werden sie, egal wie die Wahl ausgeht, keine Hemmungen mehr kennen. Auch FDP, Grüne und Linkspartei sind bereit, ein rigoroses Sparprogramm zu unterstützen, sollte es zu einer anderen Regierungskoalition kommen.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 26.06.2009
Haushaltsdefizit: SPD und Union bereiten rigorose Sparmaßnahmen vor
http://wsws.org/de/2009/jun2009/spar-j26.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 27. Juni 2009