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GLEICHHEIT/2612: Obamas Krankenversicherung - ein klarer Rückschritt


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Obamas Krankenversicherung - ein klarer Rückschritt

Von Kate Randall und Barry Grey
30. Juli 2009
aus dem Englischen (28. Juli 2009)


Die New York Times setzt sich zurzeit mächtig für Präsident Obamas Gesundheits-"Reform" ein. Seine Vorschläge zur Neugestaltung des Gesundheitswesens zielen nicht darauf ab, jedem Einwohner Zugang zu qualitativ hochwertiger Gesundheitsversorgung zu verschaffen. Vielmehr sind sie Auftakt für beispiellose Angriffe auf die Krankenkassen der arbeitenden Bevölkerung. Sie sollen die Errungenschaften wieder abschaffen, die mit der Einführung von Medicare 1965 einhergingen.

Die "Reform" kommt einer Konterrevolution gleich: Sie dient den Interessen riesiger Arzneimittelkonzerne, Versicherungsgesellschaften und Krankenhausketten und den Profiten der Unternehmen. Letztere werden ermutigt, die Krankenversicherung für ihre Angestellten und Arbeiter abzuschaffen und sie zu zwingen, Versicherungspolicen zu kaufen, die zwar höhere Zuzahlungen erfordern, aber weniger Leistungen bieten.

Mit einem ganzseitigen Leitartikel unter der Überschrift "Die Gesundheitsreform und Du" versucht die Times, die wachsende Besorgnis in der amerikanischen Bevölkerung über den Gesetzentwurf zu zerstreuen, der gegenwärtig im Kongress beraten wird. Eine Umfrage der Kaiser Family Foundation fand kürzlich heraus, dass 21 Prozent der Menschen denken, sie würden mit den neuen Regelungen schlechter fahren als bisher. Das sind doppelt so viele wie noch im Februar.

Mit Ausflüchten und Täuschung versucht die Times, die verbreitete Unzufriedenheit mit der bisherigen miserablen Krankenkasse für Obamas Pläne zu instrumentalisieren. Sie führt die enormen Lasten an, die das gegenwärtige System der einfachen Bevölkerung auferlegt, und stellt in Aussicht, dass es immer schlimmer werde. Deswegen seien Obamas Maßnahmen zur Kostensenkung ohne Alternative.

"Prämien und Zuzahlungen für Gesundheitsleistungen sind viel schneller gestiegen als die Löhne. Millionen Menschen sind unterversichert. Ihre Policen decken bei weitem nicht ihre Arzt-, Krankenhaus- und Arzneimittelrechungen. Viele verschieben eine Behandlung oder lösen Rezepte nicht ein, weil sie sich den Eigenanteil nicht leisten können. Und viele müssen den Privatbankrott erklären, weil sie die hohen Kosten nicht begleichen können."

Damit beschreibt sie ein gescheitertes Gesundheitssystem, das auf privaten Profit ausgerichtet ist. Aber diesen wichtigen Aspekt lässt die Times völlig aus.

Stattdessen erklärt die Zeitung: "Praktisch alle Experten machen das System für die explodierenden Gesundheitskosten verantwortlich, weil es Ärzte und Krankenhäuser für jede Leistung bezahlt, die sie erbringen."

Von welchen Experten ist hier die Rede? Das verrät uns die Zeitung nicht.

Der Leitartikel schließt sich Obama an, der das System der Abrechnung von Leistungen abschaffen will. Kritikern, die befürchten, dass das zu einer rationierten Krankenversorgung führen wird, antwortet die Zeitung: "In Wahrheit ist die Gesundheitsversorgung schon heute rationiert", und fügt zynisch hinzu: "Keine Krankenkasse, öffentlich oder privat, deckt alles und alle Kosten ab."

Die Times erklärt: "Früher wurden viele Versicherungsverträge abgeschlossen, die sich darauf konzentrierten, die Kosten zu drücken. Das rief den Zorn der Betroffenen hervor, denen die Behandlung verweigert wurde, die sie erwarteten." Um solche Sorgen dieses Mal zu zerstreuen, liefert die Zeitung einige komplizierte Argumente in der Richtung, dass die Abschaffung einer Abrechnung nach Leistung, wie auch die Einführung einer allgemeinen Deckelung der Kosten in Wirklichkeit ein Fortschritt sei.

Demzufolge bekämen bei dem heutigen Zahlungssystem "die Patienten oft sehr teure, aber nicht notwendigerweise die beste Behandlung". Solange jede einzelne Behandlung abgerechnet werden könne, schaffe dies "finanzielle Anreize für exzessive Untersuchungen und Behandlungen, die dem Patienten möglicherweise sogar schaden". Sie fügt hinzu: "Die teuerste Behandlung ist nicht immer die beste Behandlung."

Das sind irreführende Sätze, hinter denen sich eine bestimmte Absicht versteckt. Was "exzessiv" oder "unnötig teuer" ist, wird demnach nicht von Patienten und Ärzten entschieden, sondern von Versicherungsgesellschaften, Arzneimittelherstellern und Krankenhausketten. Das heißt, sie richten sich nach deren Profitinteressen.

Mammographien entdecken nicht jeden Krebs. Nach der Logik der Times könnten sie daher als "exzessiv" eingestuft werden. Moderne Medikamente führen nicht jedes Mal zum Heilerfolg - eine weitere Möglichkeit, Verschwendung und "Ineffizienz" auszumerzen.

Unnötig zu sagen, dass sich solche Argumente natürlich nur auf die breite Bevölkerung beziehen. Die Reichen werden weiterhin die "exzessivste", "teuerste" und "ineffizienteste" Behandlung erhalten.

Es erfordert kein Übermaß an Kritikfähigkeit, um zu erkennen, dass diese Art der Rationalisierung dazu da ist, Millionen von Arbeitern und ärmeren Bevölkerungsschichten die besten Untersuchungs- und Behandlungsmethoden und Medikamente zu verweigern.

Die Zeitung will der Öffentlichkeit etwas unterjubeln, und das zeigt sich an den absichtlich vagen Formulierungen bei der Beschreibung von Obamas Projekt. Dessen Gesetzentwurf im Kongress "verlangt von allen Amerikanern, eine Krankenversicherung mit einer festgelegten Minimalleistung abzuschließen oder eine Ausgleichszahlung zu leisten", heißt es in dem Leitartikel. Die Gesetzentwürfe verlangten von den meisten Firmen, "für ihre Angestellten eine Versicherung abzuschließen und zu bezuschussen, die eine Grundversorgung gewährleisten oder andernfalls eine Gebühr entrichten muss". Im Leitartikel ist von festgelegten Minimalleistungen und "noch festzulegendem zwingendem Leistungskatalog" die Rede [Hervorhebung hinzugefügt].

Was diese " Grundversorgung" und dieser zwingende Leistungskatalog ist, sagt die Zeitung nicht.

Im Leitartikel werden private von den Versicherungsgesellschaften ausgegebene "Gesundheitsscheine" beschrieben und es wird mit Absicht unklar dargestellt, dass Firmen erlaubt werden soll, die Krankenversicherung ihrer Angestellten zu beenden, die damit per Gesetz gezwungen wären, eine eigene Versicherung mit undefinierten "Minimalleistungen" abzuschließen.

Doppelzüngig wird in der Zeitung einmal versichert, dass Arbeiter "zu einer besseren oder günstigeren Versorgung kommen könnten" und ein anderes Mal heißt es: "Weniger klar ist, welche finanziellen Belastungen Amerikaner mit mittlerem Einkommen zu schultern hätten, wenn sie ihre Versicherung selbst bezahlen müssen. Es ist fraglich, ob die vom Kongress beschlossenen Zuschüsse letztendlich ausreichen werden."

In anderen Worten "Amerikaner mittleren Einkommens", d.h., die überwältigende Mehrheit der Bevölkerung, werden einen immensen Rückgang der Versicherungsleistungen in Kauf zu nehmen haben. Das ist jedoch noch nicht alles. Viele, die jetzt noch glauben, dass Untersuchungen, Medikamente und Behandlungen durch die Krankenversicherung, die sie bei ihrem Arbeitgeber haben, abgedeckt sind, werden plötzlich erfahren, dass Vieles nicht mehr abgedeckt ist und dafür Extrakosten entstehen.

Der Leitartikel widmet sich einem Teilbereich von Medicare, dem in Obamas Plan zentrale Bedeutung zukommt. Es lässt die Art von Regelungen zur Kostensenkung erahnen, die ins Versicherungssystem der Regierung für ältere Personen eingeführt werden sollen und "bei Medicare Geldanreize zur Reduktion nicht notwendiger Einweisungen ins Krankenhaus" vorsehen.

"Das wird nicht jeden durch Medicare Versicherten zufrieden stellen," räumt die Times ein. Sie stellt fest, dass der Kongress "wahrscheinlich" Beihilfen der "Medicare Advantage Plans", von denen Millionen zum Aufstocken der Leistungen der Regierung abhängig sind, "einschränken, bzw. abschaffen wird"...."Tendenziell werden viele dieser Policen für die Mitglieder teurer werden, oder sich beschränkend auf die Leistungen auswirken," heißt es.

Die Times schreibt zustimmend, dass " Präsident Obamas trotzdem betont, die Leistungen würden nicht gekürzt, sondern lediglich effizienter verteilt...."

Die Einschränkungen bei der Versorgung der Medicare-Versicherten schaffen einen Präzedenzfall. Wie die Times es ausdrückt, werden sich die Veränderungen bei Medicare "im gesamten Gesundheitssystem auswirken."

Bezüglich der Einbeziehung der 50 Millionen nicht versicherten Amerikaner in die Krankenversicherung meint das Blatt, die verschiedenen Versionen des Obama-Plans im Kongress "sind nützlich." In Wirklichkeit werden nach Schätzungen auch weiterhin mindestens 16 Millionen Kinder und Erwachsene unversichert bleiben.

Am Sonntag veröffentlichte auch die Washington Post dazu einen Leitartikel unter dem Titel "Krankenversicherung fordert Opfer", der eine freimütigere Darstellung der Folgen des Obama-Plans liefert. Die Post kritisiert den Präsidenten, weil er nicht ehrlich auf die Öffentlichkeit zugehe und sie auf die enormen Kürzungen im Gesundheitssystem vorbereite. Die Änderungen selbst unterstützt die die Zeitung dagegen völlig.

"Die Gesundheitskosten in den Griff zu kriegen," schreibt die Post, "erfordert nein zu sagen, ansonsten müssen die Kranken mehr zahlen..."

Wie die Zeitung schreibt, sind die technischen Neuerungen in der Krankenversorgung die elementare Triebkraft bei der inflationären Entwicklung der Gesundheitskosten und sie erklärt, dass Kostenreduzierung eine Rationierung der Versorgung mit den fortschrittlichsten Behandlungsmethoden erfordere. "Mit anderen Worten", heißt es, "man kann nicht immer bekommen was man sich wünscht - zumindest solange man sich niedrige Kosten wünscht. Das würde riesige Veränderungen in der derzeitigen Praxis verlangen, insbesondere bei Medicare..."

Obamas Konterrevolution in der Gesundheitsversorgung passt zu seiner umfassenden innenpolitischen Strategie. Sie entspricht dem viele Billionen umfassenden Rettungspaket für die Banken, der Durchsetzung von Massenentlassungen, der Kürzung von Löhnen und Zulagen in der Autoindustrie, sowie den scharfen Angriffen auf das öffentliche Bildungssystem und die Lehrerschaft.

Die amerikanische Finanzaristokratie nutzt die Wirtschaftskrise, um einen seit langem vorbereiteten Klassenkampf gegen die große Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung zu entfesseln. Die Regierung Obama ist dabei ihr wichtigstes Werkzeug Alles was von den Sozialreformen der 1930er und 1960er Jahre und von den Errungenschaften früherer Generationen übrig ist, soll beseitigt werden.

Die beispiellose Zunahme der sozialen Ungleichheit und die Herrschaft der Finanzaristokratie über die Gesellschaft und das politische System sind unvereinbar mit Institutionen und Programmen, die demokratische und egalitäre Bestrebungen auch nur noch rudimentär erhalten. Daher der Zwang, öffentliche Bildung und Gesundheitssystem offener und direkter im Interesse der herrschenden Klasse umzugestalten.

Das ist das grundlegende Programm aller Fraktionen der herrschenden Elite - der liberalen wie der konservativen, der Demokraten wie der Republikaner.

Siehe auch:
Die amerikanische Gesundheitsreform und die
Klassenfrage (23. Juli 2009)

Obamas entscheidet sich für privaten Profit statt für
Menschenrecht auf Gesundheit (12. Juni 2009)


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Quelle:
World Socialist Web Site, 30.07.2009
Obamas Krankenversicherung - ein klarer Rückschritt
http://wsws.org/de/2009/jul2009/obam-j30.shtml
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veröffentlicht im Schattenblick zum 31. Juli 2009