Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/2980: Regionalwahl in Frankreich - Zweite Runde bestätigt Niederlage der Regierungspartei


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Regionalwahl in Frankreich
Zweite Runde bestätigt Niederlage der Regierungspartei

Von Antoine Lerougetel und Alex Lantier
24. März 2010
aus dem Englischen (23. März 2010)


Die zweite Runde der Regionalwahlen hat am 21. März in eindrucksvoller Weise bestätigt, dass die französische Bevölkerung die Sparpolitik von Präsident Nicolas Sarkozy rundheraus ablehnt. Dies war schon in der ersten Runde vor einer Woche sichtbar geworden.

In 21 von 22 Regionen gewann die oppositionelle Koalition der "Union der Linken" unter Führung der Sozialistischen Partei (PS) die Mehrheit. Sarkozys UMP konnte ihre Mehrheit nur im Elsass verteidigen und musste Korsika abgeben.

Die PS kandidierte auf einer Wahlliste mit der Umweltpartei Europa-Ökologie, wie auch mit der stalinistischen KPF und der Linkspartei des ehemaligen PS-Ministers Jean-Luc Mélenchon. Europa-Ökologie hatte in der ersten Runde der Wahl mit zwölf Prozent ungewöhnlich viele Stimmen errungen.

Diese vier Parteien kandidierten in der ersten Runde zwar jede für sich, hatten aber schon vorher vereinbart, in der zweiten Runde gemeinsame Listen zu bilden. Diese Koalition wird weithin als potentielle Konstellation gesehen, mit deren Hilfe die PS bei der Präsidentschaftswahl 2012 wieder die Macht übernehmen könnte.

Die Koalition gewann landesweit 54 Prozent der Stimmen gegenüber 27 Prozent für Sarkozys UMP. In Regionen, in denen es keine Liste der "Union der Linken" gab, gewannen andere im Bündnis mit der PS stehende Listen weitere zehn Prozent. Der neofaschistische Front National (FN) erhielt landesweit 6,5 Prozent.

In den zwölf Regionen, in denen Jean-Marie Le Pens Front National in der ersten Runde die erforderlichen zehn Prozent erhalten hatte, um an der zweiten Runde teilzunehmen, legte sie von den landesweiten 11,4 Prozent im ersten Wahlgang auf 17 Prozent zu. Jean-Marie Le Pens Stimmenzahl in der Provinz PACA (Provence-Alpes-Côte d'Azur) stieg von 22,5 auf 24,9 Prozent. Die Stimmen seiner Tochter Marine in dem inzwischen deindustrialisierten Arbeitergebiet von Nord-Pas-de-Calais stiegen von 18 auf 22 Prozent.

Wie in der ersten Runde war die Wahlbeteiligung auch in der zweiten Runde sehr niedrig. Insgesamt gingen diesmal 51 Prozent der 44 Millionen Wahlberechtigten zur Wahl, ein leichter Anstieg gegenüber 47 Prozent in der ersten Runde. Das ist die niedrigste Wahlbeteiligung in der Geschichte der Fünften Republik seit 1958.

Die Presse behandelte die Erdrutschniederlage der UMP als ernsten persönlichen Rückschlag für Sarkozy. "Seit gestern Abend ist unser Hyperpräsident ein Hyper-Verlierer", kommentierte Le Progrès de Lyon. Die Wirtschaftstageszeitung Les Echos fragte: "Wird Nicolas Sarkozy seine Selbstzufriedenheit jetzt ablegen, die er bis jetzt so arrogant zur Schau gestellt hat?"

Politiker aus dem Lager von Ex-Premierminister Dominique de Villepin, Sarkozys sichtbarstem Rivalen in der UMP, kündigte eine Erklärung Villepins für den 25. März an. Sein Verbündeter in der UMP, François Goulard, kündigte an, Villepin werde bis Juni eine neue Partei gründen, die "Bewegung zur Rettung Frankreichs".

Sarkozy gab gestern eine Kabinettsumbildung bekannt, deren erstes Opfer Arbeitsminister Xavier Darcos war. Er hatte in seiner Region Aquitaine an der Spitze der UMP-Liste nur 28 Prozent der Stimmen gewonnen. Als Arbeitsminister hätte er die Aufgabe gehabt, die geplanten Rentenkürzungen durchzuführen. Er wurde durch Haushaltsminister Eric Woerth ersetzt. Der UMP-Abgeordnete François Baroin, ein Vertrauter von Ex-Präsident Chirac, wird Woerth ersetzen.

Das Wahlergebnis unterstreicht in erster Linie die soziale Kluft zwischen den Wählern, die ihre sozialen Errungenschaften verteidigen wollen, und dem politischen Establishment, das entschlossen ist, scharfe Angriffe auf die Bevölkerung durchzuführen. Gleichzeitig beobachten viele Arbeiter mit Sorge, wie die Finanzmärkte und die sozialdemokratische Papandreou-Regierung versuchen, den griechischen Arbeitern Sparprogramme aufzuzwingen.

Das politische Establishment ist einmütig entschlossen, die sozialen Kürzungen fortzusetzen. Entsprechend der EU-Politik plant die Regierung die Staatsausgaben bis 2013 um hundert Milliarden Euro zu senken. Das Haushaltsdefizit nähert sich neun Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP). Die staatliche Gesamtverschuldung bewegt sich auf achtzig Prozent des BIP zu.

Ein zentrales Vorhaben der UMP ist die Fortsetzung der Verhandlungen mit den Gewerkschaften über die Rentenkürzungen, die für Juli geplant sind. Premierminister François Fillon erklärte am Sonntag: "Die Menschen haben Recht: Unsere Lebensweise ist in Gefahr. Aber sie ist nicht durch die Reformen bedroht. Sie ist bedroht, weil wir sie uns ohne Reformen bald nicht mehr leisten können."

Der Fraktionsvorsitzende der UMP in der Nationalversammlung, Jean-François Copé, betonte, die Regierung werde "wichtige Reformvorhaben", wie die Renten- und Haushaltskürzungen, weiterführen. Er flocht dann noch die antidemokratische Forderung nach einer "Rückkehr zu den Werten der Republik" ein, womit er unter anderem das Verbot der Burka meinte.

Die Gewerkschaften und die Ex-Linken haben im Wahlkampf der rechten PS eine wichtige Rolle gespielt. In der Wahlerklärung der Neuen Antikapitalistischen Partei (NPA) heißt es: "Die Niederlage der Rechten ist eine gute Nachricht für all jene, die unter dem Sozialabbau Sarkozys in den letzten drei Jahren gelitten haben."

Die Erklärung der CGT war von grenzenloser Heuchelei geprägt. Sie forderte "eine neue Orientierung in wirtschaftlichen und sozialen Fragen", während sie doch gleichzeitig mit der Regierung die Rentenkürzungen ausarbeitet.

Einige wenige aufrichtige Kommentare von PS-Politikern lassen keinen Zweifel daran, dass die Sozialdemokraten an ihrer Unterstützung für Bankenrettungen und Sozialkürzungen festhalten wollen. Im Januar hatte die Vorsitzende der PS, Martine Aubry, vorgeschlagen, mit der Regierung zusammenzuarbeiten, um das Staatsdefizit durch eine Anhebung des Renteneintrittsalters um zwei Jahre abzubauen.

Jacques Attali, prominenter Berater des damaligen PS-Präsident François Mitterand, gab der Tageszeitung Le Monde am 20. März ein Interview, in dem er Sarkozy aufforderte, hart zu bleiben: "Natürlich muss er seine Reformen weiterführen... Dazu muss er auch bereit sei, zeitweise unpopulär zu sein. Er muss die Notwendigkeit langfristiger Reformen erklären, wie im Fall der Renten, der Abhängigkeit von Sozialtransfers und vielen anderen Fragen."

Der Wirtschaftskommentator von Le Monde, Antoine Delhommais, gab folgenden erstaunlichen Kommentar zu den Ansichten führender Politiker ab. Er schrieb: "Ihnen bleibt gar nichts anderes übrig, als zu lügen oder zu verschweigen, wenn sie als Politiker überleben wollen."

Delhommais zeichnete ein durchaus treffendes Portrait der politischen Klasse, die insgesamt das Profitprinzip und die Vorrechte der Finanzaristokratie akzeptiert. Wenn sie die Wahrheit sagen würden, fuhr Delhommais fort, dann müssten sie sagen: "Das Härteste kommt noch. Erstens wird die Arbeitslosigkeit nicht zurückgehen... Die einzige Chance für Frankreich, seine Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern und mitzuhalten, ist Lohnzurückhaltung, wie sie die Deutschen seit Jahren üben. Ihr werdet weniger verdienen, aber mehr und länger arbeiten, wenn ihr die Chance auf eine halbwegs anständige Rente haben wollt. Der Sozialstaat wird abgespeckt, weil die Staatsschulden ihm die Luft abschnüren. Außerdem müsst ihr höhere Steuern bezahlen, weil wir das Defizit reduzieren und unsere Schulden tilgen müssen - und nicht nur ihr, sondern auch eure Kinder und Enkel. Das ist der einzige Weg, um das Schicksal Griechenlands zu vermeiden - und auch das ist nicht sicher."

Und wenn die Gewerkschaften und die Ex-Linken ehrlich wären, dann würden sie hinzufügen: "Wir sind auch dieser Meinung, und unsere hohlen Phrasen und gelegentlichen eintägigen Streiks dienen nur dazu, dass die Arbeiter ein wenig Dampf ablassen können, während wir an den Sozialkürzungen mitarbeiten, die gegen sie durchgesetzt werden."

Siehe auch:
Frankreich: Gewerkschaftstag der CGT segnet
Orientierung auf Sarkozy ab (14. Januar 2010)
http://www.wsws.org/de/2010/jan2010/cgt-j14.shtml


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2010 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 24.03.2010
Regionalwahl in Frankreich
Zweite Runde bestätigt Niederlage der Regierungspartei
http://wsws.org/de/2010/mar2010/fran-m24.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de


veröffentlicht im Schattenblick zum 25. März 2010