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GLEICHHEIT/3660: Der internationale Strafgerichtshof und Gaddafi


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Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Der internationale Strafgerichtshof und Gaddafi

Von Chris Marsden
19. Mai 2011


Chefankläger Luis Moreno-Ocampo vom Internationalen Strafgerichtshof hat gefordert, Haftbefehl wegen Kriegsverbrechen gegen Oberst Muammar Gaddafi, seinen Sohn Saif al-Islam und den Chef des libyschen Geheimdienstes, Abdullah al-Senussi, zu erlassen. Dieses Vorgehen bestätigt nur die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes als Instrument der imperialistischen Mächte.

Tatsächlich werden die Haftbefehle auf Betreiben der Vereinigten Staaten, Großbritanniens und Frankreichs ausgestellt - allesamt Chefarchitekten der gegenwärtigen Bombenangriffe auf Libyen. Moreno-Ocampo hat Belastungsmaterial gegen die drei Angeklagten gesammelt, um ein Verhandlungsende des Krieges zu verhindern, Gaddafi weiter zu isolieren und so den Weg für einen Regimewechsel zu ebnen.

Washington, London und Paris bemühen sich kaum noch, dieses Ziel zu verschleiern, indem sie sich auf die Resolution 1973 der Vereinten Nationen beziehen, in der es zynisch heißt, die Angriffe fänden zum Schutz der Zivilbevölkerung statt. Ungeachtet des Feigenblatts einer UN-Resolution hat der Libyenkrieg schnell zu neuen Gipfeln der Gesetzlosigkeit und der Kriminalität geführt.

In den Nürnberger Prozessen wurde festgelegt, dass es sich bei der Planung eines Angriffskrieges um das oberste und grundlegende Kriegsverbrechen handelt, aus dem sich alle anderen Verbrechen gegen die Menschlichkeit ergeben. Legt man diesen Maßstab an, dann sind Präsident Barack Obama, Premierminister David Cameron und Präsident Nicolas Sarkozy schwererer Verbrechen schuldig, als sie Gaddafi begangen haben mag.

Ihr neo-koloniales Verhalten ist eine Bestätigung der Nürnberger Thesen, denn die USA und die Nato betreiben eine Politik des Meuchelmordes gegen Gaddafi, seine Familienmitglieder und seine Spitzenberater.

Gleichzeitig nehmen die Angriffe auf zivile Ziele in Tripolis zu. Der Vorwurf des Anklägers des Internationalen Strafgerichtshofes, Gaddafi habe "persönlich Angriffe auf unbewaffnete libysche Zivilisten" angeordnet, trifft genauso auf Obama, Cameron und Sarkozy zu.

Moreno-Ocampos Ermittlungen wurden am 3. März bekannt gegeben. Dabei wurde die am 15. Februar erlassene Resolution 1970 des Sicherheitsrates angeführt, die Libyen in den juristischen Zuständigkeitsbereich des Obersten Strafgerichtshofes rückt.

Am 5. Mai erklärte Moreno-Ocampo zum ersten Mal, dass er drei Haftbefehle wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Libyen beantragt habe, ohne die Namen der Zielpersonen zu nennen. Auf diese Weise sollten die Versuche der Afrikanischen Union, einen Waffenstillstand auszuhandeln, zunichte gemacht und gleichzeitig potentielle Überläufer aus dem libyschen Regierungslager ermutigt werden, um so die Errichtung des oppositionellen Nationalen Übergangsrates (TNC) mit ehemaligen Gaddafigetreuen als Statthalter-Regierung zu erleichtern

Die Ankündigung vom 5. Mai war zeitlich mit einem Treffen der Kontaktgruppe zu Libyen in Rom abgestimmt, auf dem man sich einigte, dem TNC in Bengasi riesige Geldsummen zukommen zu lassen. Sie folgte auf einen Luftschlag der Nato gegen die Familienresidenz Gaddafis, bei dem Gaddafi eliminiert werden sollte, an seiner Stelle aber einer seiner Söhne und drei seiner Enkel starben.

Moreno-Ocampos neue Ankündigung fand unter ähnlichen Umständen statt. Einen Tag zuvor hatte der libysche Premierminister al-Baghdadi Ali al-Mahmoudi dem Sondergesandten der UNO, Abdul Ilah al-Khatib, mitgeteilt, Tripolis wolle "einen sofortigen Waffenstillstand bei gleichzeitiger Aussetzung der Bombenangriffe durch die Nato".

Am Tag der Erklärung sagte der italienische Außenminister Franco Frattini, Italien verhandle über die Bildung einer möglichen "Regierung der nationalen Versöhnung" und Gaddafis Abreise aus Libyen.

Einmal mehr sind derartige Initiativen vollständig durchkreuzt worden. Statt Gaddafi zu erlauben, um Frieden nachzusuchen, hat die Nato ihre Luftschläge gegen Tripolis verstärkt. Begleitet werden sie von lautstarken Forderungen der Briten nach noch mörderischeren Angriffen und der offenen Forderung, Gaddafi umzubringen.

General Sir David Richards, Chef des Verteidigungsstabes, verlangte "intensivere Militäraktionen". Er forderte eine Änderung der Einsatzvorschriften, um "die Bandbreite der Ziele zu erhöhen, die wir treffen können." Sie sollten auch die statische Infrastruktur umfassen und Gaddafi auf diese Weise "demonstrieren, dass das Spiel zu Ende ist und er gehen muss."

"Wir haben Gaddafi nicht direkt ins Fadenkreuz genommen. Sollte es aber passieren, dass er sich in einer Kommandozentrale befindet, die von der Nato getroffen wird und er dabei ums Leben kommt, dann ist das innerhalb der Regeln", sagte er. Er fügte hinzu, dass Premierminister David Cameron "auf seiner Wellenlänge" sei.

Der britische Außenminister William Hague weigerte sich am Sonntag ausdrücklich, den Einsatz ferngesteuerter amerikanischer Drohnen zur Ermordung Gaddafis auszuschließen. "Wer oder was legitimes Ziel ist, hängt von deren Verhalten ab", sagte er.

Die politische Absicht hinter der Forderung nach einem Haftbefehl gegen Gaddafi wie auch hinter Richards Ultimatum ist so offensichtlich, dass der britische Guardian sich genötigt sah, in einem Leitartikel Folgendes zu schreiben:

"Darauf zu bestehen, dass Gaddafi nicht Teil einer neuen demokratischen Ordnung sein könne, ist eine Sache. Aber als Vorbedingung für einen Waffenstillstand zu verlangen, dass er das Land verlässt, heißt nichts anderes, als eine Feuerpause unmöglich zu machen. Indem man darauf besteht, dass er das Land verlässt und sich vor den Internationalen Gerichtshof begibt, stellt man sicher, dass er kämpfend untergehen wird. Das lässt nur eine militärische Lösung zu, und zwar mit der Aussicht auf viele, viele Opfer unter der Zivilbevölkerung."

Der Guardian wertet dies als Beweis dafür, dass die Strategie der Nato "verwirrt" ist. Das ist sie absolut nicht. Der gleiche modus operandi zur Legitimierung eines imperialistischen Krieges wurde 1999 während des Luftkrieges der Nato gegen Jugoslawien angewandt, als der serbische Präsident Slobodan Milosevic wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit vor ein anderes UN-gesponsertes Tribunal gestellt wurde, das Internationale Tribunal für das ehemalige Jugoslawien.

Der Prozess gegen Milosevic begann 2001, ein Jahr nach seiner Absetzung. In den fünf Jahren, die er dauerte, stellte sich Milosevics Selbstverteidigung als zunehmend peinlich für die westlichen Mächte heraus. Das Verfahren wurde abgebrochen, nachdem er an einem Herzanfall gestorben war.

Die Aussagen von Richard und Konsorten und die bereits von der Nato unternommenen Aktionen zeigen, dass für Gaddafi kein solcher Schauprozess geplant ist. Der geforderte Haftbefehl hat den Charakter eines Todesurteils, das vor der Kulisse des Krieges vollzogen werden soll.

Die Rolle des Internationalen Strafgerichtshofes im libyschen Krieg stimmt überein mit seiner Bilanz der Unterwürfigkeit unter die Ziele des Imperialismus. Als er im Juli 2002 gegründet wurde, wurde er als bedeutendste Reform des internationalen Rechtes seit dem zweiten Weltkrieg hochgehalten. Es hieß, man schaffe eine internationale Institution zur Verfolgung von Personen, die des Völkermordes, wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen und aggressiver Handlungen angeklagt seien.

Er hat seitdem mehr als einmal gezeigt, dass er ausschließlich im Interesse der Mächte handelt, die die UNO dominieren.

Genauso wie Russland, China, Israel und ein Dutzend weiterer Länder haben sich die USA geweigert, die Autorität des Internationalen Strafgerichtshofes anzuerkennen - formell wie auch in der Praxis. Washington lehnt jegliche Verantwortlichkeit gegenüber internationalen Körperschaften ab, wenn es um die aggressive und gewaltsame Verfolgung seiner globalen Interessen geht. Dennoch kann es wie bei den Ermittlungen im Fall Gaddafi dank seiner Position im UNO-Sicherheitsrat echte oder angebliche Verbrechen an ein Gericht verweisen, das es gar nicht anerkennt.

Alle sechs Fälle, in denen Ermittlungen auf den Weg gebracht wurden, waren in Afrika angesiedelt. Im Fall des Sudan-Darfur-Konfliktes und im Fall Libyen war es der UNO-Sicherheitsrat, die die Ermittlungen anstieß, die mit den außenpolitischen Interessen der USA und der europäischen Mächte übereinstimmten. In ihrer Gesamtheit treffen die Ermittlungen, die das Gericht aufgenommen hat, mit dem erneuten Versuch der USA und der europäischen Mächte zusammen, sich die Kontrolle über die afrikanischen Märkte und ihre Rohstoffe und geo-militärische Vorteile zu verschaffen.

Es ist unmöglich, die Einzelheiten aller ungeheuerlichen Verbrechen aufzuzählen, die die imperialistischen Mächte seit der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofes begangen haben. Das schlimmste dieser Verbrechen war jedoch die Invasion des Irak im Jahre 2003. 2006 veröffentlichte Moreno-Ocampo einen Brief, in dem er zugab, 240 Anträge wegen der Invasion des Irak erhalten zu haben.

Der Mann, der jetzt auf Gaddafis Verfolgung drängt, bekräftigte in seiner Reaktion, es sei nicht die Sache seines Gerichtes, über die Legalität der Invasion und möglicher damit verbundener Verbrechen zu urteilen, bevor nicht die Staaten eine Regelung akzeptierten, die den Internationalen Strafgerichtshof einsetzten, die Verbrechen definierten und klar machten, ob der Strafgerichtshof juristisch zu handeln befugt sei. Was die Verbrechen gegen Zivilisten [im Irak] anging, so behauptete Moreno-Ocampo, die verfügbaren Informationen "deuteten nicht auf absichtliche Angriffe auf die Zivilbevölkerung" oder "exzessive Angriffe" hin.

Zur gleichen Zeit schätzten glaubwürdige Quellen, dass mehr als 650.000 Iraker als Ergebnis des Krieges und der von den USA geführten Besetzung ums Leben gekommen waren, nicht zu sprechen von den offensichtlichen Kriegsverbrechen wie Abu Ghraib und der Zerstörung Fallujahs.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 20.05.2011
Der internationale Strafgerichtshof und Gaddafi
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veröffentlicht im Schattenblick zum 21. Mai 2011