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GLEICHHEIT/3665: Ägyptische "Linke" bemüht sich um Bündnis mit der Bourgeoisie


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägyptische "Linke" bemüht sich um Bündnis mit der Bourgeoisie

Von Johannes Stern
24. Mai 2011


Die ägyptische Revolution, die im Januar begann, hat einen Wendepunkt erreicht. Der Masse der arbeitenden Bevölkerung, die die Diktatur von Präsident Mubarak stürzte, droht eine Konterrevolution durch die Militärjunta, welche die Regierung kontrolliert. Nun haben sich mehrere Parteien, die sich als "links" oder sogar "sozialistisch" bezeichnen, zu einem Bündnis mit der Bourgeoisie zusammen geschlossen, das seinerseits das Militär unterstützt.

Am 10. Mai haben sich diese Parteien - die Demokratische Arbeiterpartei, die Revolutionären Sozialisten, die Populäre Allianz, die Sozialistische Partei Ägyptens und die Kommunistische Partei Ägyptens - zu einer "Sozialistischen Front" zusammen geschlossen, die sich zum Ziel setzt, die "Rechte des Volks und die Interessen der Nation zu verteidigen". Die Front hat ihre Bereitschaft erklärt, mit "allen progressiven und demokratischen Kräften zusammen zu arbeiten, um gemeinsame nationale Ziele zu erreichen" und einen bürgerlich-demokratischen, säkularen Staat aufzubauen.

Die treibende Kraft der ägyptischen Revolution, die Mubarak zu Fall brachte, war die Arbeiterklasse. Sie legte das gesamte Land mit Massenstreiks lahm und zwang das ägyptische Militär, den verhassten Diktator fallen zu lassen.

Seit der Übernahme der Macht durch das Militär am 11. Februar ist kein Tag vergangen, an dem es nicht nennenswerte Streiks und Proteste der ägyptischen Arbeiter gab. Für die ägyptischen Massen hat die Revolution mit dem Sturz Mubaraks erst begonnen. Sie haben bereits weitreichende Forderungen formuliert, die nur im Rahmen einer politischen Offensive gegen das kapitalistische System verwirklicht werden können.

So veröffentlichte die Revolutionszeitung "Revolutionäres Ägypten" am 11. März eine Liste mit Forderungen der revolutionären Arbeiter. Diese verlangen unter anderem

• die Anhebung des Mindestlohns und der Pensionen sowie die Festsetzung eines Maximallohns, der ungefähr 15 Mal so hoch ist, um das Prinzip der sozialen Gleichheit zu verwirklichen, das sich die Revolution zu eigen gemacht hat; Arbeitslosengeld für die Arbeitslosen und dessen regelmäßige Anhebung entsprechend der Inflation.

• Rückgewinnung der Firmen, die privatisiert wurden, ihre Wiederverstaatlichung und ein Ende des schrecklichen Privatisierungsprogramms.

• Eine Rückkehr zu Festpreisen für Waren und Dienstleistungen und ein Verbot für Preissteigerungen, die eine Ursache für die Unterdrückung aller armen Klassen sind.

• Das Recht auf Streik und friedlichen Protest für alle ägyptischen Arbeiter und für alle, die im Moment gegen die Lakaien des alten Regimes streiken [...] Wenn diese Revolution nicht zu einer fairen Verteilung des Reichtums führt, dann wird sich nichts verändert haben. Politische Freiheiten können nicht vollständig sein ohne soziale Freiheiten. Das Recht auf einen Laib Brot ist der natürliche Wegbereiter für das Recht auf einen Stimmzettel.

• Die Auflösung des ägyptischen Gewerkschaftsverbands, der einer der größten Symbole für die Korruption des alten Regimes ist [...].

Die regierende Militärjunta unter Feldmarshall Mohamed Hussein Tantawi und die von den Militärs installierte Interimsregierung Essam Sharafs haben mit Gewalt und drakonischen Gesetzen auf die massiven Forderungen der ägyptischen Arbeiter und die nicht enden wollende Welle von Streiks reagiert.

Am 23. März hat der Militärrat ein Gesetz erlassen, das alle Streiks und Proteste, die die Wirtschaft oder das öffentliche Leben beeinträchtigen, unter drakonische Strafen stellt. Die Notstandsgesetze, die in Ägypten mit einer kurzen Unterbrechung seit 1967 in Kraft sind, gelten ebenfalls weiterhin.

Drei Mal wurden friedliche Protestierende auf dem Meidan al-Tahrir vom Militär brutal angegriffen, und auch gegen protestierende Studierende ist das Militär gewaltsam vorgegangen. Seit Beginn der Militärdiktatur wurden Menschenrechtsberichten zufolge Tausende verhaftet, gefoltert und vor Militärgerichte gestellt.

Trotz dieser Gewalt und diesen repressiven Maßnahmen stehen die angeblich pro-demokratischen Teile der ägyptischen Bourgeoisie und selbsternannten Unterstützer der Revolution geschlossen hinter der Junta, die sie als Garant für die Verteidigung des Kapitalismus und ihrer Klasseninteressen betrachten.

Mohamed al-Baradei, der Führer der Nationalen Allianz für den Wandel, hat die Haltung der ägyptischen Bourgeoisie nach der tödlichen Attacke des Militärs auf friedlich Protestierende auf dem Meidan al-Tahrir am 9. April auf den Punkt gebracht. Das Vertrauen zwischen dem ägyptischen Volk und der Armee sei "eine rote Linie", die nicht überschritten werden dürfe, und "lebenswichtig für die nationale Einheit", erklärte er.

In der unbedingten Unterstützung der ägyptischen Bourgeoisie für die Militärdiktatur bestätigt sich die Theorie der permanenten Revolution, die Leo Trotzki bereits im Jahre 1905, am Vorabend der ersten russischen Revolution formulierte, und die später in der Oktoberrevolution 1917 ihre Verwirklichung finden sollte. Trotzki wies nach, dass die Bourgeoisie in Staaten mit verspäteter Entwicklung nicht in der Lage ist, den Kampf für Demokratie und gegen imperialistische Unterdrückung zu führen, und dass nur die Arbeiterklasse auf der Grundlage eines internationalen, sozialistischen Programms fähig ist, diese Aufgaben zu verwirklichen.

Es ist völlig ausgeschlossen, dass es für die ägyptischen Arbeiter und Bauern einen Weg zu einer demokratischen und sozialen Gesellschaft im Rahmen des Kapitalismus geben kann. Der anti-demokratische Charakter der ägyptischen Bourgeoisie hat sich bereits gezeigt, und die Militärjunta hat verkündet, dass sie die neoliberale Wirtschaftspolitik des Mubarak-Regimes fortsetzen wird. Die internationalen Finanzmärkte fordern bereits weitere "Reformen".

Die ägyptischen Massen sind völlig von den offiziellen bürgerlichen Parteien entfremdet, weil sich zwischen ihren während der Revolution formulierten sozialen und demokratischen Forderungen und der Politik der ägyptischen Elite ein Abgrund auftut. Es gibt keine bürgerliche Partei und keinen bürgerlichen Politiker, der eine nennenswerte Unterstützung in der ägyptischen Bevölkerung hätte. Auch die islamistische Muslimbruderschaft (MB), die stärkste bürgerliche Kraft, kann nach großzügigen Schätzungen maximal zwanzig Prozent der Bevölkerung mobilisieren, wobei der Kern ihrer Unterstützer aus der oberen Mittelschicht kommt.

Aufgrund ihrer eigenen Schwäche und konfrontiert mit einer revolutionären Bewegung der Arbeiterklasse ist die ägyptische Bourgeoisie auf der verzweifelten Suche nach einem Mechanismus, der es ihr ermöglicht, die Kämpfe der Arbeiter unter Kontrolle zu bekommen, in harmlose Kanäle zu lenken und so das kapitalistische System zu retten. In diesem Zusammenhang spielen die Parteien, die sich zur "Sozialistischen Front" zusammen geschlossen haben, eine wachsende Rolle. Ihre Aktivitäten und Ansichten werden in den bürgerlichen Medien in der Regel mit wohlwollenden Artikeln bedacht.

Den Charakter dieser Aktivitäten und Ansichten zeigt in aller Deutlichkeit die Entwicklung der Demokratischen Arbeiterpartei (DAP), eines Mitglieds der Front. In Folge der Revolution vom 25. Januar gegründet, gibt sie vor, die Interessen der ägyptischen Arbeiter zu vertreten, ist aber eine rein bürgerliche Partei, die mit beiden Beinen auf dem Boden des Kapitalismus steht und die Errichtung einer parlamentarischen Republik anstrebt.

In ihrem Gründungsstatement, das am 1. Mai veröffentlicht wurde, wird "die Festigung der Demokratie" als ein Hauptprinzip der Partei genannt. Dies soll durch "eine Verfassung, die Menschenrechten, Bürgerrechten und der Meinungsfreiheit verpflichtet ist", und durch "die Errichtung einer parlamentarischen Republik mit der Freiheit, politische Parteien und Gewerkschaften zu gründen", erreicht werden.

Bereits am 24. März hat die DAP einen ersten Programmentwurf vorgelegt, der ebenfalls deutlich macht, dass die Gruppierung mit Sozialismus nichts das Geringste zu tun hat. Das Wort "Sozialismus" findet sich in dem mehrseitigen Dokument nicht ein einziges Mal. Im zweiten Abschnitt des Entwurfs mit der Überschrift "Unsere Partei" wird der Charakter der Partei mit folgenden Worten beschrieben: "Unsere Partei ist eine Partei, die das Ziel verfolgt, Freiheit, Demokratie, Menschenwürde und soziale Gerechtigkeit zu erreichen."

Und auch der darauf folgende Abschnitt "Erklärung der Prinzipien der Arbeiterpartei" betont, dass die DAP eine bürgerliche Partei ist. "Die Arbeiterpartei wird nach den drei Prinzipien der ägyptischen Revolution streben: Freiheit, soziale Gerechtigkeit und einem bürgerlichen Staat (civil state)".

Im vierten Abschnitt wird dann nach einigen relativ beschränkten demokratischen und sozialen Forderungen unvermittelt die Behauptung aufgestellt, die DAP wolle den Kapitalismus stürzen. Nur wenige Abschnitte später wird allerdings deutlich, was die Partei darunter versteht: "Der Sturz des Systems bedeutet nicht nur den Sturz des Kopfs des Systems, sondern wir wollen das Wesen der Politik des Regimes verändern." Mit anderen Worten, sie will Druck auf das bürgerliche Regime ausüben, damit es seine Politik verändert.

Der letzte Abschnitt, der die Überschrift "Der Kampf der Arbeiter in der nationalen Sache" trägt, befasst sich mit den benachbarten arabischen Staaten und Israel. Die darin aufgestellten Forderungen werden von breiten Teilen der ägyptischen Bourgeoise geteilt, die sich nach dem Sturz Mubaraks mehr Unabhängigkeit von den USA wünschen, um ihre eigenen Interessen in der Region besser verfolgen zu können. Sie werden in ähnlicher Form von anderen bürgerlichen Kräften, wie z.B. Mohamed El Baradeis Nationaler Allianz für den Wandel und der islamistischen Muslimbruderschaft erhoben.

Wie diese Kräfte will die DAP eine bürgerliche Regierung, die geringfügige außenpolitische Veränderungen durchführt, die ausschließlich den Interessen der ägyptischen Bourgeoisie dienen.

Am Ende des Programms stellt die DAP dann klar, dass sie bereit ist, sich an einer solchen Regierung auch selbst zu beteiligen. "Wir werden weiterhin danach streben die Vision der ägyptischen Arbeiter zu erreichen und diese an der revolutionären Regierung zu beteiligen, die wirklich die Interessen der Mehrheit der Massen des ägyptischen Volks vertritt."

Um den Charakter der DAP besser zu verstehen, muss man sich die politische Gruppierung etwas genauer anschauen, auf deren Initiative ihre Gründung zurückgeht. Die DAP ist das Projekt der Revolutionary Socialists (RS), der ägyptischen Sektion der International Socialist Tendency (IST), deren bedeutendste Fraktion die britische Socialist Workers Party (SWP) ist.

Die SWP wurde von Tony Cliff ins Leben gerufen, der mit dem Marxismus bereits Ende der 40er Jahre gebrochen hatte. Er vertrat die Auffassung, die Sowjetunion sei kein degenerierter Arbeiterstaat, wie es Leo Trotzki analysiert hatte, sondern eine Form des Staatskapitalismus. Zusammenfassen lässt sich die Politik der IST seit ihrer Gründung als eine Geschichte der opportunistischen Anpassung an die sozialdemokratischen und gewerkschaftlichen Bürokratien zusammenfassen, denen sie die Arbeiterklasse unterordnete.

Die Staatskapitalisten schrecken nicht davor zurück, wichtige Ämter im bürgerlichen Staatsapparat zu übernehmen. So sitzt mit Christiane Buchholz ein führendes Mitglied der IST-Gruppierung in Deutschland (Marx 21) im Verteidigungsausschuss des Deutschen Bundestags und deckt die Verbrechen der deutschen Bundeswehr im Zuge des imperialistischen Kriegs in Afghanistan ab. Die deutsche Sektion der IST hat sich komplett in die Linkspartei aufgelöst, eine Partei, die aus alten Sozialdemokraten und Stalinisten besteht und seit Jahren in Deutschland den Sozialabbau mit organisiert.

Die politische Ausrichtung der ägyptischen Staatskapitalisten ist kein Deut besser. Sie arbeiten seit Jahren mit der Muslimbruderschaft zusammen, einer reaktionären islamistischen Gruppierung, die der Arbeiterklasse zutiefst feindselig gegenüber steht und sich auch gegen die Demonstrationen am 25. Januar gestellt hat. Die Kooperation mit der MB versuchen die RS mit "marxistischen Traditionen" zu rechtfertigen, die sie entweder nicht verstehen oder bewusst verdrehen.

Ein führender Vertreter der RS, Sameh Naguib, Soziologe an der Amerikanischen Universität in Kairo, erklärt in einem Interview mit International Socialism (Ausgabe 116), dass die Zusammenarbeit mit der MB auf "der marxistischen Tradition der Einheitsfront" basiere. Konkret bedeute dies, "zur Erreichung bestimmter Ziele in gemeinsame Kämpfe mit reformistischen Organisationen wie der Muslimbruderschaft einzutreten, ohne die eigene Unabhängigkeit oder unsere offene Kritik aufzugeben".

In Wirklichkeit hat eine Einheitsfront mit der MB nicht das Geringste mit marxistischer Politik zu tun. Ursprünglich war die Politik der Einheitsfront eine Taktik, die von der Komintern auf dem Dritten Weltkongress 1921 beschlossen wurde und das Ziel hatte, die Mehrheit der Arbeiter, die noch Vertrauen in die Sozialdemokratischen Parteien hatten, von diesen zu brechen und für eine revolutionäre Politik zu gewinnen. Im Gegensatz zur Sozialdemokratie der 20er Jahre ist die MB jedoch weder eine "reformistische" Partei, noch hat sie Traditionen oder eine Verankerung in der Arbeiterklasse. Außerdem vertreten die RS, im Gegensatz zur Komintern vor ihrer Stalinisierung, kein revolutionäres Programm.

Die von den RS proklamierte Einheitsfront mit der Muslimbruderschaft erinnert eher an die Einheitsfront Stalins Mitte der 30er Jahre, als die kommunistischen Parteien in Frankreich und Spanien in bürgerliche Regierungen eintraten, die revolutionäre Bewegung der Arbeiter abwürgten und faschistischen Kräften ermöglichten, die Revolutionen im Blut zu ertränken.

Wie die Stalinisten damals stehen heute die Revolutionary Socialists auf Seiten der Konterrevolution und arbeiten mit ihrer Politik dem ägyptischen Militär in die Hände, das sich darauf vorbereitet, die Revolution gewaltsam niederzuschlagen.

Inmitten einer Revolution, die von der Arbeiterklasse getragen wird und in der es für die Arbeiter nur um die Errichtung einer Arbeiterregierung gehen kann, um ihre demokratischen und sozialen Interessen zu verteidigen, versuchen die ägyptischen Staatskapitalisten eine bürgerliche Partei aufzubauen, die die Arbeiter vom Klassenkampf abhält.

Ihre Rechtfertigung für eine derartige Politik könnte dabei zynischer nicht sein. In einem Interview, das am 31. März auf der Website der RS veröffentlicht wurde, behauptet der Führer der RS und der DAP, Kamal Khalil, die DAP sei deswegen keine sozialistische Partei, weil die Arbeiter selbst nicht "auf dem Boden des Sozialismus" stehen würden.

Statt für sozialistisches Bewusstsein und ein internationales sozialistisches Programm in der Arbeiterklasse zu kämpfen, erklären die RS schlicht, dass die ägyptischen Arbeiter nicht reif für den Sozialismus seien und ihnen deshalb gar nichts anderes übrig bleibe, als sich auf bürgerliche Politik zu beschränken.

Die ägyptischen Staatskapitalisten vertreten nicht die Interessen der ägyptischen Arbeiter, sondern die der Bourgeoisie und der oberen Mittelschichten, die nichts mehr fürchten als die Machtübernahme der Arbeiter und die Errichtung einer sozialistischen Gesellschaft. Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die RS und die DAP in ägyptischen und internationalen bürgerlichen Medien wie Al Masry Al Youm, Al Ahram, dem britischen Guardian und Al-Jazeera durchweg mit positiven Artikeln bedacht werden, und dass ihre führenden Vertreter wie Hossam al-Hamalawy dort ein Forum für ihre eigenen Artikel und Beiträge erhalten.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 24.05.2011
Ägyptische "Linke" bemüht sich um Bündnis mit der Bourgeoisie
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veröffentlicht im Schattenblick zum 25. Mai 2011