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GLEICHHEIT/3881: Ägyptische Junta unterdrückt friedliche Demonstranten


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Ägyptische Junta unterdrückt friedliche Demonstranten

Von Johannes Stern
12. Oktober 2011


Sonntagabend führte das ägyptische Militär einen brutalen Angriff auf Demonstranten in Kairo durch, bei dem mindestens 24 Personen getötet und Hunderte verletzt wurden. Die brutale Unterdrückung richtete sich gegen eine friedliche Demonstration von 10.000 Menschen, die aus dem Arbeiterwohnviertel Shubra vor das Gebäude des Staatsfernsehens im Zentrum von Kairo strömten. Die meisten Demonstranten waren koptische Christen, die gegen den herrschenden Militärrat protestierten und gleiche religiöse Rechte für die christliche Minderheit in Ägypten forderten.

Vergangene Woche wurde in der oberägyptischen Stadt Assuan eine koptische Kirche angegriffen. Viele Ägypter hegten den Verdacht, dass der Oberste Rat der Streitkräfte (SCAF) für diesen Zwischenfall verantwortlich sei. Der Aktivist Abdel Tawab Hassan sagte der unabhängigen Zeitung Daily News Egypt, der SCAF "wolle demonstrieren, dass Streit zwischen den Ägyptern herrsche, sodass er Grund habe, die Kontrolle zu behalten" und neue undemokratische Gesetze zu erlassen.

An der Demonstration am Sonntag sollen auch viele Muslime teilgenommen haben, um gegen den Versuch des Regimes zu protestieren, religiöse Konflikte zwischen Moslems und Christen anzustacheln. Sie riefen: "Kein Anzünden von Kirchen" und richteten ihre Parolen gegen die Militärjunta und den de facto Diktator, Feldmarschall Mohamed Hussein Tantawi. Sie forderten: "Das Volk will den Sturz von Feldmarschall Tantawi" und "Nieder mit der Militärherrschaft".

Auf ihrem Weg nach Maspiro zum Fernsehsender wurde die Demonstration mehrfach von Steine werfenden Schlägern angegriffen. In einem Fall raste ein Fahrzeug mit großer Geschwindigkeit durch die Menschenmenge und es wurden Schüsse abgefeuert. Als die Demonstration dann vor der Fernsehanstalt ankam, wurde sie von der Armee brutal mit Tränengas und Schlagstöcken angegriffen. Als die Demonstranten sich verzweifelt gegen die Angriffe zu wehren versuchten, schoss das Militär mit scharfer Munition und gepanzerte Truppentransporter fuhren in die Menge und überfuhren Menschen. Videos auf YouTube zeigten schlimme Sequenzen des brutalen Massakers und Augenzeugen gaben Berichte von den schockierenden Ereignissen.

"Soldaten schossen scharf auf uns, als wenn wir Fliegen wären. Einige Leute waren in der Lage fortzulaufen, andere retteten sich in Gebäude", berichtete eine Demonstrantin der Daily News Egypt. Eine andere sagte: "Ich sah, wie Menschen zerquetscht und in blutigen Decken weggetragen wurden. Familien und Kinder schrien. Überall waren Tränengas und Leute, die aus Schusswunden bluteten.

Einige Demonstranten konnten der Szene entkommen und machten sich auf zum Tahrir Platz. Auf dem Weg dorthin wurden sie wieder von Schlägern und Sicherheitskräften angegriffen. Augenzeugen berichteten, dass eine große Gruppe von Schlägern die Demonstranten in der Nähe des Ägyptischen Museums mit Steinen zu bewerfen begann. Polizeikräfte kamen mit Wasserwerfern hinzu, um die Menge zu zerstreuen. Die Demonstranten kämpften gegen Polizei und Armee und riefen: "Moslems und Christen gemeinsam" und "Tod dem Feldmarschall".

Der Angriff auf die Demonstranten war von Unterdrückungsmaßnahmen gegen Fernsehsender begleitet, die live über das gewaltsame Vorgehen von Armee und Polizei berichteten. Das Militär drang in die Büros von Al-Hurra TV und Channel 25 in Kairo ein und unterbrach die Sendungen. Die unabhängige Tageszeitung Al Masry Al Youm berichtete, dass Soldaten die Presseausweise von Journalisten kontrollierten, um Christen zu identifizieren, und verprügelte einige von ihnen, darunter eine schwangere Frau.

Gleichzeitig führte das ägyptische Staatsfernsehen eine massive Propagandakampagne gegen die Demonstranten und vor allem gegen die christliche Minderheit. Kommentatoren beschuldigten die Kopten, Soldaten angegriffen und getötet zu haben, und riefen muslimische Bürger auf, auf die Straße zu kommen, um die Armee zu schützen. Einigen Berichten zufolge folgten einige islamistische Banden dem Aufruf und strömten mit Schlagstöcken bewaffnet auf die Straße, riefen Parolen für einen islamischen Staat und beteiligten sich an den Angriffen auf die Demonstranten.

Noch in der Nacht trat Informationsminister Osama Heikal im Staatsfernsehen auf und machte "externe Kräfte" für die Ausschreitungen verantwortlich und erklärte, der ägyptische Staat sei durch "religiöse Konflikte" ernsthaft bedroht. Auch Ministerpräsident Essam Sharaf hielt eine drohende Rede und warnte, dass die Sicherheit Ägyptens durch eine "Verschwörung" gegen die Streitkräfte bedroht sei. Er forderte koptische und muslimische Religionsvertreter, Journalisten, Intellektuelle und Künstler auf, "ihre nationale Pflicht zu erfüllen". Ägypter sollten nicht auf "unbestätigte Gerüchte hören". Er warnte: "Hütet euch vor Streit unter euch selbst."

Die Ereignisse in Ägypten "erinnern sehr an den 2. und 3. Februar", sagte Randa Abul Azm, ein Journalist des Satellitensenders Al-Arabiya. Auch damals schlug das Mubarak-Regime gegen unabhängige Medien los und arbeitete bei der berüchtigten "Schlacht der Kamele" mit Schlägern zusammen, um den Tahrir Platz zu räumen. Eine Demonstrantin sagte zu Al-Ahram Online, dass die "Armee uns genauso behandelt, wie Mubarak die Demonstranten in der Revolution behandelt hat".

Diese bisher tödlichste Unterdrückung von Demonstranten durch die Militärjunta findet zur gleichen Zeit statt, wie eine massive Streik- und Protestwelle. Seit dem Ende des Ramadan haben Hunderttausende Arbeiter gestreikt - darunter Lehrer, Beschäftigte der öffentlichen Verkehrsbetriebe, Ärzte und Industriearbeiter - und höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und soziale Gleichheit gefordert. Bei den Streiks und Protesten forderten Arbeiter auch den Sturz der Militärjunta, die weithin als Fortsetzung des Mubarak-Regimes gesehen wird, und entschlossen ist, die anti-demokratische und anti-soziale Politik des ehemaligen Diktators fortzusetzen.

Die massive Welle erneuter Proteste schockierte die herrschende Elite Ägyptens. Sprecher der Bourgeoisie warnten vor einer "weiteren Revolution" und forderten ein Ende der Streiks. Vor diesem Hintergrund bemühten sich die Junta und ihre politischen Unterstützer in den offiziellen Parteien und "unabhängigen" Gewerkschaften Hand in Hand, um die Streiks zu beenden und die Lage unter Kontrolle zu bekommen. Das Militär versuchte die Streiks der Arbeiter mit Gewalt zu unterdrücken, die Führer der unabhängigen Lehrervereinigung und die unabhängige Gewerkschaft der Beschäftigten bei den öffentlichen Verkehrsbetrieben brachen Massenstreiks ab, obwohl die Junta sich geweigert hatte, Zugeständnisse zu machen.

Gleichzeitig unterzeichneten die meisten der etablierten bürgerlichen Parteien ein Abkommen mit dem Militärrat über einen "Zeitplan für die verbleibenden Aufgaben, die in der Übergangsphase erledigt werden müssen". In dem Dokument heißt es, dass das Militär bis mindestens Ende 2012 an der Macht bleiben wird. Das widerspricht völlig dem ursprünglichen Versprechen der Generäle alsbald zurückzutreten und den Weg für demokratische Wahlen freizumachen. Nach ihrer Machtübernahme am 11. Februar hatten sie versprochen, sich innerhalb von sechs Monaten zurückzuziehen, um den Weg für eine zivile Regierung freizumachen. Das Abkommen soll die Junta zu einem Zeitpunkt stützen, da große Teile der ägyptischen Bevölkerung Mubaraks Generälen gegenüber feindseliger eingestellt sind, denn je.

In den letzten Wochen hat die Junta ihre Macht ständig weiter konsolidiert und die Gewalt gegen Demonstranten und streikende Arbeiter verstärkt. Sie begann mit der Anwendung eines Anti-Streik- und Anti-Demonstrations-Gesetzes und gab die Verlängerung des Ausnahmezustands bekannt. Dutzende Demonstranten wurden verhaftet, vor Militärtribunale gestellt und, so wird berichtet, von Polizei und Militär gefoltert.

Die brutale Gewalt des Militärs vom Sonntag muss für die ägyptische Arbeiterklasse eine Warnung sein: die Junta bereitet noch größere Gewalt vor, um die Revolution zu stoppen. Schon oft sind religiöse Konflikte zwischen Muslimen und koptischen Christen von der ägyptischen Bourgeoisie angeheizt worden, um vom Klassenkampf abzulenken. Nur wenige Wochen vor dem Beginn der ägyptischen Revolution am 25. Januar wurde ein Bombenanschlag auf eine koptische Kirche in Alexandria verübt, bei dem mehr als zwanzig Menschen getötet wurden. Es gibt viele Anzeichen dafür, dass der ägyptische Geheimdienst in enger Abstimmung mit extremistischen salafistischen Gruppen hinter dem Anschlag stand.

Seitens westlicher Regierungen in Europa und den Vereinigten Staaten wurde über das Massaker der ägyptischen Junta vom Sonntag der Mantel des Schweigens ausgebreitet. Sie alle betrachten die Junta als Rückgrat der kapitalistischen Herrschaft und wichtigste Verteidigerin der imperialistischen Interessen in Ägypten und der ganzen Region. Ihr Schweigen zeigt, dass sie bereit sind, das kriminelle Vorgehen der Junta genauso zu decken, wie sie Mubarak gedeckt haben.

Erst vergangene Woche hat der amerikanische Verteidigungsminister und ehemalige Chef der CIA Kairo besucht und mit Feldmarschall Tantawi konferiert. Medienberichten zufolge lobte Leon Panetta "die Fähigkeit des Rats, alle Hindernisse der Übergangsperiode zu überwinden". Der Washington Post zufolge war Panetta "bei seinem Besuch voll des Lobes" und erklärte: "Ich habe wirklich vollstes Vertrauen in den Prozess, den das ägyptische Militär lenkt. Ich glaube, er macht gute Fortschritte."


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Quelle:
World Socialist Web Site, 12.10.2011
Ägyptische Junta unterdrückt friedliche Demonstranten
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veröffentlicht im Schattenblick zum 13. Oktober 2011