Schattenblick →INFOPOOL →MEDIEN → ALTERNATIV-PRESSE

GLEICHHEIT/3936: Eurozonen-Krise - Schlechte Aussichten für China und Asien


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Eurozonen-Krise: Schlechte Aussichten für China und Asien

Von Nick Beams
15. November 2011


Weit davon entfernt, die krisengeschüttelte Weltwirtschaft anzukurbeln, könnten China, Asien und andere sogenannte "aufstrebende Märkte" sich in naher Zukunft zu einer weiteren Quelle globaler Instabilität entwickeln. Dies ergibt sich aus jüngsten Statistiken und aus Indizes, die das Markt- und Geschäftsvertrauen anzeigen.

Die Schockwellen der europäischen Finanzkrise versetzten den asiatischen Märkten am vergangenen Donnerstag ihre größten Verluste seit zwei Monaten. Sie deuten darauf hin, dass das Wirtschaftswachstum abnehmen und die Ausweitung von Bankkrediten, die beim asiatischen Wachstum eine Schlüsselrolle gespielt haben, sich verlangsamen könnte. Nicht nur, dass Europa entscheidendes Ziel für asiatische Exporte ist, europäische Banken sind auch eine wichtige Finanzierungsquelle für die Konzerne der Region.

Am vergangenen Dienstag warnte HSBC-Chef Stuart Gulliver, in Asien drohe eine Verringerung der Kreditvergabe. Die starke Zunahme bei der "Verfügbarkeit von Krediten in Asien, die die ansteigende Nachfrage gestützt hat, kann nicht ewig weitergehen." Der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich zufolge waren kontinentaleuropäische Banken für 21 Prozent der 2,5 Milliarden an ausstehenden Krediten in Asien, ausschließlich Japan, verantwortlich.

Wie die Financial Times berichtet, hat sich das Vertrauen des Geschäftssektors in die Weltwirtschaft seit der Verschärfung der Eurokrise in den letzten drei Monaten "praktisch in Luft aufgelöst". Mehr als die Hälfte der 1600 Manager, die für das globale Geschäftsbarometer der Financial Times und des Economist befragt wurden, rechnen damit, dass sich die globalen Bedingungen in den kommenden sechs Monaten verschlechtern, wobei einer der entscheidenden Anstöße für den Abwärtstrend aus Asien erwartet wird. Dort stieg der Anteil der Manager, die mit einer Verschlechterung der weltweiten Bedingungen rechnen, von 36 Prozent im Juli auf 54 Prozent an.

Anfang der Woche warnte IWF-Chefin Christine Lagarde in einer Rede in Beijing, die Welt laufe "Gefahr, in eine Abwärtsspirale von Unsicherheit und finanzieller Instabilität zu geraten", die auch Asien betreffen würde.

"Wir sitzen alle im selben Boot und werden zusammen aufsteigen oder untergehen", sagte sie. "Asien ist nicht immun. Ob es sich um Absatzmärkte oder den Finanzsektor handelt, der zum Krisenbeschleuniger werden kann, Asien sollte sich vorbereiten."

Die Auswirkungen der Krise der Eurozone lassen sich an den chinesischen Exportzahlen ablesen, die im Oktober zurückgingen. Exporte stiegen für das Jahr um 15,9 Prozent und lagen damit unter der Jahressteigerung von 17,1 Prozent im vorangegangenen Monat. Exporte in die Europäische Union stiegen im Jahresvergleich um 7,5 Prozent, während sie im September noch mit einer Jahresrate von 9,8 Prozent zugenommen hatten.

Die Einfuhren steigen weiter, doch das könnte von kurzer Dauer sein. Ökonomen warnen, dass die chinesische Binnennachfrage zurückgehen könnte, sobald sich die chinesische Politik des knappen Geldes vom vergangenen Jahr auszuwirken beginnt. Dies gilt insbesondere für den Immobilien- und den Gebäudesektor.

In einem Artikel in der Financial Times heißt es: "Ein scharfer Rückgang bei Immobilienverkäufen könnte zu einer Verminderung von Chinas unersättlichem Appetit nach Waren führen, der beim Wachstum der Importe die Haupttriebkraft war."

Chinas Politik des knappen Geldes hat die Gefahr einer Inflation zumindest vorerst verringert. Die Jahresinflationsrate fiel letzten Monat auf 5,5 Prozent, verglichen mit 6,1 Prozent im September. Aber der Engpass bei Krediten könnte im Bankensystem und auf den Immobilienmärkten zu ernsten Problemen führen.

"Wir haben bereits gesehen, dass für den chinesischen Immobilienmarkt die Gefahr einer Rezession besteht", sagte Liu Li-Gang, Chefvolkswirt der ANZ-Bank der Financial Times. "Angesichts der dramatischen Verschlechterung des äußeren Umfeldes muss die Bank of China sich rückversichern und die Geldpolitik lockern."

Obwohl nicht annähernd so bedeutend wie China, wird auch Indien als neue Wachstumsquelle gehandelt. Aber es gibt Anzeichen zunehmender Probleme. Autoverkäufe haben im Oktober den stärksten Rückgang seit über einem Jahrzehnt verzeichnet, Binnenabsatz fiel um 23,8 Prozent. Es wird befürchtet, dass Indiens wirtschaftlicher Aufschwung sich wegen hoher Inflation, straffer Geldpolitik und steigender Zinsen abschwächt.

Am vergangenen Mittwoch stufte die Rating-Agentur Moody's die Aussichten für Indiens Bankensystem auf "negativ" herab. Als Grund führte sie Sorgen um globale Instabilität und eine Abschwächung des Binnenmarktes an, die zu Insolvenzen und einem Nachlassen der Profitabilität führen könnten.

Die Verschlimmerung der europäischen Krise hat nach dem Scheitern des G-20-Gipfels zu einer scharfen Reaktion chinesischer und indischer Bankmanager geführt. In einer Erklärung vom fünften Indisch-Chinesischen Finanzdialog, der am Dienstag in Neu Delhi abgehalten wurde, wurde Europa ausdrücklich aufgefordert, seine Finanzen zu ordnen.

In der Erklärung hieß es: "Beiden Seiten ist klar, dass die Weltwirtschaft sich in einer kritischen Phase befindet." Während das Wachstum auf aufstrebenden Märkten "relativ stärker" sei, "gibt es deutliche Anzeichen einer Verlangsamung, da die Entwicklungen in den fortgeschrittenen Wirtschaften anfangen, diese Länder zu belasten."

Weiter wurde gefordert, dass "entwickelte Wirtschaften eine verantwortungsvolle makroökonomische Politik betreiben, um die Probleme von Schulden und Finanzstabilität in den Griff zu bekommen, Investitionen zu fördern und Nachfrage zu schaffen."

Unter den indischen Regierungsvertretern scheint es einige Unstimmigkeiten wegen der Unverblümtheit des Tones gegeben zu haben. Das indische Finanzministerium dementierte zunächst sogar, dass überhaupt eine Erklärung abgegeben worden sei. Ein Spitzenbeamter des Außenministeriums betätigte allerdings später sowohl das Treffen als auch die Erklärung.

China, Indien und die BRIC-Staaten als Ganzes gelten als mögliche Finanziers Europas. Aber im chinesischen Regime regt sich Widerstand und es mehren sich die Zweifel, ob Indien eine sinnvolle Rolle spielen könnte.

Der scharfe Ton der Erklärung zeigt, dass sowohl Indien als auch China fürchten, in den Strudel des europäischen Finanzzusammenbruches hineingezogen zu werden - mit enormen sozialen und politischen Folgen für beide Staaten. Der Streit um ihren Inhalt deutet auch darauf hin, dass die Krise keine einheitliche Antwort der "aufstrebenden Mächte" finden wird. Ihre Interessen decken sich zwar in manchen Punkten, können aber auch aufeinanderprallen.


*


Bitte senden Sie Ihren Kommentar an: wsws@gleichheit.de!.

Copyright 1998-2011 World Socialist Web Site - Alle Rechte vorbehalten


*


Quelle:
World Socialist Web Site, 15.11.2011
Eurozonen-Krise: Schlechte Aussichten für China und Asien
http://www.wsws.org/de/2011/nov2011/chin-n15.shtml
Deutschland: Partei für Soziale Gleichheit
Postfach 040144, 10061 Berlin
Tel.: (030) 30 87 24 40, Fax: (030) 30 87 26 20
E-Mail: info@gleichheit.de
Internet: www.wsws.org


veröffentlicht im Schattenblick zum 16. November 2011