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GLEICHHEIT/3993: Protest in chinesischem Dorf findet breite Unterstützung


World Socialist Web Site
Herausgegeben vom Internationalen Komitee der Vierten Internationale

Protest in chinesischem Dorf findet breite Unterstützung

Von John Chan
22. Dezember 2011


Die unbarmherzige Reaktion des chinesischen Staates auf die anhaltenden Proteste von Bauern im Dorf Wukan in der Provinz Guangdong hat die zwanzigtausend Dorfbewohner zu einem nationalen Symbol des Widerstands gegen die stalinistische Bürokratie und die hinter ihr stehenden mächtigen Konzerninteressen gemacht.

Mit automatischen Waffen und Wasserwerfern ausgerüstet, riegelten mehrere hundert paramilitärische Polizisten das Dorf während der gesamten letzten Woche ab und unterbrachen tagelang die Versorgung mit Nahrungsmitteln. Dennoch hat der Kampf der Bewohner gegen den Verkauf kollektiven Bauernlandes an Immobilienhaie ihnen die Sympathie der arbeitenden Bevölkerung des ganzen Landes eingebracht. Benachbarte Dörfer und Menschen aus der Stadt beliefern Wukan mit Nahrungsmitteln und Versorgungsgütern.

Vergangenen Freitag erklärte ein Reporter des Wall Street Journal in Wukan: "Interviews mit Menschen aus der Umgebung von Wukan zeigen, dass es weit verbreitete Sympathie für den Protest gibt und dass auch andernorts Wut über ähnliche Fälle herrscht, in denen örtliche Funktionäre sich das Land der Bauern unrechtmäßig aneignen oder für konfisziertes Land keine ausreichenden Entschädigungen zahlen."

Bezeichnenderweise werden die Unruhen auch von einem Teil der Arbeiterklasse unterstützt. Letzten Mittwoch wurde eine kleine Solidaritätsdemonstration für die Dorfbewohner von Wukan in der Provinzhauptstadt Guangzhou von der Polizei aufgelöst. Beijing fürchtet offensichtlich, dass die Proteste zu größeren gegen die Regierung gerichteten Demonstrationen führen könnten, und das nicht nur in ländlichen Gegenden, sondern auch in den Produktionszentren der Provinz.

Drei Wanderarbeiter verteilten Flugblätter und versuchten, öffentliche Reden zu halten, um die Massen zur Unterstützung des Wukan-Protests zu animieren. Ihr Material wurde konfisziert und sie wurden einem Bericht der South China Morning Post zufolge vorübergehend festgenommen. Yang Chong aus der Jiangxi-Provinz sagte der Zeitung: "Ich erfuhr durch das Internet von den Vorgängen in Wukan und möchte die Leute in Wukan unterstützen. Ich stehe hinter der Verteidigung ihrer Rechte." Die Gruppe plant für diesen Sonntag eine weitere Demonstration.

Im September war es in Wukan zu gewalttätigen Auseinandersetzungen gegen einen korrupten Handel des Dorfkomitees der Kommunistischen Partei gekommen, das fast das gesamte Land aus Kollektivbesitz an einen Schweinemastbetrieb, den Lufeng Fengtian Viehvermarkter, verkaufte. Bei dessen Eigentümer handelt es sich um den ehemaligen Vizevorsitzenden der Lufeng-Gemeinderegierung. Der Mastbetrieb wiederum verkaufte das Land kürzlich an Chinas größte Immobilienfirma, Country Garden. Viele Dorfbewohner waren von der Fischerei abhängig, aber eine Muschelfirma zerstörte die traditionellen Fischereigewässer. Nachdem ihre Lebensgrundlage auf diese Weise vernichtet worden war, nahmen die Dorfbewohner gemeinsam den Kampf auf.

Nach den September-Protesten flüchteten örtliche Kader der Kommunistischen Partei zusammen mit einem Dutzend wohlhabender Familien, die ihre mehrgeschossigen Herrenhäuser zurück ließen Die Dorfbewohner wählten ihr eigenes Komitee und patrouillierten im Dorf auf Motorrädern, um die Verhaftung von führenden Mitgliedern der Bewegung zu verhindern. Sie fällten Bäume und blockierten die Straßen, um die Polizei am Betreten des Dorfes zu hindern.

Die Behörden schickten Sonderkräfte, um die Proteste im Keim zu ersticken. Sie forderten die Dorfbewohner auf, dreizehn Mediatoren zu benennen. Die Absicht dahinter wurde schnell klar: Man wollte herausfinden, wer die Schlüsselfiguren des Protestes waren. Am 9. Dezember fuhren vier Busse mit Agenten in zivil in das Dorf, und ergriffen fünf Vertreter der Bewegung. Danach wurden eintausend bewaffnete Polizisten vor Ort stationiert. Die örtlichen Wachposten alarmierten das ganze Dorf, das sich erhob, um sich der Polizei entgegen zu stellen. Nachdem sie die Anwohner zwei Stunden lang mit Tränengas und Wasserwerfern angegriffen hatte, zog sich die Polizei zurück, riegelte das Dorf aber ab.

Vergangenen Montag löste der plötzliche Tod von Xue Jianwan große Wut aus. Der gewählte Führer von Wukans Protestbewegung starb in Polizeigewahrsam. Niemand glaubt den Beteuerungen der Regierung, er sei an einem plötzlichen Herzanfall gestorben. Stattdessen vermuten die Dorfbewohner, dass er zu Tode gefoltert wurde.

Um das Dorf zu beschwichtigen, erklärte der Bürgermeister der Präfektur Shangwei vergangenen Mittwoch auf einer Pressekonferenz, dass die Behörden bereit seien, mit den Dorfbewohnern zu verhandeln. Er versprach, den Landhandel zu überprüfen, drohte aber gleichzeitig mit der Bestrafung der führenden Protestler und wetterte: "Die Regierung wird mit aller Härte gegen Rädelsführer vorgehen, die Unruhen organisieren, provozieren oder anfachen und gegen unsere Gesetze verstoßen, indem sie öffentliches Eigentum zerstören und öffentliche Dienste behindern."

Statt sich einschüchtern zu lassen, erschienen sieben tausend Dorfbewohner am vergangenen Dienstag, um Xues Tod zu betrauern. Seine Tochter sagte der South China Morning Post: "Die Polizei warf meinem Vater vor, ein illegales Volksbegehren inszeniert und die öffentliche Ordnung gestört zu haben. Aber er hat nichts Falsches getan. Mein Vater wurde von einigen Leuten in Zivil in Handschellen abgeführt." Die Geheimdienstoffiziere sind möglicherweise vom staatlichen Sicherheitsdienst aus Beijing geschickt worden.

Am folgenden Tag versammelten sich mehr als sechstausend Dorfbewohner in der Ortsmitte und verlangten die Herausgabe von Xues Leichnam. Sollte er nicht innerhalb von fünf Tagen freigegeben werden, würden sie zum Hauptquartier der Regierung in Lufeng marschieren. Lin Zuilian, ein Wortführer der Demonstration, verlangte "demokratische Wahlen" nicht nur für Wukan, sondern für das ganze Land. "Wir wollen Demokratie", erklärte er.

Weit davon entfernt, "demokratische Rechte" zu gewähren, sitzt Beijing noch immer das Ausmaß der Proteste vom Platz des Himmlischen Friedens im Jahr 1989 im Nacken. Damals hatten Studenten mit ihren Forderungen die Schleusentore für die Ablehnung der kapitalistischen Restauration durch die Arbeiterklasse geöffnet.

Die Kommunistische Partei Chinas (KPCh) kann eine Situation wie in Wukan, die bei Millionen Internet-Usern Bewunderung ausgelöst hat, nicht hinnehmen. Die Losungen, die die Regierung in der Nähe des Dorfes hat aufstellen lassen - "Schützt die Stabilität vor der Anarchie - Unterstützt die Regierung!" - zeigen Beijings Angst vor einer Ausbreitung der Unruhen.

Ein namentlich nicht genannter Dorfbewohner hat dem Hongkonger Fernsehsender TVB am Sonntag gesagt, dass am Samstag mehr als zweitausend Soldaten in die Gemeinde von Lufeng eingedrungen seien. Er behauptete, es sei unwahrscheinlich, dass die Behörden die Armee einsetzen würden, um die Dorfbewohner zu unterdrücken, "sonst provozieren sie einen nationalen Aufstand oder eine Revolution", denn das ganze Land und die ganze Welt sähen zu. Er betonte, die Soldaten würden nur leitende Funktionäre schützen, die möglicherweise die Dorfbewohner besuchen wollten, denn "wir sind weder gegen die Partei, noch den Staat, noch wollen wir das Land spalten."

Offensichtlich herrschen in Wukan Illusionen über das Regime in Beijing. Auf Bannern steht, dass man sich gegen "korrupte Funktionäre" wende und das "Parteizentrum" gebeten habe, sich um die Sorgen der Anwohner zu kümmern. In Wahrheit bedeutet die Stationierung der Armee, sollte sie sich bestätigen, eine große Gefahr für die Bevölkerung von Wukan. Der stalinistische Polizeistaat verteidigt rücksichtslos die Interessen der Großkapitalisten wie Country Garden und ihrer ländlichen Partner wie die bäuerlichen Großbetriebe, die mit den lokalen Parteifunktionären verbandelt sind.

Beijings Sorgen werden durch die Geschichte der Region um Lufeng verstärkt. Die Stadt ist als Geburtsort von Chinas moderner Bauernbewegung in der Revolution von 1925 - 1927 bekannt geworden. Ein früherer Führer der Kommunistischen Partei, Peng Pai, gründete hier das erste Ausbildungszentrum, um Bauern zum Aufstand gegen die Großgrundbesitzer auszubilden. Das war eine mächtige Unterstützung des Aufstands der Arbeiterklasse.

Der Aufstand in Wukan ist ein deutliches Anzeichen dafür, dass die Wiedereinführung des Kapitalismus die explosiven sozialen Widersprüche zurückgebracht hat, die die großen revolutionären Erhebungen der chinesischen Massen im vergangenen Jahrhundert hervorgebracht haben.


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Quelle:
World Socialist Web Site, 22.12.2011
Protest in chinesischem Dorf findet breite Unterstützung
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veröffentlicht im Schattenblick zum 23. Dezember 2011